28.02.13

Kindergeschichten Misshandelt nach göttlichem Recht

Filmbeitrag
http://www.youtube.com/watch?v=pBnNxrqbnxA


© SRF


Jahrzehntelang weigerten sich die Behörden und die Kirche, über das Geschehene zu sprechen, es wurde verschwiegen und geleugnet - und selbst die meisten Betroffenen wagten aus Scham nicht darüber zu sprechen: über die Misshandlungen und den Missbrauch, den sie in Kinderheimen erlitten haben.
Erstmals nun hat ein Schweizer Kanton, Luzern, die dunkle Geschichte seiner Kinderheime wissenschaftlich aufgearbeitet. Anlass dazu war auch die Dokumentation "Das Kinderzuchthaus" von Beat Bieri, in welchem 2010 zum ersten Mal einstige Zöglinge der Luzerner Erziehungsanstalt Rathausen über ihre grausame Kindheit erzählten.

Die Erziehungsanstalt Rathausen, außerhalb der Stadt Luzern gelegen, war eines der grössten Kinderheime der Schweiz. Rund 3500 Kinder, uneheliche, verarmte und verwaiste, haben in der Anstalt von 1883 bis 1989 einen Teil oder gar ihre ganze Kindheit verbracht. Geführt wurde das Heim im Auftrag des Kantons Luzern von einem Priester, ihm zur Hand gingen Klosterschwestern als Erzieherinnen. Dieses katholische Personal erzog die ihnen anvertrauten Kinder nach der Devise: Arbeit, Gebete und viele Schläge. Geschaffen wurde eine Kultur der Angst und der Lüge Und wem sich am Ende seiner Kindheit endlich die Klostertore öffneten, dem wurde eingebläut, bloss zu schweigen.

Eduard Steiner, einstiger Rathausen-Zögling, verspürt angesichts der Luzerner Kinderheim-Studie eine "große Erleichterung": "Endlich kommt alles auf den Tisch." © SRFLupeEduard Steiner
Armin Meier, einstiger Zögling des Luzerner Kinderheimes Sonnenberg: "Ich hatte keine Kindheit. Und diese Lücke spürte ich das ganze Leben lang." © SRFLupeArmin Meier

Noch heute liegt die einstige Kindheit in Rathausen wie ein böser Schatten über dem Leben der älteren Männer. Sie erinnern sich an priesterliche Besucher, die Kinder missbrauchten, an Dunkelzellen, an Nonnen, die willfährig mitprügelten, an Kinder, die ihrem traurigen Leben eine Ende setzten.

"Endlich kommt alles auf den Tisch", sagt der einstige Kinderheim-Zögling Eduard Steiner, "ich spüre eine große Erleichterung." Steiner, der seine ganze Kindheit im Heim Rathausen verbracht hatte, versuchte immer wieder, Behörden- und Kirchenvertreter auf das erlittene Unrecht aufmerksam zu machen, vergebens. Erst nachdem Steiner und weitere Betroffene in der Dokumentation "Das Kinderzuchthaus" ihre erschütternden Geschichten schilderten, handelte der Kanton Luzern.

© SRF Lupe
Das Krienser Kinderheim Sonnenberg wurde 1944 notfallmäßig geschlossen, weil der Heimleiter Kinder misshandelt hatte
Weitere einstige Heimzöglinge fanden den Mut, einer Luzerner Historikerkommission über ihre Kindheit im Heim zu berichten. Über 50 ausführliche Gespräche bilden die Basis des Berichts "Kinderheime im Kanton Luzern".

Das Resultat ist niederschmetternd: Nicht nur in Rathausen, auch in anderen Luzerner Heimen wurden Kinder brutal misshandelt, viele wurden sexuell missbraucht, meist von geistlichem Personal - und kaum je wurde ein Täter zur Rechenschaft gezogen.

Das einzige Tröstliche an diesen "Kindergeschichten" ist, dass sie sich bereits vor Jahrzehnten zugetragen haben: schwergewichtig in den 1940er und 1950er Jahren. Die Regierung des Kantons Luzern und die katholische Landeskirche haben sich für ihre Versäumnisse entschuldigt. Und einstige Zöglinge zeigen sich heute erleichtert darüber, dass man nach Jahrzehnten des Schweigens ihre Heimgeschichten zur Kenntnis nimmt. Nach dem Kanton Luzern müssten nun eigentlich auch die restlichen Kantone die Geschichte ihrer Kinderheime aufarbeiten.

Sendedaten
27. Februar 2013, um 20.55 Uhr

Wiederholung:
8. März 2013, um 13.15 Uhr
Info
Film von Beat Bieri
(Erstsendung: 27.09.2012)
Über die Sendereihe
© SRF"DOK" beschränkt sich nicht auf einen Themenkreis, sondern erzählt Geschichten, vielseitig wie das Leben.
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