14.10.2012 | 18:18 |
MARKUS HUBER (Die Presse)
Das
Justizministerium will mit dem neuen Kindschaftsrecht auch den - bisher
unterentwickelten - Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Jugendämter
verbessern.
Wien. Der
Entwurf zum „Kindschafts- und Namenrechtsänderungsgesetz 2012“ bringt
viel Neues im Bereich der Obsorgeregelungen der Eltern und zum
Namensrecht. Doch das Familienpaket enthält viel mehr, so zum Beispiel
auch verfahrensrechtliche Bestimmungen zum Ausbau der
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Maßnahmen der Jugendwohlfahrtsträger.
Nach geltendem Recht besitzen die Länder als zuständige Jugendwohlfahrtsträger bzw. die mit einem konkreten Fall befassten Bezirksverwaltungsbehörden als Jugendämter eine in der Rechtsordnung einzigartige (Macht-)Position. Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohls eines Minderjährigen erforderlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen. Falls das zuständige Jugendamt der Ansicht ist, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist, hat es einzuschreiten.
Nicht selten bedeutet dieses Einschreiten die Abnahme des Kindes und die Unterbringung in einem Krisenzentrum oder bei Krisenpflegeeltern. Mit der Kindesabnahme geht die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger über, auch als „Interimskompetenz“ bezeichnet. Diese Interimskompetenz bedeutet einen schweren Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Eltern.
Das Justizministerium will diese Rechtsschutzlücke schließen und schlägt eine Verfahrensbestimmung für eine schnelle Kontrollmöglichkeit vor: Gemäß dem Entwurf muss das Pflegschaftsgericht auf Antrag des bis zur Kindesabnahme Obsorgeberechtigten unverzüglich über die Zulässigkeit der Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers befinden. Das Gericht hat, „tunlichst“ binnen vier Wochen, über den Fall zu verhandeln und am Ende der Verhandlung über die Unzulässigkeit oder vorläufige Zulässigkeit der Maßnahme zu entscheiden.
Im Falle der vorläufigen Zulässigkeit gibt es für den Betroffenen kein weiteres Rechtsmittel, schließlich hat das Gericht noch eine endgültige Entscheidung im anhängigen Verfahren zu treffen. Der Jugendwohlfahrtsträger kann zwar binnen drei Tagen Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung über die Unzulässigkeit der Maßnahme erheben; das Rechtsmittel entfaltet jedoch nur dann aufschiebende Wirkung, wenn das Gericht ihm diese ausnahmsweise zuerkennt.
Das Gericht hatte es zwar auch schon bisher in der Hand, die Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers abzuändern oder zu beenden. Jetzt wird die Justiz aber in die Pflicht genommen, um rasch über die vorläufige Zulässigkeit einer Kindesabnahme zu entscheiden.
Der Entwurf sorgt aber auch für einen nachträglichen Rechtsschutz. Es kommt in der Praxis durchaus vor, dass der Jugendwohlfahrtsträger während des Gerichtsverfahrens die gesetzte Maßnahme beendet. Die „Fremdunterbringung“ des Kindes wird beendet, und das Kind wird zu den obsorgeberechtigten Eltern zurückgebracht. Laut dem Entwurf können die Eltern dann die einstweilige Fremdunterbringung vom Gericht überprüfen lassen.
Mehr Rechtsschutz bedeutet aber auch mehr Arbeit für die Gerichte. Die Belastung der Familienrichter wird einerseits durch das Erfordernis rascher Entscheidungen, aber auch durch die Zunahme der Anträge steigen. Neben Anträgen von Vätern unehelicher Kinder auf gemeinsame Obsorge oder Entscheidungen über die vorläufige elterliche Verantwortung (Stichwort Abkühlungsphase) kommen mit den Anträgen auf Überprüfung der Maßnahmen der Jugendwohlfahrtsträger weitere Aufgaben hinzu. Dafür gilt es entsprechende personelle Vorsorge zu treffen.
Neben der Familiengerichtshilfe tritt noch ein weiteres neues Rechtsinstitut auf: Sogenannte Besuchsmittler sollen die Einhaltung der Besuchsrechtskontakte verbessern. Ihre Aufgabe ist es, bei Besuchsstreitigkeiten zwischen den Eltern zu vermitteln und zu einer Schlichtung beizutragen.
Der vorliegende Entwurf enthält neben den viel diskutierten Obsorgeregelungen durchaus beachtenswerte Verfahrensbestimmungen. Auch wenn vielleicht noch mehr Instrumente der Streitschlichtung zu begrüßen wären, ist damit ein Schritt in die richtige Richtung getan.
Mag. Markus Huber ist Mitarbeiter der Volksanwaltschaft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2012)
http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/1301096/Besserer-Schutz-bei-Kindesabnahme?fb_action_ids=763238857036175&fb_action_types=og.recommends&fb_source=other_multiline&action_object_map={%22763238857036175%22%3A291047034337998}&action_type_map={%22763238857036175%22%3A%22og.recommends%22}&action_ref_map
Nach geltendem Recht besitzen die Länder als zuständige Jugendwohlfahrtsträger bzw. die mit einem konkreten Fall befassten Bezirksverwaltungsbehörden als Jugendämter eine in der Rechtsordnung einzigartige (Macht-)Position. Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohls eines Minderjährigen erforderlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen. Falls das zuständige Jugendamt der Ansicht ist, dass das Wohl eines Kindes gefährdet ist, hat es einzuschreiten.
Nicht selten bedeutet dieses Einschreiten die Abnahme des Kindes und die Unterbringung in einem Krisenzentrum oder bei Krisenpflegeeltern. Mit der Kindesabnahme geht die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung auf den Jugendwohlfahrtsträger über, auch als „Interimskompetenz“ bezeichnet. Diese Interimskompetenz bedeutet einen schweren Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Eltern.
Entfremdung längst im Gange
Der Rechtsschutz gegen diesen Eingriff ist ungenügend. Der Jugendwohlfahrtsträger muss sich binnen acht Tagen nach der Kindesabnahme mit einem Antrag auf Übertragung der Obsorge ans Gericht wenden. Das Pflegschaftsgericht setzt sich nun mit der Frage auseinander, wem die Obsorge zuzuweisen ist. Das kann lange dauern. Ein Sachverständiger ist unter Umständen beizuziehen, in Wien eine Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe einzuholen. In der Zwischenzeit befinden sich die Kinder längst in einer Wohngemeinschaft oder die Kleinkinder bei Pflegeeltern. Die Entfremdung von den Eltern, die ihre Kinder nur fallweise im Rahmen von Besuchskontakten sehen, hat längst eingesetzt.Das Justizministerium will diese Rechtsschutzlücke schließen und schlägt eine Verfahrensbestimmung für eine schnelle Kontrollmöglichkeit vor: Gemäß dem Entwurf muss das Pflegschaftsgericht auf Antrag des bis zur Kindesabnahme Obsorgeberechtigten unverzüglich über die Zulässigkeit der Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers befinden. Das Gericht hat, „tunlichst“ binnen vier Wochen, über den Fall zu verhandeln und am Ende der Verhandlung über die Unzulässigkeit oder vorläufige Zulässigkeit der Maßnahme zu entscheiden.
Im Falle der vorläufigen Zulässigkeit gibt es für den Betroffenen kein weiteres Rechtsmittel, schließlich hat das Gericht noch eine endgültige Entscheidung im anhängigen Verfahren zu treffen. Der Jugendwohlfahrtsträger kann zwar binnen drei Tagen Rekurs gegen die erstinstanzliche Entscheidung über die Unzulässigkeit der Maßnahme erheben; das Rechtsmittel entfaltet jedoch nur dann aufschiebende Wirkung, wenn das Gericht ihm diese ausnahmsweise zuerkennt.
Das Gericht hatte es zwar auch schon bisher in der Hand, die Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers abzuändern oder zu beenden. Jetzt wird die Justiz aber in die Pflicht genommen, um rasch über die vorläufige Zulässigkeit einer Kindesabnahme zu entscheiden.
Der Entwurf sorgt aber auch für einen nachträglichen Rechtsschutz. Es kommt in der Praxis durchaus vor, dass der Jugendwohlfahrtsträger während des Gerichtsverfahrens die gesetzte Maßnahme beendet. Die „Fremdunterbringung“ des Kindes wird beendet, und das Kind wird zu den obsorgeberechtigten Eltern zurückgebracht. Laut dem Entwurf können die Eltern dann die einstweilige Fremdunterbringung vom Gericht überprüfen lassen.
Mehr Rechtsschutz bedeutet aber auch mehr Arbeit für die Gerichte. Die Belastung der Familienrichter wird einerseits durch das Erfordernis rascher Entscheidungen, aber auch durch die Zunahme der Anträge steigen. Neben Anträgen von Vätern unehelicher Kinder auf gemeinsame Obsorge oder Entscheidungen über die vorläufige elterliche Verantwortung (Stichwort Abkühlungsphase) kommen mit den Anträgen auf Überprüfung der Maßnahmen der Jugendwohlfahrtsträger weitere Aufgaben hinzu. Dafür gilt es entsprechende personelle Vorsorge zu treffen.
Schwächung für Jugendamt
Unterstützung sollen die Familienrichter durch die „Familiengerichtshilfe“ erhalten, die zurzeit als Modellprojekt an vier ausgewählten Bezirksgerichten (BG Amstetten, Innere Stadt Wien, Innsbruck, Leoben) läuft. Psychologen und Sozialarbeiter werden eingesetzt, die wesentlichen Grundlagen für die Gerichtsentscheidungen beizutragen. Das Justizministerium weist zwar in den Erläuterungen zum Entwurf ausdrücklich darauf hin, dass „weder die Jugendwohlfahrt noch allgemein gerichtlich beeidete Sachverständige aus dem Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren ,hinausgedrängt‘ werden sollen“. Wenn der Entwurf aber als Gesetz beschlossen wird, dann wird es zu einem gewissen Paradigmenwechsel kommen. Während die Gerichte in Obsorge- oder Besuchsrechtsstreitigkeiten zwischen den Eltern bisher sehr viel Wert auf die Stellungnahme des Jugendamtes gelegt haben, wird diese Bedeutung durch den Ausbau der Familiengerichtshilfe abnehmen.Neben der Familiengerichtshilfe tritt noch ein weiteres neues Rechtsinstitut auf: Sogenannte Besuchsmittler sollen die Einhaltung der Besuchsrechtskontakte verbessern. Ihre Aufgabe ist es, bei Besuchsstreitigkeiten zwischen den Eltern zu vermitteln und zu einer Schlichtung beizutragen.
Der vorliegende Entwurf enthält neben den viel diskutierten Obsorgeregelungen durchaus beachtenswerte Verfahrensbestimmungen. Auch wenn vielleicht noch mehr Instrumente der Streitschlichtung zu begrüßen wären, ist damit ein Schritt in die richtige Richtung getan.
Mag. Markus Huber ist Mitarbeiter der Volksanwaltschaft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2012)
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