Am
Abend des 3. November 2008 beginnen die Erzieher in dem Heim am
Waldrand die „Anti-Aggressionsmaßnahme“ mit der 17 Jahre alten Hanna*.
Das Protokoll:
19.30 Uhr: Verweigerung von Nahrung und Medikamenten.
20.05 Uhr: Wehrt sich. Kopf wird festgehalten.
Anzeige
20.07 Uhr: Wehrt sich weiter. Hanna werden
beide Hände verbunden, da Sie an den Fingern pult. Kopf wird weiter
festgehalten.
20.10 Uhr: Halsgurt wird gelöst, da Sie sich aufreibt. Hanna fängt an, Kopf auf Unterlage zu hauen summt lauter.
Die Firma: Die Haasenburg GmbH ist ein
profitorientiertes Unternehmen, das fünf Einrichtungen betreibt, davon
drei geschlossene Heime für Kinder und Jugendliche in Brandenburg. Die
Firma gilt als Marktführer und verfügt laut Auskunft des
Landesjugendamtes Brandenburg vom 13. Februar 2013 über 56 Plätze, bei
denen freiheitsentziehende Maßnahmen erlaubt sind und die damit
entsprechend höhere Tagessätze einbringen. Insgesamt hat die Firma 114
Heimplätze. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Plätze
in geschlossenen Heimen bundesweit mehr als verdoppelt. Derzeit bringt
der Staat 389 Kinder so unter.
Die Grundlagen: Eine geschlossene
Unterbringung von Minderjährigen ist bei sogenannter Selbst- oder
Fremdgefährdung möglich. Die Entscheidung eines Familiengerichts ist
dafür nötig. Die Haasenburg sei für jene Kinder, die andere
Einrichtungen nicht aufnehmen wollten, argumentiert etwa der Hamburger
SPD-Senat. Hamburg betrieb bis vor vier Jahren selbst ein geschlossenes
Heim.
20.27 Uhr: Versucht Hand aus Fixierung zu lösen. Erzieher hält weiterhin Kopf fest.
20.39 Uhr: Hanna bewegt Kopf wieder heftiger hin und her. Erzieher hält Kopf wieder fest.
20.47 Uhr: Schlägt Kopf heftig auf Liege. Erzieher hält Kopf wieder fest.
21.25 Uhr: Stellt sich in die Mitte des Raumes verschränkt ihre Arme.
21.28 Uhr: Gesprächsangebot. Ignoriert dieses Angebot.
21.33 Uhr: Pult noch immer an ihren Fingern herum. Erzieher fordert sie auf, das zu unterlassen.
21.50 Uhr: Erz. müssen ihre Hände hinter den Rücken verschränken.
21.54 Uhr: wird fixiert. Klopft mit Fußspitze auf den Boden.
Dem Protokoll zufolge dauert die
Prozedur bis ein Uhr nachts. Als Grund für die Behandlung ist in der
Rubrik „auslösende Situation“ vermerkt: „Befolgte Anweisung nicht, ging
selbständig auf den Flur“.
Das Heim der Haasenburg GmbH liegt von
Bäumen umgeben am Schwielochsee im Osten Brandenburgs in einem Ort
namens Jessern. Wenn die Junisonne scheint, wirkt alles fast wie eine
beschauliche Ferienanlage. Und wenn man dort fotografiert, kann es sein,
dass ein muskulöser Mann kommt und fragt, was man denn hier tue.
Jugendliche sind draußen keine zu sehen.
Drei geschlossene Einrichtungen und zwei
Außenstellen gehören zur Haasenburg GmbH, die auf ihrer Homepage von
einer „therapeutischen Arbeit in einer zunächst reizreduzierten
Umgebung“ spricht.
Was Hanna hier passiert ist, war Teil
des Konzepts. Der taz liegen tausende Seiten interne Dokumente vor, die
Einblicke geben hinter die Fassade der Haasenburg GmbH. Daraus wird
klar: Das Protokoll der Anti-Aggressionsmaßnahme schildert keine
Überreaktion oder Entgleisungen Einzelner. Vielmehr hielten sich die
Erzieher an formalisierte Regeln.
Auf jedes Fehlverhalten folgt sofort die
Sanktion. Einige, die hier festgehalten wurden, sagen, das geschehe
mehrmals täglich, was ehemalige Mitarbeiter bestätigen.
Die Haasenburg GmbH ist eine Firma, die
mit dem Betrieb geschlossener Kinderheime Millionen vom Staat kassiert.
Der Staat delegiert die Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen,
die von ihren oft zerrütteten Familien getrennt wurden, an diese Heime.
Obwohl Beschwerden vorliegen und obwohl das Landesjugendamt die Auflagen
2010 wegen der Missstände verschärfte, ist bisher nur oberflächlich von
Seiten des Landes Brandenburg kontrolliert worden.
Anti-Aggressionsmaßnahmen
Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind bei den Ämtern oft
namentlich bekannt – sie gelten als schwere Fälle, die Ärger und somit
Schriftsätze produzieren. Die Haasenburg GmbH hat aus dieser
Konstellation ein Geschäftsmodell gemacht.
Die Anti-Aggressionsmaßnahmen sind in der
Firma allerdings manchmal so brutal verlaufen, dass Frakturen
entstanden. Bei einem Mädchen heißt es: „es hat auch eine AA-Maßnahme
stattgefunden, woraufhin sie sich so stark wehrte, dass sie sich ihren
Arm brach: sie kann enorme Kräfte entwickeln“. AA steht für
Anti-Aggression.
Bis irgendwann der Paragraf 1631b greift
Die Jungen und Mädchen sind meist zwischen 12 und 16 Jahre alt.
Viele stammen aus Familien, in denen Alkohol, Arbeitslosigkeit, oder
sexueller Mißbrauch zum Alltag gehörten. Es können aber auch nur
Scheidungsdramen sein, die zu Überforderungen führen, bis irgendwann
Paragraf 1631b BGB angewendet wird, der Freiheitsentzug bei Kindern. Der
muss vom Familiengericht genehmigt werden: „Die Unterbringung ist
zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer
erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der
Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche
Hilfen, begegnet werden kann.“
In den letzten zehn Jahren hat sich die
Anzahl der Kinder, die so weggesperrt wurden, bundesweit mehr als
verdoppelt – auf 389.
Svenja* ist eine von ihnen gewesen. Ihre Oma
zeigte Svenjas Mutter an, weil die das Kind verprügelte. Mit sieben
Jahren wird sie von Männern sexuell missbraucht – und bekommt dafür Geld
und Spielzeug. Seit sie zwei Jahre alt ist, kennt das Jugendamt ihren
Fall. Mit acht Jahren wird sie in die Kinderklinik Schwedt eingewiesen.
Diagnose: hyperkinetisches Syndrom, auch bekannt als: Zappelphilipp.
Svenja wird regelmäßig ambulant von der
Jugendhilfe betreut, wechselt in die Förderschule für Erziehungshilfe,
ins heilpädagogische Heim, wieder in die intensiv-sozialtherapeutische
Gruppe nach Schwedt, aus der sie wegläuft, dann in die entsprechende
Gruppe nach Julienwalde kommt, entweicht, auf der Straße lebt, Drogen
nimmt, Alkohol und Cannabis. Sie prostituiert sich, um an Geld zu
kommen. Sie landet in einer geschlossenen Unterbringung einer
Mädchengruppe, von wo sie auch wieder abhaut, zwischendurch immer wieder
Stationen in der Psychiatrie.
"Schlimmer als Psychiatrie"
Dann wird sie in das Heim im Spreewald gebracht. „So etwas wie in
der Haasenburg habe ich auch in der Psychiatrie nie erlebt“, sagt sie.
Nachdem sie raus ist, erstattet sie Anzeige, wendet sich an das
Bundesfamilienministerium, spricht mit dem Landesjugendamt – ohne dass
sich etwas ändert.
Wer in die Haasenburg GmbH kommt, betritt einen „eigenen Staat“, sagt Svenja.
Sie musste bei der Ankunft durch ein Spalier von Mitarbeitern gehen,
die alle Walkie-Talkie trugen. Entkleidung, Leibesvisitation, auch
rektal. Abgabe der Schuhe. Ausgabe der Holz-Clogs. Ausgabe von
Jogging-Anzügen der Haasenburg GmbH. Svenja wurde auf ihr Zimmer
gebracht. Eine Matratze, ein Tisch. Sonst nichts. Isolation der Phase
rot.
Weitere Phasen: gelb und grün, mit
jeweils abgeschwächten Reglementierungen. Irgendwann ist auch der
Kontakt mit anderen nach bestimmten Regeln erlaubt. Phase rot dauert
allerdings Wochen, manchmal auch Monate. Selbst der Blick aus dem
Fenster ist dann verboten.
„Desinfektion“ hätten die Betreuer die
Anfangsphase genannt, berichtet ein 15-Jähriger. Im Zimmer müssen die
Hausregeln der Haasenburg GmbH abgeschrieben werden.
Ein Auszug: „6. Ich halte Distanz und habe
keinen Körperkontakt! 7. Wenn die Jugendlichen in der Reihe stehen ist
der Mund geschlossen und der Blick nach vorne gerichtet. Es wird ca.
eine Armlänge Abstand zum Vordermann gelassen! 8. Die Jugendlichen
laufen erst los, wenn die Erzieher es sagen und nur so weit, wie es
gesagt wird! 9. Die Jugendlichen laufen immer rechts neben dem Erzieher!
10. Während der Dienstzeit ist der Mund geschlossen.“
Laut dem Landesjugendamt ist diese
Hausordnung seit 2010 nicht mehr benutzt worden. Der taz allerdings ist
ein Fall bekannt, in dem ein Junge sie noch 2012 abschreiben musste.
„Räumliche Distanz gegenüber Erziehern“
Zum Umgang mit den Neuen findet sich in den internen Dokumenten ein „Neuaufnahmeordner“, der alles formal regelt.
Anfragen zu den Geschäften der
Haasenburg GmbH beantwortet die Agentur Mediengruppe Hamburg. Hinrich
Bernzen ist dort Geschäftsführer für Marketing und PR. Am 28. Februar
2013 bezieht er für die Haasenburg GmbH Stellung: Der
„‘Neuaufnahmeordner‘ ist weder in dieser noch in einer anderen Form in
der Haasenburg gebräuchlich.“ Eine entsprechende Akte sei „auch auf
intensive Nachfrage nicht bekannt“.
In dem undatierten Dokument, das der taz
vorliegt, heißt es unter „Neuaufnahme Stufe 1“: „Totale Unterordnung (3
bis 10 Tage)“; „keinerlei Diskussion über Maßnahmen“, „räumliche
Distanz gegenüber Erziehern bei Betreten des Zimmers (d.h. sofort
Aufstehen und am Tisch stehenbleiben)“; „Tägliche Leibesvisitationen“;
„Toilettengang ist nur in Begleitung von 2 Personen“ erlaubt; „Bei
Fehlverhalten sofortiges Eingreifen mit barschem Ton und Anwendung
rigider Maßnahmen (Anti-Agressionsmaßnahmen= erst Einschluss, dann
AA-Raum, evtl. Fixierung)“.
Fixiergurte für Kopf und Oberschenkel
Der Marketing-Mann der Haasenburg GmbH schreibt daraufhin, dieses
Dokument, „könnte aus dem Versuch einer Mitarbeiterin oder eines
Mitarbeiters der Einrichtung stammen, konzeptionelle Überlegungen ....
abzuleiten.“ Das alles aber habe „niemals Einzug in unseren
Arbeitsalltag erhalten.“
Ehemalige Mitarbeiter sagen der taz,
dass sie täglich mit dieser Handlungsanleitung zu tun hatten. Bereits im
Protokoll einer internen Teambesprechung der Haasenburg GmbH vom 9.
November 2006 steht: „Zuerst wird die Neuaufnahme in AA-Raum geführt,
dann wird Leibesvisitation durchgeführt ... (dann siehe
Neuaufnahmeordner)“. AA wie Anti-Aggression.
Auch später taucht der Ordner in
Besprechungsprotokollen immer wieder auf. Der taz liegen über ein
Dutzend interne Dokumente der Haasenburg GmbH vor, in denen auf den
angeblich nicht vorhandenen Ordner eingegangen wird.
Im Anti-Aggressionsraum der Firma wird
auch mit Fixiergurten gearbeitet. Protokoll, Oktober 2009: „neue
Fixiergurte wurden bestellt für Kopf und Oberschenkel“.
Kinder wurden auf Fixierliegen
geschnallt. Nach Aussagen eines Bremer Psychologen sind derartige Liegen
selbst in einer Psychiatrie äußerst fragwürdig, bei Kindern kaum
zumutbar. Die Haasenburg GmbH betreibt Heime, keine Psychiatrie.
Hinrich Bernzen lässt zu den
Fixierliegen mitteilen: „Im Zuge der Optimierung der Kooperationen mit
den stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken und gleichsam
im Qualitätsdialog mit dem Landesjugendamt Brandenburg wurde in der
Vergangenheit ein Procedere erarbeitet, das die interdisziplinäre
Zusammenarbeit, vor allem an den Schnittstellen zwischen den
Hilfesystemen Jugendhilfe und Medizin, verbessert hat.“ Deswegen würden
nun keine Fixierliegen mehr benötigt.
„Die Behauptungen sind weiter nicht richtig.“
Tatsächlich ergeht eine Auflage des Landesjugendamtes. Ab dem 01.
Januar 2010 gilt laut Betriebsvereinbarung, die der taz vorliegt:
„Fixierungen mit Fixiergurten auf Fixierbetten nicht zulässig“. Verboten
sind demnach fortan auch „regelhafte Kontrollen bei Aufnahme“ – etwa
der persönlichen Sachen oder der Kleidung.
Auch Jan* sollte auf einer Fixierliege
„erzogen“ werden. Er sagt: „Mein persönlicher Rekord waren drei Tage am
Stück. Die wollten drei Tage meinen Willen brechen.“ Der junge Mann
bezeugt seiner Aussage mit eidesstattlicher Versicherung.
Hinrich Bernzen, der sich gegenüber der
taz nicht mehr im Detail zu Kindern der Haasenburg GmbH äußern will,
schreibt im März 2013: „Die Behauptungen sind weiter nicht richtig.“
Ein Psychologe, dem Auszüge und das
pädagogische Modell bekannt sind, sagt, es gehe in dieser Einrichtung
offensichtlich darum, junge Menschen zu brechen.
In einem Dokument ist von „Löschung“ des
Verhaltens die Rede: „entziehe ich einer positiv verstärkten
Verhaltensweise den positiven Verstärker, wird dieses Verhalten
zukünftig weniger oft angezeigt.“ Als „Fehlverhalten“ reicht
„widersprechen, lautes Lachen bei Kritik“. Zur „Löschung“ zählt auch die
„Bestrafung“. Hier gilt: „auch körperliche Aktion ... denkbar“. Die
Haasenburg GmbH regelt auch den „Aufbau von Verhalten“. Für jedes Kind
wird in einer Liste das erwünschte und das unerwünschte Verhalten
festgehalten.
„bei Chipsverlust kein Kuscheltier im Bett“
Für erwünschtes Verhalten kann pro Tag maximal ein Chip verdient
werden, für unerwünschtes Verhalten können sämtliche Chips wieder
entzogen werden – etwa „wegen schlechter Körperhaltung“.
Während die Kinder anfangs nicht einmal
eigene Kleidung tragen dürfen, können nach dem Punktesystem
Annehmlichkeiten mit verdienten Chips erkauft werden: „Rasieren (nur im
Intimbereich)“: 7 Chips, also mindestens 7 Tage, an denen gegen keine
Regel verstoßen werden darf. Woanders heißt es: „bei Chipsverlust kein
Kuscheltier im Bett“.
Alles Alltägliche muss verdient werden:
Telefonate mit der Mutter, Schminke, ein Poster auf dem Zimmer. Alles
kann jederzeit wieder entzogen werden.
Manchmal selbst Handwerker und Security
Bei der „körperlichen Begrenzung“ der Kinder, werden in der Regel
drei bis vier Mitarbeiter per Walkie-Talkie hinzugeholt und halten die
Jugendlichen fest. Einer überkreuzt die Beine und drückt sie auf den Po,
ein weiterer übernimmt jeweils einen Arm und wendet, wenn es nötig
scheint, eine Handklemme an, bei der die Handgelenke geknickt werden,
ein weiterer hält den Kopf zur Seite, um einen Zungenbiss zu vermeiden.
So beschreibt es ein ehemaliger Mitarbeiter, der selbst diese Griffe
ausgeführt hat.
So fixiert, spricht ein Erzieher mit
standardisierten Sätzen auf das Kind ein, es möge sich beruhigen. In
einem internen Protokoll steht: „wenn AA-Raum benutzt wird –
kontrollieren und absprechen wer übernimmt was (Beine, Arme, Kopf)“.
Im Oktober 2009 wird ein Junge fünf
Stunden im Anti-Aggressionsraum „erzogen“. Protokoll: „Weint, klagt über
Schmerzen, bittet darum losgelassen zu werden, dem Wunsch kann nicht
nachgegangen werden, ist immer noch angespannt. Versucht sich im Raum zu
bewegen, Handklemme wird wieder etwas angezogen“.
Der Marketing-Experte Hinrich Bernzen,
behauptet: „Der Begriff ’Handklemme‘ ist kein Fachterminus und wird
daher nicht in der Haasenburg verwendet.“ Zudem gebe es „keine Griffe
die irgendjemand absichtlich Schmerzen verursachen“.
Bernzen ignoriert das zitierte
Protokoll. Dabei sagt ein ehemaliger Mitarbeiter: „Schon wenn ein
Jugendlicher verbal entgleisend war, also zum Beispiel sagte: ’Leck
mich‘, wurden die Handklemmen angewandt.“
Auch in einem Dokument aus dem Jahr 2010
steht: „Klemme während einer Maßnahme werden oft nicht richtig
angezogen“.
In den Steckbriefen, die die Haasenburg
GmbH für jeden Jugendlichen anfertigt, gibt es auch stets die Rubrik
„Medikation“: Bei einem großen Teil der Jugendlichen sind dort
Psychopharmaka und Neuroleptika notiert. Ein Auszug: Olanzipin,
Mitrazapin, Risperidon, Neurocil, Medikinet, Seroquel, Zyprexa, Topamax,
Taxilan, Dipiperon, Pipamperon, Truxal.
Gefährliche Medikamente
Die verabreichten Medikamente haben nach Auskunft eines Psychologen
erhebliche Nebenwirkung und gefährden gerade die Entwicklungsphase, in
der sich Kinder und Jugendliche befinden, irreversibel.
Zudem müsste der Arzt für die Vergabe
erhebliche psychische Erkrankungen diagnostiziert haben. Dann aber
müssten die Kinder in einer Psychiatrie untergebracht sein. Dabei
besteht der PR-Berater der Haasenburg GmbH darauf: „Keineswegs ist die
Haasenburg eine psychiatrische Einrichtung“.
Die Firma arbeitet seit Jahren mit einem
Hausarzt zusammen. Das Geschäft dürfte einträglich sein. Hanna wird oft
traktiert, weil sie sich weigert, Psychopharmaka zu schlucken, die ihr
der Hausarzt verschrieben hat. Im Februar 2009 heißt es in einem
Protokoll: „Hanna wird festgehalten, da sie Medikation nicht von allein
nimmt, bekommt oral Medikation per Spritze von Erzieher verabreicht.“
Auch an diesem Abend dauert die Prozedur bis um 1.05 Uhr.
Der richtige Umgang mit Medikamenten ist
wohl nicht allen Mitarbeitern bekannt. Bei einer Teamberatung im Januar
2010 wird gemahnt: „keine Zwangsvergabe da dafür ein anderer Beschluss
benötigt wird“.
Die Haasenburg GmbH geht auch mit ihren
Mitarbeitern nicht zimperlich um. Die Dienste sind unterbesetzt, die
Mitarbeiter ständig krank und am Limit. Sogar schwarz gekleidete Herren
einer privaten Security-Firma wurden schon monatsweise eingesetzt. In
der Einrichtung werden die Kinder selbst von Türstehern und Handwerkern
betreut.
Bei manchen Mitarbeitern vermischen sich
Beruf und Persönliches. Fünf Kolleginnen der Haasenburg GmbH
unterhalten sich im August 2011 in einem Internet-Forum: Eine beklagt,
dass ihr Telefonanbieter sie in der Warteschleife hängen lässt. „ich
helfe dir und wir begrenzen sie......brauchen wir nur noch nen dritten
für die Beine :)“, antwortet eine. „ich mach das :)“, schreibt eine
andere. „will auch mit machen...da kannst du die gesprächsführung
übernehmen“, schlägt eine vierte vor. „ohja, das mache ich ja so
gerne..*brech* :)“
„kopf ist noch frei :)“, wirft eine ein. „hö hö falls er/sie/es am teppich schubbert wa“.
Der Eigentümer heißt Christian Dietz
Der Eigentümer der Haasenburg GmbH heißt Christian Dietz. Über die
Konstruktion einer Beteiligungsgesellschaft ist er zusammen mit seiner
Frau als Gesellschafter im Handelsregister eingetragen. Dietz nahm den
Namen seiner 15 Jahre jüngeren Frau an, davor hieß er Christian Haase
und arbeitete in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der damaligen
Landesklinik Lübben.
Christian Dietz besitzt eine Firma für
„Luftfahrtdienstleistungen“, betreibt ein Fitness-Studio in Berlin und
unterhält in Mecklemburg-Vorpommern einen Landwirtschaftsbetrieb. Mit
der Haasenburg GmbH macht er Millionen-Gewinne. Das geht auch aus drei
Rechnungen hervor, die die Haasenburg GmbH an Jugendämter verschickte
und die der taz vorliegen: 300,28 Euro fallen als Tagessatz an, dazu 25
Euro für die schulische Föderung und 17 Euro für „Körperwahrnehmung“.
Das sind 123.220,80 Euro im Jahr pro Kind.
In der Regel sind die 56 Kinder, die
geschlossen verwahrt werden, über ein Jahr in der Einrichtung, manche
mehrere Jahre. 114 Plätze gibt es insgesamt und 114 Mitarbeiter
beschäftigt die Firma laut der Auskunftei Creditreform.
Einsatz auch bei Schwangeren
In der Haasenburg GmbH greifen Anti-Agressionsmaßnahmen auch bei
schwangeren Mädchen. Das zeigt das Protokoll über die schwangere Nina*
aus dem Februar 2009: „Auslösende Situation: Verweigerungshaltung in
Bezug auf die aktive Teilnahme am Gruppengeschehen“. Nach einer halben
Stunde: „09:53 Uhr Nina wehrt sich, schlägt um sich und geht in die
Knie“. Dann: „10:00 Uhr Körperliche Begrenzung auf dem Boden in
Rückenlage um das Kind zu schützen“. Es exisitieren sogar Notfallpläne
für Entbindungen.
Auch Neugeborene müssen hier aufwachsen.
Die Teamrunde beratschlagt im Januar 2008: „Thema Clogs bei Julia* nach
der Entbindung: Team meint, dass sie auch nach der Entbindung private
Schuhe tragen darf, da sie es jetzt auch beweisen könnte, damit
umzugehen: sollte es aber Fluchtgedanken geben .... sollte sofort im
Team darüber gesprochen werden und neu entschieden werden, ob sie Clogs
wieder tragen muss.“
Ihre Mutterschaft schützt nicht vor den
körperlichen Disziplinierungen. Die Entbindung ist bei der 16-Jährigen
gerade zweieinhalb Wochen her, sie selbst längst wieder in der
Haasenburg GmbH, da heißt es am 21. Februar 2008: „braucht weiterhin
klare Grenzziehungen, hat keinen Sonderstatus als Mutter, vergisst dies
scheinbar ab und zu.“
Die taz weiß von mehreren Beschwerden
gegen die Haasenburg GmbH beim Landesjugendamt. Warum versagt der Schutz
der Kinder und Jugendlichen?
Die Firma beschäftigt eine interne
Kontrollkommission. Vorsitzender war bis Anfang Dezember 2012 Prof. Dr.
Christian Bernzen. Bernzen ist Partner in der Hamburger Kanzlei „Bernzen
Sonntag Rechtsanwälte Steuerberater“. Allerdings kontrollierte der
Sozialdemokrat nicht nur die Haasenburg GmbH, sondern trat gleichzeitig
auch als Anwalt der Firma in Erscheinung. Er war etwa für die
Verhandlungen der Pflegesätze zuständig.
Nicht nur Jugendliche beschwerten sich
Nach der Anfrage der taz, betonte er, er habe beide Bereiche
„streng getrennt“, sei aber von seinem Vorsitz der Kontrollkommission
„mit Schreiben von heute zurückgetreten“. Der Fachanwalt für Kinder- und
Jugendhilferecht sitzt als Schatzmeister im Vorstand der Hamburger SPD.
Er ist auch der Bruder von Hinrich Bernzen: dem Marketing-Mann für die
Haasenburg GmbH.
Eigentliche Aufsichtsbehörde ist das
Landesjugendamt. Für die Behörde antwortet Ministeriumssprecher Stephan
Breiding. Er bedauert, dass weder Jugendliche noch Mitarbeiter der
Haasenburg GmbH „bisher bereit waren, mit dem Landesjugendamt über ihre
Beobachtungen ... zu sprechen“.
Das ist nicht korrekt. Nach
Informationen der taz beschwerten sich nicht nur Jugendliche bei der
Behörde. Aus einem internen Mailverkehr geht hervor, dass sich auch ein
langjähriger Mitarbeiter der Haasenburg GmbH schon im Februar 2010
vertraulich an den damaligen Chef wandte. Er habe „erhebliche Mißstände“
festgestellt. Für die Haasenburg GmbH hatte dies wieder keine
Konsequenzen.
Widersprüche beim Landesjugendamt
Landesjugendamt und Ministerium widersprechen sich. Amtsleiter
Karsten Friedel sagte noch im Dezember 2012: „Es gibt keine Einrichtung,
wo die Kollegen so oft sind wie in der Haasenburg. Auch unangemeldet“.
Nach Auskunft des Ministeriums gab es aber nur eine unangemeldete
Überprüfung seit 2010. Denn ein „unangemeldetes Eindringen Fremder
sollte auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben“, um die Kinder und
Jugendlichen nicht zu stören, heißt es von dort.
Hinrich Bernzen, der Marketing-Mann der
Haasenburg GmbH, betont: Die Aufsichtsbehörde habe „das Recht, jederzeit
Einsicht zu nehmen“. Was für die taz-Reporter nicht gilt: „Es ist
leider nicht möglich, dass die taz die Einrichtung der Haasenburg“
besucht, heißt es im Februar 2013. Denn die Jugendlichen „benötigen vor
allem eine geschützte Atmosphäre und möglichst wenig Druck“.
Vor allem möchte die Firma nicht, dass
die Öffentlichkeit etwas erfährt: „es wird mit niemanden über die
Anti-Aggressionsmaßnahme extern gesprochen“, heißt es in einer
Teamberatung im November 2008.
Im Juni 2013 antwortet das Brandenburger
Ministerium auf eine erneute taz-Anfrage fast klagend: Das
Landesjugendamt „bietet zum wiederholten Male an, jedem Vorwurf
nachzugehen“.
Die taz gelang es bislang, mit neun
Jugendlichen zu sprechen, die in der Haasenburg waren. Sie alle sagen,
es sei die schlimmste Zeit ihres Lebens gewesen und sie litten noch
heute an den Folgen. Sie alle fordern, dass das Heim geschlossen wird.
Ein Mädchen, das derzeit in der
Haasenburg erzogen wird, erzählt der taz, wie sich fünf Erzieher
kürzlich einen 16 Jahre alten Teenager vornahmen – mit „so einem
Polizeigriff“. Er habe geschrien, dass er keine Luft bekomme und danach
eine Schürfwunde am Kopf gehabt.
Das Mädchen sagt, sie sei selbst schon
rabiat angegangen worden. In der Anfangsphase musste sie sich in die
Mitte des Raumes stellen wenn sie etwas wollte. Sie habe dann an den
Türrahmen klopfen und ihren Namen rufen müssen.
„Ich durfte nicht einmal aus Fenster
schauen. Der Erzieher hat gesagt, das wäre Kontaktaufnahme. Ich dachte,
die wollen mich nie wieder nach Hause schicken“, sagt das Mädchen.
„Ihre Knieschoner hatte sie noch um“
Vermutlich haben sich die Zuständigen auch bei Lena* auf das
verlassen, was die Haasenburg GmbH ihnen mitteilte. Ein Mädchen, das mit
14 Jahren in die Firma gebracht wurde und besonders zu leiden hatte,
weil sie gezwungen wurde, stets einen Sturzhelm, Knie- und
Ellenbogenschoner zu tragen. Sie musste damit sogar schlafen.
Vorgeblich ging es um eine pädagogische
Maßnahme, darum, sie vor sich selbst zu schützen. Ein Psychologe meint,
das sei selbst bei geistig Behinderten und Epileptikern ein „ganz
extremer Eingriff in die unmittelbare Körperwahrnehmung und komme einem
permanenten Verfassungsbruch gleich“.
Helfen konnten Lena weder die
stundenlangen und brutalen Anti-Aggressionsmaßnahmen, noch die
verordneten Kniebeugen. Auch nicht ihr Sturzhelm. „Ihre Arm- und
Knieschoner hatte sie noch um, der Helm lag zu ihren Füßen“, schreibt
ein Mitarbeiter in seiner Stellungnahme zu dem Ereignis am 31. Mai 2008.
Der Tag an dem Lena starb.
*Die Namen sind geändert.
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http://www.taz.de/Kinderheim-in-Brandenburg/!118139/
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