Düsseldorf (RPO). Mitarbeiter
der Kinder- und Jugendeinrichtung Educon sollen über Monate hinweg
autistische Kinder misshandelt haben. Gegen elf Ex-Beschäftigte hat die
Staatsanwaltschaft jetzt Anklage vor dem Landgericht erhoben.
Das Haus der Graf-Recke-Stifung mit Educon in Wittlaer. Foto: Esser, Paul
Im Mai 2008 waren erstmals ungeheuerliche Vorwürfe
gegen die Firma Educon bekanntgeworden. 16 Mitarbeiter des
Tochterunternehmens der Graf-Recke-Stiftung gerieten unter Verdacht,
autistische Kinder über Monate hinweg körperlich misshandelt, die
Schutzbefohlenen stundenlang ihrer Freiheit beraubt und genötigt zu
haben. Nach fast fünf Jahren Ermittlungsarbeit hat die
Staatsanwaltschaft nach IInformationen unserer Redaktion jetzt Anklage
gegen elf Verdächtige erhoben. Sie sollen sich demnächst vor dem
Landgericht verantworten.
Es gab niemals Anzeichen für sexuellen Missbrauch in
jener Einrichtung - das hat die Staatsanwaltschaft seit Beginn der
Ermittlungen ausdrücklich betont. Mitte 2008 waren nach Angaben von
Educon erste Vorwürfe bekanntgeworden. Die Geschäftsleitung reagierte
sofort, entließ 16 der 40 Mitarbeiter und hat Selbstanzeige erstattet.
Als Mitte 2009 weitere Vorwürfe publik wurden, folgten Strafanzeigen der
Educon-Geschäftsleitung gegen die Ex-Beschäftigten, darunter eine
Psychologin, Therapeuten und Erzieher. Sie sollen bei den ihnen
anvertrauten Kindern „zweifelhafte Behandlungen“ angewandt und einen
extrem rüden Umgang mit den autistischen Kindern gezeigt haben. Bei
einem Arbeitsgerichtsprozess Anfang 2011, den eine entlassene
Bereichsleiterin angestrengt hat, wurden Details bekannt.
Eingesperrt und festgebunden
So soll ein 15-jähriges Mädchen fast acht Stunden von
drei Mitarbeitern gewaltsam festgehalten worden sein. Ein anderer
Educon-Bewohner sei tagelang halbnackt in einer leeren Kammer
eingesperrt gewesen. Das Arbeitsgericht wertete dies als „massive
Grenzüberschreitungen“. Die Staatsanwaltschaft geht von Straftaten aus.
Dass die Ermittlungen fünf Jahre dauerten, liegt daran, dass hunderte
Stunden Videomaterial ausgewertet werden mussten. Denn die damaligen
Betreuer hatten ihre Arbeit stets filmisch festgehalten.
Für autistische Menschen ist es schwer, sich in andere
Menschen hineinzuversetzen und mit ihnen zu kommunizieren. Auch das
zwanghafte Wiederholen von Bewegungsabläufen und eingeschränkte
Interessen gehören zum Krankheitsbild. Zudem können autistische Kinder
körperliche Kontakte nur schwer ertragen. Daher gilt eine
Festhalte-Therapie, bei der Kinder in der Educon-Einrichtung gegen ihren
Willen teils stundenlang umklammert oder an Stühlen festgebunden worden
sein sollen, nach offizieller Behandlungsleitlinie inzwischen als
„entbehrlich“.
Die Educon, die als eigenständige Einrichtung in die
Graf-Recke-Stiftung zurückgeholt wurde, wird nun von einem
Qualitätsmanagement der Abteilung Erziehung und Bildung kontrolliert.
Die 2009 neu installierte Geschäftsleitung nahm die Vorfälle zum Anlass,
alle Systeme und die Gesamtorganisation genau zu überprüfen - speziell
die internen Kontroll- und Meldesysteme. Mit der 150-Seiten-Anklage
gegen elf Ex-Beschäftigte hat die Graf-Recke-Stiftung gerechnet, sagt
deren Sprecher Roelf Bleeker-Dohmen im RP-Gespräch: „Wir können jedoch
erst nach Einsicht in diese Anklageschrift Stellung nehmen. Die
Ermittlungen wurden aber stets unterstützt, die Vorgänge alle
transparent gemacht.“
Als Reaktion auf die Vorkommnisse ist „mit Abstimmung
des Landesjugendamts das Vier-Augen-Prinzip eingeführt worden, Erzieher
dürfen nicht mehr allein entscheiden“, so Bleeker-Dohmen. Eltern und
Kindern, die betroffen waren, wurden Therapieangebote gemacht, „die auch
wahrgenommen wurden“. Ob die Anklage zugelassen wird und wann ein
Prozess beginnen könnte, prüft das Landgericht.
Quelle: top/ila
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