I. Allgemeines
Jedermann kann Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte
(vgl. Art. 1 bis 19 Grundgesetz [GG]) oder bestimmten
grundrechtsgleichen Rechten (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103, 104
GG) verletzt glaubt.
Das Bundesverfassungsgericht kann die
Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt feststellen,
ein Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige
Entscheidung aufheben und die Sache an ein zuständiges Gericht
zurückverweisen.
Andere Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht
auf eine Verfassungsbeschwerde hin nicht treffen. Es kann z.B. weder
Schadensersatz zuerkennen noch Maßnahmen der Strafverfolgung einleiten.
Der einzelne Staatsbürger hat grundsätzlich auch keinen mit der
Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln
des Gesetzgebers.
Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen
führen nicht zur Überprüfung im vollen Umfang, sondern nur zur
Nachprüfung auf verfassungsrechtliche Verstöße. Selbst wenn die
Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des
Sachverhalts, die Auslegung eines Gesetzes oder seine Anwendung auf den
einzelnen Fall Fehler aufweisen sollten, bedeutet dies für sich allein
nicht schon eine Grundrechtsverletzung.
II. Form und Inhalt der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich einzureichen
und zu begründen (§ 23 Abs. 1, § 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz
[BVerfGG]). Die Begründung muss mindestens folgende Angaben enthalten:
1. Der Hoheitsakt (gerichtliche Entscheidung,
Verwaltungsakt, Gesetz), gegen den sich die Verfassungsbeschwerde
richtet, muss genau bezeichnet werden (bei gerichtlichen Entscheidungen
und Verwaltungsakten sollen Datum, Aktenzeichen und Tag der Verkündung
bzw. des Zugangs angegeben werden).
2. Das Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht, das
durch den angegriffenen Hoheitsakt verletzt sein soll, muss benannt oder
jedenfalls seinem Rechtsinhalt nach bezeichnet werden.
3. Es ist darzulegen, worin im Einzelnen die
Grundrechtsverletzung erblickt wird. Hierzu sind auch die mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen
(einschließlich in Bezug genommener Schreiben), Bescheide usw. in
Ausfertigung, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Zumindest muss ihr
Inhalt einschließlich der Begründung aus der Beschwerdeschrift
ersichtlich sein.
4. Neben den angegriffenen Entscheidungen müssen auch
sonstige Unterlagen aus dem Ausgangsverfahren (z.B. einschlägige
Schriftsätze, Anhörungsprotokolle, Gutachten) vorgelegt (wie unter 3.)
oder inhaltlich wiedergegeben werden, ohne deren Kenntnis nicht
beurteilt werden kann, ob die in der Verfassungsbeschwerde erhobenen
Rügen berechtigt sind.
5. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen
behördliche und/oder gerichtliche Entscheidungen, so muss aus der
Begründung auch ersichtlich sein, mit welchen Rechtsbehelfen, Anträgen
und Rügen der Beschwerdeführer sich im Verfahren vor den Fachgerichten
um die Abwehr des behaupteten Grundrechtsverstoßes bemüht hat. Dazu
müssen die im fachgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge und
sonstigen Schriftsätze beigefügt (wie unter 3.) oder inhaltlich
wiedergegeben werden.
III. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
1. Beschwerdefrist
Die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte und Behörden ist nur innerhalb eines Monats zulässig (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Auch die vollständige
Begründung muss innerhalb dieser Frist eingereicht werden (§ 93 Abs. 1
Satz 1 BVerfGG); werden Informationen, die zu den Mindestanforderungen
an die Begründung der Verfassungsbeschwerde (s. oben II.) gehören, erst
nach Fristablauf unterbreitet, so ist die Verfassungsbeschwerde
unzulässig. Eine Verlängerung der Frist durch das Gericht ist
ausgeschlossen.
Konnte der Beschwerdeführer die Frist ohne Verschulden
nicht einhalten, so kann binnen zwei Wochen nach Wegfall des
Hindernisses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die
Verfassungsbeschwerde nachgeholt werden. Die Tatsachen zur Begründung
des Antrags sind glaubhaft zu machen. Das Verschulden eines
Verfahrensbevollmächtigten bei der Fristversäumung steht dem Verschulden
des Beschwerdeführers gleich (§ 93 Abs. 2 BVerfGG).
2. Erschöpfung des Rechtswegs
a) Allgemeines
Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist
grundsätzlich nur und erst dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer
zuvor den Rechtsweg erschöpft und darüber hinaus die ihm zur Verfügung
stehenden weiteren Möglichkeiten ergriffen hat, um eine Korrektur der
geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu
verhindern. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn und soweit
eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die
Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des
Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.
Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen daher alle
verfügbaren Rechtsbehelfe (z.B. Berufung, Revision, Beschwerde,
Nichtzulassungsbeschwerde) genutzt worden sein. Die Erhebung einer
Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht wird dagegen für eine
zulässige Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nicht
vorausgesetzt. Zu den Möglichkeiten, den geltend gemachten
Grundrechtsverstoß schon im Verfahren vor den Fachgerichten abzuwehren,
gehören auch: ausreichende Darstellung des relevanten Sachverhalts,
geeignete Beweisanträge, Wiedereinsetzungsanträge bei unverschuldeter
Fristversäumung u.ä. Eine Verfassungsbeschwerde ist daher nicht
zulässig, soweit solche Möglichkeiten im fachgerichtlichen Verfahren
nicht genutzt wurden.
b) Besonderheiten bei Gehörsrügen
Wird die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs.
1 GG) gerügt, so ist, wenn gegen die angegriffene Entscheidung ein
anderer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, die Verfassungsbeschwerde nur
zulässig, wenn zuvor versucht wurde, durch Einlegung einer Anhörungsrüge
(insbesondere § 321a ZPO, § 152a VwGO, § 178a SGG, § 78a ArbGG, § 44
FamFG, § 133a FGO, §§ 33a, 356a StPO) bei dem zuständigen Fachgericht
Abhilfe zu erreichen. Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
beschränkt sich in einem solchen Fall regelmäßig nicht auf die
behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern
erfasst auch alle sonstigen Rügen.
c) Rechtssatzverfassungsbeschwerde
Gesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen können mit der
Verfassungsbeschwerde nur ausnahmsweise unmittelbar angegriffen werden,
und zwar dann, wenn sie den Beschwerdeführer selbst, gegenwärtig und
unmittelbar beschweren. Die Verfassungsbeschwerde muss in diesem Fall
binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG).
In der Regel bedürfen Rechtsvorschriften jedoch des
Vollzuges, d.h. der Anwendung im einzelnen Fall durch eine behördliche
oder gerichtliche Entscheidung, gegen die der Betroffene den Rechtsweg
vor den zuständigen Gerichten erschöpfen muss. In aller Regel ist die
Verfassungsbeschwerde daher in solchen Fällen erst nach der Entscheidung
des letztinstanzlichen Gerichts zulässig (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).
IV. Vertretung
Der Beschwerdeführer kann die Verfassungsbeschwerde
selbst erheben. Will er sich vertreten lassen, dann kann dies
grundsätzlich nur durch einen Rechtsanwalt oder durch einen Lehrer des
Rechts an einer deutschen Hochschule geschehen (§ 22 Abs. 1 Satz 1
BVerfGG). Eine andere Person lässt das Bundesverfassungsgericht als
Beistand nur dann zu, wenn es dies ausnahmsweise für sachdienlich hält
(§ 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG). Die Vollmacht ist schriftlich zu erteilen
und muss sich ausdrücklich auf das Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht beziehen (§ 22 Abs. 2 BVerfGG).
V. Annahmeverfahren
Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung (§ 93a Abs. 1 BVerfGG).
Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG
genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem
Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein
besonders schwerer Nachteil entsteht (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
Eine Verfassungsbeschwerde hat regelmäßig keine
grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, wenn die von ihr
aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind.
Zur Durchsetzung der Grundrechte kann die Annahme der
Verfassungsbeschwerde - beispielsweise - angezeigt sein, wenn einer
grundrechtswidrigen allgemeinen Praxis von Behörden und Gerichten
entgegengewirkt werden soll oder wenn ein Verfassungsverstoß für den
Beschwerdeführer besonders schwerwiegend ist.
Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde kann
durch einstimmigen Beschluss der aus drei Richtern bestehenden Kammer
erfolgen. Der Beschluss bedarf keiner Begründung und ist nicht
anfechtbar (§ 93d Abs. 1 BVerfGG).
VI. Gerichtskosten
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist
kostenfrei. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch dem
Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn die
Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt (§ 34
Abs. 2 BVerfGG).
VII. Rücknahme von Anträgen
Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist
grundsätzlich die Rücknahme einer Verfassungsbeschwerde insgesamt oder
einzelner Rügen sowie die Rücknahme eines Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung jederzeit möglich. Eine Gebühr (vgl. VI) wird in
diesem Fall nicht erhoben.
VIII. Allgemeines Register (AR)
Eingaben, mit denen der Absender weder einen bestimmten
Antrag verfolgt noch ein Anliegen geltend macht, für das eine
Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts besteht, werden im
Allgemeinen Register erfasst und als Justizverwaltungsangelegenheit
bearbeitet.
Im Allgemeinen Register können auch
Verfassungsbeschwerden registriert werden, bei denen eine Annahme zur
Entscheidung (§ 93a BVerfGG) nicht in Betracht kommt, weil sie
offensichtlich unzulässig sind oder unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts offensichtlich keinen
Erfolg haben können (s. oben V.).
Begehrt der Einsender nach Unterrichtung über die
Rechtslage eine richterliche Entscheidung, so wird die
Verfassungsbeschwerde in das Verfahrensregister übertragen und
weiterbehandelt (§ 61 Abs. 2 GOBVerfG).
GG = Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom
23.5.1949 (BGBl I S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes vom 28.8.2006 (BGBl I 2034)
BVerfGG = Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i.d.F.
vom 11.8.1993 (BGBl I S. 1473), zuletzt geändert durch Gesetz vom
29.07.2009 (BGBl. I S. 2346)
GOBVerfG = Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts
vom 15.12.1986 (BGBl I S. 2529) zuletzt geändert durch Bekanntmachung
vom 7.1.2002 (BGB1 I S. 1171)
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