25.07.12

Warum Rituale für Familien enorm wichtig sind

Rituale schweißen die Familie emotional zusammen: Vor allem für Kinder sind sie wichtig, da sie Orientierung und Sicherheit stiften. Das funktioniert aber nur, wenn sie nicht zur Pflichtübung werden. Von Eva Neumann

 
Zu viel Elternstress und strukturloser Alltag führt auch beim Nachwuchs zu mehr psychischen und körperlichen Problemen
© pa Zu viel Elternstress und strukturloser Alltag führt auch beim Nachwuchs zu mehr psychischen und körperlichen Problemen

Rituale werden in fast jeder Familie gepflegt. Kindern bieten sie Sicherheit, Eltern werden dadurch entlastet. Am besten funktionieren die Gepflogenheiten, wenn alle damit etwas Positives verbinden. Dazu gehört auch an, sie nicht zur Pflicht werden zu lassen.

In einigen Familien ist es das gemeinsame Frühstück am Wochenende. In anderen der besondere Kuchen zum Geburtstag der Kinder oder der Reim am Esstisch. Jede Familie hat ihre Rituale - und das ist auch gut so, sagen Experten. Denn im Alltag spielen sie eine große Rolle.
"Rituale haben zwei ganz wichtige Funktionen: Durch die Gemeinsamkeit stärken sie die emotionale Verbundenheit in der Familie. Und durch ihre regelmäßige Wiederkehr bieten sie Sicherheit", sagt Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Vor allem für Kinder sei diese Vorhersehbarkeit extrem wichtig.

Für Eltern bringen Rituale Entlastung. "Sie sind Ordnungsstrukturen in der Familie, nach denen sich jeder richten kann. Sie vereinfachen ganz alltägliche Abläufe, über die niemand mehr diskutiert", sagt Hans Bertram, Professor für Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.




Familienrituale (16.07.2010)
© Globus-Grafik Mit welchen Ritualen Familien ihren Alltag strukturierten

Kinder lernen durch die Wiederholung

Außerdem seien Rituale ein wichtiger Baustein in der Erziehung: "Durch die Wiederholung lernen Kinder schneller und werden schneller selbstständig."
Jede Familie hat ihre eigenen Rituale. Häufig sind sie an bestimmte zeitliche Abläufe gekoppelt. "Typische Rituale gliedern sich nach dem Jahres-, Wochen- und Tagesablauf", sagt Prof. Klaus Schneewind, der bis vor einigen Jahren Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München gelehrt hat.
Bestimmt werden sie unter anderem von Festen und Geburtstagen. Im Alltag können Rituale beispielsweise das Von-sich-Berichten, wenn man nach Hause kommt, eine gemeinsame Tasse Tee oder auch ein Spiel nach dem Abendessen umfassen. Für Kinder seien oft feste Regeln beim Zubettgehen oder bei den Mahlzeiten wichtig, sagt Becker-Stoll.
Oft sind Rituale als selbstverständliche Bestandteile des Alltags verinnerlicht. "Manchmal werden sie uns erst dann bewusst, wenn an ihnen gerüttelt wird", sagt Becker-Stoll. So kann es durchaus passieren, dass Eltern heftigen Protest von ihren Kindern ernten, wenn sie statt des jahrelang üblichen Ferienquartiers ein neues Urlaubsziel vorschlagen.

Ein Vergleich mit anderen Familien bietet sich an

Sichtbar werden Rituale auch dann, wenn man sie mit den Gepflogenheiten anderer Familien vergleicht. Ein solcher Vergleich bietet sich auch an, um sich selbst zu hinterfragen. "Was machen wir als Familie gleich oder anders als die anderen? Was macht uns dabei Spaß und worauf können wir stolz sein?", erläutert Schneewind.
Diese Fragen könnten zum Beispiel für Patchworkfamilien hilfreich sein, die nach Gemeinsamkeit stiftenden Elementen sucht. Oder: "Wenn man in der Familie feststellt: Wir haben keinen Punkt mehr, wo wir uns gemeinsam in Ruhe zusammen finden, dann kann man ganz gezielt überlegen, gemeinsame Rituale zu formen", schlägt Becker-Stoll vor.
Nun kann man sich zwar als Familie überlegen, welche Aktivität zum Ritual werden soll. Das heißt jedoch noch nicht, dass dies in der Praxis funktioniert. "Zunächst muss ein regelmäßiger Zeitpunkt gefunden werden, welcher in die Tagesabläufe aller Familienmitglieder passt. Wenn man sich dann gemeinsam auf diesen geeinigt hat, sollten sich auch alle danach richten", sagt Soziologe Bertram.

Zwanghafte regelmäßige Übungen wirken kontraproduktiv

Dabei dürfen Rituale auf keinen Fall zur zwanghaften regelmäßigen Übung werden. Nur wenn alle mit ihnen etwas Positives verbinden, werden sie auch gepflegt. Und auf ewig festgeschrieben sind sie auch nicht.
"Rituale wachsen und verändern sich. Sie müssen immer wieder angepasst werden - zum Beispiel an das Alter der Kinder und ihre sich verändernden Bedürfnisse oder auch an neue Familienstrukturen", sagt Martina Liebendörfer, Referentin für Mutter-Kind-Arbeit der Evangelischen Frauen in Württemberg (EFW).
So ist beispielsweise bei Kleinkindern das Kuscheln am Sonntagmorgen angesagt. "In Familien mit Jugendlichen dagegen ist der Brunch am späten Vormittag ein beliebter Treffpunkt", sagt Liebendörfer. Und Jahre später kämen die Kinder als Studenten sonntags nach Hause, um sich bekochen zu lassen.

Elternrituale geben die Richtung vor

Paare bringen viele Rituale aus ihren eigenen Familien mit. Diese miteinander zu vereinbaren, ist nicht immer ganz einfach. "Dies setzt ein gewisses Maß an Toleranz voraus", sagt der Psychologe Prof. Klaus Schneewind.
Im Zweifelsfall heißt das: An Althergebrachtem darf nicht zu fest geklammert werden. "Die neue Familiengeneration hat dann die Chance, daraus etwas Neues zu schaffen", ergänzt Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München.
dpa/oc

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