19.07.13
Neue Vorwürfe
Berliner Junge stellt Strafanzeige gegen Haasenburg-Heim
Ein 14-Jähriger, der aus einem Haasenburg-Heim in
Brandenburg geflohen und untergetaucht ist, gibt an, misshandelt und
gedemütigt worden zu sein. Ein Kriminologe fordert, die Einrichtung zu
schließen.
Neue Vorwürfe gegen die Betreiber der
geschlossenen Heime in Brandenburg, in denen auch zehn Hamburger
Jugendliche untergebracht sind: Ein 14 Jahre alter Junge aus Berlin, der
aus einer Einrichtung der Haasenburg GmbH geflüchtet und untergetaucht
ist, behauptet in einer Strafanzeige, von Erziehern getreten und
wiederholt gedemütigt worden zu sein.
Außerdem habe er zwölf Monate lang
bis zu seiner Flucht "in absoluter Isolation" in einem Einzelzimmer
gelebt und nur selten "an die frische Luft" gedurft. Nach seinen Angaben
musste er einmal in eine Mülltonne klettern. "Als ich drin war,
verschloss er (der Erzieher, die Red.) die Mülltonne über mir. Als sie
wieder aufging, machte er Fotos von mir und nannte mich Müll-Bobby und
lachte mich aus", heißt es in der Anzeige, die dem Abendblatt vorliegt.
Anschließend seien die Fotos anderen Jugendlichen gezeigt worden.
Die Haasenburg GmbH hat den
Vorwurf des Jugendlichen, demzufolge er in eine Mülltonne gesteckt
worden sei, dem zuständigen brandenburgischen Jugendamt gegenüber
inzwischen zurückgewiesen. Der Ablauf der Ereignisse stelle sich aus
Sicht der Betreuer völlig anders dar, heißt es. Dem Jugendamt sei als
Beleg auch ein Handyfoto übermittelt worden.
Schwere Vorwürfe gegen die Betreuer
"Die Haasenburg GmbH gefährdet
das Kindeswohl. Mein Mandant ist dort misshandelt worden", beharrte
Rudolf von Bracken, der Hamburger Rechtsanwalt des Berliner
Jugendlichen, dagegen. Der Jurist erklärte am Donnerstag, er wisse
nicht, wo sich sein Mandant aufhalte, ob der Junge eine Unterkunft
gefunden habe oder auf der Straße lebe.
Wie berichtet, waren insgesamt
drei Jugendliche aus dem Brandenburger Heim geflüchtet. Ein Junge aus
dem Saarland und ein Hamburger sind inzwischen dorthin zurückgebracht
worden. Auch der Hamburger Jugendliche hatte schwere Vorwürfe gegen die
Betreuer erhoben. "In einem Gespräch mit dem Familieninterventionsteam
und seinem Erziehungsberechtigten sagte er jedoch, dass er keine
Strafanzeige erstatten wolle", sagte Nicole Serocka, Sprecherin der
Sozialbehörde. Von Bracken, der auch den Hamburger Jugendlichen
vertritt, betonte jedoch, dass er seine Vorwürfe aufrechterhalte.
"Wir setzen alles daran, die
Vorwürfe aufzuklären", sagte Serocka. "Hinter den Kulissen" gebe es auf
fachlicher Ebene enge Kontakte zum Beispiel zum zuständigen
Brandenburger Ministerium. "Aber es gibt nicht jeden Tag eine neue
Wasserstandsmeldung", so Serocka. Die Behörde werde in der Sondersitzung
des Familienausschusses der Bürgerschaft in der kommenden Woche über
ihre Erkenntnisse berichten.
Auch auf Gewalt gesetzt
Der Sozialpädagoge und
Kriminologe Prof. Michael Lindenberg von der Evangelischen Hochschule
für Soziale Arbeit und Diakonie im Rauhen Haus hält aus grundsätzlichen
Erwägungen eine Schließung der geschlossenen Einrichtungen der
Haasenburg GmbH für unabdingbar. "Ich habe mir viele Seiten mit
pädagogischen Protokollen durchgelesen und kann nur sagen, dass den in
diesen Einrichtungen untergebrachten Jugendlichen nicht geholfen wird."
An den Zuständen, die vor
einigen Jahren kritisiert worden seien, "hat sich bis heute nichts
geändert". Bei der Erziehung der Jugendlichen in den Haasenburg-Heimen
werde auch auf Gewalt gesetzt. Das bürgerliche Gesetzbuch verbiete aber
Gewalt bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen.
Lindenberg, der die
geschlossene Unterbringung von jugendlichen Intensivtätern grundsätzlich
ablehnt, arbeitete in den Jahren 2005 bis 2007 als Vorsitzender der
Aufsichtskommission, die für das geschlossene Heim in der Hamburger
Feuerbergstraße zuständig war. In diesem Frühjahr lehnte er eine Anfrage
der Sozialbehörde ab, den Vorsitz einer Aufsichtskommission für die
Haasenburg-Heime zu übernehmen. "Ich halte diese Kommission für eine
Alibiveranstaltung", sagte Lindenberg.
Der Wissenschaftler plädiert
dafür, für die Jugendlichen einen individuellen Hilfeplan zu erarbeiten.
"Notwendig ist ein individuelles Setting." Dazu sollten die
Spitzenverbände der Jugendhilfe einen "Kooperationspool" bilden. "Es
gibt bei den Trägern der Jugendhilfe so viel Wissen und Erfahrung, dass
gute Hilfsangebote für die Jugendlichen entwickelt werden können."
An den Wissenschaftler hatten
sich die drei Jugendlichen nach ihrer Flucht aus dem Heim Anfang Juli
gewandt. Er wisse nicht, warum sie gerade ihn ausgewählt hätten, so
Lindenberg. "Ich bekam einen Anruf und eine Stunde später standen die
Jungen vor meiner Tür." Für ihn sei zunächst wichtig gewesen, für die
Jugendlichen einen rechtlichen Beistand zu organisieren.
Außerdem habe man versucht,
die drei Jugendlichen in der Anlaufstelle für Straßenkinder KIDS am
Hauptbahnhof unterzubringen. Allerdings hätten die Jugendlichen in
dieser Einrichtung nicht bleiben wollen. Der aus dem Saarland stammende
Jugendliche wurde nach Abendblatt-Informationen einen Tag später in
Bremen aufgegriffen. Den Hamburger Jungen entdeckte die Polizei in einem
Abrisshaus, in dem er offenbar mehrere Tage gelebt hatte.
Pädagogisches Konzept ungeklärt
Ungeklärt sind bislang
Details des pädagogischen Konzepts, nach dem in den Haasenburg-Heimen
gearbeitet wird, weil der Betreiber die Bestimmungen nicht offengelegt
hat. Im Betreuungsvertrag, der mit den Sorgeberechtigten geschlossen
wird und dem Abendblatt als Muster vorliegt, wird unter anderem die
"Anwendung von freiheitsentziehenden Maßnahmen" beschrieben.
Es heißt, dass diese
Maßnahmen "aggressive Handlungen und Weglaufversuche" unterbrechen
sollen. Dies geschieht durch "körperliche Begrenzungen". Für den Fall
"impulsiver Durchbrüche mit Kontrollverlust" der Jugendlichen finden die
Maßnahmen in reizarmen Räumlichkeiten ("Anti-Aggressionsraum") statt.
Dies könne "auch gegen den Willen" geschehen. Voraussetzung sei, dass
alle weniger strikten Maßnahmen erfolglos blieben.
Vorrangiges Ziel sei es,
diese Maßnahmen "schnellstmöglich" zu beenden. Es folgt der Hinweis,
dass es keine "direkten Fixierungen mit Fixiergurten auf einem
Fixierbett" gebe. Zudem werde das Vorgehen dokumentiert und an die
Jugendämter gemeldet. "Wir akzeptieren nur die körperliche Begrenzung
für die Hamburger Jugendlichen und waren immer gegen die Fixierung",
sagte Behördensprecherin Serocka.
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