Osnabrück. Und plötzlich war Niklas* weg. In Obhut genommen vom Jugendamt der Stadt Osnabrück, weil der Dreijährige aus Sicht der Behörde bei seinen Eltern gefährdet war. Die wehren sich und wollen ihren Jungen zurück. Zum zweiten Mal ziehen sie vor das Bundesverfassungsgericht. Kein Einzelfall: Zehntausende Kinder werden Jahr für Jahr aus ihren Familien geholt. Mal für kurze Zeit, mal für immer.
Missverständnisse?
S. spricht von vielen Missverständnissen mit den Mitarbeitern der
Familienhilfe. Ein Arzt habe zudem bestätigt, dass Niklas’ Gewicht im
unteren Bereich des Normalgewichts liege. Dass sein Sohn Sprachprobleme
habe, sei ihm nicht entgangen. Die Familienhilfe sprach von
„quietschenden und gurgelnden Lauten“, die der Junge von sich gebe.
Nach dreieinhalb Monaten beendete S. die Zusammenarbeit mit der
Familienhilfe. Das Jugendamt wandte sich an das Familiengericht wegen
einer Überprüfung einer sogenannten Kindeswohlgefährdung – mit bekanntem
Ausgang. Dagegen legte S. Beschwerde ein, verlor aber zunächst vorm
Oberlandesgericht in Oldenburg.
Er beklagt: „Bei beiden Gerichten wurde einseitig die Sichtweise des
Jugendamtes übernommen. Unsere Zeugen wurden teilweise nicht einmal
angehört.“ Das OLG schmetterte die Beschwerde ab, bei einem Verbleib des
Kindes in der Familie sei das körperliche Wohl akut gefährdet. S. zog
weiter vor das Bundesverfassungsgericht.
Und in Karlsruhe gab man seiner Verfassungsbeschwerde statt –
zumindest teilweise. In Sachen Kindeswohl stimmten die Karlsruhe Richter
den Kollegen aus Oldenburg und Osnabrück zu. Das scheint S. zu
übersehen, wenn er davon redet, recht bekommen zu haben. Die Richter
monierten lediglich, dass die Inobhutnahme und Unterbringung des Jungen
in einer Pflegefamilie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verstoßen habe. „Als mildernde Maßnahme wäre insbesondere die Anordnung
der Vormundschaft der Großmutter in Betracht zu ziehen gewesen“,
stellten die Karlsruher Richter fest und gaben das Verfahren zurück nach
Oldenburg.
Im zweiten Anlauf scheiterte S. aber erneut. Die Großmutter sei zu
alt, um den kleinen Jungen zu betreuen, befand das OLG. S. gibt nicht
auf. „Nächste Woche wollen wir wieder Verfassungsbeschwerde einlegen“,
kündigt sein Anwalt Patrick Katenhusen an. Gegen die Richterin am
Amtsgericht sowie die Mitarbeiter des Jugendamtes haben sie ein
Verfahren wegen Kindesentzugs eingeleitet.
Beim Jugendamt Osnabrück will man sich nicht zu dem Fall äußern.
„Auch zum Wohl des Kindes“, wie Paulus Fleige sagt. Er erklärt: In gut der Hälfte der Inobhutnahmen durch das Jugendamt lande der Kampf ums Wohl des Kindes vor Gericht. Nicht immer geht es vors Verfassungsgericht.
S. sitzt derweil vor zwei prall gefüllten Aktenordnern zum Fall
seines Sohnes. Er schüttelt den Kopf: „Ich verstehe das alles nicht; das
ist unverantwortlich“, sagt er und deutet auf die Berichte des
Jugendamtes. Ob er finde, dass er ein guter Vater sei? „Ich hoffe das
zumindest“, sagt S.
*Namen von der Redaktion geändert
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