Prügel, drakonische Strafen und
Missbrauch: Was in einigen Kinderheimen früher an Unrecht geschah, ist
für Berlins Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) heute unfassbar. „Das
macht mich traurig und betroffen“, sagt sie. Seit Januar will ein
120-Millionen-Euro-Fonds - aufgelegt von Bund, Ländern und Kirchen -
späte Wiedergutmachung leisten, zunächst in Westdeutschland. Eine
Entschädigungslösung für den Osten soll bis Ende des Jahres gefunden
werden.
Das Problem ist nur: Viele Betroffene aus dem Westen lehnen den
Entschädigungsfonds
ab, weil sie bei einem Antrag eine Verzichtserklärung auf
weitere Entschädigung unterschreiben müssen. Und der Osten will keine
westdeutsche Fonds-Kopie.
So herrschte bei der Eröffnung
der Berliner Beratungsstelle für ehemalige Heimkinder am Donnerstag im
Stadtteil Friedenau keine pure Freude vor. Während Scheeres für
Sachleistungen des Fonds wie Therapien und Gesundheitsmaßnahmen warb,
fühlte sich Liane Müller-Knuth als Betroffene erneut gedemütigt. „Ich
will keine Stützstrümpfe und keinen Rollstuhl“, sagt die Berliner
Seniorin. „Ich will eine Entschädigung, die ihren Namen verdient.“
In Zahlen heißt das: 300 Euro
Opferrente im Monat oder 56.000 Einmalzahlung. Der Fonds aber sehe
maximal 10.000 Euro pro Person in Sachwerten vor.
Berlin muss sich nach dem
Länderschlüssel mit rund 1,1 Millionen Euro an den Fondsmitteln von 120
Millionen Euro beteiligen. Das geht aus einer Antwort von
Jugend-Staatssekretärin Sigrid Klebba auf eine Parlamentarische Anfrage
der Grünen hervor. Für 2012 und 2013 seien jeweils 400.000 Euro im
Haushalt eingeplant. Ferner erhalte die Berliner Anlaufstelle im Jahr
rund 100.000 Euro für Personal- und Sachmittel, hieß es.
"Viele von uns sind zu alt für Therapien"
Marianne Döring (70) schätzt
die neue Beratungsstelle zwar als Treffpunkt für Betroffene. Doch auch
sie will erst einmal keinen Antrag an den Fonds stellen. „Viele von uns
sind zu alt für Therapien. Wir wollen unser Leben jetzt selbst regeln.
Wir brauchen Geld für eine große Reha oder einen vernünftiger Urlaub“,
sagt sie. „Das können sich viele von uns aber nicht leisten.“
Auch dass von den 120
Millionen Euro aus dem Fonds bereits 12 Millionen für Beratungsstellen
bundesweit abgezweigt wurden, finden viele ehemalige Heimkinder nicht in
Ordnung. Das Geld stehe ihnen zu, nicht einer Verwaltung.
Rund 800.000 Männer und Frauen
in Westdeutschland und rund 120.000 in Ostdeutschland haben nach
Schätzungen früher in Heimen gelebt. Längst nicht alle von ihnen haben
Demütigungen und Leid erlebt - andere dafür umso mehr. Es waren nicht
nur körperliche und seelische Qualen. Viele wurden auch als billige
Arbeitskräfte missbraucht und bekamen kaum Bildungschancen. Später
blieben ihnen deshalb oft nur Billigjobs - und heute Mini-Renten oder
Hartz-IV.
Rund 20.000 bis 30.000
ehemalige Heimkinder könnten Anträge an den Fonds stellen, schätzt ihr
Ombudsmann Peter Schruth. Doch auch ihn stört die Verzichtserklärung.
„Das war von den Errichtern des Fonds als Befriedungsfunktion gedacht.
Aber das Gegenteil ist eingetreten“, sagt er. Schruth beurteilt den
Verzicht auf weitere Entschädigungen vor der Prüfung von Anträgen
„zynisch und für diese Opfergruppe ungeeignet“.
Im Osten regt sich bei
Betroffenen bereits breiter Widerstand gegen eine Fondslösung wie im
Westen. Dafür sind laut Schruth 40 Millionen Euro angedacht. Der Osten
aber könne vom strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz, das 250 Euro
Opferrente im Monat vorsieht, mehr profitieren, erläuterte Schruth.
Lange sei das Gesetz nur für Stasi-Opfer und Betroffene aus dem
Jugendwerkhof Torgau gedacht gewesen. Nun sei der Kreis der
Anspruchsberechtigten größer geworden. Setzte sich diese Lösung durch,
könnte das wiederum Auswirkungen auf die Höhe der Entschädigungen in
Westdeutschland haben, sagt Schruth.
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