29.07.12

Leipziger Jugendamt überfordert: Behörde verweist Eltern bei Anträgen an andere Städte

   
Foto: Regina Katzer Anja Hoffmann aus Leipzig ist hochschwanger. Ihr Sohn Tim (3) bekommt im September einen Bruder - doch auf die Vaterschaftsanerkennung für das neugeborene Kind müsste die Familie in Leipzig monatelang warten.
 
Leipzig. Anja Hoffmann ist sauer. Die schwangere Leipzigerin wollte sich einen Termin im Jugendamt holen, um zusammen mit ihrem Lebensgefährten eine Vaterschaftsanerkennung für ihr zweites Kind zu beantragen. Doch stattdessen bekam sie eine ernüchternde Auskunft: Weil bis November bereits alles ausgebucht sei, solle sie ihr Glück im Jugendamt einer anderen Stadt versuchen. Allerdings stapeln sich im Umland mittlerweile ebenfalls die Anfragen – aus Leipzig.

Der Behördenmarathon der 30-jährigen Eutritzscherin begann im Juni. „Ich habe erst mal vergeblich versucht, den Ansprechpartner im Jugendamt telefonisch zu erreichen“, erzählt Hoffmann im Gespräch mit LVZ-Online. Als sie endlich jemanden an die Strippe bekam, wurde ihr mitgeteilt, dass frühestens im November Termine frei seien – zu spät für die werdende Mutter. „Ich wollte vor der Geburt im September gerne alles klären. Doch in Leipzig ist das scheinbar unmöglich“, ärgert sich Hoffmann. Um Elterngeld beantragen zu können, ist die junge Familie dringend auf den Vaterschaftsnachweis angewiesen, bevor ihr zweites Kind zur Welt kommt.

„Behördentourismus“ offenbar gängige Praxis
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Der Mitarbeiter im Jugendamt gab ihr schließlich einen Rat, der in der Messestadt gängige Praxis zu sein scheint. „Ich könne entweder zu einem Notar gehen, was aber mit Kosten verbunden sei“, berichtet Hoffmann. „Oder ich solle ein anderes Jugendamt kontaktieren. Die Anträge seien schließlich überall möglich.“ Eine Mitarbeiterin der Behörde bestätigt den Sachverhalt auf Anfrage von LVZ-Online und erklärt: „Die langen Wartezeiten für die Beurkundung der Vaterschaft oder des gemeinsamen Sorgerechtes ist auf die steigende Geburtenzahl und die sich erhöhende Zahl der unehelich geborenen Kinder zurückzuführen.“

Anja Hoffmann versuchte ihr Glück in Borna und Grimma (Landkreis Leipzig). In den dortigen Jugendämtern wurde ihr mitgeteilt, dass pro Tag etwa 20 Anfragen aus der Messestadt eingehen. Eine Sprecherin des zuständigen Landratsamts in Borna sagte gegenüber LVZ-Online, dass es unter den Antragstellern vermehrt Bürger aus Leipzig gebe. Aufgrund des gestiegenen Andrangs betrage die Wartezeit derzeit bis November.

Eltern sollen sich auf „längere Wartezeiten“ einstellen
 
Foto: André Kempner Wartezeiten von bis zu fünf Monaten: Das Leipziger Jugendamt ist mit Sorgerechts- und Vaterschaftsanerkennungen chronisch überfordert.
 
Auch für Hans-Joachim Fiedler, Leiter des Leipziger Standesamtes, sind die Aussagen der Mutter nichts Neues. „Wenn jemand zu uns kommt und fragt, was er machen kann, werden ihm die Möglichkeiten aufgezeigt“, räumt Fiedler ein. „Und dazu gehört auch, ein anderes Amt seiner Wahl aufzusuchen.“ In seiner Behörde sind Vaterschaftsanerkennungen ebenfalls möglich – allerdings ohne Sorgerecht. „Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen, weil das Jugendamt die Bürger zu uns schickt. Seit Jahren gibt es dort einen großen Rückstau an Anträgen“, berichtet der Behördenchef. Der Terminkalender für die nächsten Wochen sei deshalb randvoll.

Grund zum Handeln sieht die Stadtverwaltung offenbar nicht. In einer Stellungnahme weist das Jugendamt darauf hin, dass auf der Internetseite der Behörde bereits vorsorglich auf die längeren Wartezeiten hingewiesen werde , „so dass sich werdende Eltern in der Regel darauf einstellen können“. Mit Wartezeiten von bis zu fünf Monaten scheinen aber viele nicht zu rechnen: Lediglich 62 Prozent der Vaterschaftsanerkennungen konnten im Jahr 2011 vor der Geburt beurkundet werden.

FDP sieht „Bankrotterklärung der Verwaltung“
Sitzt für die FDP im Stadtrat: Rene Hobusch.  
Foto: André Kempner FDP-Stadtrat René Hobusch bezeichnet den Behördentourismus als "skadalös".
 
Dass das Wartezeiten-Dilemma mittlerweile zu einem Behördentourismus führt, findet FDP-Stadtrat René Hobusch „skandalös“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende spricht von einer „Bankrotterklärung für die Verwaltung“. Die erfreulicherweise steigende Geburtenrate bringe selbstverständlich auch einen Mehraufwand für die Behörden mit sich. „Entweder es mangelt an Personal oder die Abläufe in den Ämtern sind zu ineffizient“, meint er.

Tatsächlich beklagt Standesamtsleiter Fiedler, dass seine Behörde unterbesetzt sei. Ein bis zwei Mitarbeiter mehr seien dringend notwendig, um die hinzugekommene Arbeit zu bewältigen. Weggeschickt werde im Standesamt jedoch keiner, betont Fiedler. „Wer es eilig hat und ohne Termin zu uns kommt, kann die Anträge noch am selben Tag erledigen.“ Anja Hoffmann hat jedoch eine andere Erfahrung gemacht: „Ohne Termin vorbei zu kommen, wurde vom Standesamt von Vornherein abgelehnt.“

Die Leipzigerin hat nach langer Suche nun doch noch ein Jugendamt gefunden, in dem sie den dringenden Papierkram erledigen kann. Die Behörde in Chemnitz habe ihr gleich nächste Woche einen Termin angeboten. „Ich kann dort einfach vorbeikommen“, wundert sich die werdende Mutter. Die Freude über die gut einstündige Autofahrt hält sich bei ihr in Grenzen. Dass sie aus Leipzig kommt, hat sie bei ihrem Anruf in Chemnitz vorsichtshalber verschwiegen.
 

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