"Winkeladvokat" oder "Rassist": Das
Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass auch Beamte und Richter
gewisse Beschimpfungen ertragen müssen. Damit stärkt Karlsruhe die
Meinungsfreiheit. Von Torsten Krauel
Darf ein Rechtsanwalt
andere Rechtsanwälte als "Winkeladvokaten" bezeichnen? Und darf jemand
dem Ausländeramt einer Stadt samt namentlich genannter Sachbearbeiterin
einen "Denkzettel für Rassismus" verleihen?
Ja, sagt das Bundesverfassungsgericht.
Solche Äußerungen sind keineswegs automatisch eine persönliche
Schmähung, sondern Ausdruck der Meinungsfreiheit – sofern klar erkennbar
ist, dass die Äußerung im Zusammenhang mit einem Sachkonflikt gefallen
ist und nicht den Zweck hatte, eine Person niederzumachen. Die
Verfassungsrichter verdienen Lob, das klargestellt zu haben.
Freiheit besteht
eben nicht nur darin, eine andere Meinung haben zu dürfen. Sie besteht
genauso darin, andere Meinungen auszuhalten, auch wenn sie persönlich
unbequem sind. Die Richter sagen zum Ausländeramt: Kritik am Rechtsstaat
darf durchaus auch mal ausfällig sein.
Wer Freiheit will, muss sie aushalten
Der Staat
verstehe Meinungsfreiheit falsch, wenn er glaube, den erforderlichen
Grad einer aus seiner Sicht ausreichenden Kritik selber festlegen zu
dürfen. Und im Fall der Winkeladvokatur sagen die Richter,
Meinungsfreiheit heiße eben nicht, einzig zur "Wahrung allgemeiner
Höflichkeitsformen" jede Polemik zu verbieten.
Der Erste Senat
in Karlsruhe spürt schon seit einigen Jahren versteckten Angriffen auf
die Meinungsfreiheit nach. Er hat ein wachsames Auge darauf, ob
unbequeme Meinungen mit Klagen und Verwaltungsakten Zentimeter für
Zentimeter eingeengt werden sollen.
Bisher hat er
sich hauptsächlich für Rechtsradikale in die Bresche geworfen – nicht
aus Sympathie für deren Ansichten, sondern aus Sympathie für eine
möglichst große öffentliche Meinungsbühne. Jetzt haben die Richter sich
auch anderen Bereichen zugewandt.
Nicht so
empfindlich sein, wer Freiheit will, muss Freiheit aushalten können –
das ist der rote Faden, entlang dem die Richter den Freiraum
verteidigen. Es gibt Auffassungen, die zu Recht in die Schranken
gewiesen werden. Aber jeder Einzelfall ist anders, und in einem freien
Land soll man nicht immer gleich beleidigt sein.
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