01.02.13

Die Kriege der verletzten Eltern



Um Trennungskinder streiten Mütter und Väter oft bis aufs Blut. Nun hat Karlsruhe die krasse Benachteiligung der Männer beim Sorgerecht beendet. Es bleiben offene Unterhaltsrechnungen Von


Roger Lebien setzte sich an den Computer, nachdem er die Neuigkeiten zum Sorgerecht erfahren hatte. Sofort tippte er einen Antrag auf gemeinsame elterliche Sorge. "Auf diesen Tag habe ich seit der Geburt meiner Tochter gewartet", sagt der 36-Jährige. 2008 zerstritt er sich mit seiner Partnerin - seither hat er keinen Kontakt mehr zu dem Kind.

Das kann sich nun ändern, denn ledigen Vätern wie Lebien hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss zum Sorgerecht den Rücken gestärkt. Die Karlsruher Richter erklärten die bisherige Regelung, wonach ledige Väter nur mit Zustimmung der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht erhalten können, für verfassungswidrig. Darauf haben viele verzweifelte ledige Väter lange warten müssen. Völlig rechtlos waren sie bis 1998. Erst dann konnten sie die gemeinsame Sorge beantragen. Aber nur mit Zustimmung der Mutter. Blieb die aus, konnte der Vater nicht einmal vor Gericht ziehen.

Folglich durften die ledigen Väter zwar zahlen, hatten aber keine Mitsprache bei Entscheidungen über Bildungsweg, Wohnort oder sportliche Betätigungen des Kindes. Die Väterforen im Internet sind voll mit Berichten, wie Mütter fest vereinbarte Wochenendbesuche des Kindes beim Vater kurzfristig absagen, wie sie das Kind nach einem Besuch ausfragen und schon Ärger machen, wenn der Vater nicht das vorgeschriebene Essen kochte.
Solche Mütterherrschaft war politisch schwer zu überwinden. Zwar setzte sich die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) seit 1998 für mehr Väterrechte ein, scheiterte aber an Feministinnen in ihrer Partei. Mehr noch: Diese, die Mütter gern in der Opferrolle sehen, verbündeten sich in der großen Koalition mit konservativen Unionspolitikern, die Rechte für ledige Väter als Angriff auf die Ehe empfinden. Diese Koalition gibt es noch. So erhält derzeit die familienpolitisch konservative CSU-Abgeordnete Dorothee Bär Unterstützung von der frauenfreundlichen SPD-Rechtspolitikerin Christine Lambrecht, weil beide nach dem Karlsruher Beschluss die von der FDP geforderte Widerspruchslösung ablehnen, bei der ledige Väter nach der Geburt das Sorgerecht automatisch erhalten, sofern die Mutter nicht widerspricht.

Mittlerweile aber lockern sich die Lagerbindungen. Einer Widerspruchsregelung neigt auch die Arbeitsgemeinschaft Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu. Einziger Unterschied zum Modell der FDP: Der Mann muss nicht nur die Vaterschaft anerkennen, sondern beim Jugendamt auch einen Antrag auf gemeinsame Sorge stellen. Die Mutter kann dann innerhalb einer bestimmten Frist widersprechen. "Wir sind der Ansicht, dass der Vater aktiv werden muss - aber in einem sehr niedrigschwelligen Modell", sagt dazu die Unions-Abgeordnete Ute Granold. Dass Parteifreunde in einem neuen Sorgerecht den Zerfall der Ehe wittern, ärgert sie. "Dies taugt nicht als Profilierungsdebatte für die Union. Hier geht es um das Wohl des Kindes und um sonst nichts."
Aufs Kindeswohl setzt auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): "Das Karlsruher Urteil bestätigt mich in meiner Überzeugung, dass zum Wohl des Kindes künftig viel häufiger beide Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben sollten", sagte die Ministerin der "Welt am Sonntag". Ihr Ziel sei dabei "eine Lösung, die von einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens getragen ist". Sie sei "zuversichtlich, dass vielleicht schon zur Hälfte des nächsten Jahres die neue Regelung in Kraft treten kann".

Freilich müssen mehr Rechte für Väter das Bewusstsein für deren Pflichten stärken. Bisher gewährt der Staat bei knapp 500 000 Kindern jährlich Unterhaltsvorschüsse von insgesamt 846 Millionen Euro, weil die Väter zunächst nicht zahlen. Zwar können viele dieser Männer mangels Einkommen tatsächlich nichts berappen, doch auch Wohlhabende verweigern sich. Das zeigt die Quote der Rückgriffe, mit denen sich der Staat die Unterhaltsvorschüsse wieder zurückholt. Die Quote beträgt 20 Prozent, betrifft also 100 000 Kinder. Zigtausende Väter kommen ihren Zahlungspflichten nur spät und unter Druck nach.

Manche entziehen sich ganz. Sie reduzieren ihre Stundenzahl am Arbeitsplatz und somit das Gehalt, um als arm zu gelten - arbeiten jedoch nebenher schwarz. Simone Rohmer* wiederum, die 2002 während der Schwangerschaft vom Vater ihres Jungen verlassen wurde, hielt der Mann damit hin, dass er einen Vaterschaftstest verlangte. Den bekam er, zahlte aber immer noch nicht, weil er als Freiberufler so schlecht verdiene. Einspringen darf der Steuerzahler mit dem Unterhaltsvorschuss, von dem jährlich 680 Millionen Euro verloren gehen, weil kein Rückgriff möglich ist.

Die Grünen halten dies für untragbar: "Der Staat muss stärker darauf achten, dass der Unterhaltsvorschuss von jenen Vätern zurückgezahlt wird, die den Unterhalt tatsächlich leisten können", sagt Katja Dörner, familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit dieser Zeitung. "Väter müssen den Druck spüren, sich den Unterhaltsleistungen, zu denen sie ja verpflichtet sind, nicht entziehen zu können."

Hinzu kommt, dass der Vorschuss in der Regel nur bis zum 12. Lebensjahr gezahlt wird. Ist das Kind älter, kommt bei ausbleibenden Väter-Überweisungen gar nichts. Zwar wollen Union und FDP laut Koalitionsvertrag das Höchstalter auf 14 Jahre heraufsetzen, doch weil dies Mehrkosten von 230 Millionen verursacht, hat man es auf Eis gelegt. Die SPD protestiert. Ihre frauenpolitische Sprecherin im Bundestag, Caren Marks, sagte der "Welt am Sonntag", die Situation der Alleinerziehenden sei "seit Jahren prekär. Daher müssen wir den Unterhaltsvorschuss flexibler gestalten. Eine Erhöhung der Altersgrenze auf 14 Jahre sollte auf jeden Fall kommen." Denkbar sei auch eine Erhöhung auf 16 Jahre.
Freilich ist der Vorschuss nur ein Notbehelf in einem elterlichen Streit, bei dem tief verletzte Menschen zulasten der Kinder aufeinander losgehen, wobei die Frauen meist zur Waffe des Sorge- und Umgangsrechts greifen, die Männer zu der des Geldes. Es ist dieser Streit, der überwunden werden muss. Darum bemüht man sich im rheinland-pfälzischen Cochem, wo seit 1992 Eltern nach der Trennung durch sanften Druck und Beteiligung von Familiengericht und Jugendamt zu einer einvernehmlichen Lösung bewogen werden - meist mit Erfolg.

Dass es ohne Streit geht, zeigt sich an Horst Zaunegger. Der Musiker aus Pulheim hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf gemeinsame Sorge für seine Tochter geklagt. Als er in Straßburg 2009 recht bekam - was ein wichtiger Anstoß für die neue Karlsruher Entscheidung war -, lebte seine Tochter bereits bei ihm. Mit Zustimmung der getrennt lebenden Mutter. Man hatte sich zum Wohle des Kindes geeinigt.
* Name geändert

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