Redaktion FamFR
Umgangs- und Sorgerecht
FamFR 2009, 294802
= FamFR 2009, 171
OLG Saarbrücken: Verletzung des
Persönlichkeitsrechts
durch Anordnung einer psychotherapeutischen Behandlung der Mutter zur
Abwendung einer Kindeswohlgefährdung BGB § [1666]; GG Art. [2] [I] i.
V. mit Art. 1 I, 6 II 1. Voraussetzung für gerichtliche Maßnahmen nach §
[1666] BGB ist eine Schädigung oder eine solche gegenwärtige
Gefährdung des Kindeswohls, dass sich eine erhebliche Schädigung mit
ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
2. Eine auf § [1666]
BGB
gestützte Anordnung einer psychotherapeutischen Behandlung eines
Elternteils zur Abwendung einer Gefährdung seines Kindes verletzt das
Persönlichkeitsrecht des Elternteils, weil § [1666] BGB hierfür keine
Rechtsgrundlage bietet. (Leitsätze der Verfasserin)
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 19.10.2009 - 6 UF 48/09 = BeckRS 2009, [29291]
Anmerkung von Frauke Brosius-Gersdorf
Sachverhalt
Die
Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist Mutter von fünf Kindern aus
diversen Beziehungen, von denen eins aus der geschiedenen Ehe mit dem
Antrags- und Beschwerdegegner stammt. Das Kind lebt seit der Trennung
seiner Eltern bei der Antragstellerin. Die Eltern hatten erstinstanzlich
vor dem AG Saarlouis zunächst wechselseitig auf Übertragung der
Alleinsorge für das Kind geklagt. In einem kinderpsychologischen
Gutachten empfahl der Sachverständige einen Wechsel in den Haushalt des
Antragsgegners, da für das Kind aus den pathologischen Beziehungsmustern
der Antragstellerin eine Entwicklungsgefährdung drohe. Am 04.12.2008
erklärte der Antragsgegner seinen Antrag auf Übertragung der elterlichen
Alleinsorge für das Kind für erledigt, da er berufsbedingt fortziehe.
Zugleich beantragte er Jugendhilfemaßnahmen für das Kind. Die
Antragstellerin lehnte Jugendhilfemaßnahmen ab, während der
Verfahrenspfleger des Kindes sie befürwortete. Das Jugendamt teilte am
12.12.2008 mit, es halte Jugendhilfemaßnahmen nicht für notwendig. Mit
Schreiben vom 26.01.2009 empfahl der Sachverständige „dringendst“ u. a.
psychotherapeutische Behandlungen des Kindes und der Antragstellerin, da
ohne solche Maßnahmen eine Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen
sei. Die Antragstellerin wies darauf hin, dass sie 2008 freiwillig eine
psychotherapeutische Therapie durchgeführt habe und das Kind
kinderpsychologisch behandelt werde. Mit Beschluss vom 13.03.2009 gab
das AG der Antragstellerin gem. § [1666] BGB auf, nicht nur das Kind,
sondern auch sich einer psychotherapeutischen Behandlung zur Reflektion
der eigenen persönlichen Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf die
Auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung zu unterziehen und den
Antragsgegner über den Behandlungsverlauf zu informieren. Gegen diesen
Beschluss erhob die Antragstellerin am 17.04.2009 Beschwerde, der das
OLG statt gab.
Entscheidung
Das
OLG Saarbrücken führte zur Begründung aus, Maßnahmen nach § [1666] BGB
setzten – auch gem. Art. [6] [I] und [II] GG – eine Schädigung oder
gegenwärtige Gefährdung des Kindeswohls in einem Maße voraus, dass sich
bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher
Sicherheit voraussehen lasse. Diese Voraussetzungen seien nach den
Ausführungen des AG, wonach ohne psychotherapeutische Behandlung der
Antragstellerin eine Kindeswohlgefährdung „nicht auszuschließen“ sei,
nicht erfüllt. Die gerichtliche Anordnung der Psychotherapie der
Antragstellerin, die in ihr Persönlichkeitsrecht eingreife, lasse sich
zudem nicht auf § [1666] BGB stützen, weil die Norm nur Eingriffe in das
elterliche Sorgerecht gestatte. § [1666] BGB stütze zwar
möglicherweise die Entziehung des Sorgerechts, wenn ein Elternteil
nicht zu einer zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erforderlichen
Psychotherapie bereit sei, nicht hingegen die Auferlegung einer solchen
Therapie. Ebenso wenig trage § [1666] BGB die Verpflichtung der
Antragstellerin, den Antragsgegner über den Verlauf ihrer
psychotherapeutischen Behandlung zu informieren.
Praxishinweis
Gerichtliche
Maßnahmen nach § [1666] BGB können gem. § [1666] [III] BGB von
Geboten, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der
Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, bis hin zur Entziehung der
elterlichen Sorge reichen. Erforderlich ist aber stets ein Bezug der
Maßnahmen zum Kindeswohl. § [1666] BGB legitimiert daher nicht die
psychotherapeutische Behandlung eines Elternteils, die ausschließlich
seiner Persönlichkeitsentwicklung dient.
Ist
die Behandlung der Eltern hingegen erforderlich, um Gefahren für das
Kind abzuwenden, liegt eine doppelfunktionale Maßnahme sowohl mit Bezug
zum Kindeswohl als auch zur Persönlichkeitsentwicklung der Eltern vor.
In diesem Fall dürfte § [1666] BGB als Rechtsgrundlage für die Anordnung
einer psychotherapeutischen Behandlung eines Elternteils taugen, wenn
die Behandlung im Schwerpunkt der Abwendung von Gefahren für das Kind
dient. Auch die Maßnahmen nach § [1666] [III] BGB erschöpfen sich nicht
in der Abwendung von Gefahren für das Kind, sondern berühren zugleich
die Persönlichkeitssphäre der Eltern. Nach der h. M. in der
Rechtsprechung wird – auch unterhalb der Ebene des § [1666] BGB –
angenommen, dass auch § [1684] BGB keine Grundlage für eine
Verpflichtung zu Therapiegesprächen bietet (OLG Karlsruhe, FPR 2003,
[570]; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, [1083] unter Aufgabe seiner früheren
Rspr. in FamRZ 2001, [932]).
Wiss. Assistentin Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M., Universität Potsdam
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