Hochschwarzwald
Totes Kind: Uniklinik Freiburg erhebt schwere Vorwürfe gegen Behörden
Zweimal ist ein Bub aus Lenzkirch in der Uniklinik behandelt
worden. Beide Male deutete alles auf Kindesmisshandlung hin. Die
Freiburger Ärzte stellten im Sommer 2014 Strafanzeige gegen Unbekannt,
informierten die Behörden. Ein halbes Jahr später ist der Dreijährige
tot.
Der Junge war am vergangenen Freitag gestorben. Der 32 Jahre alte Stiefvater wird verdächtigt, den Dreijährigen getötet haben. Er sitzt in U-Haft. Der Mann hat zugegeben, das Kind am Freitag geschlagen zu haben – behauptet aber auch, das Kind sei die Treppe hinuntergefallen.
Schon früh stellte sich die Frage, ob der Tod des Jungen hätte verhindert werden können. Schon 2014 hatte es Hinweise auf Kindesmisshandlung gegeben. Seither wurde die Familie vom Jugendamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald betreut. Dieses wies am Dienstag jedwede Kritik an seinem Vorgehen zurück – doch nun erhebt das Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg (ZKJ) schwere Vorwürfe gegen die Behörde. In einer Stellungnahme listet es die Klinikaufenthalte des Jungen auf – und zeichnet so ein monatelanges Martyrium nach:
Ende August 2013 wurde der Junge demzufolge erstmals stationär in der Kinderklinik des Universitätsklinikums Freiburg behandelt. Schon zu diesem Zeitpunkt kamen die Verletzungen des Jungen den behandelnden Ärzten verdächtig vor, ein Rechtsmediziner sei hinzugezogen worden. Es sah so aus, als würde der Junge körperlich misshandelt – das habe das Pädiatrische Kinderschutzzentrum auch dem Allgemeinen Sozialdienst (ASD) des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald gemeldet.
Ende Juli bis Anfang August 2014 wurde der Junge erneut in die Klinik eingeliefert. Eine niedergelassene Kinderärztin hatte ihn überwiesen. Die Uniklinik stellt in ihrer Mitteilung eindeutig heraus, dass sich Ärzte und Rechtsmediziner der Uniklinik in einem sicher waren: Der Junge ist schwersten Misshandlungen ausgesetzt, eine akute Kindeswohlgefährdung liegt vor. Bereits bei seiner Aufnahme am 28. Juli 2014 sei daher das zuständige Jugendamt informiert worden. Aufgrund der Schwere der Verletzungen und der wiederholten Einweisung des Jungen hätte die Klinik zudem Strafanzeige bei der Polizei gegen Unbekannt gestellt. Am 15. August 2014 wurde ein abschließender, ausführlicher Bericht an den ASD des Landratsamtes geschickt. In diesem sei nochmals eindringlich auf die akute Gefährdung des Jungen hingewiesen worden.
"Unser Konzept, das wir hier am Uniklinikum gemeinsam mit der Stadt Freiburg initiiert haben, um frühzeitig Kindesmisshandlungen zu erkennen, hat funktioniert", so Spiekerkötter. "Kinderärzte, Psychologen und Rechtsmediziner haben den Fall als sehr eindeutig eingeschätzt, die zuständigen Stellen wurden informiert, es wurde sogar Strafanzeige gestellt. Umso erschütternder ist der weitere Verlauf", so die Kinderärztin.
Ermittlungsverfahren wurde eingestellt
Bisher bekannt ist, dass sich das Jugendamt im Juli 2014 tatsächlich nach der Meldung über Kindeswohlgefährdung von Seiten der Uniklinik eingeschaltet hatte. Daraufhin wurde gegen den Stiefvater ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das im Oktober aber eingestellt wurde: Es hatte laut Staatsanwaltschaft keine Hinweise ergeben, dass der Stiefvater den Jungen tatsächlich misshandelt hatte. Kein Zeuge wollte ihn je gewalttätig gesehen haben.
Die Mutter bescheinigte ihrem Lebensgefährten sogar, er kümmere sich fürsorglich um ihren Sohn aus einer anderen Beziehung, wie Michael Mächtel, Sprecher der Staatsanwalt, berichtet. Die Verletzungen seien, vermutete sie, beim Spielen auf dem Bauernhof entstanden. Die Polizei sieht keine Ermittlungsfehler. Die Staatsanwaltschaft habe nicht anders gekonnt, als das Verfahren einzustellen, so Mächtel – nicht ohne das Jugendamt auf seine Zuständigkeit hinzuweisen.
Landratsamt spricht von kooperativen Eltern
Im Landratsamt sieht man dennoch keine Versäumnisse. Sozialdezernentin Eva-Maria Münzer sagt, das Jugendamt habe sich an alle Vorschläge des Zentrums gehalten. Die Mutter sei mit den Kindern bis Oktober in Kur gegangen. Als aber die Ermittlungen gegen den Stiefvater eingestellt waren, hätten die Eltern, unterstützt von einem Anwalt, die Wiederherstellung der alten Familienverhältnisse verlangt. "Wir müssen die Balance zwischen Kindeswohl und Elternrecht beachten", begründet Münzer das Einverständnis ihres Amts. Die Eltern hätten sich stets kooperativ gezeigt, und bis zum Tod des Dreijährigen seien täglich Helfer im Haus gewesen. Schon am Montag hatte die Landrätin Dorothea Störr-Ritter erklärt: "Wir haben alles umgesetzt, was machbar war."
Unklar ist weiter, was die 24-Jährige über die Misshandlungen des Kindes wusste. Zum Zeitpunkt der Tat war sie nicht daheim, befand sich nach BZ-Informationen wegen einer Erkrankung mehrere Tage in stationärer Behandlung. Das Sorgerecht für den Dreijährigen hatten Mutter und Stiefvater gemeinsam, die Dorfhelferin hatte während der Abwesenheit der Mutter deren Aufgaben im Haushalt übernommen. Schon als Alleinerziehende war die 24-Jährige vom Jugendamt betreut worden. Diese hat mit dem 32 Jahre alten Tatverdächtigen noch eine gemeinsame, jüngere Tochter. Diese wurde in einer Pflegefamilie untergebracht.
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