Sie wurden geprügelt, gedemütigt und
missbraucht. Nun können ehemalige Heimkinder auf eine baldige
Entschädigung hoffen. Der Berliner Senat will ab Mitte Januar 2012 eine
Beratungsstelle für misshandelte Heimkinder einrichten, die Anträge auf
finanzielle Leistungen prüfen soll. Diese Maßnahme ist Teil des
bundesweiten „Fonds Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in
den Jahren 1949–1975“, der von dem Runden Tisch Heimerziehung empfohlen
wurde und jetzt in die Praxis umgesetzt werden soll.
120 Millionen Euro umfasst der
Fonds insgesamt, der zu je einem Drittel vom Bund, den Kirchen und den
betroffenen Ländern gemeinsam mit den Kommunen finanziert wird. Berlin
beteiligt sich mit 1,1Millionen Euro. Vorerst ist lediglich eine
Entschädigung von Opfern aus den alten Bundesländern und West-Berlin
vorgesehen. Der damalige Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hatte aber
bereits im Sommer 2011 angekündigt, auch ostdeutsche Opfer finanziell
zu entschädigen. Eine Arbeitsgruppe des Bundes und der östlichen
Bundesländer will dazu bis Ende März Ergebnisse präsentieren.
Insgesamt 100 Millionen Euro
sollen an westdeutsche Opfer fließen, die Folgeschäden aus der
Heimerziehung, wie etwa Traumatisierungen oder „besonderen Hilfebedarf“
nachweisen können, heißt es in einer Vorlage des Senats an das
Abgeordnetenhaus. 20 Millionen Euro stehen für Rentenersatzzahlungen zur
Verfügung. Viele Heimkinder wurden ab ihrem 14. Lebensjahr zu Arbeiten
verpflichtet. Bei einem Teil der Kinder führten die Heimleitungen jedoch
die Beiträge zur Sozialversicherung nicht ab, woraus den Betroffenen
später Nachteile bei der Rentenberechnung entstanden. Diese sollen durch
die Ersatzzahlungen ausgeglichen werden. Vorwiegend aber soll Hilfe in
Form von Sachleistungen wie der Finanzierung von Therapiemaßnahmen oder
ambulanten Pflegekräften gewährt werden. Pro Antragsteller sind nach
Angaben der Senatsverwaltung für Bildung bis zu 10.000 Euro an Hilfen
vorgesehen; im Falle einer nicht angerechneten Arbeit im Heim noch
einmal 6000 Euro zusätzlich an ausgleichenden Rentenzahlungen.
Die Studie „Heimerziehung in
Berlin – West 1954–1975, Ost 1945-1989 schildert drastische Zustände in
Berlins Heimen. Experten schätzen, dass es in West-Berlin in dem
Zeitraum bis zu 30.000 Heimkinder gegeben hat. In Westdeutschland und
West-Berlin gab es zwischen 1945 und 1975 800.000 Heimkinder, 120.000 in
der DDR bis 1989. Der Bericht benennt etliche Einrichtungen, in denen
Kinder misshandelt wurden – darunter das Kinderheim Königsheide, das
Paul-Wenzel-Heim in Wannsee oder das Haus Conradshöhe in Tegel. Demnach
litten die Kinder unter Schlägen, Isolation und sexuellen Übergriffen.
„Berlin hat mit der
Dokumentation die Aufarbeitung vorangetrieben und dem Leid der
Heimkinder eine Stimme verliehen“, sagte Sigrid Klebba, Staatssekretärin
der Senatsverwaltung für Bildung, Morgenpost Online. Dieses Unrecht
könne zwar nicht ungeschehen gemacht werden, „aber wir können und müssen
den Weg der Wiedergutmachung gehen“. Betroffene können ab Mitte Januar
2012 bis Ende 2014 Anträge auf Entschädigung einreichen. Berlin hat die
gemeinnützige Gesellschaft für sozial-kulturelle Arbeit mit der Prüfung
beauftragt. Der Verein Ehemaliger Heimkinder setzt jedoch wenig
Vertrauen in die neu geschaffene Beratungsstelle: „Die Hürden sind so
hoch angesetzt, dass wohl kaum jemand eine Entschädigung bekommen wird“,
sagte der Vereinsvorsitzende Dirk Friedrich.
„Wir setzen auf schnelle und
unbürokratische Hilfe“, sagt Thorsten Metter, Pressesprecher der
zuständigen Senatsverwaltung für Bildung. Für die Entschädigung muss der
Hilfesuchende belegen können, dass er unter Folgeschäden durch die
Heimerziehung leidet. „Das ist oft nicht einfach, da diese Zeit lange
zurückliegt“, räumt Metter ein. „Aber die Nachweispflicht wird großzügig
gehandhabt.“ Opfervertreter sehen diese Ankündigung skeptisch. Dirk
Friedrich vom Verein Ehemaliger Heimkinder, der bundesweit rund 500, in
Berlin etwa 30 Mitglieder hat, kritisiert: „Die Hälfte der Betroffenen
verfügt maximal über eine Fotokopie ihrer letzten Heimakte. Wie sollen
sie eine angemessene Entschädigung bekommen?“ Auch dass die Hilfen in
Form von Sachleistungen gewährt werden sollen, lehnt er ab. „Wir fordern
eine allgemeine monatliche Opferrente von 300 Euro“, so Friedrich.
Das Recht auf Entschädigung
geht auf eine Initiative ehemaliger Heimkinder zurück, die sich 2006 an
den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt hatten. Der Runde Tisch
Heimerziehung erarbeitete daraufhin eine Entschädigungslösung, welche
der Bundestag im Juli 2011 auf den Weg brachte.
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