18.11.12

Zunehmende Angst vor den Jugendämtern.....

 

 

Zunehmende Angst vor den Jugendämtern behindert den Kinderschutz

11.10.2012
Die BAG ASD/KSD (Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst, Kommunaler Sozialer Dienst) stellt eine zunehmende Angst der Bevölkerung vor einer Kontaktaufnahme zu den Jugendämtern fest.
Die Diskussion um vernachlässigte und misshandelte Kinder führt bereits seit längerer Zeit zu einer verstärkten Kritik an der Arbeit Sozialer Dienste in den Jugendämtern. Aktuelles Beispiel ist der Fall eines im Kellerraum aufgefundenen, vernachlässigten Kindes im Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein). Jeder dieser Fälle ist sorgfältig zu prüfen. Die Öffentlichkeit und beteiligte Personen haben ein Recht darauf, dass gegebenenfalls deutlich werdende Schwachstellen im Kinderschutzsystem und Fehlverhalten von Beteiligten nachgegangen wird und Maßnahmen der Fehlervermeidung ergriffen werden.

„Die pauschale Kritik an der Jugendhilfe und der Ruf nach einem stärkeren Eingriff der Jugendämter, wie anlässlich der Vorkommnisse im Kreis Segeberg geäußert, nehmen zu“, so Ingrid Gissel-Palkovich, Professorin für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kiel. Insbesondere seitens der Politik werden Forderungen nach neuen gesetzlichen Regelungen, unangemeldeten Hausbesuchen, schärferen Eingriffen und dem verstärkten Einsatz von Hebammen laut. Diese Forderungen werden das eigentliche Ziel - die Stärkung des Kinderschutzes – verfehlen.

Im Gegenteil: Sie tragen zu Verbreitung und Verfestigung von Ressentiments gegenüber den Jugendämtern und den dort tätigen Fachkräften in der Bevölkerung bei, erschweren somit den Zugang zur Jugendhilfe und behindern den Kinderschutz.
Die Sozialen Dienste der Jugendämter haben die Aufgabe, Eltern und ihre Kinder dort zu unterstützen, wo Hilfe notwendig ist. Dies erfolgt vor allem durch beratende und unterstützende Hilfen bei der Erziehung, wie etwa in Form einer ambulanten Familienhilfe. Besteht hingegen eine Gefahr für das Wohl eines Kindes, so haben die Jugendämter einen Schutzauftrag, dem sie konsequent, aber auch dem Einzelfall angemessen, nachkommen - etwa durch die sofortige Inobhutnahme eines Kindes.
Der schwierige Abwägungsprozess zwischen Hilfe durch Unterstützung und Hilfe durch Intervention ist die tägliche Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sozialen Diensten der Städte und Kreise in unserem Land. Die damit verbundenen Anforderungen sind in den letzten Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ erheblich gestiegen:
So leisten die Jugendämter in einer großen Anzahl von Familien auf Antrag der Eltern Hilfen in ambulanter, teilstationärer und stationärer Form, und das insbesondere bei denen, die von sich aus kaum in der Lage sind, eigenständig Hilfen zu erschließen – Kinder im Alter unter 6 Jahren.

Betrug die Anzahl begonnener Hilfen (zur Erziehung) 2005 noch 63 Hilfen je 10.000 der unter 6-jährigen, waren dies 2010 schon 108 Fälle; ein Anstieg von über 70 % (KOMDAT; akjstat, 3/11, S.5).
Auch bei den vorläufigen Schutzmaßnahmen gibt es eine deutliche Steigerungsrate. Wurden 2005 noch 25.664 Kinder und Jugendliche durch die Jugendämter in Obhut genommen, also vorläufig außerhalb der eigenen Familie untergebracht, waren dies 2011 schon 38.456; davon 28.429 auf der Grundlage einer festgestellten Gefährdungssituation (KOMDAT, akjstat, 2/12, S.10).
Die Zahlen verdeutlichen den immensen Aufgabenzuwachs der Jugendämter in den letzten Jahren und belegen, dass diese in der Regel ihrem Auftrag von Prävention und Intervention verantwortlich nachkommen.

„Die Arbeit der Sozialen Dienste ist Arbeit in einem Hochrisikobereich“, erläutert Anselm Brößkamp, Leiter eines sozialen Dienstes in Schleswig- Holstein. In zum Teil hochbelasteten Familiensystemen kann es immer wieder geschehen, dass, trotz fachlicher Unterstützung und Kontrolle durch die Jugendhilfe, Familien Reaktionen und Handlungsweisen zeigen, die nicht vorhersehbar waren und in deren Folge Kinder Schaden nehmen. Hierauf weist die BAG ASD/KSD ausdrücklich hin.
Den Eindruck erwecken zu wollen, Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern seinen mit Maßnahmen der Kontrolle, des Eingriffs und weiteren gesetzlichen Regelungen in jedem Fall zu verhindern, ist falsch und legt die Vermutung nahe, dass hier lediglich vorgetäuschter Handlungswille demonstriert werden soll. Auch das damit in der Öffentlichkeit hervorgerufene bzw. verfestigte Negativbild der Jugendhilfe bzw. der Jugendämter trägt nicht zur Stärkung des Kinderschutzes bei.

Notwendig sind insbesondere zwei Maßnahmen:

  • es bedarf einer ausreichenden personellen Ausstattung der Sozialen Dienste in den Jugendämtern. Die Sozialen Dienste der Jugendämter sind strukturell personell unterbesetzt und in vielen Kommunen kaum noch in der Lage, ihre verantwortungsvolle Aufgabe mit Engagement und in fachlicher Qualität wahrzunehmen. Trotz personeller Verstärkungen der ASD/KSD in den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis von Personal zu Fallzahl im Zeitraum 2006 bis 2010 weiter verschlechtert. Ohne personelle Verstärkungen, bei gleichzeitiger weiterer Qualifizierung der Fachkräfte wird es nicht gelingen, den Kinderschutz in Deutschland zu stärken
  • es bedarf einer Wiederherstellung von Vertrauen der Bevölkerung in die helfende und unterstützende Arbeit der Jugendämter. Nur so wird es gelingen, dass Eltern und Kinder, auch in schwierigen Lebenssituationen, den Kontakt zur Jugendhilfe aufnehmen.
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Wird weiterhin der Eindruck gestärkt, Aufgabe der Jugendämter sei es vorrangig unangemeldete Hausbesuche zu machen und Kinder von ihren Eltern zu trennen, werden Eltern und Kinder es zusehends vermeiden, überhaupt mit dem Jugendamt in Kontakt zu kommen. Eltern werden versuchen, ihre Schwächen und Unzulänglichkeiten zu vertuschen, Kinder und Jugendliche werden es unterlassen, sich selber Hilfen der Jugendämter zu erschließen.
Die BAG ASD/KSD ruft daher alle Verantwortlichen auf, sich dem Kinderschutz differenziert und mit der gebotenen Sachlichkeit zuzuwenden, den Aktionismus zu beenden und für eine ausreichende personelle Ausstattung der Sozialen Dienste einzutreten.
Dazu bedarf es auch einer Fallzahlobergrenze, wie von der BAG ASD/KSD bereits seit längerem gefordert.

Kontakt:

  • Prof. Dr. Ingrid Gissel-Palkovich; ingrid.gissel-palkovich@fh-kiel.de Tel.: 0175/6647120
  • Anselm Brößkamp; a.broesskamp@web.de Tel.: 0171/2474770
Pressemitteilung, Kiel, 9. Oktober 2012

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