Bis
in die siebziger Jahre schickte der Staat in der Schweiz Kleinkinder
auf Bauernhöfe. Dort mussten sie schuften und wurden gequält – auch
Peter Weber.
Wenn einer schlechte Laune hatte, damals auf dem
Bauernhof im Schweizer Emmental, dann klatschte er Peter Weber eine. Das
macht dem nichts, hieß es, der ist dem Teufel vom Wagen gefallen. Und
was die Erwachsenen vormachten, das machten die Kinder nach.
Als Peter Weber einmal eine
Schubkarre zu früh in die Kurve zog, kippte sie um, das Getreide fiel in
den Graben. Da wurde die Bauerntochter wütend. Sie warf ihn zu Boden
und trat ihm in die Eier, immer wieder. Da war Peter Weber noch ein
Junge. Ein Verdingkind.
Heute ist er 56 und wohnt in Basel in
einem Hochhaus. Damals schuftete Weber, wie hunderttausend andere
Kinder, auf einem Bauernhof in den Bergen, bei einer fremden Familie.
Und die bekam Geld dafür – vom Staat. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden
Verdingkinder noch wie Vieh auf Märkten versteigert – und später dann
von den Armenbehörden der Schweiz offiziell als Pflegekinder auf
Bauernhöfe gebracht.
Ein guter Deal: Der Staat musste
sich nicht um teure Kinderheime kümmern. Und die Familien bekamen Geld
von den Behörden dafür, dass sie Verdingkinder aufnahmen.
Mit sechs Jahren das erste Mal eine Unterhose
Und so schälte Peter Weber Kartoffeln, rieb
sie auf einer Röstireibe und verfütterte sie an die Hühner, er half bei
der Getreideernte, er schleppte Brennholz, er durfte kein Fleisch essen,
die anderen schon, und als er mit sechs Jahren eingeschult wurde, mähte
er morgens noch schnell das Gras, fütterte und molk die Kühe, ging in
die Schule und danach direkt wieder in den Stall. Es war die Zeit, als
er zum ersten Mal eine Unterhose anziehen durfte. Wegen des
Turnunterrichts.
Jahrzehnte sind vergangen, bis
Peter Weber über seine Kindheit sprechen konnte. Noch heute plagen ihn
Hodenschmerzen. Er hatte zwei Herzinfarkte, leidet an Diabetes und einer
Nervenkrankheit. Wenn eine Hand seinem Kopf zu nahe kommt, zuckt er
zusammen. Denn es bedeutet Schläge. Aber all das macht er nicht der
Bauerntochter und auch nicht den Eltern zum Vorwurf. Sondern der
staatlichen Behörde, die ihn auf diesen Hof gebracht hat.
Erst 1978 schaffte die Schweiz das Verdingkinderwesen mit einem nationalen Gesetz endgültig ab.
Inzwischen gibt es dort eine
Wanderausstellung zum Thema und einen Spielfilm. Mehrere Kantone haben
den Betroffenen offiziell ihr Bedauern ausgesprochen, die Regierung hat
eine nationale Entschuldigung angekündigt, die nun erwartet wird.
Peter Webers bester und einziger
Freund während seiner Kindheit war das Netteli. Der Hofhund. „Kochen
und mit den Hunden sein, das sind die zwei Dinge, die ich kann“, sagt
Peter Weber heute.
Was geschieht, als er aufbricht,
den Hof von damals zu besuchen, wie sich Historiker das
Verdingkinderwesen erklären und wie Weber heute mit seinem Hund Rambo
lebt, lesen Sie in der Ganzen Geschichte „Das dunkle Tal seiner
Kindheit“ in der sonntaz vom 17. März 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
21.03.2012 08:28 | Godi Brunner
Ich bin auch ein Betroffener jetzt 81jährig. Mein gekürzter Lenemslauf auf netzwerk-verdingt.ch unter Zeitzeugen ersichtlic ...20.03.2012 00:08 | Peter Wyss
Fuer weitere Zeitzeugenberichte lesen sie auch hier18.03.2012 19:25 | gesche
ich habe inzwischen den vollständigen Artikel der Printversion gelesen, er ist schwer zu ertragen. Wie dieser kleine Junge ...- Kommentar schreiben >
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen