Wann haben Sie in welchem Frauenhaus gearbeitet?
Im autonomen Frauenhaus in Kassel von 1984 bis 1987 und im Göttinger Frauenhaus von 1988 bis 1989.
Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?
Damals war ich eine
Aussteigerin aus der High-Society. Ich wollte etwas Neues anfangen,
anderen Menschen helfen. Vorher war ich schon sehr interessiert an den
Dingen, die die Frauenbewegung so thematisiert hat.
Welche Aufgaben kamen auf Sie als Mitarbeiterin in einem Frauenhaus zu?
Zunächst war das ehrenamtlich, nur der sogenannte Ämterscheiß:
Schriftverkehr erledigen, die Leute zum Sozial- und Jugendamt begleiten.
Nach drei Monaten wurde ich gefragt, ob ich nicht fest dort arbeiten
wolle, und ich sagte ja. Ich stieg richtig in den Betrieb ein. Ich
machte die Neuaufnahmen, führte Einzelgespräche mit den Frauen, machte
Gruppenbetreuung, half beim Ausfüllen des Aufnahmebogens, also Name,
Adresse, Schulbildung etc. Das ergab folgendes Bild: 80 % Hauptschule,
80 % ohne abgeschlossene Berufsausbildung, 70% Ausländerinnen (davon zu
90 % Türkinnen). Die Hälfte war dort bereits über ein Jahr, eine Frau
war bereits dreieinhalb Jahre dort. Den Frauen wurden ja auch kaum
Wohnungen angeboten … Welcher Vermieter gibt schon einer Frau eine
Wohnung, die von der Sozi lebt und einen Haufen Kinder mitbringt? Die
meisten von denen hatten bis zu fünf Kinder.
Was war der Grund für die Aufnahme im Frauenhaus ?
Ungefähr 90 % gaben an, geschlagen worden zu sein.
Bezog sich das auch auf die Kinder?
Das wurde auch
manchmal gesagt. Meist haben wir dann aber gesehen, daß gerade diese
Frauen ihre Kinder selber geschlagen haben. Dagegen sind wir aber immer –
in beiden Häusern – ganz schnell vorgegangen.
Was gab es sonst noch für angegebene Gründe?
Von
Relevanz nur noch, daß die Männer eine neue Partnerschaft hätten.
Ansonsten bekamen wir in vielen Fällen in den Wochen nach der Aufnahme
mit, daß die Familien hoffnungslos überschuldet waren.
Wie erfuhren Sie davon?
Nun, bei uns flatterten dann
doch die ganzen Mahnungen und Mahnbescheide ein, es gab ja
Nachsendeanträge über ein Postfach. Vielen wäre eh in den nächsten Tagen
eine Räumungsklage zugegangen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen
konnten. In vielen Fällen waren es die Frauen selber, die zu der
Überschuldung beigetragen hatten, meist durch Bestellungen bei Otto,
Quelle und so, halt bei den ganzen Versandfirmen.
War das auch ein Grund dafür, daß die Frauen bei Ihnen vor der Tür standen?
Doch, mit Sicherheit. Heute würde ich sogar sagen, es war der
überwiegende Anteil, der unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu uns
kam – oder auch, seltener, weil sie selber guten Grund für einen Streit
gegeben hatten und der Reaktion aus dem Weg gehen wollten. Zum Beispiel,
wenn sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann eingegangen hatten und
das ungestört fortführen wollten. Zu Hause ging das ja nicht.
Aber wenn eine Frau gekommen ist und hat gesagt: «Ich wurde
geschlagen», dann wurde das nicht weiter hinterfragt, ob es nicht
vielleicht auch andere Gründe geben könnte?
Nein, nein,
überhaupt nicht. Es wurde gesagt, kommt sofort rein. Meist folgte dann
auch unmittelbar ein Arztbesuch. Vergewaltigung oder gar sexueller
Mißbrauch waren eigentlich – bis auf drei mir bekannte Fälle – nie ein
Thema.
Machten sich die Männer denn nicht bemerkbar?
Die Männer
haben rumtelefoniert und natürlich überall nachgefragt. Wir haben aber
regelmäßig gesagt: «Nein, die sind hier nicht, nicht bei uns.» Auch beim
Jugend- oder Sozialamt wußten die natürlich Bescheid, aber die haben da
immer mitgespielt. Und in vielen Fällen haben wir, wenn sich einer mal
nicht abwimmeln ließ, die Frauen in andere Städte verlegt. Natürlich
waren die Männer auch sehr aufgebracht. Dann kam es auch vor, daß wir
den Frauen geholfen haben, die Sachen aus der Wohnung zu holen. Viele
standen dann auch eine Zeit vor der Tür und haben gewartet. Aber so
lange dauerte das nicht.
Gut, die Frauen waren nun da, alle Formalien erst mal erledigt. Was passierte dann ?
Erst mal haben wir uns darum gekümmert, daß die Frauen finanziell
versorgt waren, also gemeinsam zum Sozialamt, da gab es Bargeld. Dann
der gemeinsame Einkauf, damit was zu essen da war. Jede hat da ja ihr
eigenes Fach im Kühlschrank gehabt. Wenn das gesichert war, wurden noch
Einzelgespräche angeboten – davon wurde aber kaum Gebrauch gemacht. Wir
haben dann auch erklärt, was wir für Betreuungsangebote für die Kinder
haben. Und dann ging auch schon der Alltag los: Die Zimmer waren gerade
halbwegs eingerichtet – und schon haben sich manche fein gemacht,
gepudert, gespachtelt, geschminkt und ab auf die Rolle.
Was kann man darunter verstehen?
Nun, es warteten schon andere, neue Männer vor der Tür. Wenn wir Glück hatten, waren die Frauen zum Frühstück wieder da.
Und die Kinder?
Um die kümmerte sich der Nachtdienst.
Der war eigentlich fürs Telefon da – das war ja rund um die Uhr besetzt.
Aber hauptsächlich kümmerte sich der Nachtdienst um die Kinder, wenn
die Mütter nicht da waren. Da war zum Teil die Hölle los, die mußten
sich um einen ganzen Stall voll Kinder kümmern. Wenn die Mütter morgens
noch nicht wieder da waren, mußten wir die Schulkinder wecken, damit die
zur Schule kamen. Oft war dann auch nichts zu essen da. Da mußten wir
dann an die Notkasse ran und erst mal Brötchen einkaufen für die Kinder.
Welche Ausbildung hatten sie und die anderen Mitarbeiterinnen?
Ich selbst komme nicht aus dem sozialpädagogischen Bereich. Aber die
anderen waren schon alle ausgebildete Pädagoginnen. Außerdem waren sie
ausgebildet im Stockkampf, für den Fall, daß es mal Ärger gab.
Kurzhaarfrisur und Springerstiefel waren vorherrschend.
Mußten denn die Stockkampffähigkeiten öfter unter Beweis gestellt werden?
Das war die Ausnahme. Kamen uns Männer zu nahe, hatten wir ja unsere
Trillerpfeifen, da waren dann gleich alle da, das reichte meist.
Ansonsten mußten wir schon ab und zu mal in den Außeneinsatz, noch mal
rein in die Wohnungen, weil die Frauen noch nicht alles mitgenommen
hatten, und die Sachen abholen. War dann der Mann da, wurde der meist
abgedrängt. Einen haben wir ins Klo eingeschlossen. Die Polizei hat ihn
dann anschließend wieder befreit. Da waren wir schon ganz fit.
Was war das vorrangige Motiv, im Frauenhaus zu arbeiten?
Frauen zu helfen – Frauen helfen Frauen, halt auch das typische
Helfersyndrom. Die meisten waren sehr aktiv in der Frauenbewegung. Und
es war eben klar, daß Frauen in dieser Gesellschaft grundsätzlich Opfer
sind.
Wenn ich gesagt habe, verdammt noch mal, die Weiber müssen
auch mal ihren Hintern hoch bekommen, dann wurde das grundsätzlich
abgeblockt. «Die haben doch so viel mitgemacht, siehst du denn nicht,
daß die jetzt erst mal ihre Ruhe brauchen? Die sind geschlagen worden,
die brauchen jetzt erst mal Zeit zur Selbstverwirklichung.» Manchmal
konnte ich über das Chaos nicht mehr wegsehen. Die Küche, der
Aufenthaltsraum waren ein Schlachtfeld, auch die Zimmer unaufgeräumt,
überall lagen benutzte Pampers herum, der Gestank war teilweise
bestialisch. Aber bei meinen Kolleginnen war nichts zu machen, ich
sollte endlich ruhig sein, auch wenn es manchmal ein Horrorfilm war.
Und das änderte sich auch dann nicht, wenn man sehen konnte, die
Kinder gehen – so ganz ohne Betreuung durch die Mutter – langsam auf dem
Zahnfleisch?
Nein, dann kam wieder die alte Leier: «Du siehst
doch, die Frauen können das im Moment nicht leisten.» Außerdem waren wir
dann ja für die Kinder da.
Also Verantwortung für die Kinder war kein Thema? Die hätten dann doch auch zu Hause bleiben können …?
Ach, Verantwortung war kein Thema.
Hat sich das Jugendamt nicht mal für die Kinder interessiert?
Die hatten im Frauenhaus nichts zu suchen.
Aus welchem Grund?
Das Frauenhaus ist ein geschützter
Raum für Frauen, da haben Externe nichts zu suchen. Außerdem hatten wir
unsere eigenen Sozialpädagoginnen. Wenn es mal zu Auffälligkeiten der
Kinder kam, dann sind wir halt mit den Frauen zum Jugendamt. Aber rein
kam bei uns keiner. Das war klar, und da bestand auch gar kein
Interesse.
Kam es denn tatsächlich so selten vor, daß die Männer ihre Kinder sehen wollten?
Wenn es so einen Fall gab, dann haben wir die Frauen ganz schnell in eine andere Stadt verlegt.
Und haben die Kinder nicht ab und zu nach ihrem Vater gefragt?
Das haben wir ganz schnell ab geblockt, die meisten waren ja noch
klein. Da mußten wir schon mal trösten. Bei den größeren kam die Frage
schnell gar nicht mehr auf. Da saß man dann zu fünft beim
Kreuzworträtsel lösen, und dann wurde natürlich über die Kerle
hergezogen. Da kommt die Frage nach dem Vater gar nicht mehr auf, die
Kinder merken sehr schnell, was da los ist. «Männer sind Schweine.» Auf
der Seite der Mitarbeiterinnen lief das nicht anders. Wenn wir
nicht-lesbischen Frauen da mal gesagt haben, man muß auch mit den
Männern reden, haben wir uns auf dem Mitarbeiterinnenplenum schon öfter
mal einen Satz heiße Ohren geholt, da waren wir in der Minderheit.
Das heißt also, es wurde grundsätzlich nicht gefragt: Liegt
wirklich eine Mißhandlung vor, oder hat es halt nur einen Streit gegeben
– vielleicht auch mit Tätlichkeiten -, aber da ist vielleicht noch was
zu kitten, es gibt da vielleicht die Möglichkeit, daß die sich wieder
zusammen raufen, daß man doch noch miteinander klarkommt…?
Nein, überhaupt nicht.
Wie sah die finanzielle Situation der Frauenhäuser aus?
Wir kamen über die Runden. Das größte Problem war, daß der Haushalt
durch den intensiven Gebrauch der Frauen sehr belastet wurde. Es mag
komisch klingen, aber solche Sachen wie Toilettenpapier, Waschmittel und
so weiter – die waren oft Mangelware. Das ging weg wie nix. Und dann
war der Jahreshaushalt meist schon im Oktober aufgebraucht. Da haben wir
dann improvisieren müssen, auch weil die Frauen oft schon zum 15. das
Geld verbraucht hatten und einfach nichts mehr zu essen da war. Meist
sprang dann schon das Sozialamt ein, ohne große Nachfrage. Aber wenn
sich das wiederholte, gab es auch da irgendwann mal Probleme. Natürlich
haben wir immer über zu wenig Geld geklagt, das gehörte dazu – aber wir
kamen über die Runden.
Und die Öffentlichkeit – war man da anerkannt?
Na ja, im Volksmund wurden wir die «Schlüpferburg» genannt. Aber sonst gab es da keine Probleme.
Das waren die Verhältnisse in Kassel – wie sah es denn in Göttingen aus?
Da lief schon einiges ganz grundsätzlich anders. Angefangen von der
allgemeinen Ordnung über die Verwaltung des Geldes bis hin zur
nächtlichen Abwesenheit, das Kümmern um die Kinder … Da wurde viel
weniger hingenommen. Kam es zu Problemen, gab es sofort ein
Einzelgespräch, und da wurde auch schon klar gesagt: «Wenn du dir das
und das leistest, dann ist hier kein Platz für dich – den haben andere
dann nötiger als du.» – Das klappte wunderbar. Auch wurde sehr darauf
geachtet, daß die Frauen nicht auf ewig im Frauenhaus bleiben, es wurde
viel aktiver auf die Integration hin gearbeitet. Dort waren die
Betreuerinnen im Durchschnitt doch um einiges älter und entsprechend
erfahrener. Auch Verantwortung war da ein Thema. Unter diesen Aspekten
wurde den Frauen dort wirklich geholfen, da wurde gute Arbeit gemacht.
Kassel hätte man im Vergleich dazu eigentlich schließen müssen.
10 Jahre später: Was ist heute Ihre inhaltliche Hauptkritik an der Arbeit der Frauenhäuser, an dem, was Sie damals erlebt haben?
Es wurde überhaupt nicht auf die Männer gehört… Deren Belange und deren
Version, die Belange der gesamten Familie wurden überhaupt nicht
berücksichtigt. Die Frauen konnten diese Einrichtungen gnadenlos
ausnutzen – und viele haben es auch getan. Überhaupt kann ich nur sagen:
Notwendig ist ein Mindestmaß an staatlicher Kontrolle. Da fand damals
ja gar nichts statt, und ich glaube, auch jetzt tut es das nicht.
Richtig zum Nachdenken bin ich dann gekommen, als ich vor zwei Jahren
den Ludwig kennen gelernt habe, wir haben Freundschaft geschlossen.
Der
war damals in der ganz großen Krise, hatte zwei Söhne. Der war einer von
diesen «gewalttätigen» Männern. Seine Frau war damals von einem anderen
Mann schwanger, die lebten schon in zwei Wohnungen, aber noch im selben
Haus. Ludwig hat ihr damals auch tatsächlich zwei Ohrfeigen gegeben –
aber sie stand mit einem Riesenküchenmesser vor ihm und hat ihn bedroht.
Und als ich dann später die damaligen Kontoauszüge gesehen habe, konnte
ich die Ohrfeigen auch aus diesem Grund verstehen. Da habe ich mich an
meine Frauenhauszeit erinnert und gedacht: «Wie viele Frauen hast du
bedauert, die dir gegenüber gesessen und ihre Geschichte zum besten
gegeben haben.» Und ich habe gedacht: «Mein Gott, das hätte auch Ludwigs
Frau sein können.
Dieser Beitrag wurde dem Buch
von Matthias Matussek “Die vaterlose Gesellschaft – Briefe, Berichte,
Essays” Rowohlt 1999, ISBN 3-499-60816-2, Seite 233 entnommen. Amazon
Links
Veröffentlicht im WGvdL-Forum
FemokratieBlog: Die Frauenhauslüge (PDF – 23 Seiten)
Gründerin des ersten Frauenhauses Erin Pizzey: Gewalt von Frauen
WGvdL-Forum-Diskussion: Veröffentlichung von Frauenhaus-Adressen
WikiMANNia: Frauenhaus • Männerhaus
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