01.08.12

Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht : Entwurf einer Typologie

 
 
 
Behrend K (2009)
Bielefeld (Germany): Bielefeld University.
Bielefeld Doctoral Thesis | German
Authors:
Behrend, Katharina
Department:
Abteilung für Psychologie
Abstract:

Die Fragestellung der Studie entstammt dem Berufsfeld des Psychologischen Sachverständigen am Familiengericht: Umgangsverweigerung (UV) ist ein bindungspsychologisch paradoxes, oft aber stabiles Verhalten von Kindern bei hochstrittigen Trennungen. Das vom amerikanischen Kinder- und Jugendpsychiater Richard Gardner vorgestellte Parental Alienation Syndrome ist bisher vorherrschend, erklärt aber weder Psychodynamik noch Spektrum des in der Praxis beobachtbaren kindlichen Verhaltens bei UV. Gardner sieht als einzige Ursache die Instrumentalisierung des Kindes durch den Alleinerziehenden ("Gehirnwäsche"). Seine Interventionsvorschläge zielen im Wesentlichen auf Sanktionierung des betreuenden Elternteils ab. Ziel dieser zweiteiligen Studie ist der Entwurf eines Modells, das die noch bestehenden Erklärungslücken schließt. 
 
In einer Fragebogenerhebung werden (N=256) junge Erwachsene (M = 23,5 Jahre) zu ihren Gefühlen und Reaktionen angesichts früher miterlebten häuslichen Elternstreits befragt. Es werden retrospektiv drei Altersgruppen erhoben: Kindesalter, Jugendliche, Erwachsenenalter. Dabei zeigt sich, dass "Rückzug" die in allen Altersklassen am häufigsten gewählte Strategie angesichts elterlicher Konflikte ist. Ab dem Grundschulalter treten jedoch zunehmend auch "Parteinahme" und "Schlichtungsversuche" auf. Methodisches Kernstück der Untersuchung ist die als induktive Einzelfallstudie angelegte qualitative Analyse der Ablehnungsbegründungen von 103 Kindern im Alter von 4 - 17 Jahren. Dazu wurde ein differenzierteres Konzept von Instrumentalisierung entwickelt, das die Motivlage des beeinflussenden Erwachsenen einbezieht. Danach lässt sich UV auf 3 ursächliche Dimensionen zurückführen: 1. Elterliches Konfliktniveau, 2. Grad der Instrumentalisierung, 3. Kränkungen im Zuge der Trennung. Weiter werden 4 kontextuelle Risikofaktoren gefunden (Entwicklungsstand, Stieffamilienstruktur, Bindungsgeschichte zum Abgelehnten, Gerichtsverfahren). Die neu konzipierte Typologie ist in der Lage, kindliches Verhalten bei UV umfassend abzubilden: Typ 1: Streitmeidung, Typ 2: Instrumentalisierte Parteilichkeit, Typ 3: Kränkung / seelische Verletzung. Die von Gardner beschriebenen PAS-Kinder stellen eine Subgruppe des Typs 2 dar, Typ 1 und 3 sind neu. Das Modell ermöglicht die differenzierte Einzelfallanalyse, Prognose einer Reversibilität der Haltung sowie individuell abgestimmte Interventionen. Diese reichen von Deeskalation des Elternkonflikts über Kontaktherstellung (Typ 1 u. 2) bis hin zur Hinnahme der Verweigerungshaltung (Typ 3). 
 

Cite this

  • Behrend K. Kindliche Kontaktverweigerung nach Trennung der Eltern aus psychologischer Sicht : Entwurf einer Typologie. Bielefeld (Germany): Bielefeld University; 2009.

http://pub.uni-bielefeld.de/publication/2301270

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