Von Peter Nindler
Innsbruck – Die in den
vergangenen Tagen präsentierten Expertenberichte zum
Landeserziehungsheim St. Martin in Schwaz und über die
Kinderbeobachtungsstation (Kinderpsychiatrie) der Klinik Innsbruck unter
Maria Nowak-Vogl dürften wohl den Anstoß zu weiteren Forschungen über
die Zustände in den Heimen des Landes und von kirchlichen Institutionen
geben. Der Zeithistoriker Horst Schreiber rückt dabei das Mädchenheim
Martinsbühel der Benediktinerinnen bei Zirl in den Mittelpunkt. „Hier
gab es extreme Kinderarbeit, noch viel schlimmer als in St. Martin.“
Viele Mädchen erlebten auch dort die Hölle.
Das St. Martin für die Burschen hieß
Kleinvolderberg, das ebenfalls 1990 geschlossen wurde. Wie ein roter
Faden zieht sich die mangelnde Ausbildung durch die Tiroler
Fürsorgeerziehung der Nachkriegszeit. Stellvertretend dafür steht
Kleinvolderberg: „In den Anfangsjahren fragte einmal sogar die
Sicherheitsdirektion beim Land nach, weil ein Heimleiter elf Vorstrafen
aufwies“, berichtet Horst Schreiber. Trotzdem hat ihn das Land
angestellt.
Doch die schlechte Ausbildung lässt sich zeitlich
nicht nur auf die 1950er- oder 1960er-Jahre beschränken. „Die
stichprobenartig vorgenommene Aktenanalyse zeigt, dass selbst in den
1980er-Jahren noch ErzieherInnen ohne pädagogische Ausbildung in die
Landeserziehungsanstalten aufgenommen wurden und dies, obwohl in
Österreich seit 1960 eine fachspezifische
Professionalisierungsmöglichkeit bestanden hätte“, heißt es in der
„Geschichte der Tiroler und Vorarlberger Erziehungsheime und
Fürsorgeerziehungsregime der 2. Republik“ von den
Erziehungswissenschafterinnen Michaela Ralser, Anneliese Bechter und
Flavia Guerrini.
Nach der Expertise über die unmenschlichen
Behandlungsmethoden der Kinderpsychiaterin Maria Nowak-Vogl brechen
jetzt ehemalige Mitarbeiter der Kinderbeobachtungsstation ihr Schweigen.
„Sie hat Kindern, die keine Ruhe gegeben haben, mit dem Schlüsselbund
die Finger wund geschlagen“, erzählt eine Krankenschwester von damals.
Ein Bub sei nach einem Strafbad im eiskalten Wasser bewusstlos geworden
und danach verstorben. „Es hat sich herausgestellt, dass er einen
Gehirntumor hatte und das die Ursache für seine Auffälligkeiten war.“
Warum haben die Mitarbeiter so lange geschwiegen? „Weil wir alle Angst
hatten, gegen Nowak-Vogl aufzumucken“, erklärt die heute 70-Jährige.
Die Kinder wurden nicht nur misshandelt, sondern
auch lückenlos überwacht. Auch Nowak-Vogls Schwester, die Lehrerin auf
der Station war, betätigte sich dabei.
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