Das bekannte Wort von Karl Kraus, auf die Psychoanalyse gemünzt, ließe sich modifizieren: Heimerziehung ist das Problem, das sie selbst erzeugt.
Das Ziel von Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen ist nach § 34 KJHG:
- eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
- die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
- eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten.
Ein Heimaufenthalt, egal wie modern dieser heutzutage auch genannt wird, stellt für das Kind keine Lösung für die Zukunft dar. So werden Kind und Erzieher auch kaum eine reale Chance sehen, eine Bindungsbeziehung über das Ende der Unterbringung aufrecht zu erhalten. Und aus Angst vor wieder einer Trennung werden sie es erst gar nicht miteinander versuchen.
Professionalität ist, seine eigene Kindheit und Sozialisation so weit verarbeitet zu haben, um angstfrei mit den anvertrauten "Lieblingskindern" eine dauerhafte Bindungsbeziehung einzugehen, die das Ende des Heimaufenthaltes überdauert. Weil das aber an der Organisationsstruktur eines Heimes und am System Jugendhilfe scheitert, kann das gesetzliche Kindeswohl bei Heimkindern eigentlich nur durch andere enge Bezugspersonen (die eine Adoption nicht ausschließen) hergestellt werden. "Zum Wohl des Kindes gehört ... der Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist." § 1626 (3) BGB
Schleiffer, Roland Der heimliche Wunsch nach Nähe: Bindungstheorie und Heimerziehung (187) Für die stationäre Jugendhilfe tut sich ein brisantes Problem, wenn nicht gar ein Dilemma auf. Sie kann es oft nur schwer vermeiden, mit ihrem Hilfeangebot geradezu eine Situation zu schaffen, die den Jugendlichen die Möglichkeit bietet, erfolgreich ihre dissozialen Selbsthilfemechanismen auszuleben, die doch den Erziehungshilfebedarf erst nötig werden ließen. Wollte man sarkastisch sein, ließe sich sagen, dass Heimerziehung in einem solchen Fall eine Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht. Allerdings zu einer Selbsthilfe, die nicht gewollt ist und daher wiederum Erziehungshilfe notwendig erscheinen lässt. Das bekannte Wort von Karl Kraus, auf die Psychoanalyse gemünzt, ließe sich modifizieren: Heimerziehung ist das Problem, das sie selbst erzeugt.
Allerdings verbleibt ein Trost: die Zeit. Irgendwann und unvermeidlich werden die Jugendlichen erwachsen. Dann ist zumindest Jugendhilfe nicht mehr angezeigt. Allerdings ist das moderne ausdifferenzierte Erziehungssystem der Gesellschaft seit langem nicht mehr ausschließlich für Kinder zuständig. Zumindest lässt sich erwarten, dass viele dieser Jugendlichen noch längere Zeit sozialpädagogisch betreut werden. Das Erziehungssystem erweist sich insofern als ein autopoietisches System. Es reproduziert sich selbst.
Schleiffer, Roland Der heimliche Wunsch nach Nähe: Bindungstheorie und Heimerziehung (90) Bei Mädchen aus Heimerziehung fand sich dagegen häufig das so genannte "assortative pairing", d.h. eine Neigung, Partnerschaften zu ähnlich sozial inkompetenten und verhaltensauffälligen männlichen Jugendlichen einzugehen, oft mit der Folge einer frühzeitigen Schwangerschaft. Dann kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass das "parenting breakdown", d.h. die Unfähigkeit der Eltern, ihr Kind selbständig und ohne öffentliche Unterstützung zu erziehen, in die nächste Generation im Sinne einer intergenerationalen Transmission weitergegeben wird.
(...)
Vor allem Mädchen schienen den unbefriedigenden Verhältnissen entkommen zu wollen durch Schwangerschaft und Heirat. (...) Im Rückblick ließ sich feststellen, dass diese Jugendlichen auch nach der Herausnahme aus ihrer Herkunftsfamilie weiter anhaltenden ungünstigen Einflüssen ausgesetzt waren. Jedenfalls erwies sich der Heimaufenthalt keineswegs als der erhoffte protektive Faktor. Der Hauptgrund für dieses enttäuschende Ergebnis wurde darin gesehen, dass Jugendlichen in den Heimen zwar durchaus konfliktfreie Beziehungen angeboten wurden, dass sie aber dort wenig Gelegenheit geboten bekamen, dauerhafte Beziehungen zu ihren Bezugspersonen einzugehen. Geradezu bitter merken die Autoren an, es sei nicht auszuschließen, dass die Entwicklung dieser Kinder bei einem weiteren Verbleib in ihrem ursprünglichen sozialen Kontext nicht noch ungünstiger verlaufen wäre.
(92) Es stellte sich heraus, dass diese (heimentlassene junge Erwachsene) ihre Erfahrungen im Heim dann als positiv bewerten, wenn die Beziehung zu ihren Betreuern exklusiv und damit bindungsrelevant war.
(141 aus einem AAI) Also ich werde jetzt 15 Jahre und im Grunde genommen habe ich keinen Menschen behalten in den letzten 15 Jahren, das ist zwar nicht durch den Tod aber trotzdem, desto mehr es mir gut geht, desto größer ist in mir die Angst, dass ich wieder alles verliere. Weil bis jetzt ist noch kein Mensch geblieben, ob das mein Stiefvater war, oder ich weiß nicht kennen sie die Frau P. noch? Die war damals mit mir in die (...) gekommen und die Frau war mein ein und alles ... ja wie so'n Stück Mutter irgendwie. Und als sie gegangen ist, ich weiß nicht, die sind alle wieder irgendwie gegangen. (Die Erzieherin hatte ihr Lieblings- Heimkind mit in den Urlaub genommen, in das Land aus dem der leibliche Vater stammt. Sie arbeitet nicht mehr im Heim und der Kontakt ist abgebrochen.)
Gesetzliche Grundlagen der "Jugendhilfe"
Grundgesetz
- Artikel 6 (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
- § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze (1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist. - § 1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) ... Vermögenssorge ...
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen. - § 1666a Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen (1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. (...)
(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.
- § 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe (1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere
1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,
2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,
3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.
- § 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie (1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.
(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere
1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten,
2. Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen,
3. Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen.
(...) - § 17 Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung
- § 18 Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts
- § 19 Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder
- § 20 Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen
- § 21 Unterstützung bei notwendiger Unterbringung zur Erfüllung der Schulpflicht
- §§ 22 - 26 Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
- § 27 Hilfe zur Erziehung (1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. ...
(...) - § 28 Erziehungsberatung
- § 29 Soziale Gruppenarbeit
- § 30 Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer
- § 31 Sozialpädagogische Familienhilfe
- § 32 Erziehung in einer Tagesgruppe
- § 33 Vollzeitpflege (Pflegefamilie) Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen und seinen persönlichen Bindungen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie Kindern und Jugendlichen in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Für besonders entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche sind geeignete Formen der Familienpflege zu schaffen und auszubauen.
- § 34 Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie
1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten.
Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden. - § 35 Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung soll Jugendlichen gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt und soll den individuellen Bedürfnissen des Jugendlichen Rechnung tragen.
- § 35a Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
- § 36 Mitwirkung, Hilfeplan (1) Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind die in Satz 1 genannten Personen bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen. Der Wahl und den Wünschen ist zu entsprechen, sofern sie nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Wünschen die in Satz 1 genannten Personen die Erbringung einer in § 78a genannten Leistung in einer Einrichtung, mit deren Träger keine Vereinbarungen nach § 78b bestehen, so soll der Wahl nur entsprochen werden, wenn die Erbringung der Leistung in dieser Einrichtung nach Maßgabe des Hilfeplans nach Absatz 2 geboten ist.
(2) Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen. Erscheinen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung erforderlich, so sollen auch die für die Eingliederung zuständigen Stellen beteiligt werden.
(...) - § 37 Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie (1) Bei Hilfen nach §§ 32 bis 34 und § 35a Abs. 2 Nr. 3 und 4 soll darauf hingewirkt werden, dass die Pflegeperson oder die in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und die Eltern zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zusammenarbeiten. Durch Beratung und Unterstützung sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums so weit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.
(2) Die Pflegeperson hat vor der Aufnahme des Kindes oder des Jugendlichen und während der Dauer der Pflege Anspruch auf Beratung und Unterstützung; dies gilt auch in den Fällen, in denen dem Kind oder dem Jugendlichen weder Hilfe zur Erziehung noch Eingliederungshilfe gewährt wird oder die Pflegeperson der Erlaubnis nach § 44 nicht bedarf. § 23 Abs. 4 gilt entsprechend.
(3) Das Jugendamt soll den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend an Ort und Stelle überprüfen, ob die Pflegeperson eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Erziehung gewährleistet. Die Pflegeperson hat das Jugendamt über wichtige Ereignisse zu unterrichten, die das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen betreffen. - § 38 Vermittlung bei der Ausübung der Personensorge Sofern der Inhaber der Personensorge durch eine Erklärung nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Vertretungsmacht der Pflegeperson soweit einschränkt, dass dies eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche Erziehung nicht mehr ermöglicht, sowie bei sonstigen Meinungsverschiedenheiten sollen die Beteiligten das Jugendamt einschalten.
- § 39 Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder des Jugendlichen
- § 40 Krankenhilfe
- § 41 Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung
- § 42 Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (1) Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn
1. das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder
2. eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und
a) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder
b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder
3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.
Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen; im Fall von Satz 1 Nr. 2 auch ein Kind oder einen Jugendlichen von einer anderen Person wegzunehmen.
(2) Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme die Situation, die zur Inobhutnahme geführt hat, zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen zu klären und Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Dem Kind oder dem Jugendlichen ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu sorgen und dabei den notwendigen Unterhalt und die Krankenhilfe sicherzustellen. Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen.
(3) Das Jugendamt hat im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen. Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich
1. das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder
2. eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen.
Sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten nicht erreichbar, so gilt Satz 2 Nr. 2 entsprechend. Im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Widersprechen die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht, so ist unverzüglich ein Hilfeplanverfahren zur Gewährung einer Hilfe einzuleiten.
(4) Die Inobhutnahme endet mit
1. der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten,
2. der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch.
(5) Freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Inobhutnahme sind nur zulässig, wenn und soweit sie erforderlich sind, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder des Jugendlichen oder eine Gefahr für Leib oder Leben Dritter abzuwenden. Die Freiheitsentziehung ist ohne gerichtliche Entscheidung spätestens mit Ablauf des Tages nach ihrem Beginn zu beenden.
(6) Ist bei der Inobhutnahme die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich, so sind die dazu befugten Stellen hinzuzuziehen. - §§ 43 - 49 Schutz von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege und in Einrichtungen
- §§ 50 - 52 Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren
- §§ 52a - 58a Beistandschaft, Pflegschaft und Vormundschaft für Kinder und Jugendliche, Auskunft über Nichtabgabe von Sorgeerklärungen
Was passiert eigentlich nach der Kindeswegnahme?
Prof. Uwe Jopt über Kinder, Jugendhilfe und Gerichte
Westfalen-Blatt 23./24. Mai 2009 »Im Jugendamt arbeiten wohlmeinende Laien« B i e l e f e l d (WB).
Deutschland ist schon fünfmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil Familien unter angeblich falschen Entscheidungen von Jugendämtern und Familienrichtern gelitten haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranstaltet deshalb in der kommenden Woche ein Expertengespräch zum Thema Eltern und Jugendämter. Ein Teilnehmer ist Prof. Dr. Uwe J o p t von der Uni Bielefeld. Christian A l t h o f f sprach mit dem Diplompsychologen und Sachverständigen.
Es gibt Jugendämter, die Ihre Kritik fürchten. Haben Sie generell etwas gegen diese Behörden?
Prof. Uwe Jopt: Überhaupt nicht! Ich nenne sie auch die Kinderschutzpolizei. Jugendämter sind sehr wichtig, um Kindern zu helfen, die in Not sind, die nicht gut versorgt oder sogar misshandelt werden.
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland etwa 28 000 Kinder aus ihren Familien geholt worden. Ist das nicht eine erschreckend hohe Zahl?
Prof. Uwe Jopt: Die Jugendämter haben ihre Gründe. Die weitaus meisten Mitarbeiter dort entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn man an Fälle wie den toten Kevin denkt, dann sage ich: Besser ein Kind zu viel als eines zu wenig aus der Familie holen.
Aber?
Prof. Uwe Jopt: Das ganz große Problem in Deutschland ist: Was passiert eigentlich nach der Kindeswegnahme? Da liegt ganz, ganz viel im Argen. Da leiden etliche Kinder oft jahrelang, obwohl das vermeidbar wäre.
Wie kommt es dazu?
Prof. Uwe Jopt: Das Gesetz sieht vor, dass entzogene Kinder in der Regel wieder zu ihren Eltern kommen, wenn sich dort die Verhältnisse gebessert haben. Viele Jugendämter tun aber alles, damit Kinder nicht zurückgeführt werden. Das fängt damit an, dass sie die Kinder zu Pflegeeltern geben, die sehr oft gescheiterte Adoptionsanwärter sind. Ich habe selbst erlebt, dass Jugendamtsmitarbeiter zu Pflegeeltern gesagt haben: Gehen Sie davon aus, dass die Mutter das Kind nicht wiederbekommt! Es ist nur allzu menschlich, dass Pflegeeltern so ein Kind nie wieder hergeben wollen und es deshalb der leiblichen Familie entwöhnen. Zumal die Jugendämter das noch unterstützen, indem sie den leiblichen Eltern oft für Monate untersagen, ihr Kind zu sehen. Dann kommt es irgendwann zu so genannten begleiteten Kontakten. Das ist manchmal der reinste Wahnsinn! Da sitzen die Pflegemutter und Jugendamtsmitarbeiter um das Kind herum, und dann wird der leiblichen Mutter gesagt: Jetzt interagieren Sie mal! Die Mutter geht verunsichert auf ihr Kind zu und sagt: Ich bin es, deine Mama! Und im selben Moment wird die Frau auch schon von einer Jugendamtsmitarbeiterin gestoppt, die mit dem Abbruch des Kontakts droht, sollte die Mutter ihr Kind weiter so verunsichern. Denn für das Kind, so erfährt die Mutter, sei ja die Pflegemutter inzwischen zur Mama geworden.
Die Folgen einer Trennung sind also für das Kind dramatisch?
Prof. Uwe Jopt: Und wie! Eine Trennung ist ein massives Trauma. Viele Kinder werden danach auffällig. Sie haben Angstträume, nässen ins Bett und werden aggressiv. Für einen Kinderpsychologen sind das ganz normale Reflexe auf die Trennung. Aber Jugendämter werten dieses Verhalten oft als Beweis für angeblich schlechte Bedingungen im Elternhaus und fühlen sich bestätigt. Es ist auch ganz natürlich, dass sich ein kleines Kind, das bei Pflegeeltern aufwächst und seine leibliche Mutter sehr lange nicht sehen durfte, beim ersten Wiedersehen an die Pflegemutter klammert. Daraus folgern viele Jugendamtsmitarbeiter unzulässigerweise, dass das Kind keinen Kontakt zu seiner Mutter möchte.
Aber die Jugendamtsmitarbeiter sind doch ausgebildet. Müssten sie das Verhalten der Kinder nicht richtig deuten können?
Prof. Uwe Jopt: Das ist das zweite große Problem. In Jugendämtern arbeiten sehr viele wohlmeinende Dilettanten. Das möchte ich nicht boshaft, sondern kritisch verstanden wissen. Viele haben an der Fachhochschule Sozialpädagogik studiert und werden dann mit der verantwortungsvollsten Aufgabe betraut, die es überhaupt in einer Stadt- oder Kreisverwaltung gibt: Über die Zukunft von Kindern zu entscheiden. Dafür aber fehlt diesen Menschen jede kinderpsychologische Ausbildung. Selbst in einem Psychologiestudium wird Entwicklungspsychologie meist mit einer Vorlesung und zwei Seminaren abgefeiert. Das ist viel zu wenig.
Wie haben Sie sich denn Ihre Kompetenz angeeignet?
Prof. Uwe Jopt: Ich werde bald 65, und ich habe mein Leben lang gelernt. Sehr viel auch aus meinen Fehlern. Ich erinnere mich an einen Fall, da lebten die getrennten Eltern in zwei Wohnungen nebeneinander. Sie stritten sich trotzdem jeden Tag aufs Schlimmste, und mittendrin war die fünfjährige Tochter. Ich dachte, ich müsste die Situation für das Kind entspannen und habe dem Vater empfohlen, in ein anderes Haus zu ziehen. Als ich dem Mädchen das erzählt habe, war es nicht etwa erleichtert, sondern fing bitterlich an zu weinen. Ich hatte versucht, den Fall mit Erwachsenenlogik zu lösen. Dabei hätte ich mich in das Kind versetzen müssen. Und das ist es, was ich heute immer wieder versuche.
Wer aus Fehlern lernen will, muss zu Eigenkritik fähig sein...
Prof. Uwe Jopt: ...und die vermisse ich bei vielen Jugendämtern. Ich erstelle pro Jahr etwa 60 Gutachten, aber bis heute kenne ich nicht einen Fall, in dem sich ein Amt bei Eltern entschuldigt hat. Dabei gibt es hanebüchene Dinge! Ich kenne ein Jugendamt, das hat einer Mutter drei Kinder weggenommen, weil sie die Kleinen angeblich nicht ausreichend gefördert hat. Irgendwann kam heraus, dass die Kinder seit ihrer Geburt geistig behindert waren, und die Mutter sehr wohl alles getan hatte, was ihr möglich war, um die Kleinen zu fördern. Heute hat sie die Kinder wieder, aber glauben Sie nicht, dass die Behörde sich entschuldigt hat!
Die Jugendämter argumentieren, ihre Entscheidungen seien ja schließlich von Richtern bestätigt.
Prof. Uwe Jopt: Für die Kindesentziehung trifft das ja auch zu. Aber danach findet keine Kontrolle mehr statt. Das Sorgerecht hat dann oft ein Verwaltungsmitarbeiter, der im schlimmsten Fall der Vormund mehrerer hundert solcher Kinder sein kann. Es wird doch niemand im Ernst glauben, dass dieser Beamte sich so um das einzelne Kind kümmert wie das Eltern tun würden! Zum Thema Familienrichter ist außerdem zu sagen: Ein Richter ist kein Kinderpsychologe. Er braucht für seine Entscheidung eine Grundlage, und das sind nun mal Stellungnahmen von Jugendämtern und gelegentlich auch von zweifelhaften Gutachtern.
Warum zweifelhaft?
Prof. Uwe Jopt: Jeder, der etwa Pädagogik oder Psychologie studiert hat, kann sich Gutachter nennen. Es gibt sogar Heilpraktiker, die das tun. Niemand kontrolliert, ob und wie sich diese Leute weitergebildet haben. Ich selbst bilde deshalb seit Jahren Psychologen zu Gutachtern aus. Das ist nicht mal gerade so zu machen, das dauert 18 Monate.
Die CDU/CSUBundestagsfraktion veranstaltet in der kommenden Woche eine Anhörung zum Thema Jugendämter, an der Sie teilnehmen. Worum geht es da?
Prof. Uwe Jopt: Natürlich bekommen auch Politiker immer wieder Briefe von Eltern, denen die Kinder weggenommen worden ist. Es wird überlegt, ob man Clearingstellen einrichten soll, die zwischen Ämtern und Eltern vermitteln.
Was halten Sie davon?
Prof. Uwe Jopt: Nicht so viel. So ein Ombudsmann steckt ja selbst nicht tief in der Materie drin, sondern hört nur das, was beide Seiten ihm vortragen.
Was ist also Ihr Vorschlag?
Prof. Uwe Jopt: In den Jugendämtern muss sich etwas ändern. Die Mitarbeiter müssten intensiv weitergebildet und dann ein bis zwei Gehaltsstufen höher eingruppiert werden.
Warum geschieht das nicht?
Prof. Uwe Jopt: Vereinzelt sind schon Ansätze da. Es gibt Jugendämter in Deutschland, die laden mich zu Weiterbildungsveranstaltungen ein. Es gibt aber auch Ämter, die sagen dem Familienrichter: Wenn Sie den Jopt beauftragen, verweigern wir unsere Mitarbeit.
Westfalen-Blatt 23./24. Mai 2009 »Im Jugendamt arbeiten wohlmeinende Laien« B i e l e f e l d (WB).
Deutschland ist schon fünfmal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden, weil Familien unter angeblich falschen Entscheidungen von Jugendämtern und Familienrichtern gelitten haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranstaltet deshalb in der kommenden Woche ein Expertengespräch zum Thema Eltern und Jugendämter. Ein Teilnehmer ist Prof. Dr. Uwe J o p t von der Uni Bielefeld. Christian A l t h o f f sprach mit dem Diplompsychologen und Sachverständigen.
Es gibt Jugendämter, die Ihre Kritik fürchten. Haben Sie generell etwas gegen diese Behörden?
Prof. Uwe Jopt: Überhaupt nicht! Ich nenne sie auch die Kinderschutzpolizei. Jugendämter sind sehr wichtig, um Kindern zu helfen, die in Not sind, die nicht gut versorgt oder sogar misshandelt werden.
Im vergangenen Jahr sind in Deutschland etwa 28 000 Kinder aus ihren Familien geholt worden. Ist das nicht eine erschreckend hohe Zahl?
Prof. Uwe Jopt: Die Jugendämter haben ihre Gründe. Die weitaus meisten Mitarbeiter dort entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn man an Fälle wie den toten Kevin denkt, dann sage ich: Besser ein Kind zu viel als eines zu wenig aus der Familie holen.
Aber?
Prof. Uwe Jopt: Das ganz große Problem in Deutschland ist: Was passiert eigentlich nach der Kindeswegnahme? Da liegt ganz, ganz viel im Argen. Da leiden etliche Kinder oft jahrelang, obwohl das vermeidbar wäre.
Wie kommt es dazu?
Prof. Uwe Jopt: Das Gesetz sieht vor, dass entzogene Kinder in der Regel wieder zu ihren Eltern kommen, wenn sich dort die Verhältnisse gebessert haben. Viele Jugendämter tun aber alles, damit Kinder nicht zurückgeführt werden. Das fängt damit an, dass sie die Kinder zu Pflegeeltern geben, die sehr oft gescheiterte Adoptionsanwärter sind. Ich habe selbst erlebt, dass Jugendamtsmitarbeiter zu Pflegeeltern gesagt haben: Gehen Sie davon aus, dass die Mutter das Kind nicht wiederbekommt! Es ist nur allzu menschlich, dass Pflegeeltern so ein Kind nie wieder hergeben wollen und es deshalb der leiblichen Familie entwöhnen. Zumal die Jugendämter das noch unterstützen, indem sie den leiblichen Eltern oft für Monate untersagen, ihr Kind zu sehen. Dann kommt es irgendwann zu so genannten begleiteten Kontakten. Das ist manchmal der reinste Wahnsinn! Da sitzen die Pflegemutter und Jugendamtsmitarbeiter um das Kind herum, und dann wird der leiblichen Mutter gesagt: Jetzt interagieren Sie mal! Die Mutter geht verunsichert auf ihr Kind zu und sagt: Ich bin es, deine Mama! Und im selben Moment wird die Frau auch schon von einer Jugendamtsmitarbeiterin gestoppt, die mit dem Abbruch des Kontakts droht, sollte die Mutter ihr Kind weiter so verunsichern. Denn für das Kind, so erfährt die Mutter, sei ja die Pflegemutter inzwischen zur Mama geworden.
Die Folgen einer Trennung sind also für das Kind dramatisch?
Prof. Uwe Jopt: Und wie! Eine Trennung ist ein massives Trauma. Viele Kinder werden danach auffällig. Sie haben Angstträume, nässen ins Bett und werden aggressiv. Für einen Kinderpsychologen sind das ganz normale Reflexe auf die Trennung. Aber Jugendämter werten dieses Verhalten oft als Beweis für angeblich schlechte Bedingungen im Elternhaus und fühlen sich bestätigt. Es ist auch ganz natürlich, dass sich ein kleines Kind, das bei Pflegeeltern aufwächst und seine leibliche Mutter sehr lange nicht sehen durfte, beim ersten Wiedersehen an die Pflegemutter klammert. Daraus folgern viele Jugendamtsmitarbeiter unzulässigerweise, dass das Kind keinen Kontakt zu seiner Mutter möchte.
Aber die Jugendamtsmitarbeiter sind doch ausgebildet. Müssten sie das Verhalten der Kinder nicht richtig deuten können?
Prof. Uwe Jopt: Das ist das zweite große Problem. In Jugendämtern arbeiten sehr viele wohlmeinende Dilettanten. Das möchte ich nicht boshaft, sondern kritisch verstanden wissen. Viele haben an der Fachhochschule Sozialpädagogik studiert und werden dann mit der verantwortungsvollsten Aufgabe betraut, die es überhaupt in einer Stadt- oder Kreisverwaltung gibt: Über die Zukunft von Kindern zu entscheiden. Dafür aber fehlt diesen Menschen jede kinderpsychologische Ausbildung. Selbst in einem Psychologiestudium wird Entwicklungspsychologie meist mit einer Vorlesung und zwei Seminaren abgefeiert. Das ist viel zu wenig.
Wie haben Sie sich denn Ihre Kompetenz angeeignet?
Prof. Uwe Jopt: Ich werde bald 65, und ich habe mein Leben lang gelernt. Sehr viel auch aus meinen Fehlern. Ich erinnere mich an einen Fall, da lebten die getrennten Eltern in zwei Wohnungen nebeneinander. Sie stritten sich trotzdem jeden Tag aufs Schlimmste, und mittendrin war die fünfjährige Tochter. Ich dachte, ich müsste die Situation für das Kind entspannen und habe dem Vater empfohlen, in ein anderes Haus zu ziehen. Als ich dem Mädchen das erzählt habe, war es nicht etwa erleichtert, sondern fing bitterlich an zu weinen. Ich hatte versucht, den Fall mit Erwachsenenlogik zu lösen. Dabei hätte ich mich in das Kind versetzen müssen. Und das ist es, was ich heute immer wieder versuche.
Wer aus Fehlern lernen will, muss zu Eigenkritik fähig sein...
Prof. Uwe Jopt: ...und die vermisse ich bei vielen Jugendämtern. Ich erstelle pro Jahr etwa 60 Gutachten, aber bis heute kenne ich nicht einen Fall, in dem sich ein Amt bei Eltern entschuldigt hat. Dabei gibt es hanebüchene Dinge! Ich kenne ein Jugendamt, das hat einer Mutter drei Kinder weggenommen, weil sie die Kleinen angeblich nicht ausreichend gefördert hat. Irgendwann kam heraus, dass die Kinder seit ihrer Geburt geistig behindert waren, und die Mutter sehr wohl alles getan hatte, was ihr möglich war, um die Kleinen zu fördern. Heute hat sie die Kinder wieder, aber glauben Sie nicht, dass die Behörde sich entschuldigt hat!
Die Jugendämter argumentieren, ihre Entscheidungen seien ja schließlich von Richtern bestätigt.
Prof. Uwe Jopt: Für die Kindesentziehung trifft das ja auch zu. Aber danach findet keine Kontrolle mehr statt. Das Sorgerecht hat dann oft ein Verwaltungsmitarbeiter, der im schlimmsten Fall der Vormund mehrerer hundert solcher Kinder sein kann. Es wird doch niemand im Ernst glauben, dass dieser Beamte sich so um das einzelne Kind kümmert wie das Eltern tun würden! Zum Thema Familienrichter ist außerdem zu sagen: Ein Richter ist kein Kinderpsychologe. Er braucht für seine Entscheidung eine Grundlage, und das sind nun mal Stellungnahmen von Jugendämtern und gelegentlich auch von zweifelhaften Gutachtern.
Warum zweifelhaft?
Prof. Uwe Jopt: Jeder, der etwa Pädagogik oder Psychologie studiert hat, kann sich Gutachter nennen. Es gibt sogar Heilpraktiker, die das tun. Niemand kontrolliert, ob und wie sich diese Leute weitergebildet haben. Ich selbst bilde deshalb seit Jahren Psychologen zu Gutachtern aus. Das ist nicht mal gerade so zu machen, das dauert 18 Monate.
Die CDU/CSUBundestagsfraktion veranstaltet in der kommenden Woche eine Anhörung zum Thema Jugendämter, an der Sie teilnehmen. Worum geht es da?
Prof. Uwe Jopt: Natürlich bekommen auch Politiker immer wieder Briefe von Eltern, denen die Kinder weggenommen worden ist. Es wird überlegt, ob man Clearingstellen einrichten soll, die zwischen Ämtern und Eltern vermitteln.
Was halten Sie davon?
Prof. Uwe Jopt: Nicht so viel. So ein Ombudsmann steckt ja selbst nicht tief in der Materie drin, sondern hört nur das, was beide Seiten ihm vortragen.
Was ist also Ihr Vorschlag?
Prof. Uwe Jopt: In den Jugendämtern muss sich etwas ändern. Die Mitarbeiter müssten intensiv weitergebildet und dann ein bis zwei Gehaltsstufen höher eingruppiert werden.
Warum geschieht das nicht?
Prof. Uwe Jopt: Vereinzelt sind schon Ansätze da. Es gibt Jugendämter in Deutschland, die laden mich zu Weiterbildungsveranstaltungen ein. Es gibt aber auch Ämter, die sagen dem Familienrichter: Wenn Sie den Jopt beauftragen, verweigern wir unsere Mitarbeit.
Erziehung und Therapie
Wenn von Therapie die Rede ist, muss es jemanden geben, der krank ist. Die Medizin behandelt den kranken Körper als triviale Maschine, die auf den selben Input immer den selben Output produziert. Die Gabe von Psychopharmaka verändert ein Kind so, dass die Erzieherinnen keine Angst mehr vor ihm haben müssen.
In der Psychotherapie ist die Reaktion des Systems nicht vorhersehbar, weil es sich nicht um eine triviale Maschine handelt. Hier fällt es auch schwer zu definieren, was eigentlich "gesund" und "krank" ist. Krankheit kann auch Vorteile haben. Und ist Dissozialität krank?
In der Erziehung geht es um die Vermittlung von Wissen durch die Erzieher und Aneignung auf Seiten der Adressaten dieser pädagogischen Kommunikation. Das hängt von der Aufnahmebereitschaft des psychischen Systems des Kindes oder Jugendlichen ab und ist daher nie sicher vorhersehbar.
Erziehungshilfe ist nötig, wenn Kinder so schlechte Erfahrungen mit Erziehung gemacht haben, dass ihnen weitere Erziehung schwer zumutbar ist. Der Sonderpädagoge bemüht sich also, sich vom Verdacht einer Erziehungsabsicht zu entlasten. Stattdessen wird er systematisch Situationen zu nutzen versuchen, die dem Schüler Gelegenheit geben, sich auf erwünschte Weise selbst zu sozialisieren.
Ein Patient wird aus einer Psychotherapie nur dann Nutzen ziehen, wenn er in der Lage ist, den Therapeuten als Bindungsfigur wahrzunehmen und zu gebrauchen. Die Professionalität eines Psychotherapeuten macht seine Fähigkeit aus, sich selbst als Bindungsfigur zur Verfügung zu stellen, und weniger sein fachliches Wissen.
Freud, Siegmund "Zur Einleitung der Behandlung" 1913, 474 Das erste Ziel der Behandlung bleibt, ihn an die Kur und an die Person des Arztes zu attachieren. Man braucht nichts anderes dazu zu tun, als ihm Zeit zu lassen. Wenn man ihm ernstes Interesse bezeugt, die anfangs auftauchenden Widerstände sorgfältig beseitigt und gewisse Missgriffe vermeidet, stellt der Patient ein solches Attachment von selbst her und reiht den Arzt an eine der Imagines jener Personen an, von denen er Liebe zu empfangen gewohnt war. Man kann sich diesen Erfolg allerdings verscherzen, wenn man von Anfang an einen anderen Standpunkt einnimmt als den der Einfühlung.
In der Psychoanalyse wird seit langem kontrovers diskutiert, was verändernd wirkt, die intellektuelle, durch Deutung und Interpretation erzielte Einsicht, oder die emotionale, durch empathisches Verständnis beförderte Neuorientierung.
In der Psychotherapie ist die Reaktion des Systems nicht vorhersehbar, weil es sich nicht um eine triviale Maschine handelt. Hier fällt es auch schwer zu definieren, was eigentlich "gesund" und "krank" ist. Krankheit kann auch Vorteile haben. Und ist Dissozialität krank?
In der Erziehung geht es um die Vermittlung von Wissen durch die Erzieher und Aneignung auf Seiten der Adressaten dieser pädagogischen Kommunikation. Das hängt von der Aufnahmebereitschaft des psychischen Systems des Kindes oder Jugendlichen ab und ist daher nie sicher vorhersehbar.
Erziehungshilfe ist nötig, wenn Kinder so schlechte Erfahrungen mit Erziehung gemacht haben, dass ihnen weitere Erziehung schwer zumutbar ist. Der Sonderpädagoge bemüht sich also, sich vom Verdacht einer Erziehungsabsicht zu entlasten. Stattdessen wird er systematisch Situationen zu nutzen versuchen, die dem Schüler Gelegenheit geben, sich auf erwünschte Weise selbst zu sozialisieren.
Ein Patient wird aus einer Psychotherapie nur dann Nutzen ziehen, wenn er in der Lage ist, den Therapeuten als Bindungsfigur wahrzunehmen und zu gebrauchen. Die Professionalität eines Psychotherapeuten macht seine Fähigkeit aus, sich selbst als Bindungsfigur zur Verfügung zu stellen, und weniger sein fachliches Wissen.
Freud, Siegmund "Zur Einleitung der Behandlung" 1913, 474 Das erste Ziel der Behandlung bleibt, ihn an die Kur und an die Person des Arztes zu attachieren. Man braucht nichts anderes dazu zu tun, als ihm Zeit zu lassen. Wenn man ihm ernstes Interesse bezeugt, die anfangs auftauchenden Widerstände sorgfältig beseitigt und gewisse Missgriffe vermeidet, stellt der Patient ein solches Attachment von selbst her und reiht den Arzt an eine der Imagines jener Personen an, von denen er Liebe zu empfangen gewohnt war. Man kann sich diesen Erfolg allerdings verscherzen, wenn man von Anfang an einen anderen Standpunkt einnimmt als den der Einfühlung.
In der Psychoanalyse wird seit langem kontrovers diskutiert, was verändernd wirkt, die intellektuelle, durch Deutung und Interpretation erzielte Einsicht, oder die emotionale, durch empathisches Verständnis beförderte Neuorientierung.
Heimerziehung soll eine korrigierende Bindungserfahrung bereit stellen
Bindungstheorie und Heimerziehung: 7.4 Bindungstheoretische Sensibilisierung Dass bindungstheoretisches Wissen für die Erziehungsarbeit im Heim nützlich ist, sollte hinlänglich klar geworden sein. Eine Sensibilisierung für Bindungsaspekte der pädagogischen Beziehung fördert die geforderte Proffessionalisierung der Heimerziehung.
Erst ein bindungstheoretisch fundiertes Verständnis des doch so häufig unangemessen und auffällig imponierenden Verhaltens als letztlich bindungs- und beziehungsoptimierend ermöglicht eine positive Konnotation als Voraussetzung für Professionalität. Damit soll nicht gemeint sein, dass die Erzieherin das Verhalten gut findet, sondern dass sie dessen Funktion versteht. Dieses Verständnis wird sie nicht davor bewahren, sich etwa gegen ein aggressives Verhalten zur Wehr zu setzen oder Ärger anlässlich einer unverschämten Behandlung zu zeigen. Schließlich schauen in der Erziehungsgruppe die anderen Kinder oder Jugendlichen durchaus aufmerksam zu. Keinesfalls soll einer moralischen Indifferenz das Wort geredet werden, wie sie die anderen funktional differenzierten Systeme der modernen Gesellschaft weiterhin charakterisieren. Allerdings gehört es auch zur Aufgabe von Heimerziehung, den Kindern und Jugendlichen zu einem besseren Umgang mit ihren Gefühlen, zu einer verlässlichen Affektkontrolle zu verhelfen. Dies geschieht aber eben nicht, wenn der Erzieher auf eine unverschämte verbale Äußerung seines Zöglings gekränkt, empört, erschreckt oder gar angewiedert die Kommunikation einstellt, mit anderen Worten nur moralisch reagiert. Zumindest sollte eine solche Reaktion Anlass zur Reflexion sein, wobei in einem gut organisierten Heim sich die Erzieherinnen der Hilfe wie auch der wohlwollenden Kritik von Seiten ihrer Kolleginnen sicher sein sollten. Überhaupt sollten negative Gefühle gegenüber den Kindern und Jugendlichen immer, geradezu routinemäßig, Anlass sein, sich zu fragen, wie es zu diesen Gefühlen gekommen ist, sind sie doch eine Bedrohung für die pädagogische Beziehung. Immer wieder wird in einer solchen Situation das Argument vorgebracht, dass man als Pädagogin doch schließlich nicht gezwungen werden könnte, alle Kinder, mit denen man zu tun habe, zu mögen oder gar zu lieben. So verständlich dieser Einwand auch sein mag, so dürfte sich gerade im Umgang mit negativen Gefühlen eine professionelle Beziehung von einer Alltagsbeziehung unterscheiden. Von einer proffessionellen Beziehung ist eine reflexive Haltung zu fordern. Schließlich haben die Kinder und Jugendlichen sich ihre Heimerzieher nicht selbst ausgesucht. Daher kommt dem Erwachsenen eine höhere Verantwortung für die Aufrechterhaltung einer förderlichen Beziehung zu. Will Heimerziehung erziehen, muss das Heim also notwendig einen gewissen Schonraum anbieten. Insofern sollte im Heim die Alltagsmoral aller "Lebensweltorientierung" zum Trotz durchaus ihre Grenzen haben.
Diese geforderte reflexive Haltung setzt voraus, sich in Frage zu stellen und sich in Frage stellen zu lassen. Zu einem solchen Sich-in-Frage-Stellen angesichts einer bisweilen hoch verhaltensauffälligen Klientel bedarf es allerdings eines ausreichend guten Selbstwertgefühls. Wird man nämlich beobachtet, dass man mit einem sich unmoralisch verhaltenden Jugendlichen kommuniziert, besteht durchaus die Gefahr, dass moralische Urteile auf einen selbst abfärben. Diese Gefahr ist dann größer, wenn die Kommunikation zwischen Erzieher und Zögling nicht eindeutig als professionell und damit moralisch indifferent ausgemacht werden kann.
Dass der Umgang mit negativen Gefühlen schwierig ist und dass hierbei eine Hilfe von den Kolleginnen, von den Mitgliedern des "Teams" keineswegs selbstverständlich ist, dürfte außer Frage stehen. Heimerziehung erfordert ein beträchtliches Maß an Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Eine solche Bereitschaft lässt sich allerdings nur erwarten, wenn die Institution selbst als ausreichend sicher bindend wahrgenommen wird, wenn also ein Institutionenvertrauen, ein Vertrauen "in Verlässlichkeiten, Gewohnheiten, Ritualen" (Colla 1999, 359) besteht. Schließlich aktiviert Selbstkritik das Bindungssystem. Gerade von bindungsvermeidenden Jugendlichen kann aber eine Anerkennung für die geleistete Tätigkeit kaum erwartet werden. Bleibt diese Anerkennung auch von Seiten der Kolleginnen, des "Teams" bzw. der Institution aus, werden die Bindungsbedürfnisse also nicht im Arbeitsalltag befriedigt, liegt es nahe, fortan bindungsrelevante Situationen grundsätzlich zu vermeiden.
In einem solchen Fall liegt dann ein bindungsvermeidendes Gegenagieren vor. Auch besteht die Gefahr, dass sich der Unmut ob der narzisstischen Unterversorgung auch gegen die Anerkennung versagenden Jugendlichen selbst richtet. Aus bindungstheoretischer Perspektive lässt sich leicht nachvollziehen, wie sehr es sich bei der Anerkennung durch die Jugendlichen um eine ausgesprochen knappe Ressource handelt. Verteilungskämpfe bleiben nicht aus. Neid kommt auf. Beliebtheit bei den Jugendlichen hebt den eigenen Stellenwert im Team. Wird der Respekt verweigert, wird man beobachten, ob dies beobachtet wurde, vor allem von den Kolleginnen und Kollegen. War da nicht doch auch klammheimliche Freude?
Der große und routinemäßig als Anspruch angemeldete Bedarf an externer Supervision in Institutionen der Erziehungshilfe zeugt von der Verbreitung solcher Probleme, sich diesbezüglich eben nicht ausreichend sicher gebunden fühlen zu können. Ohne Supervisor scheint die Äußerung negativer Gefühle bisweilen zu riskant zu sein. Ob der Weg, dieses Problem mittels externer Supervision lösen zu können, der richtige ist, darf allerdings auch bezweifelt werden. Zumindest sollte eine solche Problemlösung bzw. Problemverschiebung nicht von Dauer sein. Eine institutionalisierte Supervision kann denn auch das Selbsthilfepotenzial der Institution Heim leicht unterminieren. Supervision sollte eher fallweise, mithin bei besonderem Hilfebedarf, zur Verfügung stehen. An der Art, wie die Institution mit dem eigenen Beratungsbadarf umgeht, können dann die Jugendlichen auch beobachten, dass sich Hilfsbedürftigkeit und Autonomie nicht gegenseitig ausschließen müssen.
Ein bindungstheoretisches Wissen vermittelt aber nicht nur eine größere Sicherheit im Umgang mit den erziehungsschwierigen Jugendlichen selbst, sondern vermag darüber hinaus auch Handlungsanleitungen für den Umgang mit den Eltern dieser Jugendlichen bereitzustellen. Elternarbeit wird in der Literatur zur Heimerziehung als eine unabdingbare Aufgabe angesehen (z.B. Post 1997, 40). So wird reflektierte Elternarbeit als wichtiges Qualitätskriterium von Heimerziehung herausgestellt (Merchel 1998). Ohne zureichende Kenntnisse über die Lebensgeschichte und damit über die Geschichte der Bindungsbeziehungen der Jugendlichen ist allerdings eine solche Elternarbeit wenig erfolgversprechend. Elternarbeit und Interesse an der Biographie der Jugendlichen setzen sich wechselseitig voraus.
Inwieweit es sich bei dieser Forderung nach Elternarbeit in der Heimerziehung auch bei Jugendlichen nicht doch nur eher um eine wohlgemeinte Absichtserklärung handelt, müsste empirisch untersucht werden. Bei den in der vorliegenden Studie untersuchten Jugendlichen beschränkte sich die Elternarbeit allerdings mehr oder weniger auf die Vorbereitung von Jugendhilfeplangesprächen. In der Tat ist Elternarbeit bei Jugendlichen mit einem so hohen Ausmaß an Bindungsunsicherheit ausgesprochen schwierig, verweisen die diesen Jugendlichen nur zur Verfügung stehenden Bindungskonzepte auf eine über lange Zeit bestehende Unfähigkeit oder gar einen Unwillen der Eltern, sich angemessen um die Belange der Kinder zu kümmern. Eine Empörung als moralische Reaktion von Seiten der professionellen Erzieher ist daher verständlich, nichtsdestotrotz aber oft auch ein Zeichen eingeschränkter Professionalität. Ist schon das Thema Bindung mit den betreffenden Jugendlichen schwer genug zu bearbeiten, steht bei der Elternarbeit zu befürchten, dass die Verhältnisse noch komplizierter und unübersichtlicher werden. Nicht zu Unrecht müssen die Erzieherinnen befürchten, dass bei einer Aktualisierung der Konflikte mit den Eltern auch ihre Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen selbst wieder zur Disposition stehen könnte, eine Beziehung, für die man doch gerade mit viel Mühe einen modus vivendi gefunden zu haben glaubte.
In dem Maße, wie sich die negativen Gefühle, auch wenn nicht offen geäußert, eindeutig gegen die verwahrlosenden Eltern richten, lässt sich dann die Beziehung zu dem Jugendlichen von Wut und Ärger freizuhalten. Das Schlechte ist gewissermaßen dingfest gemacht. Dieser Friede ist allerdings nur wenig belastbar. Es ist eine nur allzu geläufige Erfahrung, dass Kinder sich allein das Recht vorbehalten, ihre Eltern zu kritisieren. Die Erzieherin tut gut daran, sich bei Bewertungen des vergangenen oder gegenwärtigen Verhaltens der Eltern zurückzuhalten, zumal schlechte Erfahrungen und ein daraus abgeleitetes negatives Elternbild sich ausgesprochen gut mit einem unrealistisch überhöhten Elternideal vertragen können. Voraussetzung einer Elternarbeit im Sinne einer Bearbeitung der elterlichen Beziehung wäre eine ausreichend sichere und vertrauensvolle persönliche Bindungsbeziehung zu den Jugendlichen. Ist eine solche Beziehung nicht vorhanden, ist es diesen nicht zuzumuten, sich von ihren Eltern in irgendeiner Weise zu distanzieren. Zumindest in der Verteidigung der Eltern gegen Angriffe von Seiten des Heimes erweist sich dann der Jugendliche doch noch als loyal. So lässt sich an der Illusion einer doch ausreichend guten Eltern-Kind-Beziehung noch eine Weile festhalten. Gerade angesichts der Ambivalenz, welche die Jugendlichen ihren Bindungspersonen gegenüber empfinden, kann sich die Erzieherin nie so recht sicher sein, wie sie im nächsten Moment wahrgenommen wird, zeigt sie selbst auch nur Ansätze eines kritikwürdigen Verhaltens. Schließlich ist gerade für eine unsicher-vermeidende Bindungsorganisation eine Idealisierung der früheren Bindungsperson typisch.
Das muss nicht bedeuten, dass sich die Erzieher verständnislos gegen die Eltern der Jugendlichen abgrenzen. Im Gegenteil. Heimerziehung sollte sich darum bemühen, den Jugendlichen eine so sichere Bindungsbeziehung zu wenigstens einem professionellen Erzieher oder Erzieherin zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlaubt, ihre prekäre Beziehung zu ihren Eltern zu reflektieren. Das muss keineswegs bedeuten, unter allen Umständen eine Versöhnung mit dem Eltern erreichen zu wollen. Dies wäre angesichts der oft traumatischen Erlebnisse, denen die auch von uns untersuchten Jugendlichen ausgesetzt waren, unrealistisch und unangebracht. Allerdings kann Heimerziehung den Jugendlichen dabei helfen, sich auch insofern von ihren Eltern zu lösen, als sie ihre Enttäuschung an diesen artikulieren können. Erst wenn sie darüber erzählen können, wird man hoffen dürfen, dass sie diese enttäuschenden Erlebnisse nicht mehr in ihren gegenwärtigen und künftigen Beziehungen dauernd wiederholen müssen. Wenn es gelingt, die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Erzieherinnen und Erziehern mit einer ausreichend sicheren Bindungsqualität auszustatten, dann hat Heimerziehung eine korrigierende Bindungserfahrung bereitstellen können. Korrigiert wurde dann selbstverständlich nicht die Vergangenheit, aber doch das immer wieder nur hochunsichere Bindungskonzept, die Erwartung also, dass von anderen Menschen nichts, zumindest nichts Gutes erwartet werden kann, gerade wenn man der Hilfe bedarf.
Erst ein bindungstheoretisch fundiertes Verständnis des doch so häufig unangemessen und auffällig imponierenden Verhaltens als letztlich bindungs- und beziehungsoptimierend ermöglicht eine positive Konnotation als Voraussetzung für Professionalität. Damit soll nicht gemeint sein, dass die Erzieherin das Verhalten gut findet, sondern dass sie dessen Funktion versteht. Dieses Verständnis wird sie nicht davor bewahren, sich etwa gegen ein aggressives Verhalten zur Wehr zu setzen oder Ärger anlässlich einer unverschämten Behandlung zu zeigen. Schließlich schauen in der Erziehungsgruppe die anderen Kinder oder Jugendlichen durchaus aufmerksam zu. Keinesfalls soll einer moralischen Indifferenz das Wort geredet werden, wie sie die anderen funktional differenzierten Systeme der modernen Gesellschaft weiterhin charakterisieren. Allerdings gehört es auch zur Aufgabe von Heimerziehung, den Kindern und Jugendlichen zu einem besseren Umgang mit ihren Gefühlen, zu einer verlässlichen Affektkontrolle zu verhelfen. Dies geschieht aber eben nicht, wenn der Erzieher auf eine unverschämte verbale Äußerung seines Zöglings gekränkt, empört, erschreckt oder gar angewiedert die Kommunikation einstellt, mit anderen Worten nur moralisch reagiert. Zumindest sollte eine solche Reaktion Anlass zur Reflexion sein, wobei in einem gut organisierten Heim sich die Erzieherinnen der Hilfe wie auch der wohlwollenden Kritik von Seiten ihrer Kolleginnen sicher sein sollten. Überhaupt sollten negative Gefühle gegenüber den Kindern und Jugendlichen immer, geradezu routinemäßig, Anlass sein, sich zu fragen, wie es zu diesen Gefühlen gekommen ist, sind sie doch eine Bedrohung für die pädagogische Beziehung. Immer wieder wird in einer solchen Situation das Argument vorgebracht, dass man als Pädagogin doch schließlich nicht gezwungen werden könnte, alle Kinder, mit denen man zu tun habe, zu mögen oder gar zu lieben. So verständlich dieser Einwand auch sein mag, so dürfte sich gerade im Umgang mit negativen Gefühlen eine professionelle Beziehung von einer Alltagsbeziehung unterscheiden. Von einer proffessionellen Beziehung ist eine reflexive Haltung zu fordern. Schließlich haben die Kinder und Jugendlichen sich ihre Heimerzieher nicht selbst ausgesucht. Daher kommt dem Erwachsenen eine höhere Verantwortung für die Aufrechterhaltung einer förderlichen Beziehung zu. Will Heimerziehung erziehen, muss das Heim also notwendig einen gewissen Schonraum anbieten. Insofern sollte im Heim die Alltagsmoral aller "Lebensweltorientierung" zum Trotz durchaus ihre Grenzen haben.
Diese geforderte reflexive Haltung setzt voraus, sich in Frage zu stellen und sich in Frage stellen zu lassen. Zu einem solchen Sich-in-Frage-Stellen angesichts einer bisweilen hoch verhaltensauffälligen Klientel bedarf es allerdings eines ausreichend guten Selbstwertgefühls. Wird man nämlich beobachtet, dass man mit einem sich unmoralisch verhaltenden Jugendlichen kommuniziert, besteht durchaus die Gefahr, dass moralische Urteile auf einen selbst abfärben. Diese Gefahr ist dann größer, wenn die Kommunikation zwischen Erzieher und Zögling nicht eindeutig als professionell und damit moralisch indifferent ausgemacht werden kann.
Dass der Umgang mit negativen Gefühlen schwierig ist und dass hierbei eine Hilfe von den Kolleginnen, von den Mitgliedern des "Teams" keineswegs selbstverständlich ist, dürfte außer Frage stehen. Heimerziehung erfordert ein beträchtliches Maß an Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Eine solche Bereitschaft lässt sich allerdings nur erwarten, wenn die Institution selbst als ausreichend sicher bindend wahrgenommen wird, wenn also ein Institutionenvertrauen, ein Vertrauen "in Verlässlichkeiten, Gewohnheiten, Ritualen" (Colla 1999, 359) besteht. Schließlich aktiviert Selbstkritik das Bindungssystem. Gerade von bindungsvermeidenden Jugendlichen kann aber eine Anerkennung für die geleistete Tätigkeit kaum erwartet werden. Bleibt diese Anerkennung auch von Seiten der Kolleginnen, des "Teams" bzw. der Institution aus, werden die Bindungsbedürfnisse also nicht im Arbeitsalltag befriedigt, liegt es nahe, fortan bindungsrelevante Situationen grundsätzlich zu vermeiden.
In einem solchen Fall liegt dann ein bindungsvermeidendes Gegenagieren vor. Auch besteht die Gefahr, dass sich der Unmut ob der narzisstischen Unterversorgung auch gegen die Anerkennung versagenden Jugendlichen selbst richtet. Aus bindungstheoretischer Perspektive lässt sich leicht nachvollziehen, wie sehr es sich bei der Anerkennung durch die Jugendlichen um eine ausgesprochen knappe Ressource handelt. Verteilungskämpfe bleiben nicht aus. Neid kommt auf. Beliebtheit bei den Jugendlichen hebt den eigenen Stellenwert im Team. Wird der Respekt verweigert, wird man beobachten, ob dies beobachtet wurde, vor allem von den Kolleginnen und Kollegen. War da nicht doch auch klammheimliche Freude?
Der große und routinemäßig als Anspruch angemeldete Bedarf an externer Supervision in Institutionen der Erziehungshilfe zeugt von der Verbreitung solcher Probleme, sich diesbezüglich eben nicht ausreichend sicher gebunden fühlen zu können. Ohne Supervisor scheint die Äußerung negativer Gefühle bisweilen zu riskant zu sein. Ob der Weg, dieses Problem mittels externer Supervision lösen zu können, der richtige ist, darf allerdings auch bezweifelt werden. Zumindest sollte eine solche Problemlösung bzw. Problemverschiebung nicht von Dauer sein. Eine institutionalisierte Supervision kann denn auch das Selbsthilfepotenzial der Institution Heim leicht unterminieren. Supervision sollte eher fallweise, mithin bei besonderem Hilfebedarf, zur Verfügung stehen. An der Art, wie die Institution mit dem eigenen Beratungsbadarf umgeht, können dann die Jugendlichen auch beobachten, dass sich Hilfsbedürftigkeit und Autonomie nicht gegenseitig ausschließen müssen.
Ein bindungstheoretisches Wissen vermittelt aber nicht nur eine größere Sicherheit im Umgang mit den erziehungsschwierigen Jugendlichen selbst, sondern vermag darüber hinaus auch Handlungsanleitungen für den Umgang mit den Eltern dieser Jugendlichen bereitzustellen. Elternarbeit wird in der Literatur zur Heimerziehung als eine unabdingbare Aufgabe angesehen (z.B. Post 1997, 40). So wird reflektierte Elternarbeit als wichtiges Qualitätskriterium von Heimerziehung herausgestellt (Merchel 1998). Ohne zureichende Kenntnisse über die Lebensgeschichte und damit über die Geschichte der Bindungsbeziehungen der Jugendlichen ist allerdings eine solche Elternarbeit wenig erfolgversprechend. Elternarbeit und Interesse an der Biographie der Jugendlichen setzen sich wechselseitig voraus.
Inwieweit es sich bei dieser Forderung nach Elternarbeit in der Heimerziehung auch bei Jugendlichen nicht doch nur eher um eine wohlgemeinte Absichtserklärung handelt, müsste empirisch untersucht werden. Bei den in der vorliegenden Studie untersuchten Jugendlichen beschränkte sich die Elternarbeit allerdings mehr oder weniger auf die Vorbereitung von Jugendhilfeplangesprächen. In der Tat ist Elternarbeit bei Jugendlichen mit einem so hohen Ausmaß an Bindungsunsicherheit ausgesprochen schwierig, verweisen die diesen Jugendlichen nur zur Verfügung stehenden Bindungskonzepte auf eine über lange Zeit bestehende Unfähigkeit oder gar einen Unwillen der Eltern, sich angemessen um die Belange der Kinder zu kümmern. Eine Empörung als moralische Reaktion von Seiten der professionellen Erzieher ist daher verständlich, nichtsdestotrotz aber oft auch ein Zeichen eingeschränkter Professionalität. Ist schon das Thema Bindung mit den betreffenden Jugendlichen schwer genug zu bearbeiten, steht bei der Elternarbeit zu befürchten, dass die Verhältnisse noch komplizierter und unübersichtlicher werden. Nicht zu Unrecht müssen die Erzieherinnen befürchten, dass bei einer Aktualisierung der Konflikte mit den Eltern auch ihre Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen selbst wieder zur Disposition stehen könnte, eine Beziehung, für die man doch gerade mit viel Mühe einen modus vivendi gefunden zu haben glaubte.
In dem Maße, wie sich die negativen Gefühle, auch wenn nicht offen geäußert, eindeutig gegen die verwahrlosenden Eltern richten, lässt sich dann die Beziehung zu dem Jugendlichen von Wut und Ärger freizuhalten. Das Schlechte ist gewissermaßen dingfest gemacht. Dieser Friede ist allerdings nur wenig belastbar. Es ist eine nur allzu geläufige Erfahrung, dass Kinder sich allein das Recht vorbehalten, ihre Eltern zu kritisieren. Die Erzieherin tut gut daran, sich bei Bewertungen des vergangenen oder gegenwärtigen Verhaltens der Eltern zurückzuhalten, zumal schlechte Erfahrungen und ein daraus abgeleitetes negatives Elternbild sich ausgesprochen gut mit einem unrealistisch überhöhten Elternideal vertragen können. Voraussetzung einer Elternarbeit im Sinne einer Bearbeitung der elterlichen Beziehung wäre eine ausreichend sichere und vertrauensvolle persönliche Bindungsbeziehung zu den Jugendlichen. Ist eine solche Beziehung nicht vorhanden, ist es diesen nicht zuzumuten, sich von ihren Eltern in irgendeiner Weise zu distanzieren. Zumindest in der Verteidigung der Eltern gegen Angriffe von Seiten des Heimes erweist sich dann der Jugendliche doch noch als loyal. So lässt sich an der Illusion einer doch ausreichend guten Eltern-Kind-Beziehung noch eine Weile festhalten. Gerade angesichts der Ambivalenz, welche die Jugendlichen ihren Bindungspersonen gegenüber empfinden, kann sich die Erzieherin nie so recht sicher sein, wie sie im nächsten Moment wahrgenommen wird, zeigt sie selbst auch nur Ansätze eines kritikwürdigen Verhaltens. Schließlich ist gerade für eine unsicher-vermeidende Bindungsorganisation eine Idealisierung der früheren Bindungsperson typisch.
Das muss nicht bedeuten, dass sich die Erzieher verständnislos gegen die Eltern der Jugendlichen abgrenzen. Im Gegenteil. Heimerziehung sollte sich darum bemühen, den Jugendlichen eine so sichere Bindungsbeziehung zu wenigstens einem professionellen Erzieher oder Erzieherin zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlaubt, ihre prekäre Beziehung zu ihren Eltern zu reflektieren. Das muss keineswegs bedeuten, unter allen Umständen eine Versöhnung mit dem Eltern erreichen zu wollen. Dies wäre angesichts der oft traumatischen Erlebnisse, denen die auch von uns untersuchten Jugendlichen ausgesetzt waren, unrealistisch und unangebracht. Allerdings kann Heimerziehung den Jugendlichen dabei helfen, sich auch insofern von ihren Eltern zu lösen, als sie ihre Enttäuschung an diesen artikulieren können. Erst wenn sie darüber erzählen können, wird man hoffen dürfen, dass sie diese enttäuschenden Erlebnisse nicht mehr in ihren gegenwärtigen und künftigen Beziehungen dauernd wiederholen müssen. Wenn es gelingt, die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Erzieherinnen und Erziehern mit einer ausreichend sicheren Bindungsqualität auszustatten, dann hat Heimerziehung eine korrigierende Bindungserfahrung bereitstellen können. Korrigiert wurde dann selbstverständlich nicht die Vergangenheit, aber doch das immer wieder nur hochunsichere Bindungskonzept, die Erwartung also, dass von anderen Menschen nichts, zumindest nichts Gutes erwartet werden kann, gerade wenn man der Hilfe bedarf.
Literatur: Institut Johnson, Thesen zur „Fachkraft“ in der öffentlichen Erziehung
Literatur: Helmut Johnson, Das Kindeswohl und das persönliche Engagement in der sozialen Arbeit
Literatur: Helmut Johnson, Das Kindeswohl und das persönliche Engagement in der sozialen Arbeit
Anforderungen an die Qualifikation der Heimerzieherinnen: als Bindungsperson attraktiv sein
Bindungstheorie und Heimerziehung: 7.5 Anforderungen an die Qualifikation der HeimerzieherinnenDass ein solches bindungstheoretisches Wissen nicht ausreicht, um sich erfolgreich als Bindungsperson zur Verfügung stellen zu können, steht außer Frage. Schließlich ist die Funktion als Bindungsfigur nicht ausschließlich und vermutlich auch nicht überwiegend an ein theoretisches Wissen um diese Funktion geknüpft. Allerdings wird ein solches Wissen hilfreich sein können bei der Etablierung einer solchen Beziehung, vor allem zum Verständnis der Probleme, die sich hierbei auftun. Im Gegensatz zu den "natürlichen" Eltern, die sich bei ihrem erzieherischen Tun auf eine in der Tat natürlich gegebene intuitive Elternschaft stützen können, können sich die professionellen Erzieherinnen bei der Herstellung ihrer pädagogischen Beziehung weit weniger an einer entsprechenden intuitiven "Erzieherschaft" orientieren. Um so mehr ist eine kognitive bzw. intellektuelle Fundierung notwendig.
Dass die Vermittlung bindungstheoretischen Wissens in den Ausbildungsrichtlinien im Bereich der Heimerziehung Eingang finden wird, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Ungleich schwieriger zu vermitteln dürften allerdings die persönlichen Fähigkeiten sein, die die Erzieherin für das Kind oder den Jugendlichen als Bindungsperson erst attraktiv machen und sie instand setzen, korrigierende Bindungserfahrungen auch anzubieten. Professionelle Erzieher sollten, um nochmals Bowlby zu zitieren, "stronger and wiser" und darüber hinaus doch auch bindungssicherer sein als die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Es erscheint plausibel, die Ergebnisse der Psychotherapieforschung, nach denen von bindungssicheren Psychotherapeuten bessere Therapieergebnisse zu erwarten sind, auch auf den Bereich der Heimerziehung zu übertragen.
Damit sind tief in die Persönlichkeit verwurzelte Kompetenzen angesprochen, die allerdings nur schwer in einer Ausbildung zu vermitteln und auch kaum zu überprüfen sind (Almstedt 1996, 42). Auch kann es sicherlich nicht darum gehen, eine "pädagogische Lehranalyse" (Münstermann 1990, 131) zu fordern. Allerdings sollte die Ausbildung durchaus eine bindungstheoretisch orientierte Selbsterfahrung beinhalten, die aufklärt über die jeweils eigenen Strategien, die gewohnheitsmäßig zur Bewältigung bindungsrelevanten Stresses eingesetzt werden. Ein Wissen um die Strukturen des eigenen Bindungskonzepts wäre wünschenswert, sind doch die Erfahrungen im Umgang mit den eigenen Problemen durchaus wichtige Ressourcen im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen.
Auch wenn es unmittelbar einleuchtend erscheint, dass Lebenserfahrung für die in der Heimerziehung professionell Tätigen von Nutzen ist, wenn es darum geht, das Verhalten ihrer Klientel zu verstehen, darf man doch in Anbetracht der oftmals extrem traumatischen Lebenserfahrungen, denen die ihnen anvertrauten Jugendlichen so häufig ausgesetzt waren, nur wünschen, dass ihnen solche Erfahrungen erspart geblieben sein mögen. Dieser Unterschied bezüglich der Lebenserfahrungen kann allerdings zu Problemen führen. Manche Jugendlichen spüren die Distanz und betonen sie noch. Dann setzen sie die Dramatik ihrer Lebensgeschichte ein, um sich ihrer Einmaligkeit und Identität zu versichern. Betroffenheit, ja Erschrecken, aber auch Mitleid auf Seiten ihrer Bezugspersonen garantieren ihnen dann die ersehnte Resonanz. Die Erzieherin ist sich unsicher, ob und wann sie angesichts solcher im wahrsten Sinne des Wortes ungehörigen Verhältnisse zur Alltagsordnung übergehen könnte. Die Gefahr besteht, dann zusammen mit den Jugendlichen in die Misere dieser Kindheit zu versinken (vgl. Fürstenau 1992 b, 130). Fasziniert von der Vergangenheit wird eine Weiterentwicklung des Jugendlichen in die Erwachsenenwelt dann doch behindert.
Eine Heimerzieherin sollte allerdings, ähnlich es der Psychoanalytiker Peter Kutter (1989, 289) für den psychoanalytischen Therapeuten fordert, "alle möglichen zwischenmenschlichen Konfliktkonstellationen wenigstens in Ansätzen erlebt haben:
Trennungsprozesse,
lieben und Hassen,
Herrschen und Beherrscht-Werden,
Geben und Nehmen. Er sollte ebenso
Eifersucht und Neid gefühlt haben wie
Erfolg und Misserfolg,
Freude und Trauer".
Eine diesbezügliche Unkenntnis verleitet leicht dazu, die Klientel zur eigenen Problembewältigung bzw. Problemvermeidung zu ge- und missbrauchen. Die Gefahr, dass sich ein solches psychosoziales Arrangement im Sinne einer interpersonellen Abwehr etabliert, wird größer, je "mehr die äußere soziale Realität und insbesondere auch die Bindungspersonen nicht nur in der Vorstellung und Phantasie, sondern auch faktisch innerhalb eines Abwehrvorganges miteinbezogen werden" (Mentzos 1993, 198). Heimerzieherinnen und Heimerzieher dürften diesbezüglich besonders gefährdet sein.
Auch müssen sie damit rechnen, dass ihr eigenes Bindungssystem schon durch die Konfrontation mit den Bindungsproblemen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen permanent aktiviert wird. Letztlich handelt es sich also bei ihrer Persönlichkeit um ein "wesentliches Hilfsmittel" (Salomon 1927, zit. bei Niemeyer 1999, 133), wenn nicht gar um das entscheidende Arbeitsinstrument für eine wirksame Erziehungshilfe. "Pädagogisches Handeln vermittelt sich - dies ist eine der ältesten pädagogischen Weisheiten - im wesentlichen über die Person des Pädagogen" (Niemeyer 1999, 153). Insofern ist den Ausführungen von Wolfgang Post zur zuzustimmen:
"Erzieherinnen und Erzieher müssen durch ihre Persönlichkeit, Haltung und Wertmaßstäbe, durch ihr Vorbild und Beispiel das geben, was die elterliche Erziehungskraft nicht vermochte. Dies ist das Fundament, auf dem ihr fachlich-pädagogisches Können wirksam werden kann. (...) Damit ist klar, dass eine Ausbildung, die zur berufsmäßigen Erziehung befähigen soll, eine entsprechende Persönlichkeitsbildung voraussetzen oder einschließen muss, was leider von den Ausbildungseinrichtungen zumeist sträflich vernachlässigt wird." (Post "Erziehung im Heim" 1997, 75)
Dass die Vermittlung bindungstheoretischen Wissens in den Ausbildungsrichtlinien im Bereich der Heimerziehung Eingang finden wird, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Ungleich schwieriger zu vermitteln dürften allerdings die persönlichen Fähigkeiten sein, die die Erzieherin für das Kind oder den Jugendlichen als Bindungsperson erst attraktiv machen und sie instand setzen, korrigierende Bindungserfahrungen auch anzubieten. Professionelle Erzieher sollten, um nochmals Bowlby zu zitieren, "stronger and wiser" und darüber hinaus doch auch bindungssicherer sein als die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Es erscheint plausibel, die Ergebnisse der Psychotherapieforschung, nach denen von bindungssicheren Psychotherapeuten bessere Therapieergebnisse zu erwarten sind, auch auf den Bereich der Heimerziehung zu übertragen.
Damit sind tief in die Persönlichkeit verwurzelte Kompetenzen angesprochen, die allerdings nur schwer in einer Ausbildung zu vermitteln und auch kaum zu überprüfen sind (Almstedt 1996, 42). Auch kann es sicherlich nicht darum gehen, eine "pädagogische Lehranalyse" (Münstermann 1990, 131) zu fordern. Allerdings sollte die Ausbildung durchaus eine bindungstheoretisch orientierte Selbsterfahrung beinhalten, die aufklärt über die jeweils eigenen Strategien, die gewohnheitsmäßig zur Bewältigung bindungsrelevanten Stresses eingesetzt werden. Ein Wissen um die Strukturen des eigenen Bindungskonzepts wäre wünschenswert, sind doch die Erfahrungen im Umgang mit den eigenen Problemen durchaus wichtige Ressourcen im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen.
Auch wenn es unmittelbar einleuchtend erscheint, dass Lebenserfahrung für die in der Heimerziehung professionell Tätigen von Nutzen ist, wenn es darum geht, das Verhalten ihrer Klientel zu verstehen, darf man doch in Anbetracht der oftmals extrem traumatischen Lebenserfahrungen, denen die ihnen anvertrauten Jugendlichen so häufig ausgesetzt waren, nur wünschen, dass ihnen solche Erfahrungen erspart geblieben sein mögen. Dieser Unterschied bezüglich der Lebenserfahrungen kann allerdings zu Problemen führen. Manche Jugendlichen spüren die Distanz und betonen sie noch. Dann setzen sie die Dramatik ihrer Lebensgeschichte ein, um sich ihrer Einmaligkeit und Identität zu versichern. Betroffenheit, ja Erschrecken, aber auch Mitleid auf Seiten ihrer Bezugspersonen garantieren ihnen dann die ersehnte Resonanz. Die Erzieherin ist sich unsicher, ob und wann sie angesichts solcher im wahrsten Sinne des Wortes ungehörigen Verhältnisse zur Alltagsordnung übergehen könnte. Die Gefahr besteht, dann zusammen mit den Jugendlichen in die Misere dieser Kindheit zu versinken (vgl. Fürstenau 1992 b, 130). Fasziniert von der Vergangenheit wird eine Weiterentwicklung des Jugendlichen in die Erwachsenenwelt dann doch behindert.
Eine Heimerzieherin sollte allerdings, ähnlich es der Psychoanalytiker Peter Kutter (1989, 289) für den psychoanalytischen Therapeuten fordert, "alle möglichen zwischenmenschlichen Konfliktkonstellationen wenigstens in Ansätzen erlebt haben:
Trennungsprozesse,
lieben und Hassen,
Herrschen und Beherrscht-Werden,
Geben und Nehmen. Er sollte ebenso
Eifersucht und Neid gefühlt haben wie
Erfolg und Misserfolg,
Freude und Trauer".
Eine diesbezügliche Unkenntnis verleitet leicht dazu, die Klientel zur eigenen Problembewältigung bzw. Problemvermeidung zu ge- und missbrauchen. Die Gefahr, dass sich ein solches psychosoziales Arrangement im Sinne einer interpersonellen Abwehr etabliert, wird größer, je "mehr die äußere soziale Realität und insbesondere auch die Bindungspersonen nicht nur in der Vorstellung und Phantasie, sondern auch faktisch innerhalb eines Abwehrvorganges miteinbezogen werden" (Mentzos 1993, 198). Heimerzieherinnen und Heimerzieher dürften diesbezüglich besonders gefährdet sein.
Auch müssen sie damit rechnen, dass ihr eigenes Bindungssystem schon durch die Konfrontation mit den Bindungsproblemen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen permanent aktiviert wird. Letztlich handelt es sich also bei ihrer Persönlichkeit um ein "wesentliches Hilfsmittel" (Salomon 1927, zit. bei Niemeyer 1999, 133), wenn nicht gar um das entscheidende Arbeitsinstrument für eine wirksame Erziehungshilfe. "Pädagogisches Handeln vermittelt sich - dies ist eine der ältesten pädagogischen Weisheiten - im wesentlichen über die Person des Pädagogen" (Niemeyer 1999, 153). Insofern ist den Ausführungen von Wolfgang Post zur zuzustimmen:
"Erzieherinnen und Erzieher müssen durch ihre Persönlichkeit, Haltung und Wertmaßstäbe, durch ihr Vorbild und Beispiel das geben, was die elterliche Erziehungskraft nicht vermochte. Dies ist das Fundament, auf dem ihr fachlich-pädagogisches Können wirksam werden kann. (...) Damit ist klar, dass eine Ausbildung, die zur berufsmäßigen Erziehung befähigen soll, eine entsprechende Persönlichkeitsbildung voraussetzen oder einschließen muss, was leider von den Ausbildungseinrichtungen zumeist sträflich vernachlässigt wird." (Post "Erziehung im Heim" 1997, 75)
Buchempfehlung: "Der heimliche Wunsch nach Nähe: Bindungstheorie und Heimerziehung" von Roland Schleiffer
Gerade die Kombination von Bindungstheorie mit Heimerziehung lieferte mir viele theoretische Erklärungen für meine eigenen Erfahrungen mit Kindern, seit 30 Jahren im Ferienlager. Die "fremde Situation" ist geradezu bezeichnend für Ferienlager und wir genießen sie dort 2 Wochen lang. Eine Ersatzfamilie sind wir im Ferienlager auch, Kinder ohne sichere Bindung finden Anschluss, und wenn sie erwachsen sind können sie Betreuer werden. Nachdem ein Heimkind 2 Wochen Ferienlager hinter sich hatte, fragte mich die Erzieherin was wir gemacht hätten. Das Kind hätte einen Entwicklungsrückstand von Jahren nachgeholt und würde sich jetzt richtig normal verhalten. Ich habe ihr dieses Buch geschenkt.
Weil ich Informationsverarbeitung studiert habe, fand ich die Parallelen zur Systemtheorie besonders bemerkenswert. "Unter Erziehung versteht man üblicherweise die Änderung von Personen durch darauf spezialisierte Kommunikation." Psychische und soziale Systeme können sich nur selbst informieren. Ich kann sie nur dazu anregen, indem ich etwas von mir gebe, das ihre Systeme als Information verwenden. Es ist die Bindungsbeziehung, die das Kind motiviert, sich an der erzieherischen Kommunikation zu beteiligen und sich erziehen zu lassen.
Weil ich Informationsverarbeitung studiert habe, fand ich die Parallelen zur Systemtheorie besonders bemerkenswert. "Unter Erziehung versteht man üblicherweise die Änderung von Personen durch darauf spezialisierte Kommunikation." Psychische und soziale Systeme können sich nur selbst informieren. Ich kann sie nur dazu anregen, indem ich etwas von mir gebe, das ihre Systeme als Information verwenden. Es ist die Bindungsbeziehung, die das Kind motiviert, sich an der erzieherischen Kommunikation zu beteiligen und sich erziehen zu lassen.
Literatur: Roland Schleiffer, Der heimliche Wunsch nach Nähe; Bindungstheorie und Heimerziehung.
externe Links
Jugendhilfe
Kindeswohl
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- 21.01.2009 Kabinett beschließt Kinderschutzgesetz
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- Erziehungsstellen (Sonderpädagogische Pflegefamilien)
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- (Buch) Der heimliche Wunsch nach Nähe: Bindungstheorie und Heimerziehung
- Roland Schleiffer: Der heimliche Wunsch nach Nähe. Bindungstheorie und Heimerziehung (Inhaltsverzeichnis)
- Google Suche: patenschaft heimkind
- Kölner Kreidekreis e.V. Paten für Heimkinder
„Zwei Patenschaften sind bereits vermittelt und weitere elf Erwachsene stehen aktuell bereit, ein Kind zu begleiten“. In beiden Fällen kommen die Kinder, die seit längerer Zeit außerhalb des Heimes keinen verlässlichen erwachsenen Kontakt mehr hatten, „endlich mal wieder raus“. Sie erfahren das Gefühl, jemandem wichtig zu sein. - EMaK = Erwachsene Misshandelt als Kinder
EMaK ist ein Zweig von AAaCWorld (Adults Abused as Children Worldwide) gegründet 1994 Website seit 1998
- 04.05.2010 9. Heimkinderausfahrt von Sachsenbike
Familiengericht, Urteile, Anwalt des Kindes
- 03.10.2002 Sorgerechtsentzug: «Fatale Fehlentscheide»
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