12.06.12

Nach dem Tod der kleinen Maya gibt es Vorwürfe gegen das Tuttlinger Jugendamt

Ein früherer Freund der Familie aus Aldingen wirft der Behörde Nachlässigkeit vor – Tuttlinger Landrat verteidigt seine Mitarbeiter
 
 
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Am Mittwoch ist Maya beigesetzt worden.
Am Mittwoch ist Maya beigesetzt worden. (Foto: Ludger Möllers)
Von Klaus Nachbaur

Tuttlingen Nichts lässt sich mehr rückgängig machen. Maya ist tot, gestorben am Pfingstsonntag, wenige Tage vor ihrem zweiten Geburtstag. Das kleine Mädchen aus Aldingen im Landkreis Tuttlingen starb an Herzversagen. Aber dieses Herzversagen war eine Folge von extremer Unterernährung. In Wahrheit ist Maya verhungert und verdurstet. Die 24-jährige Mutter sitzt in Untersuchungshaft, die beiden Brüder von Maya – drei und neun Jahre alt – wurden in Pflegefamilien untergebracht. Sie sind traumatisiert, körperlich geht es ihnen gut.
Es gibt da diesen gut gemeinten, von Trotz und Hoffnung getragenen Satz, der ein wenig über die Hilflosigkeit hinwegtrösten soll, die sich im Angesicht von Unfassbarem breit macht. Er lautet: So etwas darf sich nie wiederholen. Georg H. ist einer, den dieser Satz zurzeit umtreibt. Der Enddreißiger hat Mayas Familie gut gekannt. Er war ungefähr ein Jahr lang – bis Anfang 2011 – mit Mayas Mutter befreundet. Nicht im Sinne eines Lebensgefährten. „Ich war wohl schon verliebt in sie, aber sie hat das nicht erwidert“, erzählt er. Georg H. lebt allein in einer kleinen Wohnung in einem Nachbarkreis von Tuttlingen. Er ist wegen einer schlimmen, chronischen Krankheit Hartz-IV-Empfänger, passt jedoch gar nicht ins verbreitete Klischee.


Unterhaltung vor der Haustür

Maya verdurstet


Seine Wohnung ist blitzblank, im Wohnzimmer stehen in Vitrinen und auf Regalen Hunderte von Modellautos, die er selber zusammengebaut hat. Manche sind raffiniert beleuchtet, auf der Seitenwand eines roten Lkw-Modells ist das Foto einer hübschen, blonden Frau angebracht. „Das ist C., Mayas Mutter“, sagt Georg H. Dann holt er sein Handy aus der Tasche, tippt ein wenig herum und zeigt dem Besucher ein Foto. Es zeigt ein Baby, vielleicht zwei Monate alt, im Arm von Georg H. „Das ist Maya“, sagt er. Dann packt er das Handy wieder weg.
Georg H. hat sich an die Schwäbische Zeitung gewandt, weil er verhindern möchte, dass sich so etwas wie mit Maya wiederholen kann. Zumindest im Landkreis Tuttlingen. Nein, er sagt nicht, dass das Jugendamt schuld sei am Tod des kleinen Mädchens. Aber er ist zutiefst überzeugt, dass die Mitarbeiter der Behörde – sie ist im Tuttlinger Landratsamt angesiedelt – fahrlässig oder nachlässig waren in ihrer Betreuung der Familie.



Ein Familienhelfer
Georg H. hat „drei bis vier Mal“ in der Woche die Kinder beaufsichtigt und betreut, mal in seiner Wohnung, mal in der Wohnung der Familie. Er hat auch mal einen Schoppen und Milchpulver für Maya gekauft, weil die Mutter das vergessen hatte. Er hat immer wieder die Wohnung der Familie geputzt, Geschirr gespült, aufgeräumt. Kurz: Er hat sich um die Kinder und ihre Mutter gekümmert, war Familienhelfer.
Insgesamt hat Georg H. vier Besuche des Jugendamts miterlebt, er meint, sie seien alle unangemeldet gewesen. „Nicht ein einziges Mal hat der Mann vom Jugendamt sich die Kinder angeschaut“, sagt er. Zwei Mal sei er in Trossingen im Wohnzimmer mit den Kindern allein gewesen, während sich der Jugendamtsmitarbeiter vor der Haustür mit der Mutter unterhalten habe. „Das Wohnzimmer lag direkt rechts neben dem Hauseingang, der Mann konnte die Kinder gar nicht sehen.“


Kein Strom und keine Heizung
An den dritten Besuch erinnert sich Georg H. ganz detailliert. „Wir wollten zum Einkaufen fahren, C. hat gerade die Haustür abgeschlossen, ich hatte die Kinder schon ins Auto gesetzt, als der Mann kam.“ Der habe kurz durch die abgedunkelten Scheiben in Richtung Kinder geschaut und sich dann mit der Mutter unterhalten. Es sei sehr heiß gewesen. „Ich habe deshalb die Kinder nach einer Viertelstunde wieder aus dem Auto geholt und in den Schatten gesetzt. Der Mann vom Jugendamt hat sie nicht weiter beachtet.“ Nach einer halben Stunde sei man dann zum Einkaufen gefahren.“ Bei einem vierten Besuch des Jugendamts in der späteren Wohnung der Familie in Spaichingen – sie lag im ersten Stock – sei Mayas Mutter die Treppe runtergegangen und habe sich ebenfalls vor der Haustür mit dem Beamten unterhalten.
Georg H. räumt ein: Selbst wenn die Beamten sich damals intensiv um die Kinder gekümmert hätten, es wäre ihnen nichts Negatives aufgefallen. „Sie waren in einem guten Zustand.“ Aber – und das ist es, was ihn heute umtreibt – wie sollten die Beamten den rapiden körperlichen Verfall des Kindes später mitbekommen haben, wenn sie diese Besuchspraktiken beibehielten? Noch etwas erfüllt den schmächtigen Mann nachträglich mit Verbitterung. „Immer wieder, auch im Winter 2010, hatte die Familie keinen Strom und keine Heizung.“ Er selber habe mal mit einem 25-Euro-Rubbelbon für Strom ausgeholfen. „Warum hat das Jugendamt nichts bemerkt, warum hat keine Behörde etwas unternommen?“


Landrat: Es gab Besuche
Die letzte Frage kann der Tuttlinger Landrat Stefan Bär (Freie Wähler) schnell beantworten. „Frau P. hat von Oktober 2007 bis Juli 2010 keine Leistungen beantragt“, sagt er. Im Oktober 2009 habe sie um eine Bescheinigung gebeten, dass sie keine Sozialleistungen erhalte. Die habe man ihr ausgestellt. Im Juli 2010 habe Frau P. dann wieder Leistungen beantragt und auch bewilligt bekommen. Und der Ablauf der Besuche vom Jugendamt? Der Landrat widerspricht der Darstellung Georg Hs. In den Akten seien zwei unangemeldete Besuche in Trossingen und zwei in Spaichingen dokumentiert, einer davon ebenfalls unangemeldet. Zum ersten Besuch in Trossingen: Am 11. Juni 2010 habe die Stadtverwaltung aus der Bevölkerung einen Hinweis erhalten, man solle nach den Kindern schauen. Um 10.53 Uhr sei dieser Hinweis per Mail ans Landratsamt weitergeleitet worden. Um 14.53 sei dann ein Mitarbeiter des Jugendamts unangemeldet bei Frau P. gewesen.
In einem vierseitigen Aktenvermerk habe der „sehr erfahrene Mitarbeiter“ festgehalten, dass alle drei Kinder, Frau P. und ihr Bruder in der Wohnung gewesen seien. Der Beamte habe sich die Wohnung angeschaut und auch die Kinder. Er habe mit der Hebamme gesprochen. Ergebnis: „Es war im Grunde alles in Ordnung.“ Bei einem weiteren Besuch am 16. Juli 2010 habe Frau P. die Tür nicht geöffnet, in einem Telefonat jedoch angeboten, der Mitarbeiter könne die Kinder besuchen.
Der Beamte habe dann vom Flur aus sehen können, dass die kleine Maya schlief. Ein Bub habe eine Beule im Gesicht gehabt. Frau P. habe erklärt, der Junge sei während eines Besuchs bei seinem Vater gefallen. Sie sei mit ihm bei der Hausärztin gewesen. Das habe sich bestätigt. Bär sagt, dass eine Aktenprüfung durch das Regierungspräsidium Freiburg keinerlei Beanstandung seiner Behörde ergeben habe. In gewisser Weise steht also Aussage gegen Aussage. Georg H. ist erbost. Er bleibt bei dem, was er erzählt hat und unterstellt dem Landratsamt Vertuschungsversuche.


Total abgemagert
Und dann ist da noch Jennifer G. Auch sie war eine Freundin der Familie P. und hat in den vergangenen Monaten oft die Kinder betreut. Zum letzten Mal war das „ein oder zwei Wochen vor Mayas Tod“ der Fall. „Die Kleine und der Mittlere waren in keinem guten Zustand“, sagt Jennifer G. Maya sei „total abgemagert“ gewesen und habe bei ihr sieben Teller Nudeln gegessen und eine Flasche Apfelsaft allein ausgetrunken. „Sie hatte blaue Flecken, und man konnte die Wirbelsäule sehen.“ Mayas Mutter sei an diesem Tag auf der Autofachmesse Tuning World in Friedrichshafen gewesen.
Als sie ihre Kinder wieder abholte, habe sie gesagt, das sei alles ganz normal. Maya würde immer so viel essen, und die blauen Flecken rührten daher, dass Maja oft hinfalle. Jennifer G. wollte am nächsten Tag das Jugendamt anrufen. Sie hat es nicht getan, weil ihr ein Mann davon abgeraten habe. Wer das war, möchte sie nicht sagen, „weil der selber auf einem Amt arbeitet“. Die junge Frau macht sich heute Vorwürfe. „Ich hätte die Polizei rufen sollen, die hätte ihr das Kind gleich weggenommen.“


(Erschienen: 08.06.2012 20:10)

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