Verquickung von Gerichten und Gutachterfirma beschäftigt
das Justizministerium - Kritiker fürchten Monopolstellung - "Gefahr der
Kumpanei" Von Karsten Kammholz
München
- Die bayerische Justiz gerät wegen einer auffallend engen
Geschäftsbeziehung seiner Gerichte zu einer Münchner Gutachterfirma in
Bedrängnis. Zahlreiche Land- und Amtsgerichte beauftragen überwiegend
die Gesellschaft für wissenschaftliche Gerichts- und Rechtspsychologie
(GWG), um familienpsychologische Gutachten einzuholen. Das teilte die
bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) auf eine parlamentarische
Anfrage mit. Das Schreiben liegt dieser Zeitung vor.
Schon seit Jahren steht die
GWG in der Kritik. Mehrmals haben sich der Bayerische Landtag und das
Justizministerium mit Beschwerden über die GWG auseinandersetzen müssen.
Zumeist handelte es sich um strittige familiengerichtliche Verfahren,
bei denen es vor allem um das Sorgerecht der Kinder ging. In dem
Schreiben der Justizministerin heißt es, die Beschwerdeführer warfen den
Gutachtern der GWG einseitiges, unwissenschaftliches oder zu
kostenintensives Vorgehen vor. Bekannt ist ein Fall aus dem Jahr 2002,
bei dem die GWG für ein Gutachten eine zu hohe Rechnung an ein Gericht
gestellt hatte und diese nachträglich nach unten korrigieren musste.
Bekannt ist dem Justizministerium auch, dass die GWG-Gutachter 40
Prozent ihrer Honorare an die Muttergesellschaft abführen müssen.
Oftmals wenden sich die Richter nicht an einen Gutachter selbst, ist aus
Justizkreisen zu hören. Demnach lassen sich viele Richter von der
GWG-Zentrale einen Gutachter benennen, dem sie dann den Auftrag
erteilen.
Die nun
vorgelegten Fakten zeigen, dass in einigen Familiengerichten Bayerns
fast ausschließlich die Gutachter der GWG beauftragt werden. So hat das
Familiengericht Ingolstadt von den zwölf in den vergangenen zwölf
Monaten eingeholten familienpsychologischen Gutachten elf bei den
Sachverständigen der GWG beauftragt. Pikantes Detail dieser
Auftragsdichte: Der stets beauftragte Ingolstädter Gutachter ist der
Chef der GWG selbst, Joseph Salzgeber. Er wollte sich zu dem Bericht des
Justizministeriums gegenüber unserer Zeitung nicht äußern.
Das Gericht
in Ingolstadt habe mit ihm gute Erfahrungen gemacht, heißt es aus dem
Justizministerium. Auch das Familiengericht Pfaffenhofen schaltet laut
Ministerium "regelmäßig" die Gutachter der GWG ein. Das Amtsgericht
Passau vergibt 75 Prozent seiner Aufträge an die Gutachterfirma. "Die
zügige Erstellung der Gutachten" sei hier der Grund der Auftragsdichte,
so Justizministerin Merk. Auch an mehreren Münchner Gerichten würden
mehr als die Hälfte der Gutachtenaufträge an die GWG erteilt. Gründe
dafür seien die zeitnahe Erstellung, insbesondere aber die Qualität der
Gutachten.
An derartigen
Begründungen zweifelt der CSU-Landtagsabgeordnete Joseph Ranner. Von ihm
stammte die Anfrage an das Justizministerium. Er sagt nun: "Hier
entwickelt sich eine Monopolstellung zugunsten der GWG." Der Verdacht
liege nahe, dass die Gerichte dies steuern, so Ranner. "Warum so oft die
GWG eingesetzt wird, ist mir ein Rätsel. Ich sehe die Neutralität der
Gerichte in Gefahr."
Inzwischen hat
sich eine Gruppe von Vätern und Müttern aus dem gesamten Bundesgebiet
zusammengeschlossen, die sich als Geschädigte der GWG bezeichnen. Einer
ihrer Sprecher, Michael Möhnle aus München, sagt: "Das Geschäftsmodell
der GWG lebt von den Konflikten in den Familien und heizt diese noch
kräftig an, damit sich die Kassen der GWG-Zentrale in München füllen."
Aber die
auffällig gute Auftragslage allein ist es nicht, die die GWG und die
bayerischen Gerichte miteinander verbinden. Die GWG veranstaltet
Fortbildungen für Familienrichter aus ganz Bayern. Das Familiengericht
München hält beispielsweise regelmäßig zweimal im Jahr im sogenannten
Interdisziplinären Arbeitskreis zusammen mit der GWG
Fortbildungsveranstaltungen mit Familienrichtern ab. Das Landgericht
Landshut will sogar einen gemeinsamen Arbeitskreis mit der GWG gründen.
"Es besteht die Absicht, Treffen mit der Zielrichtung des
Erfahrungsaustausches zu organisieren", so der Bericht der
Justizministerin.
Die enge
Zusammenarbeit der GWG mit den Gerichten stößt inzwischen auch unter
Juristen auf scharfe Kritik. Der Rechtstheoretiker und
Wirtschaftsrechtler Professor Volker Boehme-Neßler von der
Fachhochschule für Wirtschaft und Technik Berlin sagt: "Gutachter sollen
unabhängig, unparteiisch und objektiv arbeiten." Das sei kaum noch
möglich, wenn die Beziehungen zwischen Gutachtern und Richtern zu eng
werden. "Deshalb ist es ein Unding, dass die GWG Richter zu eigenen
Seminaren und Fortbildungen einlädt." Boehme-Neßler sieht in dieser
Verzahnung auch ein qualitatives Problem: "Ein Richter muss oft über
Dinge entscheiden, von denen er keine Ahnung hat. Er ist von seinem
Gutachter abhängig." Deshalb hätten Gutachter generell eine große Macht.
"Der Richter muss nicht der Meinung des Gutachters folgen. Aber in der
Regel tut er es", so der Rechtstheoretiker.
"Der Gutachter
will Aufträge erhalten, und der Richter will ein einfaches, schnelles
Gutachten haben." Er sehe die Gefahr, dass dadurch eine Kumpanei
zwischen Richter und Gutachter entstehe. Schließlich könne der Richter
allein entscheiden, wer Gutachter in seinem Prozess wird.
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