13.11.12

Empathie macht Kinder starkWiederentdeckung einer Herzensfähigkeit

 

von Solveig Bach
 
Der Duden versteht unter Empathie die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich in andere Menschen einzufühlen. Familientherapeut Jesper Juul sieht sie als die Intelligenz des Herzen an und als dringend neu zu lernende Voraussetzung für eine friedliche Welt. 

 
Auf seiner Internetseite stellt sich Jesper Juul als Familientherapeut und Großvater vor. Das ist arg untertrieben, denn Juul gilt als der Erziehungspapst schlechthin. Er ist es, der deutschen Eltern immer wieder zu Gelassenheit rät, wenn die an ihrem Nachwuchs und vor allem an ihren eigenen Ansprüchen zu verzweifeln drohen.
Inzwischen hat Juul nicht nur unzählige Bücher geschrieben, die in viele Sprachen übersetzt wurden, er versucht auch, seine Erkenntnisse zunehmend systematischer zu vermitteln. Dazu hat er Schulversuche in dänischen Grundschulen initiiert und eine Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Universität von Dänemark begonnen. Ihm geht es um die Frage, was Erwachsene für Kinder tun können, um ihnen ein gutes Aufwachsen in einer Welt schneller Veränderungen zu ermöglichen. "Was ist dabei das Wichtigste und Wertvollste?"

Juul und seine Kollegen, unter ihnen sind Psychologen und Familientherapeuten, aber auch der Schriftsteller Peter Hoeg, kommen zu dem Schluss, dass es das Wichtigste ist, in sich selbst zu ruhen. Dann lässt sich auch der Kontakt zu anderen wesentlich verbessern und man findet sich besser in einer Welt zurecht, die sich ständig verändert. Aus diesen Überlegungen ist das Buch "Miteinander – Wie Empathie Kinder stark macht" entstanden.


Ein wiederzufindender Schatz

"Miteinander" ist bei Beltz erschienen und kostet 14,95 Euro.
"Miteinander" ist bei Beltz erschienen und kostet 14,95 Euro. 


Juul beschreibt darin die Stärkung des Mitgefühls als elementare Voraussetzung für eine friedlichere Welt. Seiner Ansicht nach kommen alle Menschen mit einem gesunden Selbstgefühl zur Welt, die meisten Kinder und noch mehr Erwachsene büßen diesen Schatz allerdings im Lauf ihres Lebens ein. Und damit auch einen wesentlichen Zugang zu Lebensfreude und Glück. Allerdings, davon zeigt sich Juul zutiefst überzeugt, kann man jenes intuitive Wissen, dass wir mit auf die Welt bringen, zurückerlangen.
Statt Kindern immerzu nur Grenzen zu setzen, will Juul sie wieder sich selbst und ihren Mitmenschen gegenüber öffnen. Dazu haben die Autoren Übungen entwickelt, mit denen verschiedene Fähigkeiten trainiert werden sollen.  Die "Essenz des Menschseins" sieht Juul in der Ganzheit aus Körperbewusstsein, Atmung, den empathischen Gefühlen des Herzens, Kreativität und der Bewusstwerdung all dessen.


Reize bis zum Abwinken

Es gehe nicht darum, die Kinder funktionstüchtiger zu machen oder gar zu therapieren. Das ist die Mission von Juul.  Doch vor lauter materiellen Überlegungen ist das tatsächliche Wohlergehen der Kinder längst in den Hintergrund getreten. Um sich wohl zu fühlen, müssten Kinder aber vor allem erst einmal wieder zur Ruhe und zu sich selbst kommen. Beim Sich-selbst-Kennenlernen geht es jedoch nicht um die Abkehr von der Welt, sondern um das Vertraut-werden mit dem, was uns wichtig ist.
Durch die ständige Förderung und Forderung seien viele Kinder dauernd überstimuliert und würden langsam süchtig nach immer neuen Reizen von außen. Juul will ihnen wieder die Wahl lassen zwischen dem Weg nach innen oder dem Fokus auf Freunde, Lehrer oder die rote Ampel. Das Pendeln zwischen diesen beiden Orten beschreibt Juul als fast schon verlorene Fähigkeit. Dies führe dazu, dass viele Kinder ständig "außer sich" und rastlos seien. Und das mache unglücklich und unkreativ.

Viele Eltern liefern zudem ständig Blaupausen von dem, was sie für eine gute Mutter oder einen patenten Vater halten. Diese fehlende Authentizität hat fatale Folgen. Kinder sind immer öfter nett oder korrekt, aber kaum mitfühlend mit anderen. Wir und sie auch sagen vielleicht das, was man so sagt. So liefern und hören aber die meisten von uns Phrasen statt echter Einfühlung.


Lust, etwas zu leisten

Und wenn Menschen uns nicht sympathisch sind, ist auch Schluss mit der Empathie. Dieser Ausschluss aus der Gemeinschaft macht Kinder kalt, so Juul. Zeitmangel und Stress tun ein Übriges. Doch auch Kindergärten und Schulen können Empathie fördern und davon sogar profitieren. Denn Fürsorge und das Bemühen um eine mitmenschliche Ebene sind Juul zufolge kein Widerspruch zu Leistungsanforderungen. Juul ist vielmehr sicher, dass mehr Empathie auch zu einem besseren Lernen führt.
Schon lange vor diesem Buch hat Juul den Begriff der Gleichwürdigkeit geprägt, der beschreibt, wie Eltern Kinder, ihre Gefühle und ihre Sicht auf die Welt ernst nehmen sollen. Wer das erlebe, fühle sich angenommen und gleichzeitig ein großes Zutrauen in sich.  Bis zur Empathie ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Das ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, doch Juul liefert Ansatzpunkte dafür. Das kann man für Träumerei halten oder für visionär. Juul hält es für überlebenswichtig.
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Quelle: n-tv.de

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