Rituale schweißen die Familie emotional zusammen: Vor
allem für Kinder sind sie wichtig, da sie Orientierung und Sicherheit
stiften. Das funktioniert aber nur, wenn sie nicht zur Pflichtübung
werden. Von Eva Neumann
Rituale werden in fast
jeder Familie gepflegt. Kindern bieten sie Sicherheit, Eltern werden
dadurch entlastet. Am besten funktionieren die Gepflogenheiten, wenn
alle damit etwas Positives verbinden. Dazu gehört auch an, sie nicht zur
Pflicht werden zu lassen.
In einigen
Familien ist es das gemeinsame Frühstück am Wochenende. In anderen der
besondere Kuchen zum Geburtstag der Kinder oder der Reim am Esstisch.
Jede Familie hat ihre Rituale - und das ist auch gut so, sagen Experten.
Denn im Alltag spielen sie eine große Rolle.
"Rituale haben
zwei ganz wichtige Funktionen: Durch die Gemeinsamkeit stärken sie die
emotionale Verbundenheit in der Familie. Und durch ihre regelmäßige
Wiederkehr bieten sie Sicherheit", sagt Fabienne Becker-Stoll,
Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Vor allem
für Kinder sei diese Vorhersehbarkeit extrem wichtig.
Für Eltern
bringen Rituale Entlastung. "Sie sind Ordnungsstrukturen in der Familie,
nach denen sich jeder richten kann. Sie vereinfachen ganz alltägliche
Abläufe, über die niemand mehr diskutiert", sagt Hans Bertram, Professor
für Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Kinder lernen durch die Wiederholung
Außerdem seien
Rituale ein wichtiger Baustein in der Erziehung: "Durch die Wiederholung
lernen Kinder schneller und werden schneller selbstständig."
Jede Familie hat
ihre eigenen Rituale. Häufig sind sie an bestimmte zeitliche Abläufe
gekoppelt. "Typische Rituale gliedern sich nach dem Jahres-, Wochen- und
Tagesablauf", sagt Prof. Klaus Schneewind, der bis vor einigen Jahren
Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München gelehrt hat.
Bestimmt werden
sie unter anderem von Festen und Geburtstagen. Im Alltag können Rituale
beispielsweise das Von-sich-Berichten, wenn man nach Hause kommt, eine
gemeinsame Tasse Tee oder auch ein Spiel nach dem Abendessen umfassen.
Für Kinder seien oft feste Regeln beim Zubettgehen oder bei den
Mahlzeiten wichtig, sagt Becker-Stoll.
Oft sind Rituale
als selbstverständliche Bestandteile des Alltags verinnerlicht.
"Manchmal werden sie uns erst dann bewusst, wenn an ihnen gerüttelt
wird", sagt Becker-Stoll. So kann es durchaus passieren, dass Eltern
heftigen Protest von ihren Kindern ernten, wenn sie statt des jahrelang
üblichen Ferienquartiers ein neues Urlaubsziel vorschlagen.
Ein Vergleich mit anderen Familien bietet sich an
Sichtbar werden
Rituale auch dann, wenn man sie mit den Gepflogenheiten anderer
Familien vergleicht. Ein solcher Vergleich bietet sich auch an, um sich
selbst zu hinterfragen. "Was machen wir als Familie gleich oder anders
als die anderen? Was macht uns dabei Spaß und worauf können wir stolz
sein?", erläutert Schneewind.
Diese Fragen
könnten zum Beispiel für Patchworkfamilien hilfreich sein, die nach
Gemeinsamkeit stiftenden Elementen sucht. Oder: "Wenn man in der Familie
feststellt: Wir haben keinen Punkt mehr, wo wir uns gemeinsam in Ruhe
zusammen finden, dann kann man ganz gezielt überlegen, gemeinsame
Rituale zu formen", schlägt Becker-Stoll vor.
Nun kann man
sich zwar als Familie überlegen, welche Aktivität zum Ritual werden
soll. Das heißt jedoch noch nicht, dass dies in der Praxis funktioniert.
"Zunächst muss ein regelmäßiger Zeitpunkt gefunden werden, welcher in
die Tagesabläufe aller Familienmitglieder passt. Wenn man sich dann
gemeinsam auf diesen geeinigt hat, sollten sich auch alle danach
richten", sagt Soziologe Bertram.
Zwanghafte regelmäßige Übungen wirken kontraproduktiv
Dabei dürfen
Rituale auf keinen Fall zur zwanghaften regelmäßigen Übung werden. Nur
wenn alle mit ihnen etwas Positives verbinden, werden sie auch gepflegt.
Und auf ewig festgeschrieben sind sie auch nicht.
"Rituale
wachsen und verändern sich. Sie müssen immer wieder angepasst werden -
zum Beispiel an das Alter der Kinder und ihre sich verändernden
Bedürfnisse oder auch an neue Familienstrukturen", sagt Martina
Liebendörfer, Referentin für Mutter-Kind-Arbeit der Evangelischen Frauen in Württemberg (EFW).
So ist
beispielsweise bei Kleinkindern das Kuscheln am Sonntagmorgen angesagt.
"In Familien mit Jugendlichen dagegen ist der Brunch am späten Vormittag
ein beliebter Treffpunkt", sagt Liebendörfer. Und Jahre später kämen
die Kinder als Studenten sonntags nach Hause, um sich bekochen zu
lassen.
Elternrituale geben die Richtung vor
Paare bringen
viele Rituale aus ihren eigenen Familien mit. Diese miteinander zu
vereinbaren, ist nicht immer ganz einfach. "Dies setzt ein gewisses Maß
an Toleranz voraus", sagt der Psychologe Prof. Klaus Schneewind.
Im Zweifelsfall
heißt das: An Althergebrachtem darf nicht zu fest geklammert werden.
"Die neue Familiengeneration hat dann die Chance, daraus etwas Neues zu
schaffen", ergänzt Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München.
dpa/oc
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen