Ulrike Winkler mit einem Betroffenen: Der
heute 70 Jahre alte Jochen Hebert war von 1947 bis 1957 ein Heimkind in
den Diakonie-Anstalten. Von ihm stammt der Satz „Es war eine enge Welt“.
Harald Gebhardt
Übergriffe, Gewalt, sexueller Missbrauch, Demütigungen – all das gab es in den Nachkriegsjahren bis weit in die 70er-Jahre hinein auch in den damaligen Diakonie-Anstalten Bad Kreuznach.
Die Historikerin Dr. Ulrike Winkler hat nach dem Thema Zwangsarbeit im Dritten Reich nun auch die Geschichte der Heimkinder in dem Buch „Es war eine enge Welt – Menschen mit Behinderungen, Heimkinder und Mitarbeiter in der Stiftung kreuznacher diakonie, 1947 bis 1975“ aufgearbeitet. Das 256 Seiten starke Werk wurde beim Jahresfest vorgestellt. Ehemalige Heimkinder, die auf Schutz durch die Einrichtungen vertrauen durften, haben stattdessen physische und psychische Verletzungen erlitten, die bis heute nicht verheilt sind. „Wir lesen das Buch mit großer Betroffenheit und Scham“, sagte Pfarrer Wolfgang Baumann, Theologe im Stiftungsvorstand.
Es arbeitet nicht nur ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte auf, der sich die Diakonie aber stellen will, wie Frank Rippel vom Vorstand der Stiftung versichert, sondern auch ein „sehr schmerzhaftes“ (Winkler). Bereits 2007 gab es einen ersten Kontakt wegen Übergriffen auf Heimkinder, so Rippel. „Wir hätten besser daran getan, schon damals zu recherchieren“, räumte er ein. „Wir dachten aber, es sei nur ein Einzelfall.“ So habe man erst 2010 mit der Aufarbeitung begonnen. „Wir wollen die erlittenen Verletzungen nicht relativieren und bitten für dieses Unrecht um Vergebung“, sagte Rippel: „Wir wollen nichts beschönigen, müssen es aber auch akzeptieren, wenn ehemalige Heimbewohner nichts mehr mit uns zu haben wollen.“
Dem Thema Gewalt will sich die Stiftung weiter stellen und Übergriffen vorbeugen: Unter anderem wurde dazu ein Runder Tisch installiert. Es gelte, „wach und kritisch zu blieben“, so Rippel weiter: „Gewalt gegen Schutzbefohlene darf nicht toleriert werden.“
„Sie haben mir 'nen Teil meines Lebensmutes genommen.“ – „Ich hab' nicht geheult. Da waren wir ja alle viel zu stolz drum.“ –„Aber da hatte ich mich getäuscht. Schläge gab's dort auch.“ - „Keiner hat was mitgekriegt. Keiner hat was gesehen.“ Es sind Aussagen wie diese von ehemaligen Heimbewohnern, die betroffen machen, bedrücken, erschütternd zu lesen sind, ja Scham empfinden lassen – auch heute noch, nach so langer Zeit, so viele Jahre später. Und obwohl in anonymisierter Form wiedergegeben, der Betroffenheit tut das keinen Abbruch.
Eine der größten Klippen, die sie bei ihren Gesprächen mit ehemaligen Bewohnern und Mitarbeitern überwinden musste, war, ein Vertrauensverhältnis herzustellen, sagte Winkler. „Denn was nicht passieren darf, ist eine Retraumatisierung.“ (hg)
Das Buch von Ulrike Winkler ist im Verlag für Regionalgeschichte, ISBN 978-3-89534-942-3, erschienen und für 19 Euro im Buchhandel erhältlich.
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