Um Trennungskinder streiten Mütter und Väter oft bis aufs Blut. Nun hat Karlsruhe die krasse Benachteiligung der Männer beim Sorgerecht beendet. Es bleiben offene Unterhaltsrechnungen Von Miriam Hollstein und Matthias Kamann
Roger Lebien
setzte sich an den Computer, nachdem er die Neuigkeiten zum Sorgerecht
erfahren hatte. Sofort tippte er einen Antrag auf gemeinsame elterliche
Sorge. "Auf diesen Tag habe ich seit der Geburt meiner Tochter
gewartet", sagt der 36-Jährige. 2008 zerstritt er sich mit seiner
Partnerin - seither hat er keinen Kontakt mehr zu dem Kind.
Das kann sich nun ändern,
denn ledigen Vätern wie Lebien hat das Bundesverfassungsgericht mit
seinem Beschluss zum Sorgerecht den Rücken gestärkt. Die Karlsruher
Richter erklärten die bisherige Regelung, wonach ledige Väter nur mit
Zustimmung der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht erhalten können,
für verfassungswidrig. Darauf haben viele verzweifelte ledige Väter
lange warten müssen. Völlig rechtlos waren sie bis 1998. Erst dann
konnten sie die gemeinsame Sorge beantragen. Aber nur mit Zustimmung der
Mutter. Blieb die aus, konnte der Vater nicht einmal vor Gericht
ziehen.
Folglich durften
die ledigen Väter zwar zahlen, hatten aber keine Mitsprache bei
Entscheidungen über Bildungsweg, Wohnort oder sportliche Betätigungen
des Kindes. Die Väterforen im Internet sind voll mit Berichten, wie
Mütter fest vereinbarte Wochenendbesuche des Kindes beim Vater
kurzfristig absagen, wie sie das Kind nach einem Besuch ausfragen und
schon Ärger machen, wenn der Vater nicht das vorgeschriebene Essen
kochte.
Solche
Mütterherrschaft war politisch schwer zu überwinden. Zwar setzte sich
die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) seit 1998 für
mehr Väterrechte ein, scheiterte aber an Feministinnen in ihrer Partei.
Mehr noch: Diese, die Mütter gern in der Opferrolle sehen, verbündeten
sich in der großen Koalition mit konservativen Unionspolitikern, die
Rechte für ledige Väter als Angriff auf die Ehe empfinden. Diese
Koalition gibt es noch. So erhält derzeit die familienpolitisch
konservative CSU-Abgeordnete Dorothee Bär Unterstützung von der
frauenfreundlichen SPD-Rechtspolitikerin Christine Lambrecht, weil beide
nach dem Karlsruher Beschluss die von der FDP geforderte
Widerspruchslösung ablehnen, bei der ledige Väter nach der Geburt das
Sorgerecht automatisch erhalten, sofern die Mutter nicht widerspricht.
Mittlerweile
aber lockern sich die Lagerbindungen. Einer Widerspruchsregelung neigt
auch die Arbeitsgemeinschaft Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu.
Einziger Unterschied zum Modell der FDP: Der Mann muss nicht nur die
Vaterschaft anerkennen, sondern beim Jugendamt auch einen Antrag auf
gemeinsame Sorge stellen. Die Mutter kann dann innerhalb einer
bestimmten Frist widersprechen. "Wir sind der Ansicht, dass der Vater
aktiv werden muss - aber in einem sehr niedrigschwelligen Modell", sagt
dazu die Unions-Abgeordnete Ute Granold. Dass Parteifreunde in einem
neuen Sorgerecht den Zerfall der Ehe wittern, ärgert sie. "Dies taugt
nicht als Profilierungsdebatte für die Union. Hier geht es um das Wohl
des Kindes und um sonst nichts."
Aufs Kindeswohl
setzt auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP): "Das Karlsruher Urteil bestätigt mich in meiner Überzeugung, dass
zum Wohl des Kindes künftig viel häufiger beide Eltern das Sorgerecht
gemeinsam ausüben sollten", sagte die Ministerin der "Welt am Sonntag".
Ihr Ziel sei dabei "eine Lösung, die von einem breiten politischen und
gesellschaftlichen Konsens getragen ist". Sie sei "zuversichtlich, dass
vielleicht schon zur Hälfte des nächsten Jahres die neue Regelung in
Kraft treten kann".
Freilich müssen
mehr Rechte für Väter das Bewusstsein für deren Pflichten stärken.
Bisher gewährt der Staat bei knapp 500 000 Kindern jährlich
Unterhaltsvorschüsse von insgesamt 846 Millionen Euro, weil die Väter
zunächst nicht zahlen. Zwar können viele dieser Männer mangels Einkommen
tatsächlich nichts berappen, doch auch Wohlhabende verweigern sich. Das
zeigt die Quote der Rückgriffe, mit denen sich der Staat die
Unterhaltsvorschüsse wieder zurückholt. Die Quote beträgt 20 Prozent,
betrifft also 100 000 Kinder. Zigtausende Väter kommen ihren
Zahlungspflichten nur spät und unter Druck nach.
Manche entziehen
sich ganz. Sie reduzieren ihre Stundenzahl am Arbeitsplatz und somit
das Gehalt, um als arm zu gelten - arbeiten jedoch nebenher schwarz.
Simone Rohmer* wiederum, die 2002 während der Schwangerschaft vom Vater
ihres Jungen verlassen wurde, hielt der Mann damit hin, dass er einen
Vaterschaftstest verlangte. Den bekam er, zahlte aber immer noch nicht,
weil er als Freiberufler so schlecht verdiene. Einspringen darf der
Steuerzahler mit dem Unterhaltsvorschuss, von dem jährlich 680 Millionen
Euro verloren gehen, weil kein Rückgriff möglich ist.
Die Grünen
halten dies für untragbar: "Der Staat muss stärker darauf achten, dass
der Unterhaltsvorschuss von jenen Vätern zurückgezahlt wird, die den
Unterhalt tatsächlich leisten können", sagt Katja Dörner,
familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im Gespräch
mit dieser Zeitung. "Väter müssen den Druck spüren, sich den
Unterhaltsleistungen, zu denen sie ja verpflichtet sind, nicht entziehen
zu können."
Hinzu kommt,
dass der Vorschuss in der Regel nur bis zum 12. Lebensjahr gezahlt wird.
Ist das Kind älter, kommt bei ausbleibenden Väter-Überweisungen gar
nichts. Zwar wollen Union und FDP laut Koalitionsvertrag das Höchstalter
auf 14 Jahre heraufsetzen, doch weil dies Mehrkosten von 230 Millionen
verursacht, hat man es auf Eis gelegt. Die SPD protestiert. Ihre
frauenpolitische Sprecherin im Bundestag, Caren Marks, sagte der "Welt
am Sonntag", die Situation der Alleinerziehenden sei "seit Jahren
prekär. Daher müssen wir den Unterhaltsvorschuss flexibler gestalten.
Eine Erhöhung der Altersgrenze auf 14 Jahre sollte auf jeden Fall
kommen." Denkbar sei auch eine Erhöhung auf 16 Jahre.
Freilich ist
der Vorschuss nur ein Notbehelf in einem elterlichen Streit, bei dem
tief verletzte Menschen zulasten der Kinder aufeinander losgehen, wobei
die Frauen meist zur Waffe des Sorge- und Umgangsrechts greifen, die
Männer zu der des Geldes. Es ist dieser Streit, der überwunden werden
muss. Darum bemüht man sich im rheinland-pfälzischen Cochem, wo seit
1992 Eltern nach der Trennung durch sanften Druck und Beteiligung von
Familiengericht und Jugendamt zu einer einvernehmlichen Lösung bewogen
werden - meist mit Erfolg.
Dass es ohne
Streit geht, zeigt sich an Horst Zaunegger. Der Musiker aus Pulheim
hatte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf gemeinsame
Sorge für seine Tochter geklagt. Als er in Straßburg 2009 recht bekam -
was ein wichtiger Anstoß für die neue Karlsruher Entscheidung war -,
lebte seine Tochter bereits bei ihm. Mit Zustimmung der getrennt
lebenden Mutter. Man hatte sich zum Wohle des Kindes geeinigt.
* Name geändert
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