Missbrauch blieb ungestraft
Eine Kärntnerin klagt an. Sie wurde als Pflegekind in der Steiermark missbraucht. Der Jugendamtsbetreuer schwieg.
Foto © Michaela Auer
Gerade
wurde Sonja M. wieder an den Bandscheiben operiert. "Vom Arbeiten auf
dem Feld ist das Kreuz kaputt", erklärt M. Ihre Krankengeschichte lässt
auf tiefe seelische Verletzungen schließen: ein Tumor im Knöchel,
Metastasen im Oberschenkel, ein Gebärmutterkarzinom mit 30. Sonja M.
wurde in Kärnten geboren und lebt dort auch wieder. Aber sie war einige
Jahre in der Südsteiermark als Pflegekind bei einer Bauernfamilie
untergebracht.Von den Übergriffen der Männer findet sich nichts in den Pflegeberichten des Jugendamtes, die Sonja M. ausheben ließ. "Es hat keiner was getan", klagt sie an. In diesen Berichten des Betreuers - geschrieben, nachdem sie sich ihm anvertraut hatte - ist stattdessen zu lesen: "Sonja ist sehr, fast gefährlich hübsch geworden (. . .) und auch kontaktbereiter."
"Um fünf Uhr aufstehen, eine Kuh melken, dann Kaffee mit Sterz und danach in die Schule. Von der Schule heim, essen, umziehen und aufs Feld", erzählt M. von ihrem Tagesablauf. So sei es vielen Pflegekindern ergangen. "Wir haben alles händisch gemacht am Feld, ein ständiges Bücken und Arbeiten."
Schweigen
Bis sie 15 war, war M. Bettnässerin. Das steht in den Pflegeberichten, nichts aber von den Misshandlungen. Dafür finden sich zwei Begriffe für den Umgang mit ihr: "liebevoll verwöhnt". "Ist aber nicht", sagt M. bitter. So büßte sie Ungehorsam, etwa als sie nicht mehr aufs Feld wollte, mit Stockschlägen auf den Rücken. "Sie haben gesagt, ich bin vom Traktor gefallen." Auch der behandelnde Arzt reagierte nicht. "Dabei hatte ich am Rücken die Striemen."Eines tat sich, das Jugendamt erwirkte den Umzug in ein Heim. M. fühlte sich wohl, konnte eine Lehre machen. Danach absolvierte sie eine sozialpädagogische Akademie. In der sozialen Arbeit ging sie auf. "Aber ich hatte gesundheitliche Probleme und alle Beziehungen gingen in die Brüche." Im Jahr 2009 musste die heute 45-Jährige in Pension gehen, da hatte sie einen Lebertumor. Bis dahin arbeitete sie als Bereichsleiterin in einer sozialpädagogischen Einrichtung.
Kurz vor Weihnachten nahm sich ihr Pflegebruder das Leben. Der Gang ihrer Pflegeschwester an die Öffentlichkeit brachte auch sie zum Umdenken und darauf, ihre Ansprüche auf Entschädigung einzufordern. "Es geht mir darum, endlich gehört zu werden und dass meine Therapiestunden bezahlt werden." Ihren Betreuer vom Jugendamt suchte sie im Jahr 2000 auf. Er riet ihr zum Stillschweigen, denn alles sei verjährt.
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