Klingt fortschrittlich – aber ist es das auch?
Bis zum 10. Juli 2010 war das noch so:
Wenn der Vater eines Kindes nicht mit der Mutter verheiratet war, konnte
er das Sorgerecht nur bekommen, wenn die Mutter einverstanden war und
offiziell zustimmte. Das wirkt ein bisschen ungerecht in Zeiten, in
denen auch Männer wickeln, wiegen, Wagen schieben und sich seit Jahren
schon in verschiedensten Büchern zu neuen Vätern erklären. Und
tatsächlich hat im Juli vor drei Jahren das Bundesverfassungsgericht
diese Regelung auch als „unverhältnismäßigen Eingriff“ in die
Elternrechte des Vaters gewertet – und gekippt.
Die Politik musste sich
etwas Neues überlegen, weshalb der Bundestag Ende Januar das Sorgerecht
geändert hat. Jetzt kann der Vater eine gemeinsame Sorge auch ohne
Zustimmung der Mutter erhalten. Er muss das beim Familiengericht
beantragen, muss dort aber nicht mehr nachweisen, dass die gemeinsame
Sorge dem Kindeswohl zugutekommt. Falls die Mutter keine Gründe gegen
das gemeinsame Sorgerecht vorträgt, entscheidet das Gericht nach
Aktenlage - ohne persönliche Anhörung der Eltern. So tritt dieses neue
Gesetz jetzt am 19. Mai in Kraft.
Ist das gerechter?
Um diese Frage streiten die Lobbys der unverheirateten Mütter und die der Väter.
90 Prozent der Alleinerziehenden: Mütter
Die Titelgeschichte "Die Machtfrage" über
das neue Sorgerecht und den Streit zwischen Vätervertretern und
Mütterlobby lesen Sie in der neuen taz.am wochenende vom 4./5. Mai 2013.
Darin außerdem: Ein Gespräch mit dem heimlichen Star des Kirchentages
Fulbert Steffensky. Und: Wie in einem Dorf in Brandenburg ein
Schweinestall zur Opernbühne wird. Außerdem klingelt die taz mal wieder
an fremden Türen - diesmal in Friedland. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
Der Verband alleinerziehender
Mütter und Väter, kurz VaMV, vertritt eher die Mütter. Die Vorsitzende
Edith Schwab sagt, sie sei nicht grundsätzlich gegen die neue Regelung:
„Wir begrüßen es natürlich, wenn Väter sich stärker in der Familie
engagieren wollen.“ Immerhin seien 90 Prozent der Alleinerziehenden
Mütter.
„Aber wir sind
dagegen“, fährt Schwab fort, „dass für eine sehr kleine Menge von
streitigen Fällen ein Gesetz gemacht wird, das völlig außerhalb der
bewährten aktuellen Regelungen steht.“ Sie sagt das auf allen Kanälen,
auch in der Bundestagsanhörung zum Thema hat sie gesprochen. Sie hat am
Ende das Gefühl, nicht durchgedrungen zu sein.
Die Lobby der Väter war
erfolgreich: Sie klagte bis zum Verfassungsgericht und zum Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte. Und die Gerichte urteilten: Dem Vater
stehen mehr Rechte zu.
Auch Eltern, die sich
getrennt haben und seitdem nur noch streiten, sind mit der gemeinsamen
Sorge nun gezwungen, auch gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Das
„vereinfachte Verfahren“, das die persönliche Anhörung der Eltern gar
nicht mehr nötig macht, haben die Gerichte dafür gar nicht
vorgeschrieben. Das hat das Justizministerium in den Gesetzentwurf
eingefügt.
Der Streit um die Strumpfhose
Kompliziert wird es jetzt für die Gruppe der
Zerstrittenen. Lena und Markus beispielsweise. Ein Paar, das die
taz-Autorinnen Simone Schmollack und Heide Oestreich in der
Titelgeschichte der taz.am wochenende „Die Machtfrage“ beschreiben,
streitet sich jetzt schon erbittert darüber, welche Farbe die
Strumpfhose der Tochter haben darf. Oder auf welche Schule ihre beiden
Kinder gehen sollen. Der Streit eskaliert so weit, dass sie kaum noch
miteinander reden und auch über ihren Fall nur getrennt voneinander und
unter falschen Namen sprechen.
Schmollack und
Oestreich erzählen in ihrer Geschichte nicht nur von diesem konkreten
Fall, sondern auch von den Verschiebungen im Machtgefüge Familie, die
sich durch das neue Gesetz ergeben könnten. Sie haben
Mütterlobbyistinnen und Vätervertreter getroffen, um die
gesellschaftliche Dimension dieser politischen Auseinandersetzung zu
begreifen.
Der Verein
„Väteraufbruch“ etwa hat noch offene Wünsche: „Wir wollen die gemeinsame
Sorge ab der Geburt, zusammen mit der Vaterschaftsanerkennung“, sagt
dessen Vorsitzender Rainer Sonnenberger, getrennt lebender Vater dreier
Kinder. Er ist sicher, dass die jetzige Regelung wieder vor Gericht
landen wird. „In den ersten sechs Wochen entscheidet die Mutter so viel,
da wollen wir ein Mitspracherecht haben.“ Der Name des Kindes, die
Religion, eine eventuelle Beschneidung, frühe Operationen, all das
können die Väter immer noch nicht mitbestimmen.
Sollte das
gemeinsame Sorgerecht den Vätern tatsächlich schon automatisch
übertragen werden, wenn das Kind geboren wird? Oder ginge das zu weit?
An wen wenden sich getrennte Eltern am besten, die sich einfach nicht
einigen können? An die Gerichte? An Mediatoren? Und wo bleiben bei
alldem eigentlich die Kinder?
Kennen Sie auch
solche Geschichten wie die von Lena und Markus? Dann erzählen Sie uns
gerne davon. Diskutieren Sie hier auf taz.de.
Die Titelgeschichte „Die Machtfrage“ lesen Sie in der neuen taz.am wochenende vom 04./05. Mai 2013.
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