Kinderheime: Anwalt will weiteren Opfern Pension verschaffen Immer mehr ehemalige Heimkinder erheben Ansprüche nach den Verbrechensopfergesetz. Das österreichische Bundessozialamt warnt vor "Enttäuschung".
Er kämpft für
Tierschutz, hat den Papst geklagt und eröffnete Heimkindern eine neue
Möglichkeit, Entschädigungen zu bekommen: Der deutsche Anwalt Christian
Sailer, 76, wird mit Anfragen aus Österreich überhäuft.
Wie der KURIER berichtete, hat der Jurist für die 68-jährige Heike K.
(Name von der Redaktion geändert) eine staatliche Pension nach dem
Verbrechensopfergesetz (VOG) erwirkt (siehe Zusatzbericht unten). Das
österreichische Bundessozialamt sieht es als erwiesen an, dass unter
anderem sexueller Missbrauch im Tiroler Kinderheim St. Martin Grund für
die spätere Berufsunfähigkeit Heike K.s war. Sie bekommt nun ein
Vielfaches ihrer nur rund 260 Euro betragenden Pension vom Staat
ausgezahlt. Jetzt hat Sailer den nächsten Pensionsantrag nach dem
Verbrechensopfergesetz eingereicht (siehe Faksimile). Wieder für ein
ehemaliges Tiroler Heimkind. "Den Antrag von Frau Claudia K. habe ich am
31. Juli abgeschickt", sagt Sailer.
Claudia K., 47, im Gespräch mit dem KURIER: "Ich bin in den Heimen
Scharnitz und St. Martin vergewaltigt worden." Zwei Klosterschwestern
hätten sich im ersten, ein Hausarbeiter im zweiten Heim an ihr
vergangen. Über die gefängnisähnlichen Zustände samt Einzelhaft im
"Karzer" von St. Martin und Zwangsarbeit wurde bereits berichtet.
Ursprung Kinderheim
Heute erhält Claudia K. eine kleine Invaliditätspension. "Ich schaffe
keinen Job." Sie war medikamentenabhängig. "Frau K. entwickelte eine
Reihe von psychischen Störungen und psychosomatischen Erkrankungen, die,
wie bereits erwähnt, in der Zeit ihrer Heimaufenthalte ihren Ursprung
haben", heißt es im klinisch-psychologischen Kurzbericht der
Psychotherapeutin Ulrike Paul. Anwalt Sailer sieht "gute Chancen, dass
Frau Claudia K. die Pension durch das Bundessozialamt zuerkannt wird".
Einen weiteren Pensionsantrag nach dem VOG will er demnächst für den
Tiroler Christian D. einreichen. Ihm werden u. a. "Anpassungsstörung",
"posttraumatische Belastungsstörung" und "Depressionen" attestiert.
Alkohol- und Drogenmissbrauch habe er überwunden, sagt Christian D.,
"aber ich habe noch immer schlaflose Nächte und Albträume". Auch er sei
in Tiroler Heimen als Bub sexuell missbraucht und misshandelt worden.
Neben der Pension überlegt D., das Land Tirol "auf Schmerzensgeld zu
klagen". Im Bundessozialamt sind nach den KURIER-Berichten über die erste
Verbrechensopferpension für ein ehemaliges Heimkind 15 derartige
Anträge eingegangen. Weitere werden wohl folgen, weil nun auch die
Verbrechensopfer-Organisation Weisser Ring ihre Klienten auf die
Möglichkeit hinweisen will. Auch der Wiener Opferanwalt Johannes Öhlböck
hat "15 bis 20 ehemalige Heimkinder über diese Möglichkeit informiert".
Kein Monopol
Sein deutscher Kollege Sailer meint: "Es ist viel in Bewegung." Er
freut sich, dass auch österreichische Kollegen die Entschädigung nach
dem VOG aufgreifen. "Ich hab’ ja kein Monopol darauf." Im Bundessozialamt warnt man vor voreiligen Schlüssen: "Wir brauchen
Gutachten. Sachverständige müssen bestätigen, dass Vorkommnisse vor 40,
50 Jahren den Verdienstentgang verursacht haben. Eine erhebliche
Wahrscheinlichkeit muss bestehen." "Die Sorge ist, dass wir viele
Menschen enttäuschen müssen", wird Günther Schuster, Leiter des
Bundessozialamtes, im ORF zitiert. Auch der Präsident des Weissen Rings, Udo Jesionek, sagte auf KURIER.at:
"Es wird nicht so einfach sein. Man muss nachweisen, dass der jetzige
Zustand kausal auf das Geschehen im Heim zurückzuführen ist."
Das Gesetz: Psychologen und Ärzte sind am Wort
Der neue Pensionsantrag für Claudia K. wurde mit 31. Juli 2012 eingereichtPrinzipiell hat jedes Opfer von Verbrechen die Möglichkeit,
Anspruch nach dem Verbrechensopfergesetz zu erheben. Dafür braucht es
keinen Rechtsbeistand, Formulare gibt es bei den Regionalstellen des
Bundessozialamtes. Eine Pension nach dem Verbrechensopfergesetz wird
dann zuerkannt, wenn das Opfer nachweisen kann, dass der
Verdienstentgang durch gesundheitliche Folgen direkt mit dem Verbrechen
(z. B. Missbrauch in Heimen) in Zusammenhang steht. Es benötigt keine
100-prozentige Beweisführung, sondern hohe Wahrscheinlichkeit.
Psychologische und ärztliche Attests werden dafür benötigt. Auch das
Bundessozialamt zieht bei der Prüfung jedes Falles medizinische Experten
zu Rate.
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