Entsorgte Väter – eine Nachlese
7
[aus dem Familienalbum Wolff: Großvater und Enkel, Juli 1992]
Ich habe mich gefreut, als Roger Lebien sich in einer Mail an mich wandte, in der sein Gastkommentar
http://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/17/feministische-sozialpadagogik-contra-recht-warum-vater-vor-gericht-auf-der-strecke-bleiben/
bereits nahezu vollständig enthalten war. Ich habe ihn spontan gefragt, ob er nicht für meinen Blog einen Gastkommentar daraus machen wolle. Denn das Thema der entsorgten Väter treibt mich ebenfalls um. Das läßt sich diesem Kommentar entnehmen, in dem ich auf den Kommentar eines Betroffenen antwortete:
Es gibt nichts Schlimmeres als die Zerstörung von Liebe, die so existenziell ist wie die zwischen einem Elternteil und einem Kind. Und die Erfahrung von staatlichem Unrecht ist absolut zerstörerisch.http://gabrielewolff.wordpress.com/2012/11/17/feministische-sozialpadagogik-contra-recht-warum-vater-vor-gericht-auf-der-strecke-bleiben/#comment-716
Ich versuche, die Verkleisterungen, die 20 Jahre fundamentalfeministischer Mainstream in Gesellschaft, Medien und Politik verursacht haben, und die tief hinein in Ämter und Justiz wirken, wenigstens sichtbar zu machen, sie zu benennen, Opfer und Täter dingfest zu machen. Männer sind, so viel steht fest, wegen der zementierten Vorurteile (›Das verteufelte Geschlecht‹) die Verlierer vor den medialen wie justizförmigen Gerichten, Frauen die Gewinner, Kinder die Leidtragenden. Zuletzt auch unsere Zukunft, denn kaputtgemachte Kinder werden sie nicht gestalten können.
Die mittlerweile flächendeckende Ungerechtigkeit läßt sich bis hin zum Strafmaß für gleichartige Taten, die von Männern und Frauen begangen wurden, nachweisen.
Ich bin aber der Überzeugung, daß wir gerade jetzt an einem Wendepunkt stehen: die Ungerechtigkeit und das Leid, das sie verursacht, sind nicht mehr hinnehmbar. Es ist schlimm genug, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundersverfassungsgerichtsgericht einschreiten müssen, um in diesem verkorksten Land natürliche Väterrechte zu implementieren. (Frau Zypries meinte ja sogar, das Recht der Frauen auf Untreue und Kuckuckskinder durch eine Strafnorm für Männer stärken zu müssen, die ihnen im Verdachtsfall Gentests verbot. Wegen dieser Frau bin ich aus der SPD ausgetreten.) Noch schlimmer ist es, daß die Verzweiflung von Vätern bis hin zur psychischen Erkrankung mittlerweile so groß ist, daß in den letzten Jahren auch Männer die üblicherweise Frauen vorbehaltene depressive ›Lösung‹ des erweiterten Suizids wählen: sie wissen, daß die Drohung der Frau bei Trennung, daß sie die Kinder nie wiedersehen werden, von den Gerichten eins zu eins umgesetzt werden wird.
Das alles ist furchtbar, und furchtbar falsch.
Ich halte es für angebracht und ehrlich, nun auch meine eigene biographische Betroffenheit zu offenbaren – denn jegliches Ideal von Gerechtigkeit, für das man streitet, kommt nicht von Ungefähr.
In meiner ›Lebensplanung‹ kamen Kinder immer vor – unter einer Voraussetzung allerdings: sie sollten einen Vater haben. Irgendwann war ich in einer verläßlichen, vertrauensvollen Beziehung mit einem Mann, der sich ebenfalls Kinder wünschte – aber so ist das Leben nun mal. Es läßt sich nicht planen. Ehrlich gesagt: wenn ich das große Wort vom ›Lebensentwurf‹ lese oder höre, denke ich immer, daß der Mensch, der es so selbstverständlich ausspricht, sehr jung sein muß. Der weiß noch nichts von Schicksal, Zufall oder Fügung. Und nichts von Schmerz.
Natürlich waren es meine eigenen, sehr positiven Erfahrungen mit meinem Vater, die mich dazu brachten, einem eigenen Kind den Vater nicht vorenthalten zu wollen. Es sind nicht nur die Söhne, die ihre Väter ganz unbedingt brauchen. Es gibt auch klassische Vatertöchter…
Vaterlosigkeit: Der schädlichste demografische Trendhttp://eltern.t-online.de/so-wichtig-ist-eine-gute-vater-tochter-beziehung/id_44610972/index
Aktuell besteht laut statistischem Bundesamt aber jede fünfte Familie aus nur einem Elternteil, in Großstädten sogar jede vierte. Der US-amerikanische Sozialhistoriker David Blankenhorn ist sogar davon überzeugt, dass Vaterlosigkeit der schädlichste demografische Trend unserer Gesellschaft sei. “Ohne Vater aufzuwachsen, ist die Hauptursache für die wachsenden sozialen Probleme wie Kriminalität, Teenager-Schwangerschaften und Gewalt gegen Frauen in der Familie”, warnt Blankenhorn.
Gute Väter als “Freikarte für beruflichen Erfolg und ein erfülltes Liebesleben”
Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben: Töchter, die erleben, dass ihr Vater sie wirklich mag, haben ein besseres Selbstwertgefühl und weniger Ängste. Sie haben seltener Depressionen oder ein ungesundes Gewicht, nehmen seltener Drogen und sogar die Rate an Selbstmordversuchen ist erwiesenermaßen geringer. “Väter, die ihre Töchter ermutigen und fördern, sind so etwas wie eine Freikarte für beruflichen Erfolg und ein erfülltes Liebesleben einer Frau”, sagt Angelika Faas.
Und liebende, sorgende, fördernde Väter gab es auch schon in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Den Spruch, mit dem mein Vater sich gegen meine Mutter durchsetzte, die die Töchter nur auf die Realschule schicken wollte, da sie ja sowieso heiraten würden, weiß ich heute noch: »Meine Töchter bekommen keine Aussteuer, die bekommen eine Ausbildung!« Das war 1964, als die Frage diskutiert wurde, ob meine ein Jahr ältere Schwester nach vier Jahren Volksschule zum Gymnasium wechseln sollte oder nicht – trotz eindeutiger Gymnasialempfehlung durch die Schule gab es familiäre Diskussionen.
Alle wichtigen Lebensweichen, nicht nur die der weiterführenden Schule, schaltete er, nicht sie: die Sprachschulen-Ferien in Frankreich und England, die Ermöglichung von Auszug und Studium trotz knappen Budgets. Seine Liebe glomm verhalten, wortkarg, aber verläßlich, sie war unerschütterlich und unterlag keinen Gefühlsschwankungen. Er lehrte seine Töchter Schach und Skat (nebst allen dazugehörigen derben Ausdrücken), schenkte ihnen Rennautos, Achterbahnen und Roulette, baute komplizierte Tresore für Mädchen-Geheimnisse, führte Karl May als Größe im kindlichen Kosmos ein, ging mit uns auf die Kirmes, in den Zirkus, auf die Rheinwiesen und ins Theater, brachte uns sehr früh das Schwimmen bei: eigentlich war er der Einzige, der ›draußen‹ etwas mit uns unternahm. Meine Mutter war bei diesen Unternehmungen, insbesondere bei den sonntäglichen Spaziergängen zum Rhein mit dem traditionellen Stop beim Schneider Wibbel und der durch drei geteilten Tüte Pommes mit Mayo (deren Geschmack ich bis heute suche und vermisse) so gut wie nie dabei. Natürlich nahm er sich frei, als ich eingeschult wurde. Und war mindestens so stolz wie ich. Ohne ihn hätte ich die verschworene Gemeinschaft von Mutter und Schwester nicht aushalten können. Und das wußte er. In den so schönen wie traurigen gemeinsamen sechs Wochen vor seinem Tod im Alter von neunzig Jahren haben wir uns alles sagen können. Spät, aber nicht zu spät.
Kurz und gut: der Neue Vater ist gar nicht neu. Er ist immer nur verkannt worden, weil er an Außendarstellung kein Interesse hatte. Und da es in der Generation meiner Eltern (Jahrgang 1919/1923) so gut wie keine Scheidungen oder nichteheliche Kinder gab, hatten Väter auch keine Probleme, ihr natürliches Vater-Sein auszuleben. Überwiegend diskret, im Verborgenen der eigenen vier Wände. Nicht unbedingt als Windelwechsler und Kinderwagenschieber, aber als zugewandte, aufmerksame, liebende Begleiter ihrer Kinder. Wenn ich’s recht bedenke: sein Erziehungsprogramm war vorbildlich im Sinn von gender-mainstreaming. Bei der einen Tochter hat es funktioniert, bei der anderen nicht. Und darüber mag jetzt gern nachgegrübelt werden…
Das wird den Generationen nach mir nicht mehr vergönnt sein: im Nachlaß der Eltern handschriftliche Briefe, Aufzeichnungen und Tagebücher vorzufinden, die die spezifische Familiendynamik jäh erhellen. Sie machen klar, daß staatlich verordnete Umerziehungsprogramme zum Scheitern verurteilt sind. Aber das wissen ja nicht nur die Norweger durch Harald Eia schon. Der Genderquatsch hat gegen das Treibhaus Familie Null Chancen. Die Prägungen sind individuell.
Diese Väter wie meiner, die es immer schon gab und die es immer geben wird, wurden durch die sexuelle Revolution, die dank der 68er und der Pille stattfand, später auch durch den Feminismus gefördert wurde, an den Rand gedrückt. Plötzlich gab es die Väter, die von einem nicht verhütenden one-night-stand überrumpelt und vor vollendete kostenpflichtige Tatsachen gestellt wurden. Diejenigen, die glaubten, in einer festen Beziehung mit gemeinsamen Entscheidungen zu leben, und die erleben mußten, daß über Abtreibung oder Austragung ohne ihr Mitwirken entschieden wurde. Es gab Schlußmachen durch die nichteheliche Partnerin, und nach Aufhebung des Schuldprinzips massenhaft Scheidungsanträge durch Frauen, die plötzlich zu Feindinnen mutierten, weil sie um Geld und Kinder zur Erlangung von Unterhalt kämpften – und spätestens seit den neunziger Jahren vermehrt den Mißbrauchsvorwurf zur Erreichung ihrer Ziele einsetzten.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich seit den Zeiten meiner Kindheit und Jugend dramatisch geändert – nicht zum Guten, wie diese Studie zeigt:
Mittels der KiMiss-Studie 2012 wurden Daten zur Lebenssituation von Trennungs- und Scheidungskindern in Deutschland aus der Sicht von Elternteilen erhoben, die getrennt von ihren Kindern leben und weniger Kontakt zu diesen haben, als sie sich wünschen. Im Befragungszeitraum 08.01.2012 bis 07.05.2012 wurden Fragebögen für 1426 Kinder ausgefüllt, 1170 davon erfüllten die (Deutschland-spezifischen) Einschlusskriterien für diese Studie.http://www.kimiss.uni-tuebingen.de/de/2012studie.html
Die Studienergebnisse zeigen systematische Probleme im familiengerichtlichen Bereich auf. 70-80% der Befragten berichten, dass ihnen systematisch eine Elternschaft verwehrt werde und sie an einem geeigneten Kontakt zum Kind / zu den Kindern gehindert würden. 75% der Befragten sehen ihr Kind in der geschilderten Trennungs- oder Scheidungssituation einer Form von Kindesmissbrauch oder -misshandlung durch den anderen Elternteil ausgesetzt, 49% verwenden diese Begriffe auch in ihrer direkten Form. Etwa 20% der Befragten geben an, dass das Kind vollständig von ihnen entfremdet sei.
Täuschung von Gerichten, Falschbeschuldigungen und Beeinflussung von Verfahren und Verfahrensbeteiligten werden in fast jedem zweiten Fall genannt. Eine Kommerzialisierung des familienrechtlichen Systems durch Rechtsanwälte und Sachverständige wird kritisiert. Betroffene berichten von Willkür und Inkompetenz von Behörden, oder dass sie psychisch und/oder finanziell zerstört und um einen der wichtigsten Bestandteile ihres Lebens beraubt worden seien.
- … weiter zu den Studienergebnissen
Über das Problem mangelnder Kompetenz von Jugendämtern, Familiengerichten, Sachverständigen und über die Kommerzialisierung der ›Scheidungsindustrie‹ hinaus war es aber letztlich der Gesetzgeber, der Väter- und Kinderrechte zugunsten eines ›Muttermythos‹ diskriminierte, was zur Verfestigung der väterbenachteiligenden Praxis führte.
Auch dieses Phänomen habe ich als Betroffene, wenn auch nur aus der Ferne, miterlebt, nämlich als Tante eines 1986 nichtehelich geborenen Neffen. Sein Vater war auf willkürliche Entscheidungen der Kindesmutter, die sich von ihm frühzeitig getrennt hatte (bzw. niemals richtig mit ihm zusammen gewesen war), angewiesen. Ein eigenes Vater-Recht, Umgang mit ihm zu haben, existierte nicht – als es endlich existierte, war mein Neffe volljährig und lebte bereits aus eigener Wahl bei seinem Vater:
Erst seit dem 01.07.1998 räumt das BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) in § 1684 Abs. 1 dem nichtehelichen Kind das Recht auf Umgang mit seinem leiblichen Vater ein. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass es dem Kindeswohl dient, mit beiden Elternteilen regelmäßig Kontakt zu haben. Der Vater jedoch hatte bewusst vom Gesetzgeber kein eigenes Recht auf Umgang mit seinem Kind erhalten, obwohl das für andere Bezugspersonen (Großeltern, Tanten, Onkel u.a.) geregelt war. Mit Beschluss vom 09.04.2003 erklärte jedoch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese Regelung des § 1685 BGB wegen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, der die Familie schützt, für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber musste daraufhin das Gesetz bis 30.04.2004 anpassen.http://www.anwalt.de/rechtstipps/nichteheliche-vaeter-ihre-rechte-und-pflichten-im-wandel-der-zeit_001589.html
Hier der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 9.4.2003:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20030409_1bvr149396.html
Weiter...
http://gabrielewolff.wordpress.com/tag/roger-lebien/