Die Vorsorgearbeit war, so das Ministerium, nie beeinträchtigt. Foto: dpa
Im hessischen Kindervorsorgezentrum an der
Frankfurter Uniklinik wurde Personal „nicht ordnungsgemäß“ ausgewählt
und bezahlt, „dienstliche und private Belange wurden unangemessen
vermengt“. Auch Drohungen sollen im Spiel gewesen sein. So steht es in
einem vertraulichen Bericht des Landesrechnungshofs vom Dezember
2010, der der Frankfurter Rundschau vorliegt. Die handelnden
Personen hätten „zum Nachteil des Landes unangemessene persönliche
Vorteile erzielt oder gestattet“, also den Steuerzahler geschädigt.
Begonnen hatten demnach die Mauscheleien im Januar 2004.
Vor
eineinhalb Jahren hatte das Sozialministerium mitgeteilt, wegen des
Verdachts der Vetternwirtschaft werde gegen drei Mitarbeiter ermittelt.
Sie seien ihrer Aufgaben entbunden worden. Inzwischen hat sich die Zahl
der Beschuldigten mehr als verdoppelt: Nach Angaben der Wiesbadener
Staatsanwaltschaft sind aktuell sieben Personen beschuldigt.
Nur die Spitze des Eisbergs
Die
Materie sei „sehr komplex“, begründet Sprecher Hartmut Ferse die lange
Bearbeitungszeit. „Es ist nicht abzusehen, wann die Ermittlungen
zu Ende gehen.“ Das Sozialministerium teilte am Montag mit, die
betroffenen Mitarbeiter des Ministeriums seien „von ihren Aufgaben im
Zusammenhang mit dem Kindervorsorgezentrum entbunden“. „Die wichtige
Arbeit“ des Zentrums sei „zu keiner Zeit in Mitleidenschaft gezogen
worden“. Weitere Angaben seien wegen des laufenden Verfahrens nicht
möglich. Nach FR-Informationen ist mindestens ein Beschuldigter
weiterhin im Kindervorsorgezentrum tätig.
Im Dezember
2010 standen lediglich drei Mitarbeiter unter Verdacht. Der Bericht des
Rechnungshofs zeigt also wohl nur die Spitze des Eisbergs. Die FR hat
die darin dargestellten Missstände zusammengefasst:
Fall 1:
Eine leitende Ärztin schlägt dem Personaldezernat der Uniklinik vor,
ihren Bruder für die ausgeschriebene Stelle „wissenschaftlicher
Angestellter als Projektmanager“ einzustellen. Er bekommt den Job, die
befristete Stelle wird mehrfach verlängert, zum Teil allein per
Unterschrift seiner Schwester. Bezahlt wird er wie ein
wissenschaftlicher Angestellter mit Hochschulabschluss. „Ziemlich
hoch“, notiert die Abteilungsleiterin im Personaldezernat der
Uniklinik handschriftlich. Der Mann ist Facharbeiter für
Nachrichtentechnik und Diplom-Schauspieler, hat 14 Monate als
angelernter Krankenpfleger gearbeitet.
Auch
Rechnungsprüfer rügen die hohe Eingruppierung: „Der Projektleiter
verfügt nicht über ein einschlägiges wissenschaftliches Studium, welches
seine Anstellung als wissenschaftlicher Angestellter gerechtfertigt
hätte.“ Die Ärztin habe „verantwortlich“ an der Einstellung des nahen
Familienangehörigen mitgewirkt – „ein Widerstreit der privaten
Interessen mit denen ihres Dienstherrn“.
Fall 2:
Die
Ärztin brachte auch ihren Lebensgefährten im Kindervorsorgezentrum
unter: Vier Honorarverträge „zur wissenschaftlichen Unterstützung“
schließt sie 2007/2008 mit dem Professor im Ruhestand ab. Wie bei
ihrem Bruder prüft sie auch dessen Reisespesen-Abrechnungen auf
ihre Richtigkeit: 1600 Euro bekam der Professor im Jahr 2008 erstattet,
3400 Euro im Jahr 2009.
Beim Abschluss der
Honorarverträge und der Kontrolle der Spesenabrechnungen bestand die
„Gefahr einer Kollision mit persönlichen Interessen“, urteilen die
Rechnungsprüfer. „Um jeglichen Anschein der Vorteilsgewährung zu
vermeiden, hätte die Prüfung durch einen neutralen Dritten erfolgen
müssen.“
Fall 3:
Beim
hessischen Sozialministerium ist die Vetternwirtschaft bekannt und
geduldet. Im Frühjahr 2007 nutzt die für das Kindervorsorgezentrum
zuständige Referatsleiterin und stellvertretende Abteilungsleiterin ihr
Wissen und ihre Macht. Sie stellt der Ärztin ein neues Projekt in
Aussicht – nennt aber eine Bedingung: Ihr damaliger Lebensgefährte und
jetziger Ehegatte müsse dort als Projektmanager eingestellt werden.
Der Mann hat Abitur, aber keinen Hochschulabschluss. Er ist
Schreinergeselle, arbeitet als Selbstständiger unter anderem im
Baustoffhandel und in der Unternehmensberatung. Die Ärztin kommt der
Bitte nach und schlägt ihn als Projektleiter vor, er soll auf Wunsch
der Abteilungsleiterin so gut bezahlt werden wie der Bruder der Ärztin.
Im April 2009 macht der Leiter des Kindervorsorgezentrums das
Ministerium auf „mögliche kostenstellenrelevante Fehler“ des gelernten
Schreiners aufmerksam, auch halte er den Dienstweg nicht ein. Trotzdem
bestellt das Uniklinikum den Projektleiter „im Einvernehmen mit dem
Ministerium“ zum stellvertretenden Haushaltsbeauftragten.
Für
diese Funktion besteht kein Bedarf, urteilt der Rechnungshof. Auch
fehle dem Mann die für eine solche Aufgabe notwendige Erfahrung. „Durch
seine Ernennung wurde die Position des Projektleiters weiter gestärkt“ –
trotz der Einwürfe des Leiters des Kindervorsorgezentrums. Hinzu komme
der „persönliche Interessenkonflikt“ durch die Liebesbeziehung zu der
Referatsleiterin im Ministerium. Gegen die Landesbedienstete, so die
Prüfer, bestehe der Verdacht, dass sie „auf vielfältige und gravierende
Weise gegen ihre Dienstpflichten zur uneigennützigen, unparteiischen
und gerechten Aufgabenerfüllung zum Wohl der Allgemeinheit verstoßen
hat“.
Fall 4:
Die Referatsleiterin hatte auch dafür gesorgt, dass ihr
Lebensgefährte ein gutes Zeugnis bekam. Erstellt hat es der damalige
Leiter des Vorsorgezentrums, mit dem sie unter anderem seinen 60.
Geburtstag gefeiert hatte. Wegen der „guten persönlichen Kontakte auch
außerhalb des Dienstes“, sagte der Leiter, habe er auf Bitten der
Landesbediensteten ein Empfehlungsschreiben für den Schreiner erstellt.
Von seinen Leistungen sei er nicht überzeugt gewesen. „Die Abfassung des
Zeugnisses betrachtet er aus heutigen Sicht als Fehler.“
Dem Schreiner hat die „sehr gute Beurteilung aus Gefälligkeit“ geholfen, urteilen die Rechnungsprüfer: „Dadurch ist die Einstellung des Projektleiters wesentlich beeinflusst worden.“
http://www.fr-online.de/frankfurt/hessisches-kindervorsorgezentrum-verdacht-der-vetternwirtschaft,1472798,16474182.html
Dem Schreiner hat die „sehr gute Beurteilung aus Gefälligkeit“ geholfen, urteilen die Rechnungsprüfer: „Dadurch ist die Einstellung des Projektleiters wesentlich beeinflusst worden.“
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