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15. Mai 2012
Noch in den 70ern hielten Eltern Züchtigung für
eine gute Erziehungsmethode. Ingrid Müller-Münch hat über die
alltäglichen Gewaltorgien ein Buch geschrieben.
Die Aufdeckung und Aufarbeitung von Misshandlungen in Kinderheimen ist eines der großen Themen der Gegenwart. Die Kölner Journalistin und Buchautorin Ingrid Müller-Münch ist als Kind ebenfalls geprügelt worden – zu Hause, von den Eltern. Sie war kein Einzelfall, Schläge mit Kochlöffel oder Teppichklopfer waren bis in die 70er-Jahre üblich. Deswegen hat Müller-Münch nun ein Buch über „ Die geprügelte Generation . Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“ geschrieben.
Welt Online : Wir haben schon einige Generationen kennengelernt: Die „Generation Golf“, die „Generation Praktikum“, die „Generation doof“ – um nur ein paar Buchtitel der vergangenen Jahre zu nennen. Was hat es mit der geprügelten Generation auf sich?
Ingrid Müller-Münch : Bei Vorbereitungen für eine Rundfunksendung zu diesem Thema habe ich gemerkt, dass es aus meinen Gesprächspartnern nur so heraussprudelte. Sie hatten ein großes Bedürfnis, über die Schläge ihrer Kindheit zu reden. Viele hatten dieses Kapitel ihres Lebens bis dahin nie zum Thema gemacht, weil es ja so normal war und dazuzugehören schien. Jetzt sind wir, die in der Kindheit geprügelt wurden, alt genug, um mit Abstand zurückzublicken.
Welt Online : Warum sollte es ein Tabu geben, über geschlagene Kinder zu sprechen?
Müller-Münch : Ich habe zumindest den Eindruck, dass das Thema nicht groß behandelt wurde. Klar, es gibt Katharina Rutschkys Standardwerk über die Schwarze Pädagogik, da geht es auch um die Prügelstrafe. Aber die Menschen haben sich darüber nicht ausgetauscht. Ich habe kürzlich ein befreundetes Paar gesprochen. Die beiden sind seit über 30 Jahren zusammen. Als ich von meinem Buch erzählte, sagte die Frau: Bei uns beiden gab es so etwas nicht. Der Mann schwieg die ganze Zeit, und erst nach einer Weile sagte er zu seiner Frau: Entschuldige mal, ich bin als Kind mit dem Teppichklopfer verprügelt worden. Die Frau wusste das nicht. So wie in dieser Beziehung war es oft, es war einfach kein Thema.
Welt Online : Sie selbst sind ebenfalls zu Hause geprügelt worden.
Müller-Münch : Ja, ich bin Expertin.
Welt Online : Das hat Sie besonders sensibel für dieses Thema werden lassen.
Müller-Münch : Zunächst einmal war eher das Gegenteil der Fall. Ich wollte davon nichts wissen. Als vor einigen Jahren die Geschichten von geprügelten und missbrauchten Heimkindern hochkamen, da haben sich einige ehemalige Heimkinder auch an mich als Journalistin gewandt. Und wissen Sie was: Ich habe nicht verstanden, was die wollten. Ich habe das Thema nicht gesehen, weil ich dachte, wir sind doch alle geprügelt worden. Ich war offensichtlich selber in diesem Schema des Schweigens gefangen.
Welt Online : Noch einmal zum Begriff Generation. Kinder wurden auch schon in früheren Generationen geschlagen, nicht erst seit den 50er-Jahren.
Müller-Münch : Ich arbeite mit diesem Generationsbegriff, weil wir die letzte noch aktiv im Leben stehende Generation sind, bei der das Prügeln und Schlagen in der Kindheit normal war. Freilich wurden die Kinder auch davor geschlagen, die Geschichte der Prügelstrafe ist ja uralt.
Welt Online : Sie erwähnen auch Martin Luther, der ein glühender Verfechter der Prügelstrafe war.
Müller-Münch : Ich gehe bis Luther zurück, weil der noch heute eine Person ist, die etwas gilt. Er war der Meinung, man müsse wohlgesittete Bürger mit der Rute heranprügeln. Diese starren, brutalen Erziehungsanweisungen zogen sich durch die Geschichte und wurden im Dritten Reich noch starrer und noch strenger gemacht. Und nach dem Krieg ging es erst einmal so weiter. Das Standardwerk der Kindererziehung unter Hitler, Johanna Haarers „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, wurde leicht verändert noch bis in die 80er-Jahre hinein gedruckt. Darin werden Hartherzigkeit und Gefühlskälte als notwendig für die Kindererziehung propagiert.
Welt Online : Sind denn die Deutschen besonders auffällig geworden, wenn es um das Prügeln ihrer Kinder ging?
Müller-Münch : Schwer zu sagen. Der US-Psychologe Lloyd deMause hat sich die Eltern-Kind-Beziehungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern angeschaut. Er kommt in seinem Buch „Hört ihr die Kinder weinen“ zu dem Ergebnis, dass sich die Prügelstrafe am längsten in Deutschland hielt. Seinen Angaben zufolge billigten in den 70er-Jahren 80 Prozent der Deutschen des Schlagen ihrer Kinder, 35 Prozent sogar mit dem Rohrstock. Wir scheinen also doch etwas hartleibig gewesen zu sein – und sind es in anderer Form womöglich heute noch.
Welt Online : Sie schildern verschiedene Beispiele, wie Eltern auf ihre Kinder eingeprügelt haben. Da kommen Wutausbrüche und wahre Gewaltorgien von vermeintlich gesitteten Bürgern vor. Besonders seltsam mutet an, dass manche die Strafaktionen an ihren Kindern wie eine lästige Pflichterfüllung durchexerziert haben.
Müller-Münch : Es war im Kopf vieler Leute, dass man den Kindern bestimmte Prinzipien wie Ordnung oder Fleiß einbläuen müsse. Und dazu brauchten sie einen Kochlöffel, einen Rohrstock oder einen Teppichklopfer. Anders konnte das in deren Vorstellung gar nicht gehen. Man musste das Kind zurechthauen. Sadismus spielte da eigentlich selten eine Rolle. Ich spreche davon, dass flächendeckend in der Gesellschaft verankert war, dass das Schlagen der Kinder in Ordnung ist. Natürlich gab es Ausnahmen.
Welt Online : Andererseits scheint es doch eine Art Unrechtsbewusstsein oder Scham gegeben zu haben. Vor dem Prügeln wurden die Fenster geschlossen. Man wollte nicht, dass andere Menschen das mitbekommen.
Müller-Münch : Scham? Ich habe ein paar Versuche gemacht, Eltern zu interviewen. Es bringt nichts. Die, die ich gesprochen habe, taten so, als hätten ihre mittlerweile erwachsenen Kinder sich das ausgedacht. Ich glaube, die Kinder haben sich geschämt. Man ist doch gerne stolz auf einen tollen Papa oder Weltklasse-Mama. Aber das geht natürlich nicht, wenn man von denen regelmäßig windelweich geprügelt wird. Andererseits weiß ich aus meiner eigenen Geschichte: Die Nachbarn müssen das doch mitbekommen haben. Die Kinder haben fürchterlich geschrien und geweint, die Eltern haben gebrüllt. Eine meiner Interviewpartnerinnen hat erzählt, dass die Nachbarn sie oft auf ihr Klavierspiel angesprochen haben. Dann müssen die auch mitgekriegt haben, wie dasselbe Mädchen vor Schmerzen geschrien hat.
Welt Online : Oft sind Stress und Überforderung die Ursachen dafür, dass Eltern ihre Kinder schlagen. Sie beschreiben aber auch noch andere mögliche Gründe. Die US-amerikanische Psychologin Patricia Crittenden etwa …
Müller-Münch : … Ich habe lange gezögert, ob ich deren Position ins Buch nehmen soll. Crittenden ist eine sehr renommierte Bindungsforscherin – und sie sagte zu mir: Die Eltern haben das aus Angst getan. Aus Angst davor, dass ihre Kinder abweichen oder auffallen könnten. Die Schläge sind nach ihrer Theorie eine Art Schutzfunktion gewesen. Die Kinder mussten in einen Mainstream gebracht werden, so waren es die Eltern aus dem Dritten Reich gewohnt. Denn wer dort auffiel, hatte schlechte Karten. Aber diese Position kann ich persönlich nur schwer teilen. Es fühlte sich nämlich gar nicht nach Fürsorge und Zuwendung an, wenn wir Prügel bekamen.
Welt Online : Anpassung wurde auch in der DDR großgeschrieben. Dennoch wurde dort schon 1949 die Prügelstrafe an Schulen verboten. Da war sie in der Bundesrepublik noch gang und gäbe.
Müller-Münch : Es gab in der DDR auch schon relativ früh Aufrufe an die Eltern, ihre Kinder nicht zu schlagen. Ich war direkt nach dem Fall der Mauer in zwei Berliner DDR-Kindergärten. Was ich da an rigidem Regiment gegenüber den Kindern erlebt habe – das war unglaublich bedrückend. Es geht eben nicht nur um das Prügeln, sondern um Grausamkeiten allgemein, auch seelische.
Welt Online : Sie sagen, Ihre Generation sei die letzte, die die Prügelstrafe noch als allgemein anerkannte Erziehungsmaßnahme erfahren hat. Viele, die selbst geschlagen wurden, versuchen nun als Eltern in der Erziehung ohne Gewalt auszukommen. Es gibt aber auch jene, die sagen: Mir hat es doch auch nicht geschadet …
Müller-Münch : Natürlich gibt es die. In dem Zusammenhang zitiere ich gerne die frühere Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Wenn ihr gegenüber jemand diesen Mir-hat-es-nicht-geschadet-Spruch bringt, dann entgegnet sie: „Sie wissen doch gar nicht, was Sie für ein netter Mensch geworden wären ohne diese Prügel.“ Ich finde, das ist eine wunderbare Antwort. Und ich kann nur sagen: Mir persönlich hat es geschadet.
Ingrid Müller-Münch: „Die geprügelte Generation. Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“. (Klett-Cotta, Stuttgart. 285 S., 19,95 Euro. ISBN 978-3608946802).
http://www.welt.de/kultur/history/article13879978/Ordnung-und-Fleiss-wurden-uns-eingepruegelt.html
Die Aufdeckung und Aufarbeitung von Misshandlungen in Kinderheimen ist eines der großen Themen der Gegenwart. Die Kölner Journalistin und Buchautorin Ingrid Müller-Münch ist als Kind ebenfalls geprügelt worden – zu Hause, von den Eltern. Sie war kein Einzelfall, Schläge mit Kochlöffel oder Teppichklopfer waren bis in die 70er-Jahre üblich. Deswegen hat Müller-Münch nun ein Buch über „ Die geprügelte Generation . Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“ geschrieben.
Welt Online : Wir haben schon einige Generationen kennengelernt: Die „Generation Golf“, die „Generation Praktikum“, die „Generation doof“ – um nur ein paar Buchtitel der vergangenen Jahre zu nennen. Was hat es mit der geprügelten Generation auf sich?
Ingrid Müller-Münch : Bei Vorbereitungen für eine Rundfunksendung zu diesem Thema habe ich gemerkt, dass es aus meinen Gesprächspartnern nur so heraussprudelte. Sie hatten ein großes Bedürfnis, über die Schläge ihrer Kindheit zu reden. Viele hatten dieses Kapitel ihres Lebens bis dahin nie zum Thema gemacht, weil es ja so normal war und dazuzugehören schien. Jetzt sind wir, die in der Kindheit geprügelt wurden, alt genug, um mit Abstand zurückzublicken.
Welt Online : Warum sollte es ein Tabu geben, über geschlagene Kinder zu sprechen?
Müller-Münch : Ich habe zumindest den Eindruck, dass das Thema nicht groß behandelt wurde. Klar, es gibt Katharina Rutschkys Standardwerk über die Schwarze Pädagogik, da geht es auch um die Prügelstrafe. Aber die Menschen haben sich darüber nicht ausgetauscht. Ich habe kürzlich ein befreundetes Paar gesprochen. Die beiden sind seit über 30 Jahren zusammen. Als ich von meinem Buch erzählte, sagte die Frau: Bei uns beiden gab es so etwas nicht. Der Mann schwieg die ganze Zeit, und erst nach einer Weile sagte er zu seiner Frau: Entschuldige mal, ich bin als Kind mit dem Teppichklopfer verprügelt worden. Die Frau wusste das nicht. So wie in dieser Beziehung war es oft, es war einfach kein Thema.
Welt Online : Sie selbst sind ebenfalls zu Hause geprügelt worden.
Müller-Münch : Ja, ich bin Expertin.
Welt Online : Das hat Sie besonders sensibel für dieses Thema werden lassen.
Müller-Münch : Zunächst einmal war eher das Gegenteil der Fall. Ich wollte davon nichts wissen. Als vor einigen Jahren die Geschichten von geprügelten und missbrauchten Heimkindern hochkamen, da haben sich einige ehemalige Heimkinder auch an mich als Journalistin gewandt. Und wissen Sie was: Ich habe nicht verstanden, was die wollten. Ich habe das Thema nicht gesehen, weil ich dachte, wir sind doch alle geprügelt worden. Ich war offensichtlich selber in diesem Schema des Schweigens gefangen.
Welt Online : Noch einmal zum Begriff Generation. Kinder wurden auch schon in früheren Generationen geschlagen, nicht erst seit den 50er-Jahren.
Müller-Münch : Ich arbeite mit diesem Generationsbegriff, weil wir die letzte noch aktiv im Leben stehende Generation sind, bei der das Prügeln und Schlagen in der Kindheit normal war. Freilich wurden die Kinder auch davor geschlagen, die Geschichte der Prügelstrafe ist ja uralt.
Welt Online : Sie erwähnen auch Martin Luther, der ein glühender Verfechter der Prügelstrafe war.
Müller-Münch : Ich gehe bis Luther zurück, weil der noch heute eine Person ist, die etwas gilt. Er war der Meinung, man müsse wohlgesittete Bürger mit der Rute heranprügeln. Diese starren, brutalen Erziehungsanweisungen zogen sich durch die Geschichte und wurden im Dritten Reich noch starrer und noch strenger gemacht. Und nach dem Krieg ging es erst einmal so weiter. Das Standardwerk der Kindererziehung unter Hitler, Johanna Haarers „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, wurde leicht verändert noch bis in die 80er-Jahre hinein gedruckt. Darin werden Hartherzigkeit und Gefühlskälte als notwendig für die Kindererziehung propagiert.
Welt Online : Sind denn die Deutschen besonders auffällig geworden, wenn es um das Prügeln ihrer Kinder ging?
Müller-Münch : Schwer zu sagen. Der US-Psychologe Lloyd deMause hat sich die Eltern-Kind-Beziehungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern angeschaut. Er kommt in seinem Buch „Hört ihr die Kinder weinen“ zu dem Ergebnis, dass sich die Prügelstrafe am längsten in Deutschland hielt. Seinen Angaben zufolge billigten in den 70er-Jahren 80 Prozent der Deutschen des Schlagen ihrer Kinder, 35 Prozent sogar mit dem Rohrstock. Wir scheinen also doch etwas hartleibig gewesen zu sein – und sind es in anderer Form womöglich heute noch.
Welt Online : Sie schildern verschiedene Beispiele, wie Eltern auf ihre Kinder eingeprügelt haben. Da kommen Wutausbrüche und wahre Gewaltorgien von vermeintlich gesitteten Bürgern vor. Besonders seltsam mutet an, dass manche die Strafaktionen an ihren Kindern wie eine lästige Pflichterfüllung durchexerziert haben.
Müller-Münch : Es war im Kopf vieler Leute, dass man den Kindern bestimmte Prinzipien wie Ordnung oder Fleiß einbläuen müsse. Und dazu brauchten sie einen Kochlöffel, einen Rohrstock oder einen Teppichklopfer. Anders konnte das in deren Vorstellung gar nicht gehen. Man musste das Kind zurechthauen. Sadismus spielte da eigentlich selten eine Rolle. Ich spreche davon, dass flächendeckend in der Gesellschaft verankert war, dass das Schlagen der Kinder in Ordnung ist. Natürlich gab es Ausnahmen.
Welt Online : Andererseits scheint es doch eine Art Unrechtsbewusstsein oder Scham gegeben zu haben. Vor dem Prügeln wurden die Fenster geschlossen. Man wollte nicht, dass andere Menschen das mitbekommen.
Müller-Münch : Scham? Ich habe ein paar Versuche gemacht, Eltern zu interviewen. Es bringt nichts. Die, die ich gesprochen habe, taten so, als hätten ihre mittlerweile erwachsenen Kinder sich das ausgedacht. Ich glaube, die Kinder haben sich geschämt. Man ist doch gerne stolz auf einen tollen Papa oder Weltklasse-Mama. Aber das geht natürlich nicht, wenn man von denen regelmäßig windelweich geprügelt wird. Andererseits weiß ich aus meiner eigenen Geschichte: Die Nachbarn müssen das doch mitbekommen haben. Die Kinder haben fürchterlich geschrien und geweint, die Eltern haben gebrüllt. Eine meiner Interviewpartnerinnen hat erzählt, dass die Nachbarn sie oft auf ihr Klavierspiel angesprochen haben. Dann müssen die auch mitgekriegt haben, wie dasselbe Mädchen vor Schmerzen geschrien hat.
Welt Online : Oft sind Stress und Überforderung die Ursachen dafür, dass Eltern ihre Kinder schlagen. Sie beschreiben aber auch noch andere mögliche Gründe. Die US-amerikanische Psychologin Patricia Crittenden etwa …
Müller-Münch : … Ich habe lange gezögert, ob ich deren Position ins Buch nehmen soll. Crittenden ist eine sehr renommierte Bindungsforscherin – und sie sagte zu mir: Die Eltern haben das aus Angst getan. Aus Angst davor, dass ihre Kinder abweichen oder auffallen könnten. Die Schläge sind nach ihrer Theorie eine Art Schutzfunktion gewesen. Die Kinder mussten in einen Mainstream gebracht werden, so waren es die Eltern aus dem Dritten Reich gewohnt. Denn wer dort auffiel, hatte schlechte Karten. Aber diese Position kann ich persönlich nur schwer teilen. Es fühlte sich nämlich gar nicht nach Fürsorge und Zuwendung an, wenn wir Prügel bekamen.
Welt Online : Anpassung wurde auch in der DDR großgeschrieben. Dennoch wurde dort schon 1949 die Prügelstrafe an Schulen verboten. Da war sie in der Bundesrepublik noch gang und gäbe.
Müller-Münch : Es gab in der DDR auch schon relativ früh Aufrufe an die Eltern, ihre Kinder nicht zu schlagen. Ich war direkt nach dem Fall der Mauer in zwei Berliner DDR-Kindergärten. Was ich da an rigidem Regiment gegenüber den Kindern erlebt habe – das war unglaublich bedrückend. Es geht eben nicht nur um das Prügeln, sondern um Grausamkeiten allgemein, auch seelische.
Welt Online : Sie sagen, Ihre Generation sei die letzte, die die Prügelstrafe noch als allgemein anerkannte Erziehungsmaßnahme erfahren hat. Viele, die selbst geschlagen wurden, versuchen nun als Eltern in der Erziehung ohne Gewalt auszukommen. Es gibt aber auch jene, die sagen: Mir hat es doch auch nicht geschadet …
Müller-Münch : Natürlich gibt es die. In dem Zusammenhang zitiere ich gerne die frühere Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Wenn ihr gegenüber jemand diesen Mir-hat-es-nicht-geschadet-Spruch bringt, dann entgegnet sie: „Sie wissen doch gar nicht, was Sie für ein netter Mensch geworden wären ohne diese Prügel.“ Ich finde, das ist eine wunderbare Antwort. Und ich kann nur sagen: Mir persönlich hat es geschadet.
Ingrid Müller-Münch: „Die geprügelte Generation. Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“. (Klett-Cotta, Stuttgart. 285 S., 19,95 Euro. ISBN 978-3608946802).
http://www.welt.de/kultur/history/article13879978/Ordnung-und-Fleiss-wurden-uns-eingepruegelt.html
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