Die Bilder aus rumänischen Kinderheimen Anfang der 90er-Jahre schockierten die Welt. Sie zeigten völlig apathische und abgemagerte Mädchen und Jungen, darunter Dreijährige, die weder laufen noch sprechen konnten. Drastischer konnte man die Folgen von Verwahrlosung, Gewalt und fehlender Zuwendung kaum vor Augen führen.
Seit
mehr als zehn Jahren beobachten Wissenschaftler die Bedingungen, unter
denen Heimkinder heute in Rumänien leben. Dabei interessieren sie auch
die äußerlich nicht sichtbaren Auswirkungen erlittener Traumata.
Schützende Kappen
Die Enden der Chromosomen werden Telomere
(von griechisch télos – Ende und méros – Teil) genannt. Mit jeder
Zellteilung verkürzen sie sich. Kurze Telomere werden mit einer erhöhten
Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten, aber auch mit einer geringeren
Lebenserwartung in Verbindung gebracht.
Der US-Wissenschaftlerin Elizabeth Blackburn brachte die Erforschung der Telomere 2009 den Medizin-Nobelpreis ein. Sie verglich die Funktion der Telomere mit den Schutzkappen am Ende eines Schnürsenkels. Sie sorgten dafür, dass der Schnürsenkel nicht ausfranst.
Ähnlich wie Klebstoff kann das Enzym Telomerase die Chromosomenenden „reparieren“. Doch mit zunehmendem Alter verkürzen sich die Telomere – bis die Zelle irgendwann stirbt.
Der US-Wissenschaftlerin Elizabeth Blackburn brachte die Erforschung der Telomere 2009 den Medizin-Nobelpreis ein. Sie verglich die Funktion der Telomere mit den Schutzkappen am Ende eines Schnürsenkels. Sie sorgten dafür, dass der Schnürsenkel nicht ausfranst.
Ähnlich wie Klebstoff kann das Enzym Telomerase die Chromosomenenden „reparieren“. Doch mit zunehmendem Alter verkürzen sich die Telomere – bis die Zelle irgendwann stirbt.
Stress geht unter die Haut
So
wiesen US-amerikanische Forscher im vergangenen Jahr nach, dass
rumänische Waisenkinder nicht nur psychische und physische Schäden
davontrugen, sondern sich auch ihr Erbgut veränderte: Bei DNA-Tests, die
sie mit Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren durchgeführt hatten,
waren die sogenannten Telomere, die Enden der Chromosomen, deutlich
verkürzt. Je mehr Zeit die Kinder im Heim verbrachten, desto kürzer
waren sie. Das wiederum könnte darauf hindeuten, dass die betroffenen
Heimkinder eine kürzere Lebenserwartung haben, denn die Telomerlänge
gilt als Indikator für das Altern.
Ähnliche Ergebnisse
haben britische und US-amerikanische Forscher jetzt für eine Gruppe von
britischen Kindern im Fachmagazin Molecular Psychiatry präsentiert. Die
Enden der Chromosomen in den kindlichen Körperzellen verkürzen sich
schneller, wenn die Jungen und Mädchen Mobbing, Misshandlungen oder
häusliche Gewalt erlitten.
„Die Forschung lässt
interessante Rückschlüsse darauf zu, wie Stress das menschliche Genom
beeinflusst und unser Leben formt“, sagt Avshalom Caspi, Professor für
Psychologie und Verhaltensforschung an der Duke-Universität in Durham,
USA. Den Effekt der verkürzten Telomere konnte die Forschergruppe schon
im Alter von fünf bis zehn Jahren nachweisen. Grundlage ihrer
Untersuchung war eine Untergruppe der sogenannten E-Risk-Studie, einer
Langzeituntersuchung mit mehr als 1 000 Zwillingspaaren.
Ihre
Ergebnisse zeigten, wie traumatische Erfahrungen Kindern buchstäblich
unter die Haut gehen könnten, sagen die Wissenschaftler. Sie behaupten,
das fehlende Glied gefunden zu haben, das Kindheitstraumata mit
Problemen im späteren Leben in Verbindung bringt.
Aber
ist der Beweis stichhaltig? Welche Aussagekraft hat das für den
Lebensweg dieser Kinder? Könnten sich die Telomere, die die Forscher
über Abstriche aus der Mundschleimhaut bestimmten, nicht später wieder
verlängern? Und vielleicht hat ja die Umwelt, etwa durch Therapien oder
positive Lebensumstände, eine gewisse „heilende“ Wirkung.
"Kompensatorische Mechanismen"
Natürlich
könnten „kompensatorische Mechanismen“ wirken, sagt Professor Johannes
Kruse, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische
Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Er warnt vor monokausalen
Erklärungen nach dem Motto: Wer als Kind traumatisiert worden sei, habe
grundsätzlich eine geringere Lebenserwartung. Dennoch zweifelt er daran,
dass es eine Art Wiedergutmachung für Traumata wie sexuellen Missbrauch
oder andere Formen von Gewalt geben kann.
Misshandlung und Missbrauch
Misshandlung und Missbrauch
Gewalt hinterlässt tiefe Narben im Gehirn
Johannes Kruse rechnet damit, dass es bald
weitere Belege für den Einfluss von extremen Stressfaktoren auf die
Erbsubstanz geben wird. „Es verdichten sich die Hinweise darauf, dass
solche Erlebnisse die Biologie massiv prägen“, sagt der Professor an der
Universität Gießen, der zu den Auswirkungen von Misshandlungen im
Kindesalter forscht.
Zwar wisse man seit langem, dass
Gewalterfahrung oder sexueller Missbrauch in der Kindheit unter anderem
das Risiko für Herzinfarkte und Diabetes erhöhten, sagt er, aber nun
machten bildgebende Verfahren und die molekularmedizinische Forschung
auch die biologischen Wege dorthin sichtbar.
Dass
Misshandlungen und mangelnde Zuwendung nicht nur Narben in der Seele,
sondern auch im Gehirn hinterlassen, zeigten auch Untersuchungen mit
Hilfe von Magnetresonanz-Tomografie an der Universität Münster. Dort
beobachteten Wissenschaftler des interdisziplinären
Otto-Creutzfeld-Zentrums für kognitive- und
Verhaltensneurowissenschaften im vergangenen Jahr die Langzeitfolgen von
Kindesmisshandlungen.
Das Trauma war jeweils im
Gehirn der Betroffenen ablesbar: Je mehr Gewalterfahrung oder
Vernachlässigung die mittlerweile erwachsenen Probanden erlebt hatten,
desto kleiner waren wichtige Gehirnstrukturen wie etwa der für das
Lernen und für das Gedächtnis wichtige Hippocampus.
Ähnliche
Ergebnisse zeigten sich im Stirnlappen, der für die Regelung von
Emotionen zuständig ist. Gleichzeitig stellten die Forscher um Udo
Dannlowski fest, dass der so genannte Mandelkern „überaktiv“ war – also
jener Teil des Gehirns, der Reaktionen wie Angst regelt.
Diese
Hyperaktivität hat aus Sicht des betroffenen Kindes durchaus einen
Sinn, denn sie sorgt dafür, dass es potenzielle Gefahren besser
wahrnehmen und sich vielleicht besser schützen kann. Ende vergangenen
Jahres ergaben Studien von Forschern des University College London, dass
Misshandlungen bei Kindern eine ähnliche Wirkung haben wie
Kriegserlebnisse bei Soldaten. Auch diese schützen sich, indem ihr
Gehirn permanent auf Alarmzustand schaltet.
Frühe Prävention
Doch
das hat seinen Preis: Soldaten wie Kinder stehen unter Extrem-Stress.
Die Folge können nicht nur lebenslange psychische Beeinträchtigungen
sein, sondern die Erfahrungen wirken sich auch auf der Ebene der
Neuronen aus.
„Keines der von uns untersuchten Kinder
hatte körperliche oder psychische Probleme“, resümierte Studienleiter
Eamon McCrory, der seine Ergebnisse im Fachjournal Current Biology
veröffentlichte. Trotzdem hätten sich veränderte Gehirnfunktionen
gezeigt: „Wir vermuten, dass sich das Kind diesen Veränderungen zwar
kurzfristig anpassen kann, doch langfristig sind sie eine Gefahr.“
Sein
Kollege Peter Fonagy, Forschungskoordinator am Anna Freud Center in
London, setzt deshalb auf frühe Prävention: „Die Forschungsergebnisse
sollten Mediziner und Sozialarbeiter dazu bringen, ihre Anstrengungen zu
verdoppeln, Kinder vor Gewalt und Missbrauch zu schützen.“
Der Mißhandlung der Kinder sollte nun wirklich endlich einhalt geboten werden. Ich kann es nicht verstehen, wie ein Mensch einem kleinen Kind so etwas antun kann.
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