Inhaltsübersicht
Zusammenfassung - Abstract
1 Einführung: A-Allgemeine und B-Bezugspersonen-Bindungstheorie
Übersicht zu den allgemein schwer verständlichen Bindungs-Phänomenen
1.1 Entwicklungs-Zeit-Phänomen im Bindungsaufbau
1.2 Entwicklungs-Zeit-Phänomen im Bindungsabbau
1.3 Bedürfnis-Paradox
1.4 Täter-Opfer Bindungsparadoxie (u. a. Stockholm-Syndrom)
1.5 Norm-Wert-Personen-Paradoxie (Ute- und Mafia-Syndrom)
1.6 Differentialpsychologisches Phänomen
1.7 Veränderungs-Paradox: Tradition und Wandel
1.8 Therapeutisches Paradox
2.1 Die Bezugspersonen-Bindungstheorie
2.1.1 Geno-und Phänotyp-Paradoxie beim unsicher-vermeidender Bindung
2.1.2 Einseitige und teilweise problematische Bewertungen
2.1.3 Therapeutische Norm Sichere Basis, sichere Bindung
2.2 Allgemeine Bindungstheorie
2.2.1 Grundannahmen und Forschungshypothesen allgemeiner Bindungerscheinungen
2.2.2 Diskussion der Grundannahmen oder Grund-Hypothesen
3 Allgemeine und Bezugspersonen Beispiele zu Bindungsphänomenen
3.1 Beispiel: Die Bindung an Normen, Werte, Ideale
3.2 Beispiel: Omertà oder Die Fähigkeit ein Mann zu sein
3.3 Beispiel: Mordversuch nach Trennungskränkung
3.4 Beispiel: Der Puppen Tanz eines Minus-Mannes
3.5 Beispiel: Wiederholungszwang bei Gewalt- und Mißbrauchserfahrung
3.6 Beispiel: Pack-schlägt-sich-Pack-verträgt-sich-Syndrom
3.7 Beispiel: Prostitution
3.8 Beispiel: Das Stockholm-Syndrom
3.9 Beispiel: Gefahr, Affekterregung und Beziehungsaufnahme
3.10 Beispiel: Liebe auf den ersten Blick
3.11 Beispiel: Sexuelle Erregung von ersten Augenblick an
3.12 Beispiel: Vollständige Abwendung eines Kindes von einem Elternteil: PAS?
3.13 Die Abwendung der Kumari von ihren Eltern (Nachtrag 25.8.6)
Schlußbemerkung.
Zusammenfassung
- Abstract
Diese Ausarbeitung diente der Aufklärung von Bindungs-Paradoxa, pathologischen Bindungen und schwer verständlichen Bindungs-Phänomenen auch im Alltag. Es wurde zunächst dargelegt, daß die Bedeutung des Bindungsbegriffs etymologisch und in der Wissenschaft vom Menschen ältere Rechte, umfassendere und weitergehende Bedeutungen enthält als die viel jüngere Bezugspersonen- Bindungstheorie in der Tradition Bowlbys [1]. Es wurde daher eine Allgemeine A-Bindungstheorie neben der speziellen B-Bezugspersonen-Bindungstheorie vorgeschlagen, die alle Arten und Formen von Bindung und Beziehung umfaßt, einschließlich an Objekte (auch "Übergangsobjekte" wie Puppen oder Kuscheltiere), an Normen, Werte, Umgebungen, Verhalten und Gewohnheiten. Für die Allgemeine A-Bindungstheorie wurden fünf Grundannahmen bzw. Forschungshypothesen entwickelt, die neben der B-Bezugspersonen- Bindungstheorie zur Erklärung von schwer verständlichen Phänomenen auf 12 Beispiele - von der Mafia zur Liebe auf den ersten Blick, vom Stockholm- zum PAS-Syndrom - aus der Forschung, Kasuistik und Literatur angewendet werden. Die Allgemeine A-Bindungstheorie beinhaltet folgende Grundannahmen: (1) Grundformel- Hypothese: Bindung (A,B) = f (Affekt, Stärke, Dauer, Häufigkeit, X). In Worten: Die Bindung, die A an B in dem geordneten Paar A,B hat, ist eine Funktion der Affekte, die A gegenüber B erlebt, ihrer Stärke (Intensität), ihrer Dauer, ihrer Häufigkeit und anderer Faktoren X. Anmerkung: Die Bindung zwischen A und B ist natürlich nicht unbedingt symmetrisch. (2) Dominanz-Hypothese: Stärkere Bindungen dominieren schwächere. Wichtig: Stärkere Bindungen sind nicht automatisch bessere. (3) Unbewußt- Hypothese: Bindungsprozesse erfolgen - gewöhnlich oder meist - unbewußt. (4) Die Kummulierungs- Hypothese: Bindungselemente können zu Bindungsbereitschaften kummulieren und de-kummulieren. (5) Schwellenreiz-Hypothese: Werden bestimmte Schwellenwerte überschritten, können kummulierte Bindungsbereitschaften unter geeigneten Bedingungen und Schlüsselreizen ausgelöst werden. |
1 Einführung: A-Allgemeine und B-Bezugspersonen-Bindungstheorie
Praktische Definition: Unter eine pathologischen Bindung verstehe ich eine Bindung, die aus eigener Kraft sehr schwer zu lösen und überwiegend leidvoll nach dem Ziel- und Wertesystem des pathologisch Gebundenen ist (z. B. Abhängigkeit, ausgeliefert und hilflos gegenüber Mächtigeren sein, Dressur, Abrichtung, Hörigkeit, Sucht und der Grenzbereich überwertige Strebungen, Neigungen und Abneigungen).
Der Mensch kann sich an fast alles binden. An Menschen, an Umgebungen, an Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Stoffe (Ernährungsgewohnheiten, Genußmittel, Sucht). Als wichtige Bindungen werden gewöhnlich und auch zurecht die zu Bezugspersonen und anderen Menschen angesehen. Das ist aber nur eine Perspektive und sicher weder dem herkömmlichen Sprachgebrauch(2) noch den Wissenschaften vom Menschen und auch nicht dem allgemeinen Forschungsgegenstand der Bindungs- und Beziehungsforschung angemessen. Als erstes möchte ich daher vorschlagen, zwischen einer A- und B-Bindungstheorie zu unterscheiden. Mit A-Bindungstheorie bezeichne ich die allgemeine Bindungstheorie, die sich mit allen Formen und Arten von Bindungen beschäftigt. Und B-Bindungstheorie heiße die Bezugspersonen-Bindungstheorie in der Tradition der großen BezugspersonenbindungsforscherInnen, ich nenne stellvertretend Mary Ainsworth, John Bowlby, K. u. K. Grossmann und Mary Main. Aus der Perspektive und Tradition der Bezugspersonen- Bindungstheorie interessieren im Rahmen meines Themas denn auch in erster Linie pathologische Bindungsbeziehungen zu den Mitmenschen, aber nicht nur:
Menschen gehen in ein Milieu zurück, wo sie geschlagen, entwürdigt und ausgebeutet werden, obwohl niemand sie zwingt (z. B. Frauenhausnutzerinnen, Prostituierte, Kriminelle, aber auch scheinbar ganz "normale" Menschen aus scheinbar ganz "normalen" Familien). Wie kann man diese Täter- Opfer- Bindungen verstehen? Menschen binden sich an andere in einer Art und Weise, daß sie jede Kontrolle verlieren (Hörigkeit, Abhängigkeit) und überwiegend unglücklich leben und meist leiden. Wie ist das zu verstehen, wie erklärbar? Da begegnet ein Mensch einem anderen und ist in Sekundenschnelle und völlig an den anderen gebunden und ebenso schnell kann diese Verliebtheitsbindung von einem Tag zum anderen wieder verschwunden sein. Von heute auf morgen, scheinbar ohne jegliche Entwicklung wendet sich ein Kind von einem Elternteil und dessen Bezugssystem vollständig ab und sieht und akzeptiert nur noch einen Elternteil und dessen Bezugssystem (PAS). Ein einziges kleines Merkmal genügt zuweilen, um eine heftige Leidenschaft, sei es Liebe, sei es Eifersucht, sei es Haß, auszulösen. Wie sind solche pars pro toto - den Teil für Ganze nehmen - Phänomene versteh- und erklärbar? Und wir fragen uns: wie gut können uns die A- und B-Bindungstheorie diese Phänomene verständlich machen und erklären? Wie können wir damit praktisch arbeiten und therapeutisch damit umgehen? Können wir es überhaupt - schon?
Übersicht zu den allgemein schwer verständlichen Bindungs-Phänomenen
1.1 Entwicklungs-Zeit-Phänomen im Bindungsaufbau
Die Entwicklung einer Bindung braucht einerseits Zeit und scheint andererseits schlag- und quasi-prägungsartig erfolgen zu können. Das Entwicklungszeitspektrum reicht von plötzlich, augenblicklich bis hin zu Jahre dauernden Prozessen.
1.2 Entwicklungs-Zeit-Phänomen im Bindungsabbau
Die Verarbeitung einer Trennung bei Bindung braucht Zeit, wie sind dann PAS-artige (Beispiel 12) Phänomene verstehbar, wo scheinbar von heute auf morgen Angehörige aus dem Bindungsraum 'gestrichen' werden? Wie ist schlagartiges Erlöschen von Liebe, Sympathie, Freundschaft und darin implizierte Bindung erklärbar? Auch hier reicht das Rück-Entwicklungszeitspektrum von plötzlich, augenblicklich bis hin zu Jahre dauernden Prozessen.
1.3 Bedürfnis-Paradox
Bindung resultiert aus Befriedigung, wieso bindet sich dann jemand an Personen, die ihm diese Befriedigung gerade nicht zu geben scheinen? Mary Main in Glogel-Tippelt, Gabriele (2001, Hg., S. 7): "Kleinkinder, die eine Bindung zu mißhandelnden oder einfach nicht hinreichend feinfühligen(3) Bindungspersonen aufgebaut haben, können nicht als 'weniger gebunden' als andere Kinder bezeichnet werden." Eine Steigerung dieses Phänomens ist die:
1.4 Täter-Opfer Bindungsparadoxie (u. a. Stockholm-Syndrom)
Bindungsverhalten wird in bedrohlich erlebten Situationen aktiviert und zielt auf Schutz und Fürsorge. Das ist der Kern der traditionellen Bezugspersonen-Bindungstheorie. Wie kann man dann erklären, daß Menschen in Situationen und Verhältnissen verharren bzw. diese wieder aufzusuchen bestrebt sind, wo eben genau dieser Schutz und die Fürsorge nicht gewährt werden? Wie kann man dann verstehen, daß in Situationen, die äußerst gefährlich und bedrohlich sind, gerade zu den Verursachern und Herstellern der Gefahr und Bedrohung eine Bindung aufgebaut wird?
1.5 Norm-Wert-Personen-Paradoxie (Ute- und Mafia-Syndrom)
Wie lassen sich die extremen Bindungen an Normen und Werte, denen Bindungen an nahe Bezugspersonen (Mafia-Syndrom), ja sogar die Bindungsbeziehung zu sich selbst (Ute-Syndrom) untergeordnet und sogar geopfert werden?
1.6 Differentialpsychologisches Phänomen
Die Bewältigungs- und Vulnerabilitäts-Unterschiede bei Trennungen von Bindungshauptpersonen ist bei den einen ein schwerwiegendes Trauma, das die ganze Lebensqualität und Lebensperspektive nachhaltig erschüttern und zu schweren bio-psycho-sozialen Störungen führen kann, andere gehen anscheinend unbeeinträchtigt daraus hervor.
1.7 Veränderungs-Paradox: Tradition und Wandel
Einerseits sollen die Bindungsstile durch Tradition sozial vererbt und weitergegeben werden, andererseits bestehen deutliche und klare Möglichkeiten von Veränderungen des Bindungsbeziehungsverhaltens und der eigenen Persönlichkeit.
1.8 Therapeutisches Paradox
Wie sollen Bindungen, die Jahrzehnte durch Hunderttausende von Erfahrungen und Erlebnissen geprägt wurden, durch 50 - 100 Stunden Therapie verändert werden? Obwohl wir ziemlich sicher wissen, daß es geht und auch einigermaßen gut angeben können, wie es geht, wissen wir noch kaum, warum das funktioniert.
2.1 Die Bezugspersonen-Bindungstheorie
Die Bezugspersonen-Bindungstheorie ist im wesentlichen eine Schutz- und Sicherheitstheorie für das Kleinkind. Aus der Fremden Situation ergaben sich mittlerweile vier Bindungsmuster ABCD(4). Bowlby postulierte ein frühes (archaisches) und ein aktuelles Bindungssystem und entwickelte das wichtige Konzept des Inneren Arbeitsmodelles für Bindung, unter dem man sich am besten ein transaktionsanalytisches Skript vorstellt. Außerdem kommt ihm natürlich das Verdienst zu, die Bezugspersonen-Bindungstheorie für die Therapie erschlossen und ihre klinische Nutzung verstärkt gefordert zu haben. Nun, die Bezugspersonen-Bindungstheorie ist nicht unproblematisch, weil sie meines Erachtens zu sehr auf ihren Ursprung, die Fremde Situation mit einer Bezugsperson reduziert und fixiert ist. Hierbei wird nicht selten übersehen, daß die Fremde Situation nur für den Zeitraum 12 - 18.Monate Gültigkeit hat(5). Und daher wundert es auch nicht, daß die Bezugspersonen-Bindungstheorie um so weniger erklärt auf je mehr Erscheinungsformen und Fragestellungen sie angewendet wird, besonders für das Erwachsenenalter. Außerdem gibt es in der Bezugspersonen-Bindungstheorie selbst eine Reihe von schwer verständlichen Phänomenen, nämlich:
2.1.1 Geno-und Phänotyp-Paradoxie bei unsicher-vermeidender Bindung oder der Widerspruch zwischen äußerer und innerer Bindungsreaktion.
Obwohl bei unsicheren Kindern bei Trennung innere Bindungsindikatoren anzeigen, daß sie reagieren, wird von diesen Kindern oft so gesprochen, als ob das fehlende äußere Bindungsverhalten keine Bindungsreaktion bedeute. Auch unsicher-vermeidende Kinder zeigen eine physiologisch meßbare Reaktion (Herzfrequenz, Cortisolspiegel(6)) in belastenden Trennungssituationen, sie reagieren nicht nicht, sondern anders. Der unsicher-vermeidende Bindungsstil wird also wesentlich dadurch charakterisiert, daß kein Bindungsverhalten gezeigt wird, obwohl innerliche Bindungsprozesse stattfinden.
2.1.2 Einseitige und teilweise problematische Bewertungen
- Der sichere Bindungsstil wird idealisiert, obwohl die unsicheren Bindungsstile als normale Adaptationsmuster angesehen werden (Brisch 1999, Seite 77 und 83).
- Offenes Ausdrucksverhalten und Zeigen innerer Befindlichkeit erhält eine salutogene Bedeutung, obschon andererseits Beherrschung und Selbstkontrolle auch als allgemeine Erziehungswerte angesehen werden.
- Probleme gibt inzwischen auch die geringe Varianzaufklärung des Konzeptes der Feinfühligkeit auf (De Wolff & van IJzendoorn 1997; Brisch 1999 Seite 49).
2.1.3 Therapeutische Norm Sichere Basis, sichere Bindung(7)
Die Normvorgabe scheint sowohl berufsethisch als auch therapiemethodisch problematisch. Diese Forderung kann nämlich für all diejenigen PatientInnen u. U. gefährlich sein, weil therapieabbruchfördernd, die mit sicheren Basen gar nicht richtig umgehen können. Außerdem wird hier die sichere Bindung ohne kritische Reflexion der PatientIn einfach normativ übergestülpt. Es ist auch fraglich, ob eine solche Forderung z. B. in 50 - 100 Therapiestunden überhaupt erfüllbar ist. Vom allgemeinen Bindungstheorie-Standpunkt aus würde ich die Forderung lieber so formulieren, daß ein patientInnen-angemessener therapeutischer Beziehungsrahmen angeboten wird.
2.2 Allgemeine Bindungstheorie
Die Allgemeine Bindungs- und Beziehungsforschung - wie ich sie seit über 20 Jahren für meine psychologisch-psychotherapeutische und forensische Praxis anwende -, geht für eine kindeswohlangemessene Kindheit für die Erziehung von folgendem aus: Erziehung läßt sich im wesentlichen durch die grundsätzliche Erziehungs-Haltung, die Erziehungs-Ziele und durch die Erziehungs-Methoden und -Mittel kennzeichnen. Mit Erziehungshaltung meinen wir die grundlegende Einstellung und Haltung dem Kinde gegenüber. Hierbei ist besonders wichtig:
Der Bereich der Erziehungsziele ist sehr stark von weltanschaulichen und persönlichen Wertvorstellungen geprägt. Es ist daher sehr wichtig, die Orientierungskriterien sehr allgemein und überweltanschaulich zu fassen(8); hierzu zähle ich: (1) Gesundheit; (2) Lebensfreude; (3) Selbstentfaltung; (4) Selbstvertrauen; (5) Selbstbehauptung; (6) Anpassungsfähigkeit; (7) Leistungsfähigkeit, Arbeitsfähigkeit und Lernbereitschaft; (8) Ausdauer, Geduld und Durchhaltevermögen; (9) Liebes- und Kontaktfähigkeit; (10) Entspannungs-, Erlebnis- und Genußfähigkeit; (11) Realitätsvermögen; (12) Zufriedenheit als Ausdruck persönlichen Wohlergehens. Und schließlich spielen die Erziehungsmittel eine wichtige Rolle: Varianten und Formen von Lohn & Strafe, Erziehungsstil, anleiten, vorgeben, reagieren, bitten, fordern, verlangen, Anreize, verhandeln, vormachen usw. Ich möchte nun die 5 Grundannahmen einer allgemeinen Bindungstheorie vorstellen mit deren Hilfe wir die allermeisten schwer verständlichen Phänomene und Paradoxien verstehen und erklären können:
- 1) wertschätzen & mögen (lieben),
- 2) einfühlen & verstehen,
- 3) klar & konsequent sein, ohne in Starrheit zu verfallen,
- 4) Grenzen setzen (mit Geboten und Verboten orientieren),
- 5) anregen & fördern,
- 6) angemessene, keine überzogenen Ansprüche an das Kind richten,
- 7) Vorbild & Modell sein.
2.2.1 Grundannahmen und Forschungshypothesen allgemeiner Bindungserscheinungen
(1) Grundformel-Hypothese: Bindung(A,B) = f (Affekt, Stärke, Dauer, Häufigkeit, X). In Worten: Die Bindung, die A an B in dem geordneten Paar A hat, ist eine Funktion der Affekte, die A gegenüber B erlebt, ihrer Stärke (Intensität), ihrer Dauer, ihrer Häufigkeit und anderer Faktoren X. Anmerkung: Die Bindung zwischen A und B ist natürlich nicht unbedingt symmetrisch.
(2) Dominanz-Hypothese: Stärkere Bindungen dominieren schwächere. Wichtig: Stärkere Bindungen sind nicht automatisch bessere.
(3) Unbewußt-Hypothese: Bindungsprozesse erfolgen - gewöhnlich oder meist - unbewusst.
(4) De/ Kummulierungs-Hypothese: Bindungselemente können zu Bindungsbereitschaften kummulieren und de-kummulieren.
(5) Schwellenreiz-Hypothese: Werden bestimmte Schwellenwerte überschritten, können kummulierte Bindungsbereitschaften unter geeigneten Bedingungen und Schlüsselreizen ausgelöst werden.
2.2.2 Diskussion der Grundannahmen oder Grund-Hypothesen
(1) Die Grundformel-Hypothese ist für mich schwierig innerlich und mental zu "verdauen", weil die Affekte kein positives Vorzeichen haben. Es sträubt sich etwas in mir, zur Kenntnis zu nehmen, daß negative Affekte Bindung erzeugen sollen, obwohl alle empirischen Befunde dafür sprechen. Ich habe selbst heute, nach über 20 Jahren Nachdenken und vielfältigen Praxis-Erfahrungen meine Schwierigkeiten mit dieser Grundformel-Hypothese. In der Formel sind nun folgende Spezialfälle enthalten: Sehr kurze, aber sehr starke oder intensive Affekte können Bindung erzeugen ebenso wie weniger starke aber intensive, dafür aber sehr lange dauernde oder häufig wiederkehrende. Dauer und Häufigkeit sind die Parameter für Gewöhnung und Gewohnheit.
(2) Die Dominanz-Hypothese ist sehr wichtig, weil wir Menschen ununterbrochen in affektiven Ambi- und Multivalenzkonflikten stecken: Wir mögen einerseits und andererseits nicht und müssen ständig Entscheidungen treffen, wobei wir meist natürlicherweise auch Nachteile in Kauf nehmen und zugleich auf bestimmte Vorteile verzichten müssen. Die Dominanz-Hypothese erklärt zugleich, weshalb echte Ambivalenzkonflikte häufig mit Nichtentscheidungen, Warten und Verharren einhergehen. Sind zwei Bedürfnisse, Motive oder Interessen annähernd gleichwertig, so geht es uns unter Umständen wie Buridans-Esel: wir können uns nicht entscheiden, tun nichts und verlieren sowohl die eine als auch die andere Möglichkeit an Bedürfnis-, Motiv- oder Interessenbefriedigung. Viele Entscheidungen in affektiv konfliktträchtigen Situationen können nicht verstanden und erklärt werden, wenn es keine Entscheidungsregel gibt. Wichtig ist natürlich, zu beachten, daß stärkere Bindungen keineswegs die qualitativ besseren zu sein brauchen und oft auch nicht sind.
(3) Auch die Unbewußt-Hypothese ist sehr wichtig, vor allem auch im Zusammenhang mit (4) und (5). Aber sie ist von jedem Menschen grundsätzlich nachprüfbar: wir spüren und wir merken allermeistens nicht, wie sich Bindung in uns aufbaut und entwickelt: das widerfährt uns, "ES" geschieht im wahrsten Sinne des Wortes.
(4) Auch die Kummulierungs-Hypothese ist sehr wichtig. Sie besagt, daß sich Bindung quantitativ aufbauen bzw. abbauen kann und impliziert von daher auch eine Quantifizierungshypothese, d. h. (1) daß es Bindungsquanta gibt und (2) daß man unterschiedlich stark gebunden sein kann. Im Zusammenhang mit (3) ist der Auf- bzw. Abbau von Bindungsbereitschaften, wenn sich Bindungsquanta sozusagen anhäufen oder vermindern, möglich. Damit werden mit (5) zusammen plötzliche (sog. "spontane" und augenblickliche) Bindungsphänomene erklärbar und verstehbar. Viele Beziehungs- und Bindungsphänomene sind nur als Entwicklungsprozesse verständlich. Das erklärt aber noch nicht, wieso Bindungs- und Beziehungsentscheidungen sich gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem sie geschehen, ereignen. Erklären und verstehen wird dann möglich, wenn wir annehmen, daß es (5.1) Schwellenwerte, (5.2) geeignete Bedingungen und (5.3) entsprechende Schlüssel- oder Auslösereize gibt. Im Alltag kennt jeder Situationen, die mit Redewendungen wie: "der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte" oder "das war das Tüpfelchen aufs i" gekennzeichnet werden.
In der Wissenschaft, in Biologie, Physiologie und Technik gibt es zahlreiche Schwellenphänomene und -modelle. Mit (1) bis (5) können wir wohl die meisten scheinbaren "Spontan"-Phänomene wie Verlieben, Entlieben, Abwenden (PAS), Hörigkeit, augenblickliches Verfallensein usw. erklären und verstehen.
Betrachten wir das zwischenmenschliche Sozialleben genau, so finden wir zahlreiche Phänomene, für die die Bezugspersonen-Bindungstheorie in der Tradition Bowlby, Ainsworth, K. u. K. Grossmann und Main gar nicht oder nicht ausreichend paßt aber unsere Hypothesen einen hinreichenden Erklärungswert haben. Es geht hier nicht darum, die Bezugspersonen-Bindungstheorie zurückzuweisen oder zu entwerten, sondern um die schlichte Tatsache, daß man mit den ABCD-Bindungsmustern der Bezugspersonen-Bindungstheorie vieles nicht erklären und verstehen kann. Sie muß daher entweder erweitern oder ihre Inselposition aufgeben und sich mit der Motivations-, Einstellungs-, Sozial-, Lernpsychologie und Psychopathologie verbinden.
3 Allgemeine und Bezugspersonen Beispiele zu Bindungsphänomenen
Betrachten wir nun einige Beispiele aus dem weiten Feld pathologischer Bindungen und sehen wir, was die beiden Bindungstheorien hiervon erklären können.
3.1 Beispiel: Die Bindung an Normen, Werte, Ideale
Ist dieser Ute-Indianer nun sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend oder desorganisiert gebunden?
Die enorme Bedeutung, die Werte und Wertorientierungen im Sozialverhalten spielen, an die ganz offensichtlich mehr oder minder starke Bindungen bestehen können, weisen über den Erklärungswert der Bezugspersonen-Bindungstheorie weit hinaus.
Diskussion: Das Verhalten dieses Ute-Indianers kann man nicht verstehen, wenn man nicht zweierlei unterstellt: eine starke Bindung an das Gesetz, sonst hätte er den Befehl seines Vorgesetzten verweigert, und eine sehr starke Bindung an die Normen seines Stammes, sonst hätte er sich nicht selbst getötet.
Betrachten wir hierzu noch das eindrucksvolle Beispiel der mafiosen Gegenwelt, die uns den Zugang zu Gewaltbeziehungen verständlicher machen kann. Bindungstheoretisch ist die Norm zu verstehen:
"Vater oder Bruder müssen erstens Tochter oder Schwester töten und zweitens den Schänder oder Liebhaber."Bevor Sie weiter lesen: Was meinen Sie, kann ein Mafiosi, der seine Mutter tötet, weil sie geschändet wurde, eine sichere Bindung zu ihr gehabt haben? Ich folge nun in der Darstellung der Mafia-Kultur dem derzeit führenden Mafia-Forscher Pino Arlacchi:
3.2 Beispiel: Omertà oder Die Fähigkeit ein Mann zu sein(10)
"Die Mafia ist ein Verhalten und eine Macht, nicht eine formale Organisation. Sich auf mafiose Weise zu verhalten bedeutet, sich ehrenhaft [onorevole] zu verhalten, und zwar in einer Weise, die den Regeln von Mut, Schlauheit, Grausamkeit und der Anwendung von Raub und Betrug entspricht, wie sie noch in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts eine entscheidende Rolle in der Kultur vieler Gebiete Westsiziliens und Südkala[<29]briens spielten. ...
Bis vor einigen Jahrzehnten gebrauchte die Mehrheit der Bevölkerung der Provinz von Reggio Calabria das griechische Wort 'ndrangheta, um eine erhabene Ordnung von Heldentum und Tugend zu benennen, die von einer Elite überlegener Männer, den 'ndranghetisti, verkörpert wurde. 'Ndranghetista heißt "Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft", aber ganz allgemein bezeichnet es - wie im klassischen Griechenland - jeden tüchtigen und kühnen Mann, der das Risiko verachtet und skrupellos zu allem entschlossen ist [FN03]. Die Ideologie des 'ndranghetista besteht in der omertà, und das heißt in der Fähigkeit, ein Mann zu sein. Sich an die Regeln der omertà zu halten bedeutet, einem System von Doppelmoral anzuhängen: dieses besteht unter Mitgliedern der eigenen Gruppe und gilt unter entgegengesetztem Vorzeichen für die Beziehungen mit den anderen [FN04]. Es bedeutet, "den guten Takt, die schönen Manieren, die Erziehung, die Höflichkeit, die Güte, die Überzeugung mit Argumenten und ohne Zwang" in den Beziehungen zu den anderen 'ndranghetisti zu pflegen. Und der Gebrauch des gegensätzlichen Prinzips der falsa omertà, also der "geheuchelten Güte, Einwilligung, Höflichkeit und der unerwarteten Todesfalle für die Widerspenstigen ... für die Verleumder und Unwürdigen" in den Beziehungen zu den gemeinen Menschen und den Feinden [FN05]. ...
2. Die Ehre: Der wesentliche Inhalt des Begriffs der Ehre bezieht sich auf zwei grundlegende ideale Eigenschaften des Mannes und der Frau: die Mannhaftigkeit einerseits und die Jungfräulichkeit und sexuelle Scham andererseits. Die Mitglieder der lokalen Gemeinschaft, ausgenommen Personen der wirklich untersten Schicht, werden so angesehen, daß sie von Natur aus mit einem gewissen Grad an Ehrbarkeit ausgestattet sind. Aber in den Verhältnissen der Unsicherheit und des Wettstreites, die typisch für die Gesell-[<31]schaft sind, die die Mafiosi hervorbringt, können sowohl die Mannhaftigkeit (oder die dirittezza, die Eigenschaft "im Recht bleiben", was gleichbedeutend ist mit 'niemanden unterworfen zu sein') als auch die Jungfräulichkeit leicht verloren werden. "Mann sein ist das schwierigste Unterfangen in dieser unserer lausigen Existenz", ruft eine der Personen des Romans Il selvaggio di Santa Venere. [FN09]
In einem mafiosen Gebiet bedeutet, ein Mann zu sein, seinen Hochmut und seine Selbstsicherheit erkennen zu lassen und bereit zu sein, schnell und wirksam auf die Bedrohungen der eigenen Ehre und die der Familie zu reagieren, die zahlreich auf dem Kampfplatz des sozialen Lebens entstehen.: "Um in diesen Plätzen zu leben", erinnert sich Asprea in seiner autobiographischen Schrift, "mußte man, bevor man Bauer und Arbeiter war, ein Raubtier sein. Klug und respektvolI, aber bereit, denjenigen oder diejenigen mit den Zähnen zu packen, die einen Kampf provozierten." [FN10]
Mannhaftigkeit und Jungfräulichkeit-Schamhaftigkeit sind an einen widersprüchlichen Unterschied der Geschlechter gebunden, der weite Teile der mafiosen Kultur beherrscht. Er repräsentiert zwei in ständiger Opposition miteinander stehende Eigenschaften, wenn sie Personen zukommen, die miteinander nicht verwandt sind. Die Aufgabe des uomo di rispetto besteht darin,bei jeder Gelegenheit die eigene Männlichkeit zu beweisen, auch wenn dies Gewaltanwendung gegenüber Frauen und deren Entführung bedeutet.
Mannhaftigkeit und Jungfräulichkeit-Schamhaftigkeit ergänzen sich jedoch gegenseitig in Beziehung zur Ehre derselben Familie. Die Mannhaftigkeit der Männer jeder Familie schützt die Ehre der eigenen Frauen vor äußeren Bedrohungen und Beleidigungen. Andererseits müssen sich die Frauen unberührt und schamhaft verhalten, wenn die Mannhaftigkeit der Männer nicht entehrt werden soll.
In der begrenzten Kategorie der entscheidenden Güter für die Bestimmung des Grades der Ehrbarkeit des Individuums und der Gruppe stellen die Frauen etwas äußerst Kostbares dar. Sie sind überdies das kostbare Gut im wahrsten Sinne des Wortes, dessen Schutz eine ständige Wachsamkeit erfordert [FN11]. Den Frauen, die infolge besonders unglücklicher Umstände ohne Männer geblieben sind, die sie verteidigen, gelingt es nur schwer, eine geachtete und sozial angesehene Stellung zu erlangen. In der Mehrzahl der Fälle stürzen sie schließlich in die tiefsten Schichten der Gesellschaft hinab und übertragen die eigene Schande auf ihre Nachkommen.
Die weibliche Ehre bildet in den mafiosen Zonen das typischste Symbol der Unversehrtheit der Ehre der Familie. Ihre Zerstörung durch einen äußeren Feind hat die Funktion, den Schänder in eine Stellung der Überle-[<32]genheit zu versetzen. Dieser letztere hat seine Übermacht bewiesen, indem er eine mögliche schwache Stelle des Feindes ausgenutzt hat. Er hat gezeigt, in der Lage zu sein, ein Mitglied einer fremden Gruppe zu zwingen, eine geheiligte Loyalität zu verletzen, um seinen Willen zu befriedigen. Unter ähnlichen Umständen wird die Blutrache eine verbindliche Handlung. Vater oder Bruder müssen erstens Tochter oder Schwester töten und zweitens den Schänder oder Liebhaber. Auf die gleiche Weise muß ein Ehemann zuerst die ehebrecherische Frau töten und dann den Liebhaber. Die Nicht-Rache bedeutet den nicht wieder gutzumachenden Verlust jeglichen sozialen Ansehens und führt sehr oft zum Ausschluß aus der örtlichen Gemeinschaft der ehrbaren Individuen und privaten Gruppen. ..."
Vater oder Bruder müssen erstens Tochter oder Schwester töten und zweitens den Schänder oder Liebhaber.Wie ist der kulturell und gesellschaftlich in weiten Teilen des Volkes normativ verwurzelte frühere Mafiosi, der solches vollbringt, die Mutter oder die Schwester zu töten nun gebunden: sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend oder desorganisiert oder paßt die Bezugspersonen- Bindungstheorie hier nicht? Ohne Zweifel dürfte hier in den meisten Fällen auch bei den meisten Mafiosi ein sehr starker Ambivalenzkonflikt vorliegen: der Normkonflikt einerseits für das Wohlergehen der eigenen Familienangehörigen mitverantwortlich zu sein und andererseits diese für uns Außenstehende schwer verständliche Ethik.(11) Es ist klar, daß diese Tat, wenn sie denn vollbracht würde, nur dann erklärt werden kann, wenn man von den Grundannahmen die Dominanz-Hypothese zwischen unterschiedlichen normativen Bindungen als gültig erachtet. Natürlich gibt es auch unter den Mafiosi Fälle, wo der Mafiosi der mafiotischen Ethik untreu wird und die Mutter schützt, bzw. sich ambivalent nicht entscheiden kann und daher selbst liquidiert wird. Ich möchte nun auf ein Beispiel von Gewaltbeziehung eingehen, bei dem die Bezugspersonen-Bindungstheorie sehr überzeugend Pate gestanden haben könnte, obwohl der Autor die Bezugspersonen-Bindungstheorie gar nicht kennt, wie ich aus seinem Literaturverzeichnis folgere:
3.3 Beispiel: Mordversuch nach Trennungskränkung
Duncker (1999, S. 135f)(12) berichtet in seinem Buch "Gewalt zwischen Intimpartnern" im Fall 4 über einen Mordversuch infolge einer Trennungskränkung bei einem Macho-Mann: "Der Patient lernt das spätere Opfer kurz nach Ende seiner zweiten Ehe kennen. Nach ca. einem halben Jahr will die Frau sich von ihm wegen erheblicher Tätlichkeiten und übersteigerter Eifersucht trennen. ... Während sie auf dem Boden liegt, hockt er sich über sie, würgt sie mit beiden Händen, wobei er zwischendurch den Würgegriff lockert. Das Opfer wird für kurze Zeit ohnmächtig. Seine Handlungen begleiten Sätze wie, 'wenn ich dich nicht bekomme, dann bekommt dich auch kein anderer' und 'wenn die Polizei kommt, bringe ich mich selbst um'. Während dieser Handgreiflichkeiten klingelt es mehrfach massiv, so daß er im Handlungsablauf unterbrochen wird. In diesem Moment rennt das Opfer aus der Wohnung. Der Angeklagte läuft hinter ihr her, erreicht sie aber nicht." Die Vorbeziehungen sind durch Herrschsucht, Gewalt und Verkennung der eigenen Machtmöglichkeiten geprägt. "Er lernt mit 22 Jahren aufgrund einer Annonce eine erste Freundin kennen, die er zwei Jahre später heiratet und die ihn wiederum zwei Jahre später verläßt. Aus dieser Ehe entstammen zwei Kinder. Der Verlauf dieser Beziehung ist durch seine Versuche zu herrschen gekennzeichnet. ...
In der darauffolgenden Beziehung, die wiederum über eine Annonce zustande kommt und die auch zwei Jahre dauert, kommt es zur ersten Straftat. Auch hier hat er versucht zu herrschen. Die dominanten Tendenzen kommen allerdings erst in dieser Beziehung richtig zum Durchbruch, und er wird handgreiflich. Er hat auch Eifersuchtsgedanken, weil diese Freundin andere Männerbekanntschaften hat. Er meint, sie habe letztlich gar keinen eigenen Willen, nichts mehr zu sagen gehabt, er habe ihren Willen gebrochen. Die Frau trennt sich schließlich von ihm.
Die Vergewaltigungstat geschieht im Verlauf der ersten Beziehung nach dem Scheitern der ersten Ehe. Die Bekanntschaft mit dieser Partnerin steht noch sehr unter dem Eindruck der gerade vollzogenen Scheidung. Seine damalige Freundin ist ihm intellektuell und körperlich deutlich unterlegen. Im Verlauf dieser Beziehung spricht er stark dem Alkohol zu. Während er eines Nachts berauscht einschläft, hat seine Lebensgefährtin mit einem Wohnungsnachbarn auf der Wohnzimmercouch Geschlechtsverkehr. Dieses bemerkt der Patient. In der aggressiven Auseinandersetzung hierüber entwickelt er folgenden Plan: Zur Bestrafung will er vor ihren Augen mit einer anderen Frau geschlechtlich verkehren. Er setzt sie mit körperlichen und verbal aggressiven Mitteln unter Druck, ihm eine Frau zu besorgen, was sie vergeblich versucht. Während einer Autofahrt beschließen sie, eine Anhalterin mit in die Wohnung zu nehmen, um mit ihr, ggf. auch gegen ihren Willen, die beschlossene Handlung zu vollführen. Sie nehmen eine 18jährige Schülerin mit in ihrem Auto nach Hause und bedrohen sie derartig, daß sie letztlich nicht in der Lage ist, Widerstand zu leisten, sondern das Geschehen über sich ergehen läßt. Während dieser Handlung liegt die Partnerin auf dem Boden neben der besagten Couch. ...
Zur psychosozialen Vorgeschichte sei angemerkt: Der Patient ist das letzte von sechs Geschwistern, die Mutter war bei seiner Geburt 43, der Vater 49 Jahre alt. Oberflächlich betrachtet beschreibt er eine schöne Kindheit. Er ging nicht in den Kinder-[>138]garten, wurde regulär eingeschult, blieb zweimal sitzen und wurde mit 16 Jahren aus der 7. Klasse entlassen. In seiner ersten Lehrstelle wurde er schikaniert und hat diese nach vier Wochen aufgegeben. Er lebte dann bei seinen Eltern zurückgezogen, bis er zur Bundeswehr eingezogen wurde, dort entfernte er sich bei Befehlen einfach von der Truppe und wurde nach einem Jahr wegen Leistungsfunktionsstörungen entlassen. Bis zur Trennung von seiner ersten Frau hatte er unstet, aber durchgängig gearbeitet.
In der Therapie konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden: In der ersten Zeit der Kindheit wurde der Patient weitgehend von den Eltern vernachlässigt, nicht im Sinne einer aggressiven Abweisung, sondern im Sinne einer Überforderung der Mutter, die ihn häufig, auch wenn er schrie, im Bett liegen ließ, auf seine Bedürfnisse nicht einging, ihm nicht antwortete. Er war das lieblos im Bett gelassene Ding. In der präpubertären Zeit begannen die Schulschwierigkeiten. Er antwortete auf die Anforderungen der Lehrer mit einem gleichartigen Verhalten des Rückzuges. Wie seine Mutter seine Bedürfnisse nicht beachtete, als er klein war, so kehrte er hier den Mechanismus um. Die als Bedürfnisse der Lehrer empfundenen Anforderungen, die später die Anforderungen des Lehrherrn oder der Vorgesetzten bei der Bundeswehr wurden, beantwortete er mit dem Rückzug ins Bett. Auch hier wurden ihm seitens der Eltern keine Grenzen gesetzt. Während der Schule ließ man ihn im Bett, ebenso während der Lehre und in der Zeit bis zur Einberufung zur Bundeswehr. Es gab auf seinen Rückzug keinen Kommentar, keine Begrenzung, keine Antwort, sondern die Wiederholung der einfachen Ignoranz."
Die Bezugspersonen-Bindungstheorie würde hier ziemlich klar einen unsicher-vermeidenden Bindungstyp erkennen. Da aber der unsicher-vermeidende Bindungstyp als normales Adaptationsmuster (Brisch 1999, S. 77 u.83) angesehen wird, reicht diese Zuordnung keineswegs aus, um das gewissenlose und soziopathische bzw. antisoziale Verhalten dieses Mannes zu erklären. Der extreme antisoziale Narzißmus reicht wahrscheinlich weit in die Psychopathologie hinein und kann hier nicht hinreichend erklärt werden.
Auch der folgende Fall aus der Serie der Minus-Mann, kann in wichtigen Hintergrund-Aspekten durch die Bezugspersonen-Bindungstheorie nicht hinreichend gut verstanden und erklärt werden:
3.4 Beispiel: Der Puppentanz eines Minus-Mannes(13)
"Im Zeichen des Krebses wurde ich 1943 geboren. Mein Vater war Diplom-Ingenieur, meine Mutter eine verwöhnte Tochter aus gutbürgerlichem Hause, .... Ich wurde zum Gespött der anderen Kinder unserer Wohngegend und meiner Mitschüler, denn ich war spindeldürr, käseblaß und mußte Sommer wie Winter kurze Hosen tragen, dazu in der kälteren Jahreszeit lange Wollstrümpfe und Strapsgürtel. ... Es war wirklich eine gottserbärmlich arme Kindheit - erlebt in München-Neuhausen.
... Schläge und Prügel waren zu Hause nahezu 'mein tägliches Brot'. Bisweilen wurden dazu auch ein Kochlöffel oder das Rührholz des Waschbottichs benutzt. Nach solchen Strafaktionen sperrte ich mich immer ins Badezimmer und weinte bitterlich. Ich kühlte meine Blessuren unter dem Wasserhahn und spürte das ohnmächtige Gefühl, ein hilfloses Kind zu sein. ...
Nachdem ich eine Freundin meiner Schwester beim gemeinsamen Seilspringen der Mädchen zu Fall gebracht hatte, mußte ich, waren die Freundinnen meiner Schwester bei uns zu Besuch, auf scharfkantigen Holzscheiten knien, wobei mein Vater die ganze Schar anspornte, mich auszulachen. Klar schämte ich mich damals mit meinen neun Jahren ungeheuerlich. Und ganz, ganz langsam dämmerte etwas in mir auf, ein vages Gefühl zunächst, eine Empfindung, die ich nicht zu deuten vermochte. Und dennoch war es wie eine Verheißung, die meine kindliche, gedemütigte Seele stärkte. Mit jedem Lebensjahr wuchs dieses Gefühl mehr in mir und reifte schließlich zur Gewißheit. Und ich schwor mir, daß der Tag kommen wird, wo kein Mensch mich mehr auslacht, kein Mensch mich demütigen, mich niemand mehr schlagen wird."
So war die Laufbahn vorgezeichnet: Ausgerissen, Kripo, Erziehungsanstalt, Halbwelt, Kriminalität, 12 Jahre Gefängnis."
Der Bezugspersonen-Hintergrund ist hier nicht hinreichend durch Nicht-Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes und damit mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil erklärbar. Denn hier ist mehr geschehen als Bedürfnisignoranz, hier ist offen aggressiv, ja sadistisch Schmerz und Leid zugefügt worden. Die Selbstwert- und Autonomiesuche in persönlich-körperlicher Stärke ist sehr verständlich und bei diesem Erfahrungshintergrund in gewisser Weise auch gesund.
3.5 Beispiel: Wiederholungszwang bei Gewalt- und Mißbrauchserfahrung(14)
Der Polizeipsychologe Uwe Füllgrabe zitiert im Polizeimagazin in seiner Arbeit über "Die Beziehungsfalle: Warum Frauen bei einem Mann bleiben, der sie schlägt" die Burnout-Forschung mit Pines, die das Burnout-Phänomen auch auf Liebesbeziehungen anwendet. "Das Burnout-Syndrom, das häufig in Berufen zu finden ist, wo starke zwischenmenschliche Belastungen und Enttäuschungen auftreten (Polizei, Ärzte, Sozialarbeiter usw.), besteht aus dem Gefühl des Ausgebranntseins, Erschöpfung, geringer werdender Selbstachtung, der Meinung, man könne doch nichts bewirken und verändern.
Als Grund für Burnout sieht Pines (1989, S. 41) das Zusammenwirken unrealistischer Erwartungen und äußerer Belastungen an. Wie selbstzerstörerisch romantische Bilder dabei sein können, beschreibt Pines (1989, S. 53 f.) an folgendem Beispiel: 'Eine Frau, die von ihrem Vater als Kind geschlagen und sexuell mißbraucht wurde, war dreimal verheiratet - jedesmal mit einem gewalttätigen Mann, der sie regelmäßig prügelte und vergewaltigte. Als es ihr gelang, von ihrem dritten Mann loszukommen und sich in einem Frauenhaus erholte, lernte sie einen netten Mann kennen, der warm und liebevoll war und anbot, für sie zu sorgen. Sie widersetzte sich seinen Annäherungsversuchen und sagte, daß er 'langweilig' sei und 'in der Beziehung kein Funke war'. Es schien, als ob die Frau damit ausdrücken wollte, daß es für sie nur einen Funken geben könnte, wenn der Mann ein potentieller Körperverletzer war wie ihr Vater.'"
Auch dieses Beispiel zeigt mehr als einen Bezugspersonen-Hintergrund, der Bedürfnisse "nur" unangemessen ignoriert oder unregelmäßig befriedigt. Hier sind sicher sehr negative Affekte sehr intensiv, sehr lange und sehr oft erzeugt worden, es liegt sozusagen eine Negativ-Bindung vor. Das Opfer meidet auch keine Bindungsfiguren, sondern sie sucht ja aktiv - nach dem Muster eines Wiederholungszwanges - immer wieder solche Männer aus, die die frühe väterliche Erfahrung erneut herbeiführen. Am ehesten könnte aus der Bezugspersonen- Bindungstheorie eine Kombination aus ambivalenter und desorganisierter Bindung zur Deskription herangezogen werden. Aber so wenig wie die Abwehrmechanismen Introjektion, Identifikation und Identifikation mit dem Aggressor etwas erklären, so wenig erklärt die Bezeichnung Wiederholungszwang die Phänomene, weil es bloß deskriptive Begriffe sind, die sich zwar gut zu Beschreibungen eignen, aber nichts erklären. Ähnlich ist mit den Klassifikationen der Bezugspersonen- Bindungstheorie.
Schwer verständliches Beziehungsverhalten scheint auch im folgenden Beispiel auf:
3.6 Beispiel: Pack-schlägt-sich-Pack-verträgt-sich-Syndrom(15)
Nochmals Füllgrabe: "Vor einiger Zeit kritisierte das Frauenjournal ML-Mona Lisa, daß Polizeibeamte Frauen nicht genügend schützen, die von ihrem Mann geschlagen werden. Abgesehen von der Tatsache, daß überhaupt keine juristischen Konsequenzen für den Mann auftreten, sobald die Frau keine Anzeige gegen den Mann erstattet oder diese sogar wieder zurückzieht, trifft der Polizist relativ häufig und unerwartet auf einen Verbündeten des schlagenden Mannes: die von ihm vorher geschlagene Ehefrau. Diesen Solidarisierungseffekt findet man bei folgendem Vorfall: Bei einem Dorffest streitet sich ein Paar heftig, und der Mann schlägt die Frau. Ein Polizist tritt dazwischen. Er bekommt einen Schlag auf die Nase, setzt sich zur Wehr und wird von dem Mann wegen Körperverletzung angezeigt. Vor Gericht sagt dann die Frau, daß der Polizist sich nicht hätte einmischen sollen, die Sache hätte ihn nichts angegangen. Obwohl der Vorfall glimpflich für den Polizisten ausging, hinterläßt er doch die Frage: Weshalb reagierte die Frau so negativ auf die Hilfsbereitschaft des Polizisten? Und da es leider kein Einzelfall bleibt, wenn ein Mann eine Frau schlägt, schließt sich die Frage an: Warum bleibt eine Frau bei einem Mann, der sie schlägt? Warum handelt diese Frau gegen ihre eigenen Interessen?"
Nun, wie erklärt die Bezugspersonen-Bindungstheorie das Pack-schlägt-sich-Pack-verträgt-sich-Syndrom? Vor allem, wie kann man erklären, daß sich das in so und so vielen Fällen so abspielt und in vielen anderen wiederum nicht? Ähnlich schwer verständlich ist in (besonders klein-) bürgerlichen Schichten das Phänomen der Prostitution, wobei hier allerdings zahlreiche Schauermärchen und Mythen umhergeistern, obwohl gerade sog. "anständige" Männer vielfach Hauptkunden sind.
3.7 Beispiel: Prostitution
Der Wiener Kulturwissenschaftler Roland Girtler, der auch ein interessantes Buch über Bösewichte und Niedertracht verfaßte(16), hat eine interessante Milieustudie über den Strich - Sexualität als Geschäft(17) - verfaßt, die die B-Bindungstheorie an vielen Stellen unterstützt. Die Bezugspersonen-Bindungstheorie kann uns allerdings nicht die enorme Bedeutung des Geldes für die Prostitution erklären. S. 24f: "Ein Zuhälter - dies sei dem nächsten Kapitel aus Verständnisgründen vorweggenommen - charakterisierte diese Situation so: »Bereits in den Heimen und Gefängnissen hören die Madln: ,Mit deiner Büchse kannst du dir leicht den Schilling verdienen." ... Ein Zuhälter erläutert: "Die meisten Huren kommen aber aus dem normalen Volk und haben wenig Bildung. Viele kommen vom Land in die Stadt, nach Wien, und werden da von Zuhältern eingebraten, die sich bei ihr einraunzen."(18) "Ein Zuhälter, der die Szene der Wiener Prostitution gut kennt, charakterisierte die Herkunft von Prostitution so: "Die meisten Dirnen stammen eigentlich aus drei Berufsgruppen, nämlich aus Friseurinnen, Krankenschwestern und vor allem Serviererinnen. ..."
"Ein wichtiger Punkt scheint mir dabei noch zu sein, daß eine ungenügende oder desolate Bindung an das Elternhaus den Prozeß des Einbindens in die Prostitution fördert, wie auch ein Zuhälter glaubt: "Die meisten Huren sind junge Madln, die aus den Heimen und vom Land kommen und aus geschädigten Familien." Die besonderen Situationen nach Heimaufenthalten, bei der Einwanderung in die Großstadt und nach Abbruch des Kontakts zu den Eltern sind so grundsätzliche und typische Vorstufen für die Prostitution."
Zum Verständnis der Prostitution eignet sich die Bezugspersonen-Bindungstheorie ganz gut, wenn sie auch nicht hinreicht. Sicher ist es zur Ausübung des Berufes sehr wichtig und nützlich, daß man seine Gefühlswelt von der Tätigkeit gut abspalten oder trennen kann. So dürfte in vielen Fällen ein unsicher-vermeidender Bezugspersonen-Erfahrungshintergrund eine günstige Ausgangsbasis für Prostitution sein.
Bevor ich mich den zwar schwer verständlichen, aber erfreulicheren Bindungsphänomenen der Verliebtheit und Liebe zuwende, möchte ich noch auf ein wichtiges Phänomen eingehen, das trotz seiner Paradoxie viel Erklärungswert birgt und meines Erachtens auch die große Bedeutung der Bezugspersonen-Bindungstheorie unterstreicht:
3.8 Beispiel: Das Stockholm-Syndrom
Harnischmacher & Müther berichten im Archiv für Kriminologie 1987(19): "Am Donnerstag, dem 23. August 1973 zerriß das Rattern einer Maschinenpistole die routinierte Geschäftigkeit der Sveriges Kreditbank in Stockholm, Schweden. Als der Kalk- und Glassplitterregen um die 60 Anwesenden aufhörte, rief ein schwerbewaffneter Mann in Englisch: "The party has just begun!" [FN01]
Die "Party" dauerte 131 Stunden. Während dieser Zeit war das Leben von vier jungen Geiseln in ständiger Gefahr und man beobachtete zum ersten Mal ein psychologisches Phänomen, das seitdem das Stockholm-Syndrom genannt wird.
Vom 23. August, 10.15 Uhr, bis zum 28. August, 21.00 Uhr, wurden vier Angestellte der Sveriges Kreditbank als Geiseln festgehalten:
a) Elisabeth, damals 21 Jahre, Kassiererin in der Sortenabteilung, heute Krankenschwester
b) Kristin, damals 23 Jahre, Stenographin in der Darlehnsabteilung, heute Sozialarbeiterin,
c) Brigitta, damals 31 Jahre, Bankangestellte
d) Sven, damals 25 Jahre, gerade neu eingestellt, heute im Öffentlichen Dienst [FN02]
... Die Geiselnahme fand besondere Beachtung, weil die elektronischen Medien nicht nur die Folge der Ereignisse, sondern auch die Angst der Geiseln offen zeigten. Entgegen allen Erwartungen hatten diese mehr Angst vor der Polizei als vor den Geiselnehmern. In einem Telefongespräch mit Premierminister Olof Palme drückte eine Geisel diese für die Gruppe typische Angst so aus: 'Die Räuber schützen uns vor der Polizei.' Andere fragten sich nach ihrer Freilassung: "Warum hassen wir die Räuber nicht?" (FN05). Noch Wochen nach den Ereignissen und unter der Nachsorge von Psychiatern hatten einige der Geiseln paradoxerweise Alpträume über die Flucht der Straftäter und doch ihnen gegenüber keine Haßgefühle. Sie fühlten, daß sie ihnen ihr Leben zurückgegeben hatten und waren ihnen deshalb für ihre Großzügigkeit dankbar." Rolf Köthke ergänzt in seinem Artikel 1999(20): "Aber nicht nur wegen der überraschenden Äußerung der Geisel erlangte der geschilderte Banküberfall seine Berühmtheit, sondern auch, weil die Opfer nach Beendigung der Geiselnahme um Gnade für die Täter baten und diese auch später im Gefängnis besuchten. Eine damalige Geisel hat sich sogar später mit Olofsson verlobt." Dieses Phänomen wurde in der Folgezeit noch mehrfach beobachtet, nämlich: Entführung einer Boeing 727 durch fünf Kroaten 1976; 1977 die Geiselnahme eines ganzen Eisenbahnzuge durch die Süd-Molukker in Holland; die Entführung Nicola Fleuchhaus in Costa Rica 1996 u. a.
Bowlby stellte die Forschungshypothese zweier Arbeitsmodelle von Bindungsrepräsentationssystemen auf: ein frühes (archaisches) und ein aktuelles(21). Eine Geiselnahme bedeutet psychologisch eine Versetzung in eine frühkindliche hilflose Rolle mit der besonderen Gefahr des Todes. Es ist daher nicht schwer verständlich, daß in einer solchen Situation sämtliche, auch archaischen, Bindungsreaktions- und Abwehrsysteme aktiviert werden, um der existenziellen Todesbedrohung zu entgehen. Nach unserer Grundformel-Hypothese werden hier existenzielle Affekte sehr, sehr stark und auch fortlaufend sehr lange aktiviert. Das verblüffende an dieser gravierenden existenziellen Erfahrung ist, daß sich hieraus positive und starke Bindungen entwickeln können. Dies führt uns zu einem interessanten Feld-Laborversuch, in dem es zwar nicht um Leben und Tod, aber auch um die Bedeutung von Erregung und Gefahr geht.
3.9 Beispiel: Gefahr, Affekterregung und Beziehungsaufnahme(22)
Christiane Doermer-Tramitz berichtet 1990 in ihrem Buch "... Auf den ersten Blick. Über die ersten 30 Sekunden einer Begegnung von Mann und Frau" [Opladen: Westdeutscher Verlag] ein interessantes Experiment (S. 21f): "Ein weiterer Versuch [FN06] zu diesem Zusammenhang von Aggression und Sexualität, der, wie noch zu sehen sein wird, im männlichen Werbeverhalten mitbestimmend wirkt, hatte die Erforschung des Verhaltens von Männern in Gefahrensituationen zum Ziel - die Rollenanforderungen an den Mann beinhalten ja u. a., daß er mu-[21]tig einer Gefahr ins Auge sieht. Zu diesem Zweck mußte ein Teil der männlichen Versuchsteilnehmer über eine sichere, feste Brücke, der andere Teil über eine eher furchteinflößende, wackelige gehen; auf den Brücken befanden sich je eine Frau ("Lockvögel"), die den Männern Fragebögen überreichten. Die Fragestellung erlaubte Rückschlüs-[22]se auf die momentane sexuelle Erregtheit der betreffenden Männer. Die Versuchspersonen auf der "gefährlicheren" Brücke waren nicht nur sämtlich in höherer sexueller Bereitschaft als die anderen, sie zeigten durchgängig auch noch nach dem Experiment stärker das Bedürfnis, sich mit den "Lockvögeln" zu verabreden. Der Gegenversuch mit männlichen "Lockvögeln" auf der Brücke ergab diesen Zusammenhang übrigens nicht."
Zu diesem Phänomen kann die Bezugspersonen-Bindungstheorie gar nichts sagen. Wir können diese Erscheinung durch unsere Grundannahmen und Hypothesen einigermaßen erklären. Daß es nur bei Männern und nicht bei Frauen wirkt, erklären wir durch die männerspezifische Sozialisation und Normen in unserer Gesellschaft. Die Grundformel sagt uns, daß Affekte bewegt werden. Das Experiment könnte zur Erweiterung unserer Grundannahmen anregen, wonach die Erregung eines speziellen Affektes die Bereitschaft zur Erregung anderer - verwandter oder manchmal auch gegensätzlicher - Affekte fördert, im Grunde eine alte und schon oft berichtete Erfahrung in der Emotionsforschung, z. B. aus Freude weinen, bei intensiver Trauer in hysterisches Gelächter ausbrechen u. a. m.
3.10 Beispiel: Liebe auf den ersten Blick
Die Psychotherapeutin Susan Forward berichtet in ihrem Buch(23) von einer Laura (S. 29): "Als sie Bob kennenlernte, war sie vierunddreißig. An jenem Abend war sie mit einer Freundin in einem Restaurant: 'Ich war telefonieren gegangen, und als ich an unseren Tisch zurückkam, saß da dieser toll aussehende Mann und sprach mit meiner Freundin. Ich war ihm aufgefallen, und nun wartete er darauf, daß ich zurückkam. Vom ersten Augenblick an standen wir beide unter Strom. Ich glaube, ich hatte noch nie in meinem Leben jemanden so anziehend gefunden. Er hat so strahlende Augen, denen ich einfach nicht widerstehen konnte. Er erregte mich derart, daß ich es kaum erwarten konnte, mit ihm ins Bett zu gehen.'" Das Leben, Literatur und Medien sind voll von solchen Geschichten, die es von der leichten Spontansympathie bis hin zum augenblicklichen regelrechten Verfallensein gibt. Es kann sich auch reduziert um eine sexuelle Attraktion handeln:
3.11 Beispiel: Sexuelle Erregung von ersten Augenblick an
Eine Patientin von uns berichtete, sie sei seit ein paar Jahren mit ihrem Freund zusammen. Seit einiger Zeit versiegte ihre sexuelle Lust mehr und mehr bis zum Nullpunkt, wobei sie ab und zu Zärtlichkeiten gern hätte, die aber kaum noch möglich seien, weil das sexuelle Bedürfnis bei ihm schnell übermächtig werde. Vor einiger Zeit traf sie nun einen Mann, den sie gar nicht attraktiv findet, der sie aber sexuell regelrecht "elektrisiert" hat, was sie selbst überhaupt nicht versteht. Diese Erregung war so stark, daß sie diesem Mann nun aus dem Weg geht.
Wie kann man nun Liebe auf den ersten Blick oder Sexuelle Attraktion bei der ersten Begegnung verstehen? Hierzu brauchen wir auf jeden Fall die Grundannahmen und Hypothesen (1), (3), (4) und (5). Da die Betroffenen häufig nicht angeben können, warum sich Verliebtheit oder sexuelle Attraktion so stark einstellt, müssen unbewußte Prozesse (Hypothese 3) unterstellt werden. Das wird aber nicht hinreichen. Im letzten Fallbeispiel hat sich die Liebe zurückentwickelt, was die Patientin sich noch nicht richtig eingestehen kann. Gleichzeitig gibt es wohl ein sexuelles Verlangen, das nicht gestillt wird. Es ist daher sinnvoll, den Aufbau einer sexuellen Bereitschaft anzunehmen. In der neuen Begegnung wird eine starke sexuelle Reaktion ausgelöst, die sie sich nicht erklären kann, und die gut mit unserer Hypothese 5 verstanden werden kann. Ein Schlüssel- oder Auslösereiz bei dem Mann trifft auf eine starke sexuelle Sehnsucht und Bereitschaft unter der geeigneten Bedingung "entliebt" vom derzeitigen Partner.
Auch die Liebe auf den ersten Blick kann gut mit den Hypothesen (1), (3), (4) und (5) erklärt und verstanden werden. Ebenso das "Ent-Verlieben". Verliebtheit kommt wohl als projektives Pars-Pro-Toto-Phänomen zustande. Mit zunehmendem Kennenlernen wird die Illusion erschüttert und allmählich zurückgeführt auf die "Realität". Ab einem bestimtmen Schwellenwert kippt die Verliebtheits-Illusion in die "Realität" zurück.
3.12 Beispiel: Vollständige Abwendung eines Kindes von einem Elternteil: PAS?
Wie kommt es, daß sich Kinder in Scheidungs- und Nachscheidungsfamilien vollständig von einer Elternseite lossagen und weder mit dem Elter noch mit dessen Angehörigen irgendeinen Kontakt haben wollen? Auf die falsche Theorie Gardners möchte ich hier nicht weiter eingehen und auf meine Internet-Publikation verweisen. Meine Erfahrungen mit diesem Phänomen lassen sich bislang alle mit einem Loyalitätskonflikt erklären, den das Kind nicht mehr aushalten kann. Um nicht innerlich zerrissen zu werden, muß es sich auf eine Seite schlagen, wofür gewöhnlich nicht nur der Sorgeausübende verantwortlich ist, sondern ebenso der Elternteil und sein Umfeld, zu dem der Kontakt abgebrochen wird. Auch der Loyalitätskonflikt entsteht nicht in einem Augenblick, meist auch keineswegs von heute auf morgen, sondern entwickelt sich in Monaten und in der Zeit. Es kommt dann der Zeitpunkt, wo die Spannung und der Konflikt nicht mehr ausgehalten werden kann. Mit Hilfe der Grundannahmen (1) bis (5) läßt sich nun erklären und verstehen, weshalb ein Kind sich in seiner subjektiven Not auf eine Seite schlagen muß, um nicht innerlich zerrissen zu werden.
3.13 Die Abwendung der Kumari von ihren Eltern (Nachtrag 25.8.6)
Über das kleine Mädchen Amita Shakya, das 1 Tag vor seinem 3. Geburtstag als die Kindgöttin Kumari in Nepal inthronisiert wurde berichtet der Buchautor (HH, S. 13): "AmitasVater hat mir später erzählt, dass sie schon vier Wochen, nachdem sie Kumari geworden war, während seiner Besuche nicht mehr mit ihm sprach. Als ich Amita danach frage, erklärt sie knapp: 'Ich wusste nicht, worüber wir reden sollten.'". Wie ist zu erklären, dass das Mädchen so schnell und einfach ihre Familie "vergessen" hat?
Schlußbemerkung:
Wir sind nun am Ende unserer Beispiel-Reise durch einige schwer verständliche Bindungs-Phänomene und Paradoxa angelangt. Ich denke, daß die Bezugspersonen-Bindungstheorie Vieles und Wichtiges zum Verständnis dieser Probleme beiträgt, aber sie reicht nicht aus und muß daher erweitert werden. Ungeachtet dessen verdanken wir Bowlby und der vom ihm inspirierten beziehungsorientierten Psychaonalyse sicher viele wertvolle Einsichten und therapeutische Anregungen.
2. ii. Bindung ist Merkmal bzw. eine Eigenschaft einer Beziehung (Beziehungsgeschichte genau genommen). Da der Bindungsbegriff nicht verschwindet, wenn man ihn durch Beziehung ersetzt, da er ja gerade ein Charakteristikum von Beziehungen ist, ergibt sich schon von daher eine Zurückweisung der Argumente, Bindung durch Beziehung zu ersetzen. Beziehung umfaßt Bindung. Bindung ist in diesem Sinne ein Beziehungsmerkmal. Man muß aufpassen, den Bindungsbegriff nicht einseitig im Sinne einer besonderen psychologischen oder psychoanalytischen Schule oder Wissenschaftsmode zu interpretieren bzw. als Terminus technicus für eine bestimmte experimentelle Situation, wie z.B. kurzfristige Trennung von einer Bemutterungs-Figur (zumal die Fremde Situation nur für die Altersspanne zwischen 12. und 18. Lebensmonat Gültigkeit hat); auch empfiehlt sich eine strenge Trennung zwischen der Begriffs-Konstruktion Bindung und einer der zahlreichen Operationalisierungen. Der allgemeine Begriff der Bindung (Bund, Bande) ist uralten indogermanischen Ursprungs und hat schon von daher die natürlichen älteren Bedeutungsrechte, was allerdings einige allzu eingeengt fixierte Bindungstheoretiker nicht wahrhaben wollen oder können.
Binden oder gebunden sein bedeutet a) befestigen, fest sein, b) zusammenfügen, zusammengefügt, verbunden sein, c) abhängig machen / sein; verpflichten oder verpflichtet sein, festlegen oder festgelegt sein. Zum Gegenteil gehört daher a) lockern, lösen, b) trennen, c) unabhängig, frei sein, beliebig, willkürlich. Im Begriff der Bindung selbst ist tatsächlich keine Qualität enthalten. Bindung ist so gesehen streng begriffsanalytisch als relevantes Kriterium an sich zu verstehen. Psychologisch ist Bindung affektive Bindung. Zur Psychologie der Affekte zählen hierbei Gefühle, Emotionen, Stimmung, Temperament, Antrieb, Bedürfnisse, Wünsche, Motive, Interessen und der Wille. Bindung kann allgemeinpsychologisch als eine affektive Assoziation angesehen werden. Das ist auch die Brücke zur Lern- und Verhaltenstheorie. Der allgemeine Bindungsbegriff ist ein sehr zentraler Begriff für alle Aspekte gesellschaftlichen Lebens: Man bindet sich an Ideale, Werte und Normen, an Sitten und Bräuche, an Gewohnheiten und Verhaltensweisen, an Umgebungen, Landschaften, an die Heimat (Heimweh), die Kultur und an die Sprache u.v.a.m. Dies sah auch K. E. Grossmann wenn auch etwas eingeschränkter noch so in seiner Arbeit über das "Bindungsgefühl". In: Euler, H.A. & Mandl, H. (1983). Emotionspsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. München: Urban & Schwarzenberg, Seite 168: "Der Begriff Bindungsgefühl verbindet intrapsychische Zustände und zwischenmenschliche Beziehungen. Gefühle oder Emotionen, die ein Individuum empfindet, versucht man mit Hilfe unterschiedlicher psychologischer Methoden zu erfassen. Bindung kann sich auf Nationen, Religionen, ethnische Gruppierungen, Interessenverbände, Kleingruppen, Familien und vor allem auf bestimmte Individuen beziehen, gelegentlich sogar auf Landschaften und Ideen."
3. iii. Der Begriff Feinfühligkeit hat in der Bezugspersonen-Bindungstheorie eine sehr künstlich-technische und vom üblichen Sprachgebrauch sehr abweichende Bedeutung. Viel korrekter und treffender wäre die Bezeichnung "angemessen", wobei dann natürlich noch das Werte-Bezugssystem anzugeben wäre. Denn angemessen kann sinnvoll immer nur bedeuten angemessen bezüglich ... Was also angemessen ist, ist relativ und ergibt sich erst aus den Erziehungszielen (und -methoden).
4. iv. Sichere Bindungs-Kinder (Typ B) zeigen Gefühle und Bedürfnisse offen; suchen z. B. die Hauptbindungsperson, wenn sie den Raum verläßt, rufen nach ihr, weinen, schreien, freuen sich und sind glücklich, wenn sie wieder da ist. Günstiger Bezugspersonen-Hintergrund: Angemessenes, einfühlsames Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes, insbesondere für sein Bedürfnis sowohl nach Nähe als auch nach Exploration. Ungünstiger Bezugspersonen-Hintergrund: Überbehütung, Überbesorgnis. Zu schnelle Erziehung zur Selbständigkeit.
Unsicher-vermeidende Bindungs-Kinder (Typ A) mit gleichgültigem äußeren Ausdruck: zeigen keine Gefühle oder Reaktionen, wenn die Hauptbindungsperson z. B. den Raum verläßt, reagieren auch nicht, wenn sie wieder kommt. Bezugspersonen-Hintergrund: Häufiges nicht-angemessenes, wenig einfühlsames Eingehen auf die Bedürfnisse des Kindes.
Unsicher-ambivalente Bindungs-Kinder (Typ C) mit ängstlich gespanntem Ausdruck. Bezugspersonen-Hintergrund: für die Kinder nicht berechenbar, wann und unter welchen Bedingungen die Hauptbindungsperson auf seine Bedürfnisse eingeht: mal geht sie ein, mal nicht, je nachdem wie es bei ihr paßt, was aus der Perspektive des Kindes nicht kalkulierbar ist.
Über Typ D (desorganisiert) kann noch nicht so viel gesagt werden: Main, Mary (dt. 1995). Desorganisation im Bindungsverhalten. In: Spangler, Gottfried & Zimmermann, Peter (1995). Die Bindungstheorie. Grundlagen. Forschung und Anwendung. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 120-139 fand (S. 126): "Während der frühen 80er Jahre fanden Forscher, die mit mißhandelnden und psychisch auffälligen Eltern arbeiteten, daß einige Kinder, die mißhandelt wurden als 'sicher' eingestuft wurden und einige Kinder gleichzeitig Verhaltensweisen zeigten, die sowohl für das unsicher-vermeidende als auch für das unsicher-ambivalente Muster typisch waren (Crittenden, 1985; Radke-Yarrow, Cummings, Kuczynski & Chapman, 1985). Zur gleichen Zeit hatten wir in unserer größeren Bay Area Stichprobe, keiner Risikostichprobe, festgestellt, daß etwa 13% der Kinder nicht nach den üblichen Klassifikationsregeln von Ainsworth eingeordnet werden konnten (Main & Weston, 1981)." Mary Main (S. 139) zitiert abschließend: "Zeanah und Emde (1993) vermuten, daß Bindungsdesorganisation mehr noch als die ursprünglich von Ainsworth identifizierten unsicheren Bindungsmuster mit Vulnerabilität im Hinblick auf psychopathologische Entwicklung zu tun hätten."
Die vier Grundmuster erklären die Vielfalt der Bindungsformen, wie sie sich vor allem unter Erwachsenen zeigen, viel zu wenig. Hierzu zwei Beispiele: Stark positiv symbiotische Beziehungen sind darin ebenso wenig enthalten wie offen aggressive und feindselige Bezugspersonenhintergründe. Nur manchmal auf die Bedürfnisse eingehen (Resultat: ambivalent-unsicher) und Bedürfnisse übergehen (Resultat: unsicher-vermeidend) sind eine andere Qualität als Bedürfnisse offen verletzen, Schmerz und Leid zufügen. Gewalttäter und Minusmänner hatten nicht selten offen verletzende Hauptbindungspersonen. Die faktische Vielfalt, falls sie auf frühe Erfahrungen zurückgeführt werden können sollen, spricht für eine eben solche Vielfalt bei den Bezugspersonen-Hintergründen.
5. v. Klaus E. Grossmann (2000, Seite 39-40). Die Entwicklung von Bindungsqualität und Bindungsrepräsentation. In: Endres, Manfred & Hauser, Susanne (2000, Hg.). Bindungstheorie in der Psychotherapie. München: Reinhardt.
6. vi. Sroufe & Waters 1977, Spangler & Grossmann 1993, zit. nach Mary Main in Glogel-Tippelt, Gabriele, 2001, Hg., S. 15.
7. vii. Bowlbys erstes Therapieprinzip: Wartner, Ulrike G. in Spangler & Zimmermann (1995, S. 410)
8. viii. Diese Kriterien sollten von einem Liberalen wie von einem Konservativen, von einem Religiösen wie von einem Atheisten, von einem politisch Linken wie von einem politisch Rechten gleichermaßen anerkannt werden können.
9. ix. Konrad Lorenz (1963). Zur Naturgeschichte der Aggression. Das sogenannte Böse. Wien: Dr. G. Borotha-Schoeler Verlag, Seite 327f.
10. x. Arlacchi, Pino (dt. 1989, ital. 1983 u. 1988). Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus. Frankfurt a. M.: Cooperative. Seiten 29-33
11. xi. Die vergleichende Kulturanthropologie könnte hier mit hunderten von seltsamen Beispielen aufwarten, wie sie sich zu Dutzenden finden in: Brain, Robert (dt. 1978, engl. 1976). Freunde und Liebende. Zwischenmenschliche Beziehungen im Kulturvergleich. Frankfurt: Fischer. Hieraus ein paar Kostproben: "Ich erwähne diese Tatsachen, damit wir gleich zu Anfang unsere abendländischen Vorurteile über Liebe und Freundschaft vergessen, zumal in einer Zeit, in der unsere Vorstellungen so fließend und veränderlich werden. Eines der Ziele dieses Buches ist, kulturvergleichende Untersuchungen über Erscheinungsformen der Freundschaft in exotischen (vergangenen und gegenwärtigen) Gesellschaften anzustellen, um unsere eigenen Einstellungen zu erhellen. Wenn wir Sitten und Gebräuche, die uns zunächst sonderbar oder makaber erscheinen, in ihren Zusammenhang stellen und erklären, hören sie auf, sonderbar zu sein, und geben uns vielleicht sogar Anlaß, unsere eigenen zu überdenken. In Mali bewerfen sich gute Freunde gegenseitig mit Kot und tauschen lauthals Bemerkungen über die Geschlechtsorgane ihrer Eltern aus. Dieses für unsere Begriffe unnatürliche und obszöne Verhalten gilt dort als Beweis der Freundesliebe. In vielen anderen Teilen Afrikas sind Zwillinge die besten Freunde, und gute Freunde werden Zwillinge. Wenn sich in Tansania ein Mann mit einer Frau trifft, die seine Freundin ist, dann beschimpft er sie vielleicht, wirft sie zu Boden und [8] schlägt auf sie ein wie auf einen Punchingball. Wenn auf Neuguinea ein Mann einen neuen Geschäftspartner gewinnt, gehört es zum Handel, daß er "sich in ihn verliebt". Ebenfalls auf Neuguinea heiraten die Männer eines bestimmten Stammes, nicht um eine Frau zu haben, sondern um deren Brüder als ‚beste Freunde' zu bekommen. Im südlichen Ghana gibt es Heiraten zwischen Freunden, die sich lieben, wobei der ‚Ehemann' den Eltern seines Freundes wie beim Brautkauf einen bestimmten Preis bezahlt. In Lateinamerika kann ein Freundschaftsbund zwischen zwei Männern dadurch bekräftigt werden, daß der Ritus der christlichen Taufe an einem Baum vollzogen wird, wodurch beide Männer zu Paten des getauften Baumes werden. Auf den Andamanen ist es üblich, daß einer bestimmten Leuten sein Leben lang geflissentlich aus dem Weg geht, "weil sie seine Freunde sind"."
12. xii. Duncker, Heinfried (1999). Gewalt zwischen Intimpartnern. Liebe, Aggressivität, Tötung. Lengerich: Pabst Science. Seiten 135f.
13. xiii. Lang, Bernd (1987). Puppentanz. München: heyne. Seite 5f.
14. xiv. Füllgrabe, Uwe (1996). Die Beziehungsfalle - Warum Frauen bei einem Mann bleiben, der sie schlägt. Magazin für die Polizei, 27, Nr. 240, 14-22.
15. xv. A.a.O.
16. xvi. Girtler, Roland (1999). Bösewichte. Strategien der Niedertracht. Wien: Böhlau.
17. xvii. Girtler, Roland (3.A. 1990). Der Strich. Sexualität als Geschäft. München: Heyne.
18. xviii. "einbraten" so viel wie manipulieren, "einraunzen" ungefähr einschmeicheln.
19. xix. Harnischmacher, Robert & Müther, Josef (1987). Das Stockholm-Syndrom. Zur psychischen Reaktion von Geiseln und Geiselnehmern. Archiv für Kriminologie, 180. Bd., 2. Halbjahr. S. 1-12.
20. xx. Köthke, Rolf (1999). Das Stockholm-Syndrom. Eine besondere Betrachtung des Verhältnisses von Geiselnehmer und Geisel. Praxis der Rechtspsychologie 9 (1), Juni, 78-85.
21. xxi. So Grossmann, K. & K. (2001). Die Bedeutung sprachlicher Diskurse. In: Glogel-Tippelt, Gabriele (2001, Hg., S. 82). Bindung im Erwachsenenalter. Bern: Huber. Seite 82.
22. xxii. Doermer-Tramitz, Christiane (1990). ... Auf den ersten Blick. Über die ersten 30 Sekunden einer Begegnung von Mann und Frau. Opladen: Westdeutscher Verlag. Seite 21f.
23. xxiii. Forward, Susan (dt. 1989, engl. 1988). Liebe als Leid. Warum Männer ihre Frauen hassen und Frauen gerade diese Männer lieben.
Fachtagung Bindungstheorie vom 6.6. bis 8.6.01 der ARGE Sozialpädagogik / Akademie für Psychoanalyse in Wien
Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
25.08.06 3.13 Die Abwendung der Kumari von ihren Eltern (Nachtrag 25.8.6).
13.01.05 Anpassung der Bindungsmuster Kürzel an die üblichen Bezeichnungen in der Literatur. Ich verdanke den Hinweis der Aufmerksamkeit (Mail vom 13.1.5) Fabian Everdings (Danke).
Querverweise
Standort: Bindungs-Paradoxa.
Therapie pathologischer Bindungen
Überblick Entwicklungspsychologie_Überblick Bindung in der GIPT_
Über Bindung, Beziehung und das Messen in der Psychologie
Kommentierte Literaturübersicht Hörigkeit.
Zur Theorie und Praxis des Sachverständigengutachtens der Geschäftsunfähigkeit
PAS - Parental Alienation Syndrome nach Richard A. Gardner. Das Elterliche Entfremdungs Syndrom
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site:www.sgipt.org
z.B. Bindung Beziehung site:www.sgipt.org. |
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Sponsel, Rudolf (DAS). Bindungs-Paradoxa, pathologische Bindungen und andere nicht ohne weiteres verständliche Bindungserscheinungen - auch im Alltag. Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie IP-GIPT. Erlangen: http://www.sgipt.org/gipt/entw/bindung/path_1.htm
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