Eine Lesung gegen das Schweigen im Kinderheim-Skandal
Foto: Hönigsberger Georg
Schauspieler Erni Mangold und Karl Markovics lasen Auszüge aus dem Heimskandal-Buch.
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Es passiert nur sehr selten,
dass es Erni Mangold die Sprache verschlägt. Doch Mittwochabend sah man
die Schauspielerin mehrmals ungläubig nach Luft schnappen. Gemeinsam
mit Kollegen Karl Markovics präsentierte Mangold Auszüge aus dem Buch
„Verwaltete Kindheit“. KURIER-Journalist Georg Hönigsberger
sowie die Sozialwissenschaftlerin und ehemalige SPÖ-Politikerin
Irmtraut Karlsson arbeiten darin den österreichischen Kinderheim-Skandal
auf. Im Theater Hamakom wurde das Buch rund 300 Gästen präsentiert.
Verdrängt
Im Publikum befanden sich viele ehemalige Heimkinder. „Ich finde es
toll, dass sich ein Journalist über dieses Thema traut“, sagte Silvia.
Sie verbrachte viele Jahre im Kinderheim Wilhelminenberg. „Jahrelang
habe ich meine Vergangenheit verdrängt und mich geniert.“ Nach einleitenden Worten von Regisseur Karl Welunschek gaben
Schauspieler Mangold und Markovics einen kleinen Einblick in den Alltag
der Kinderheime. Dabei war von Watschenstraßen die Rede, bei denen sich
die Kinder gegenseitig ohrfeigen mussten; von Zwangsarbeit und davon,
dass Kinder ihr eigenes Erbrochenes wieder aufessen mussten. Ungläubiges Gemurmel ging durch die Reihen. Das Publikum lauschte
mitgenommen, teilweise mit Tränen in den Augen. Es habe zwar
schmerzliche Erinnerungen wachgerufen, gab Maler und Heimkind Helmut
Oberhauser nach der Lesung zu. „Aber es war ein angenehmer Schmerz. Ich
bin dankbar, dass die Diskussion endlich aufgeflammt ist.“ Ohne Hilfe wäre das Projekt nicht möglich gewesen, betonten die
Autoren und bedankten sich ihrerseits für die viele Unterstützung –
seitens des KURIER, des Kral-Verlags und des Theaters. Irmtraut
Karlsson: „Dank dieser Hilfe wurde den Heimkindern mehr Respekt gezollt,
als durch das ganze offizielle Österreich zusammen.“ Gehört zu werden, endlich eine Stimme zu bekommen – das ist viel
wert. Abschließend appellierte Oberhauser an Bundespräsidenten Heinz
Fischer und Kardinal Christoph Schönborn „endlich in Dialog mit uns zu
treten“. Es sei lange genug geschwiegen worden. Mehr zum Thema Heimskandal
Neuerscheinung
Über den Alltag von Heimkindern
Weitere Präsentationen am 28. 11. und 6. 12.
Das Buch „Verwaltete Kindheit“ setzt sich mit dem
Österreichischen Heimskandal auseinander, den KURIER-Journalist Georg
Hönigsberger 2011 aufdeckte. In der Publikation kommen zahlreiche ehemalige Heimkinder zu Wort.
Aus den Erzählungen ergibt sich kaleidoskopisch ihre Situation vor, im
und nach den Heimjahren. Das Buch räumt mit dem Irrglauben auf, dass in
den Jahren 1970 bis 1980 über die bundesweiten gewalttätigen
Erziehungsmethoden in den Heimen nichts bekannt gewesen ist. Tausende
Seiten von Akten, wissenschaftlichen Arbeiten und Medienberichten wurden
von den Autoren durchforstet und rund 200 Interviews mit ehemaligen
Heimkindern sowie Erziehern geführt. Weitere Buchpräsentationen gibt es am 28. November um 19 Uhr im
Republikanischen Club (Rockhgasse 1, 1010 Wien) sowie am 6. Dezember um
19 Uhr im Volkskundemuseum (Laudongasse 15–19, 1080 Wien). Diese Lesung
findet im Rahmen einer Tagung zur Heimerziehung statt. „Verwaltete Kindheit – der österreichische Heimskandal“, Kral-Verlag, 300 Seiten, 26,90 €. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.
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