Im Internationalen
Jahr des Kindes 1979 wurde eine Arbeitsgruppe der Menschenrechtsorganisation
der Vereinten Nationen beauftragt, eine völkerverpflichtende Kinderrechtskonvention
zu erarbeiten. 1989 wurde diese verabschiedet und von inzwischen über
190 Staaten ratifiziert. 1992 unterzeichnete auch die BRD die Konvention.
Artikel 3 stellt
die Grundaussage dar, die besagt, dass sich die Vertragsstaaten verpflichten,
ihre politischen und gesetzlichen Maßnahmen am Wohl des Kindes zu
orientieren:
"Die Vertragsstaaten
verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und
Pflichten seiner Eltern, seines Vormundes oder anderer für das Kind
gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge
zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem
Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen."
Die Kinderrechte
beinhalten 54 Artikel, die in vier Bereiche unterteilt sind:
- Überlebensrechte (survival rights) mit den Rechtsgrundlagen auf ausreichende Ernährung, angemessene Wohn- und Lebensverhältnisse und eine umfassende Gesundheitsversorgung,
- Entwicklungsrechte (development rights) mit dem Recht auf Bildung und Religionsfreiheit,
- Schutzrechte (protection rights) mit dem Schutz vor Gewalt, sexuellem Missbrauch und Ausbeutung,
- Beteiligungsrechte (participation rights) mit den Rechten der Beteiligung an für Kinder relevanten Entscheidungsprozessen und dem Recht auf freie Meinungsäußerung.
Bis zur Unterzeichnung
der Kinderrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland 1992 war
es ein konfliktreicher Weg.
Vorausgegangen
waren kontroverse Diskussionen von Pädagogen und Politikern, ob der
Partizipationsgedanke durchführbar sei und Kinder überhaupt
die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen in kognitiver und moralischer
Hinsicht hätten, um sich an Entscheidungsprozessen gesellschaftlicher,
politischer und kultureller Art zu beteiligen. Auch den Argumenten, dass
in der westlichen Welt doch längst alle Forderungen der Konvention
erfüllt seien, musste entgegengewirkt werden. Der Kinderbeauftragte
des Landes NRW Reinald Eichholz stellte dar, dass die Not der Kinder in
der BRD ein anderes Gesicht habe, als die Not der Kinder anderer Vertragsstaaten.
So fehlt z.B.
bis heute die Umsetzung von Artikel 19 im innerstaatlichen Recht der BRD,
in dem es um Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung
geht. Noch immer liegt körperliche Züchtigung in der Verantwortung
der Familie.
Eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist bisher
noch nicht geschehen. Kinder sind dort keine eigenen Rechtsträger.
Auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist nicht als Leistungsgesetz mit
fest umrissenen Rechtsansprüchen im Sinne positiv formulierter Grundrechte
von Kindern und Jugendlichen normiert. Diese sind allenfalls als Sollbestimmungen
definiert. Beispielhaft lässt sich dies an der Diskussion um den
Begriff "Kindeswohl" im KJHG im Zusammenhang mit sogenannten
Scheidungskindern feststellen.
Das Kind erscheint hier als Objekt des
elterlichen Umgangsrechts. Der unbestimmte Begriff des Kindeswohls ist
nach wie vor im Einzelfall zu füllen und lässt viele Interpretationsmöglichkeiten
von Erwachsenen zu. Der Gesetzgeber ist im KJHG nicht den Weg gegangen,
Kindern eigene Rechte gegenüber ihren Eltern einzuräumen, sondern
die Pflichtbindung der Eltern an ihren Erziehungsauftrag wird als Recht
des Kindes auf Erziehung formuliert. Somit ist die Kinderrechtskonvention
in vielen Punkten weit über das bundesdeutsche Recht hinausgegangen
und bis heute sind viele Forderungen der Konvention in Deutschland nicht
erfüllt. Damit im Erziehungsprozess die Würde des Kindes geachtet
wird, muss die Subjektstellung des Kindes ernst genommen werden.
Während es
1924 in der Erklärung über die Rechte des Kindes durch den Völkerbund
in erster Linie um Schutz und Versorgung von Kindern ging, und die Erklärung
der Vereinten Nationen 1959 das Recht auf Freiheit und Würde eingefügt
hat, stellt gerade der vierte Bereich der UN-Kinderrechtskonvention von
1989 eine grundlegende Erweiterung der Rechte von Kindern dar.
Hier wird die
Partizipation von Kindern auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller
Ebene ausdrücklich gefordert. Neben der Versorgung und dem Schutz
werden Kindern bürgerliche Rechte zugestanden. Kinder werden nicht
nur als schutzbedürftige Objekte verstanden, sondern auch als Subjekte,
die an Entscheidungsprozessen zu beteiligen sind. Die rechtliche Gleichstellung
von Kindern und Erwachsenen soll damit ermöglicht werden.
Die Vertragsstaaten
sind aufgerufen, über die Umsetzung in ihren Ländern durch regelmäßigen
Austausch und Berichte zu informieren.
Mit der Verpflichtung der Staaten, den Forderungen durch innerstaatliches Recht nachzukommen, könnten die Konventionen eine Rechtswirksamkeit bekommen, die sie momentan noch nicht haben.
"Kinder
werden nicht erst zu Menschen, sie sind es schon!"
Hinter diesem Zitat des polnischen Pädagogen Janusz Korczak (1878-1942) steht eine Pädagogik der Achtung, die als Vorläufer der Kinderrechte betrachtet werden kann.
Hinter diesem Zitat des polnischen Pädagogen Janusz Korczak (1878-1942) steht eine Pädagogik der Achtung, die als Vorläufer der Kinderrechte betrachtet werden kann.
Da Janusz Korczak
wusste, dass Erwachsene nicht freiwillig auf ihre Privilegien und ihren
Machtanspruch Kindern gegenüber verzichten, appellierte er nicht
an den Erzieher, das Kind zu achten. Er ging einen entscheidenden Schritt
weiter, indem er die Magna Charta Libertatis als ein Grundgesetz für
Kinder forderte. Korczak formulierte die Rechte der Kinder lange bevor
1959 die UN-Deklaration und dann endlich 1989 die UN-Konvention als völkerrechtliches
Gesetz Kinderrechte festlegte.
Das Kind durch
Rechte zu schützen bedeutete für Korczak in erster Linie, die
Erfahrungen des Kindes und damit sein Anderssein, seine Individualität
und sein Kindsein zu schützen.
Korczak verlangte
eine dialogische Struktur, in der das Recht auf Achtung oberste Priorität
hat.
"Ich fordere
die Magna Charta Libertatis, als ein Grundgesetz für das Kind. Vielleicht
gibt es noch andere - aber diese drei Grundrechte habe ich herausgefunden:
- Das Recht des Kindes auf seinen Tod
- Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag
- Das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist."
Diese Rechte sollen
das Kind vor dem Zugriff der Erwachsenen durch Wissenschaft, Psychologisierung,
Pädagogisierung, Scheinliebe und Leistungsanforderungen schützen.
Die Radikalität seiner Forderungen wird meines Erachtens besonders
durch den ersten Punkt deutlich. Indem er das Recht auf einen eigenen
Tod fordert, stellt er das eigene Leben mit seinen Wagnissen und Risiken
in die Eigenverantwortung des Kindes.
Dem Erwachsenen
wird damit zugemutet, eigene Ängste um das Leben des Kindes und eigene
Vorstellungen von dem geraden, gefahrlosen Weg in eine glückliche
Zukunft des Kindes genau zu überprüfen und, falls nötig,
zugunsten neuer Einstellungen zu revidieren. Damit würden die vielfältigen
kindlichen Erfahrungsmöglichkeiten geachtet und ihnen Raum gegeben.
Bereits 1919 postulierte
Janusz Korczak in seinem Werk "Wie man ein Kind lieben soll"
diese Grundrechte für Kinder. Korczak war es Zeit seines Lebens ein
Anliegen, Kinder als eigenständige Individuen zu achten. Als Anwalt
der Kinder lebte er mit ihnen und entwickelte demokratische Formen von
Kindermitbeteiligung und Selbstverwaltung. So gab es in seinen Waisenhäusern
Kindergerichte, eine Kinderzeitung und Selbstverwaltungsgremien.
Die Forderung
nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Kindes wird in dem "Recht
des Kindes auf seinen eigenen Tod" radikal formuliert. Für uns
auf den ersten Blick befremdlich und nicht so schnell nachvollziehbar,
meint Korczak damit u. a., dass Erwachsene Kindern durch ihre Angst und
Fürsorge wesentliche Erfahrungs- und Lebensmöglichkeiten nehmen.
Korczaks Deklaration
konnte zu seiner Zeit nicht weiter umgesetzt und realisiert werden. Erst
1959 wurde in der "Erklärung über die Rechte des Kindes"
durch die Vereinten Nationen festgelegt, dass es für Kinder, der
menschlichen Würde entsprechend, bürgerliche Rechte gibt.
Hierzu
gehören die Rechte auf Freiheit, auf Erziehung und Bildung, angemessene
Versorgung, Liebe und Zuwendung, als auch der Schutz vor Diskriminierung
und Gewalt. Vergleicht man diese zehn Artikel mit dem, was Janusz Korczak
bereits dreißig Jahre zuvor gefordert und gelebt hat, muss man enttäuschend
feststellen, dass der Anspruch weit hinter Korczak zurückgeblieben
ist. Das Recht, als einmaliger Mensch, der keinem Entwurf entsprechen
muss, wahrgenommen zu werden, der Geheimnisse und Träume haben darf,
das Recht auf Zeit, auf Raum, auf lebendige Umgangserfahrungen, auf Trauer
und Schmerz, das Mitspracherecht in allen das Kind betreffenden Lebensbereichen
- alle diese Rechte kamen nicht vor.
Janusz Korczak hielt gerade sie aber
für unentbehrlich und erachtete es für notwendig, Erwachsene
zu verpflichten, diese Rechte einzuhalten. 70 Jahre dauerte es, bis Korczaks
Forderung zumindest teilweise realisiert wurde: in einer verbindlichen
Rechtsform wurden 1989 einstimmig von der UN-Vollversammlung persönliche,
soziale, sittliche, kulturelle und politische Rechte für Minderjährige
verabschiedet. Damit wurde der Kindheit ein eigener Wert eingeräumt
und gesetzlich verankert, was Korczak schon Jahrzehnte vorher postuliert
hat.
Bis heute ist
es aber nicht gelungen, dass Kinder oder ihre Vertreter diese Rechte auch
einklagen können. Es geht eher um eine ethische Bedeutung, als um
einen juristischen Wert. So ist es immer noch möglich, dass es sowohl
in unserem Land als auch in den anderen Mitgliedstaaten der UN unzählige
Kinder gibt, die misshandelt, ausgebeutet und diskriminiert werden.
Kinder haben ein unveräußerliches Recht auf Schutz und Förderung. Nicht zuletzt durch die UN-Deklaration über die Rechte der Kinder ist die Sensibilität bei vielen Erwachsenen gestiegen, wenn es um Persönlichkeitsverletzungen von Kindern geht. Für die Wahrung der Rechte von Kindern setzen sich heute Kinderkommissionen und Kinderbeauftragte ein. Kinderinteressenverbände, wie z.B. der Deutsche Kinderschutzbund fordern und praktizieren politisches und gesellschaftliches Handeln, damit Kinder in ihren Entwicklungsmöglichkeiten unterstützt werden.
Eine wesentliche
Voraussetzung dafür, Kinder zu achten, ist es, sich selbst dem schmerzhaften
Prozess zu unterziehen, das Kindliche und Schwache in sich lebendig zu
halten und den Zugang dazu nicht durch unsere starren Erwachsenenrollen
zu verstellen.
Auf die Frage: "Wer kann Erzieher werden?" antwortet
Korczak: "Alle Tränen sind salzig, wer das begreift, kann
Kinder erziehen, wer das nicht begreift, kann sie nicht erziehen."
(Korczak, J.:
Von Kindern und anderen Vorbildern, 1979, S.119)
Literatur
Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Übereinkommen über
die Rechte des Kindes. UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien.
Bonn, 5. Aufl. 1996
Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Rechte der Kinder von
logo einfach erklärt. Bonn 1999
Janusz
Korczak. Wie man ein Kind lieben soll. Göttingen. Vandenhoek &
Ruprecht 1967
Janusz
Korczak. Das Recht des Kindes auf Achtung. Göttingen. Vandenhoek
& Ruprecht 1970
Janusz
Korczak. Begegnungen und Erfahrungen: kleine Essays. Göttingen. Vandenhoek
& Ruprecht 1973
Janusz
Korczak. Von Kindern und anderen Vorbildern. Gütersloh. Gütersloher
Verlag - Haus Mohn 1979
Janusz
Korczak. Verteidigt die Kinder! Gütersloh. Gütersloher Verlag
- Haus Mohn 1981
Ministerium
für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW. Kinderrechte!
Kinderpflichten? Tagungsdokumentation, Düsseldorf 1997
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen