15.08.13

Scheidungsväter oft nicht mehr als "Zahlpapas"


09.07.2013, 16:17 Uhr | Nicola Wilbrand-Donzelli, t-online.de
Sorgerecht: Die meisten Scheidungsväter wollen mehr sein als reine "Zahlpapas". (Quelle: Thinkstock by Getty-Images)
Die meisten Scheidungsväter wollen mehr sein als reine "Zahlpapas". (Quelle: Thinkstock by Getty-Images)


Heute wird fast jede zweite Ehe in Deutschland geschieden. Jährlich sind davon etwa 170.000 Kinder betroffen. Obwohl das elterliche Sorgerecht auch nach der Trennung häufig zu gleichen Teilen ausgeübt wird, ist dies in der Praxis oft schwierig durchzusetzen. In rund 90 Prozent der Fälle leben die Kinder bei der Mutter. Für viele Väter bedeutet dies eine große Umstellung: Sie sehen ihren Nachwuchs nur noch zu bestimmten Zeiten. Eine Situation, mit der viele Scheidungsväter nur schlecht zurechtkommen. Sie wehren sich dagegen, nur "Zahlpapa“ oder "Eventdaddy“ zu sein und kämpfen dafür, ihre Vaterrolle vollständig wahrzunehmen.


"Über die Erfahrungen von Scheidungsvätern wissen wir nur wenig, und das wenige, was wir zu wissen glauben, ist nicht selten von Vorurteilen geprägt.“ So beginnt der Sozialwissenschaftler Gerhard Amendt sein Buch "Scheidungsväter“. Darin hat er die Erkenntnisse der viel beachteten Studie der Uni Bremen über das Thema zusammengefasst, bei der über mehrere Jahre hinweg 3600 Männer befragt wurden, in welcher Weise "Väterlichkeit“ nach der Trennung gelebt werden kann.


Verlust der alten Rolle

 

Das Ergebnis spiegelt vor allem die Angst vieler Väter wider, nur noch als zahlender "Sugar-Papa“ oder "Eventdaddy“ für Wochenendausflüge gesehen zu werden und gleichzeitig Gefahr zu laufen, die innige Beziehung zu ihren Kindern zu verlieren. "Bei vielen Männern“, so Studienleiter Gerhard Amendt , "wird das Gefühl zerstört, in einem Familiengefüge emotional eingebettet und als Vater anerkannt zu sein.“ Deshalb kämpfen viele Väter um den Erhalt und die Kontinuität ihrer alten Rolle. Doch die Bemühungen sind oft wenig erfolgreich, wie die Bremer Studie zeigt. Danach strebten 85 Prozent der Befragten das gemeinsame Sorgerecht an, doch schon während der Trennungsphase hatte nur noch die Hälfte der Männer häufigen, knapp 18 Prozent wenigen und sogar gut 30 Prozent gar keinen Kontakt mehr zu den Kindern.

Schleichende Entfremdung

 

Die Ursachen für solch ungewollte väterliche Entfremdung und Passivität, ist neben der veränderten Wohnsituation, nicht selten die mangelnde Kooperation der Mütter, die unter anderem bewusst oder unbewusst versuchen, das zeitliche Zusammensein von Vater und Kind einzuschränken und den anderen Elternteil auszugrenzen. Das ergaben die Aussagen der Betroffenen. Die Gründe für den mütterlichen "Boykott“ können vielfältig sein - empfundene Kränkungen, persönliche Abneigung gegen den ehemaligen Partner oder schlicht die Tatsache, dass der Ex nicht mehr in den neu gelebten Alltag passt. Dagegen anzugehen, ist für denjenigen, der nicht mit den Kindern zusammenlebt, äußerst schwierig. Wenn der betreuende Elternteil es beispielsweise durch Absagen von Umgangsterminen oder schlechte Nachrede darauf anlegt, das Kind vom Ex-Partner zu entfremden, so beginnt für den Nachwuchs und (in den meisten Fällen) für den Vater eine schwierige Zeit. Nicht wenige Väter, so erfuhren die Sozialwissenschaftler, zogen sich irgendwann zermürbt und resigniert zurück, brachen den Kontakt ab, auch um ihre Kinder nicht weiter mit den elterlichen Konflikten zu belasten und in einen Loyalitätskonflikt zu bringen.


Soziales Umfeld spielt eine große Rolle

 

Dabei laufen Männer in niedrigeren Einkommens- und Bildungsverhältnissen kombiniert mit der psychischen Ausnahmesituation einer Trennung am ehesten Gefahr, sich von ihrem Nachwuchs zu distanzieren. Das belegen auch Untersuchungen des Instituts für Familienforschung der Universität Wien: Danach gaben gutverdienende Väter an, sich intensiver um ihre Kinder kümmern zu können, wenn sie ihnen zum Beispiel in der neuen Wohnung ein eigenes Zimmer einrichteten. Und jene, die sich keine "materiellen Extras“ leisten konnten, zogen sich eher zurück mit der resignierenden Frage, ob die Kinder ohne sie nicht glücklicher wären.


Kämpfen um das Sorgerecht

 

Vermehrt versuchen in den letzten Jahren geschiedene und getrennt lebende Männer, die sich ausgegrenzt fühlen, aus diesem Dilemma herauszukommen und ihr Recht auf "Väterlichkeit“ in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren einzuklagen, um so wieder mehr am Leben ihrer Kinder teilzuhaben. Doch auch dies ist schwierig umzusetzen: Denn allzu oft dauert ein solcher Rechtsstreit samt gegenseitiger Gutachten mehr als ein Jahr, in dem häufig eine Entfremdung fortschreitet. So bleibt vielen Richtern schließlich nichts anderes übrig, als den Status Quo festzuschreiben und dem bisher betreuenden Elternteil - meist der Mutter - das alleinige Sorgerecht zuzusprechen.


Väter im Nachteil

 

Wie ratlos und frustriert viele "Teilzeitväter“ solche Auseinandersetzungen machen, zeigt die rege Kommunikation im Internet zwischen Betroffenen. Jo schreibt beispielsweise: "Mein Kind wurde aufgestachelt und will nun nichts mehr von mir wissen, trotz Unterhaltszahlungen etc. Es wird wohl immer so sein: Das Jugendamt stellt sich grundsätzlich auf die Seite, bei der das Kind lebt.“ Oder Guido klagt: "Meine Kids, zehn und sieben Jahre, haben beide vor Gericht ausgesagt, dass sie bei mir leben möchten. Leider wurde gegen den Willen der Kinder und gegen meine Bedenken entschieden, obwohl bekannt war, dass meine Frau weit weg zieht und sie damit die Kinder aus ihrem sozialen Umfeld herausreißt. Doch ich habe verloren, weil Kinder ja immer zur Mutter gehören! Wo sind denn da die Rechte der Väter?" Auch Marcel, der fünf Jahre keinen Kontakt zu seinem Sohn hatte, fühlt sich nur wenig unterstützt: "Auf meinen Hinweis beim Jugendamt, dass ich den Jungen nicht sehen darf, kam halt nur die Antwort: 'Dann müssen Sie eben klagen.' Toll, dann hab ich einen Titel und dann? Ist das wirklich im Sinne des Kindes?“


Vorurteile und schlechtes Image

 

Diese extremen Fälle sind zwar die Ausnahme, dennoch existiert in unserer Gesellschaft immer noch ein eher abschätziges Kollektiv-Bild über Scheidungsväter, die sehr häufig pauschal als Verursacher von starken Belastungen für Mütter und Kinder gesehen werden und als diejenigen, die die Familie im Stich lassen. Bisher wurde kaum versucht, dieses Image zu hinterfragen, das noch aus einer Ära stammt, in der die Männer hauptsächlich als finanzielle Leistungsträger angesehen wurden, ihre eigene Emotionalität keine Rolle spielte, geschweige denn ihnen zugetraut wurde mit gleicher Kompetenz wie Mütter ihre Kinder zu betreuen. Der Satz "im Zweifel ist das Kind bei der Mutter doch besser aufgehoben“ hat noch immer Gewicht.


Hilfe durch "Väter-Vereine“

 

Genau gegen solche gängigen Klischees, engagieren sich "Väter-Vereine“. So zum Beispiel "Väter helfen Vätern e.V.“ und die bundesweit größte Organisation dieser Art "Der Väteraufbruch für Kinder e.V.“ (VafK), die mittlerweile über 3000 Mitglieder zählt und mit ihrer Arbeit jährlich 25.000 Väter aber auch Mütter anspricht. Denn darauf legt der Verein, der seit 1988 aktiv ist und in vielen Städten vertreten ist, großen Wert: Er möchte nicht gegen Mütter polarisieren. Sein Motto ist: “Allen Kindern beide Eltern!“ Im Mittelpunkt stehe das Kind, so ist es in der Präambel zu lesen, das ein Anrecht habe auf gleichwertige Erziehung beider Elternteile. Der Verein fordert weiter: "Konsequente Gleichstellung im Familienrecht, paritätische Elternschaft nicht nur auf dem Papier, sondern gelebte Wirklichkeit.“


Unterstützung und Solidarität

 

In der alltäglichen Hilfestellung heißt dies, ratlose Elternteile an die Hand zu nehmen. Der Bundesvorsitzende des "VafK“ Ulrich Mueller macht den Betroffenen auf der Website des Vereins Mut, rechtzeitig Unterstützung und Beratung in einer der vielen Kreisgruppen in Anspruch zu nehmen: "Wenn Sie befürchten, dass Ihnen Zugang und Mitsprache bei Ihren Kindern verwehrt oder auch nur erschwert werden soll, egal von wem - lassen Sie sich helfen, und zwar so früh wie möglich. Das ist das Beste für Ihre Kinder und Sie selbst.“ Und er rät außerdem, das Problem so ruhig wie möglich anzugehen, aber dabei niemals aufzugeben. Denn nur wer kapituliere, habe seine Kinder wirklich verloren.
So erhalten Hilfesuchende nicht nur fachlichen Rat, Zuwendung und Solidarität, sondern auch praktische Unterstützung: Zum Beispiel nehmen im Rahmen des sogenannten "Besuchsbettenprogramms“ Vereinsmitglieder andere Väter als Gäste auf, die in der entsprechenden Stadt - viele Kilometer entfernt vom eigenen Wohnort - ihre Kinder besuchen wollen. Darüber hinaus engagiert sich der "VafK“ auch politisch und versucht durch Infoschriften, öffentliche Veranstaltungen, Pressearbeit und durch Kontaktaufnahme mit Politikern, Beratungsstellen, Familienrichtern und Jugendämtern auf die Problematik aufmerksam zu machen.


Umdenken erforderlich?

 

Genau an diesem Punkt setzte auch die Studie von Sozialwissenschaftler Gerhard Amendt an. Er fordert schon seit Jahren, dass auf Seiten der Gerichte, der Jugendämter und der helfenden Berufe ein Umdenken erforderlich sei und eine Debatte über eine neue "Väterlichkeit“ geführt werden müsse. Männer entwickelten nach der Scheidung oft ein neues Verständnis für ihre Vaterrolle, weil durch die Trennung die alte Rolle innerhalb der Familienstruktur außer Kraft gesetzt wurde, so Gerhard Amendt. Seine Forderung: "Diese Veränderungen müssen gesellschaftlich unterstützt werden, gerade wenn damit die weitgehende mütterliche Alleinverfügung über die Kinder begrenzt wird.“ Denn obwohl nach dem Familienrecht Vater und Mutter gleichwertige, wenn auch unterschiedliche Bedeutung für ihre Kinder hätten, fehle in der Praxis oft das Verständnis für die Männer nach der Trennung.


"Eventdaddy“ als Privileg

 

Doch trotz aller Widrigkeiten für alle Beteiligten nach einer Scheidung, die Rolle des Freizeitvaters, der seine Kinder meist an Wochenende sieht, sollte nicht nur negativ beurteilt werden. Immerhin hat ein "Eventdaddy“ so das Privileg mit seinen Sprösslingen vor allem positive Dinge ohne Alltagskorsett und Verpflichtungen zu unternehmen und mit ihnen eine intensive Qualitätszeit zu erleben, die das Miteinander prägt und ebenfalls eine Bindung vertiefen kann. Denn aus der Sicht vieler Mütter, die mit den Kindern den Alltag leben, mit all seinen Grauschattierungen und kleinen und großen Problemen, birgt die Rolle des Freizeitvaters auch etwas Reizvolles und Luxuriöses: Eine Mutter fasst dies in einem Chat treffend zusammen: "Wenn mein Ex die Kinder abholt, kann er immer Disneyland spielen. Er macht tolle Events oder geht ins Kino und danach zum Italiener. Dafür lieben sie ihn - er ist dann der König. Und ich muss den Rest der Woche wieder das Klein-Klein übernehmen und mich rumärgern mit den Hausaufgaben, der Schule und dem ganzen Haushalt. Also manchmal würde ich auch gern tauschen!“
09.07.2013, 16:17 Uhr | Nicola Wilbrand-Donzelli, t-online.de 

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