06.05.12

Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat am Freitag eine Grundsatzentscheidung getroffen, die richtungsweisend ist.04.05.2012

Grundrechte in Verfassung: Für Funk „ein Meilenstein“

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), dass die EU-Grundrechtecharta Verfassungsrang hat, ist ein „Meilenstein in der Entwicklung der Grundrechte-Judikatur“. Sie bewirke - im Kombination mit Verfassung und Menschenrechtskonvention - einen nun so gut wie „vollständigen Grundrechtsschutz“.
Die seit langem diskutierte Neukodifikation der Grundrechte sei damit hinfällig, betonte der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk heute im APA-Gespräch.
Der VfGH habe eine „Doktrin“ geändert: Bisher erachtete es der Gerichtshof für nicht geboten, die österreichischen Gesetze am Unionsrecht zu messen. Künftig werden Gesetze und Verwaltungsakte auch dann als „verfassungswidrig“ aufgehoben, wenn sie gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen. Die Einhaltung der EU-Grundrechte kann beim VfGH „eingeklagt“ werden.

„Weitreichende Konsequenzen“

Das sei eine „sehr beachtliche Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen“. Sie werde „bedeutende Auswirkungen auf die Grundrechte haben“ - und schließe Lücken. Denn die EU-Charta geht über die Verfassung und die Menschenrechtskonvention hinaus. So enthält sie für den Asylbereich eine Garantie des Rechtsschutzes samt Recht auf ein gerichtliches Verfahren, soziale Grundrechte (z. B. ein verbrieftes Streikrecht und ein Recht auf Kollektivverträge) und weitergehende Gleichbehandlungsgebote etwa für Kinder, ältere Menschen und Behinderte.

Publiziert am 04.05.2012   News ORF.at







Überblick: Die Grundrechtecharta der EU 

Der Verfassungsgerichtshof in Wien hat am Freitag eine Grundsatzentscheidung getroffen, die richtungsweisend ist. 

Die Grundrechtecharta der EU steht im Verfassungsrang. Die Grundrechtecharta der EU umfasst neben den klassischen Grund- und Freiheitsrechten aus der Menschenrechtskonvention auch Rechte auf Verbraucher- und Datenschutz, die Verpflichtung der EU zum Umweltschutz sowie soziale Rechte wie jenes auf "würdige Arbeitsbedingungen" oder das Streikrecht. Sie trat am 1. Dezember 2009, gemeinsam mit dem Lissabon Vertrag, in Kraft.

 

Der Wirkungsbereich der Charta ist allerdings eingeschränkt: Im vollen Umfang gilt sie nur für die EU-Organe, die Mitgliedstaaten müssen sie ausschließlich bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht - nicht bei ihren innerstaatlichen Gesetzen und Verwaltungshandlungen - beachten.

Das Kapitel I der Grundrechtecharta enthält Bestimmungen über die "Würde des Menschen". Artikel 1 lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen." Artikel 2 regelt das "Recht auf Leben" und das Verbot der Todesstrafe, Artikel 3 das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit inklusive eines Verbots von Eugenik und des Klonens von Menschen.

Kapitel II enthält die "Freiheitsrechte" - also etwa das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie das Recht auf Bildung und das Asylrecht.

Kapitel III ("Gleichheit") regelt die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz sowie ein umfassendes Diskriminierungsverbot (Rassismus, Sexismus etc.) und die Verpflichtung zur Integration von Behinderten.
Neue Grundrechte finden sich in Kapitel IV ("Solidarität") - unter anderem das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Kollektivverträge abzuschließen sowie das in Österreich bisher nicht gesetzlich verankerte Streikrecht und der Anspruch auf kostenlose Arbeitsvermittlung. Außerdem soll die Politik der Union ein "hohes Umweltschutzniveau" und ein "hohes Verbraucherschutzniveau" sicherstellen.

Unter Kapitel V ("Bürgerrechte") findet sich neben dem Wahlrecht aller EU-Bürger bei EU- und Kommunalwahlen auch eine für Österreich neue Bestimmung, nämlich das "Recht auf eine gute Verwaltung". Konkret: Das Recht auf Anhörung im Verwaltungsverfahren, auf Aktenzugang und auf eine begründete Entscheidung der Behörden.

Kapitel VI regelt "justizielle Rechte" wie das Recht auf ein unparteiisches Gericht, die Unschuldsvermutung sowie die Bestimmung, dass niemand wegen derselben Straftat zweimal verurteilt werden darf, sowie das Verbot von "unverhältnismäßigen" Strafen.

(APA)

 

 

 

 



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