20.06.12

OLG Saarbrücken: Keine psychotherapeutische Behandlung der Mutter bei Kindeswohlgefährdung


 


 
 
Benutzerbewertung: / 0
SchwachPerfekt 

Redaktion FamFR

 Umgangs- und Sorgerecht

 FamFR 2009, 294802
= FamFR 2009, 171

OLG Saarbrücken: Verletzung des
Persönlichkeitsrechts durch Anordnung einer psychotherapeutischen Behandlung der Mutter zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung  BGB § [1666]; GG Art. [2] [I] i. V. mit Art. 1 I, 6 II  1. Voraussetzung für gerichtliche Maßnahmen nach § [1666]  BGB ist eine Schädigung oder eine solche gegenwärtige Gefährdung des Kindeswohls, dass sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
2. Eine auf § [1666]
 BGB gestützte Anordnung einer psychotherapeutischen Behandlung eines Elternteils zur Abwendung einer Gefährdung seines Kindes verletzt das Persönlichkeitsrecht des Elternteils, weil § [1666] BGB hierfür keine Rechtsgrundlage bietet. (Leitsätze der Verfasserin)

 OLG Saarbrücken, Beschluss vom 19.10.2009 - 6 UF 48/09 = BeckRS 2009, [29291]

 Anmerkung von Frauke Brosius-Gersdorf
  
 Sachverhalt
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist Mutter von fünf Kindern aus diversen Beziehungen, von denen eins aus der geschiedenen Ehe mit dem Antrags- und Beschwerdegegner stammt. Das Kind lebt seit der  Trennung seiner Eltern bei der Antragstellerin. Die Eltern hatten erstinstanzlich vor dem AG Saarlouis zunächst wechselseitig auf Übertragung der Alleinsorge für das Kind geklagt. In einem kinderpsychologischen Gutachten empfahl der Sachverständige einen Wechsel in den Haushalt des Antragsgegners, da für das Kind aus den pathologischen Beziehungsmustern der Antragstellerin eine Entwicklungsgefährdung drohe. Am 04.12.2008 erklärte der Antragsgegner seinen Antrag auf Übertragung der elterlichen Alleinsorge für das Kind für erledigt, da er berufsbedingt fortziehe. Zugleich beantragte er Jugendhilfemaßnahmen für das Kind. Die Antragstellerin lehnte Jugendhilfemaßnahmen ab, während der Verfahrenspfleger des Kindes sie befürwortete. Das Jugendamt teilte am 12.12.2008 mit, es halte Jugendhilfemaßnahmen nicht für notwendig. Mit Schreiben vom 26.01.2009 empfahl der Sachverständige „dringendst“ u. a. psychotherapeutische Behandlungen des Kindes und der Antragstellerin, da ohne solche Maßnahmen eine Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen sei. Die Antragstellerin wies darauf hin, dass sie 2008 freiwillig eine psychotherapeutische Therapie durchgeführt habe und das Kind kinderpsychologisch behandelt werde. Mit Beschluss vom 13.03.2009 gab das AG der Antragstellerin gem. § [1666]  BGB auf, nicht nur das Kind, sondern auch sich einer psychotherapeutischen Behandlung zur Reflektion der eigenen persönlichen  Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung zu unterziehen und den Antragsgegner über den Behandlungsverlauf zu informieren. Gegen diesen Beschluss erhob die Antragstellerin am 17.04.2009 Beschwerde, der das OLG statt gab.
Entscheidung
Das OLG Saarbrücken führte zur Begründung aus, Maßnahmen nach § [1666] BGB setzten – auch gem. Art. [6] [I] und [II]  GG – eine Schädigung oder gegenwärtige Gefährdung des Kindeswohls in einem Maße voraus, dass sich bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lasse. Diese Voraussetzungen seien nach den Ausführungen des AG, wonach ohne psychotherapeutische Behandlung der Antragstellerin eine Kindeswohlgefährdung „nicht auszuschließen“ sei, nicht erfüllt. Die gerichtliche Anordnung der Psychotherapie der Antragstellerin, die in ihr Persönlichkeitsrecht eingreife, lasse sich zudem nicht auf § [1666] BGB stützen, weil die Norm nur Eingriffe in das elterliche Sorgerecht gestatte. § [1666]  BGB stütze zwar möglicherweise die Entziehung des Sorgerechts, wenn ein  Elternteil nicht zu einer zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung erforderlichen Psychotherapie bereit sei, nicht hingegen die Auferlegung  einer solchen Therapie. Ebenso wenig trage § [1666]  BGB die Verpflichtung der Antragstellerin, den Antragsgegner über den Verlauf ihrer psychotherapeutischen Behandlung zu informieren.


Praxishinweis
Gerichtliche Maßnahmen nach § [1666] BGB können gem. § [1666] [III]  BGB von Geboten, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, bis hin zur Entziehung der elterlichen Sorge reichen. Erforderlich ist aber stets ein Bezug der Maßnahmen zum Kindeswohl. § [1666]  BGB legitimiert daher nicht die psychotherapeutische Behandlung eines Elternteils, die ausschließlich seiner Persönlichkeitsentwicklung dient.
 Ist die Behandlung der Eltern hingegen erforderlich, um Gefahren für das Kind abzuwenden, liegt eine doppelfunktionale Maßnahme sowohl mit Bezug zum Kindeswohl als auch zur Persönlichkeitsentwicklung der Eltern vor. In diesem Fall dürfte § [1666] BGB als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer psychotherapeutischen Behandlung eines Elternteils taugen, wenn die Behandlung im Schwerpunkt der Abwendung von Gefahren für das Kind dient. Auch die Maßnahmen nach § [1666] [III]  BGB erschöpfen sich nicht in der Abwendung von Gefahren für das Kind, sondern berühren zugleich die Persönlichkeitssphäre der Eltern. Nach der  h. M. in der Rechtsprechung wird – auch unterhalb der Ebene des § [1666] BGB – angenommen, dass auch § [1684] BGB keine Grundlage für eine Verpflichtung zu Therapiegesprächen bietet (OLG Karlsruhe, FPR 2003, [570]; OLG Stuttgart, NJW-RR 2007, [1083] unter Aufgabe seiner früheren Rspr. in FamRZ 2001, [932]).


Wiss. Assistentin Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M., Universität Potsdam


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen