27.06.12

Hessisches Kindervorsorgezentrum Verdacht der Vetternwirtschaft


 Von Jutta Rippegather
Die Vorsorgearbeit war, so das Ministerium, nie beeinträchtigt.  Foto: dpa
 
 
 
Ein Schauspieler wird wissenschaftlicher Angestellter, ein Schreiner Projektleiter: Ein vertraulicher Bericht zeigt Missstände im Hessischen Kindervorsorgezentrum an der Frankfurter Uniklinik auf. Die Ermittlungen laufen, es besteht der Verdacht der Vetternwirtschaft. 


Im hessischen Kindervorsorgezentrum an der Frankfurter Uniklinik wurde Personal „nicht ordnungsgemäß“ ausgewählt und bezahlt, „dienstliche und private Belange wurden unangemessen vermengt“. Auch Drohungen sollen im Spiel gewesen sein. So steht es in einem vertraulichen Bericht des Landesrechnungshofs vom Dezember 2010, der der Frankfurter Rundschau vorliegt. Die handelnden Personen hätten „zum Nachteil des Landes unangemessene persönliche Vorteile erzielt oder gestattet“, also den Steuerzahler geschädigt. Begonnen hatten demnach die Mauscheleien im Januar 2004.
Vor eineinhalb Jahren hatte das Sozialministerium mitgeteilt, wegen des Verdachts der Vetternwirtschaft werde gegen drei Mitarbeiter ermittelt. Sie seien ihrer Aufgaben entbunden worden. Inzwischen hat sich die Zahl der Beschuldigten mehr als verdoppelt: Nach Angaben der Wiesbadener Staatsanwaltschaft sind aktuell sieben Personen beschuldigt.
Nur die Spitze des Eisbergs

Die Materie sei „sehr komplex“, begründet Sprecher Hartmut Ferse die lange Bearbeitungszeit. „Es ist nicht abzusehen, wann die Ermittlungen zu Ende gehen.“ Das Sozialministerium teilte am Montag mit, die betroffenen Mitarbeiter des Ministeriums seien „von ihren Aufgaben im Zusammenhang mit dem Kindervorsorgezentrum entbunden“. „Die wichtige Arbeit“ des Zentrums sei „zu keiner Zeit in Mitleidenschaft gezogen worden“. Weitere Angaben seien wegen des laufenden Verfahrens nicht möglich. Nach FR-Informationen ist mindestens ein Beschuldigter weiterhin im Kindervorsorgezentrum tätig.
Im Dezember 2010 standen lediglich drei Mitarbeiter unter Verdacht. Der Bericht des Rechnungshofs zeigt also wohl nur die Spitze des Eisbergs. Die FR hat die darin dargestellten Missstände zusammengefasst:

Fall 1:
Eine leitende Ärztin schlägt dem Personaldezernat der Uniklinik vor, ihren Bruder für die ausgeschriebene Stelle „wissenschaftlicher Angestellter als Projektmanager“ einzustellen. Er bekommt den Job, die befristete Stelle wird mehrfach verlängert, zum Teil allein per Unterschrift seiner Schwester. Bezahlt wird er wie ein wissenschaftlicher Angestellter mit Hochschulabschluss. „Ziemlich hoch“, notiert die Abteilungsleiterin im Personaldezernat der Uniklinik handschriftlich. Der Mann ist Facharbeiter für Nachrichtentechnik und Diplom-Schauspieler, hat 14 Monate als angelernter Krankenpfleger gearbeitet.
Auch Rechnungsprüfer rügen die hohe Eingruppierung: „Der Projektleiter verfügt nicht über ein einschlägiges wissenschaftliches Studium, welches seine Anstellung als wissenschaftlicher Angestellter gerechtfertigt hätte.“ Die Ärztin habe „verantwortlich“ an der Einstellung des nahen Familienangehörigen mitgewirkt – „ein Widerstreit der privaten Interessen mit denen ihres Dienstherrn“.

Fall 2:
Die Ärztin brachte auch ihren Lebensgefährten im Kindervorsorgezentrum unter: Vier Honorarverträge „zur wissenschaftlichen Unterstützung“ schließt sie 2007/2008 mit dem Professor im Ruhestand ab. Wie bei ihrem Bruder prüft sie auch dessen Reisespesen-Abrechnungen auf ihre Richtigkeit: 1600 Euro bekam der Professor im Jahr 2008 erstattet, 3400 Euro im Jahr 2009.
Beim Abschluss der Honorarverträge und der Kontrolle der Spesenabrechnungen bestand die „Gefahr einer Kollision mit persönlichen Interessen“, urteilen die Rechnungsprüfer. „Um jeglichen Anschein der Vorteilsgewährung zu vermeiden, hätte die Prüfung durch einen neutralen Dritten erfolgen müssen.“

Fall 3:
Beim hessischen Sozialministerium ist die Vetternwirtschaft bekannt und geduldet. Im Frühjahr 2007 nutzt die für das Kindervorsorgezentrum zuständige Referatsleiterin und stellvertretende Abteilungsleiterin ihr Wissen und ihre Macht. Sie stellt der Ärztin ein neues Projekt in Aussicht – nennt aber eine Bedingung: Ihr damaliger Lebensgefährte und jetziger Ehegatte müsse dort als Projektmanager eingestellt werden. Der Mann hat Abitur, aber keinen Hochschulabschluss. Er ist Schreinergeselle, arbeitet als Selbstständiger unter anderem im Baustoffhandel und in der Unternehmensberatung. Die Ärztin kommt der Bitte nach und schlägt ihn als Projektleiter vor, er soll auf Wunsch der Abteilungsleiterin so gut bezahlt werden wie der Bruder der Ärztin. Im April 2009 macht der Leiter des Kindervorsorgezentrums das Ministerium auf „mögliche kostenstellenrelevante Fehler“ des gelernten Schreiners aufmerksam, auch halte er den Dienstweg nicht ein. Trotzdem bestellt das Uniklinikum den Projektleiter „im Einvernehmen mit dem Ministerium“ zum stellvertretenden Haushaltsbeauftragten.
Für diese Funktion besteht kein Bedarf, urteilt der Rechnungshof. Auch fehle dem Mann die für eine solche Aufgabe notwendige Erfahrung. „Durch seine Ernennung wurde die Position des Projektleiters weiter gestärkt“ – trotz der Einwürfe des Leiters des Kindervorsorgezentrums. Hinzu komme der „persönliche Interessenkonflikt“ durch die Liebesbeziehung zu der Referatsleiterin im Ministerium. Gegen die Landesbedienstete, so die Prüfer, bestehe der Verdacht, dass sie „auf vielfältige und gravierende Weise gegen ihre Dienstpflichten zur uneigennützigen, unparteiischen und gerechten Aufgabenerfüllung zum Wohl der Allgemeinheit verstoßen hat“.

Fall 4:
Die Referatsleiterin hatte auch dafür gesorgt, dass ihr Lebensgefährte ein gutes Zeugnis bekam. Erstellt hat es der damalige Leiter des Vorsorgezentrums, mit dem sie unter anderem seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte. Wegen der „guten persönlichen Kontakte auch außerhalb des Dienstes“, sagte der Leiter, habe er auf Bitten der Landesbediensteten ein Empfehlungsschreiben für den Schreiner erstellt. Von seinen Leistungen sei er nicht überzeugt gewesen. „Die Abfassung des Zeugnisses betrachtet er aus heutigen Sicht als Fehler.“
Dem Schreiner hat die „sehr gute Beurteilung aus Gefälligkeit“ geholfen, urteilen die Rechnungsprüfer: „Dadurch ist die Einstellung des Projektleiters wesentlich beeinflusst worden.“


http://www.fr-online.de/frankfurt/hessisches-kindervorsorgezentrum-verdacht-der-vetternwirtschaft,1472798,16474182.html 

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