06.09.12

Nazi-Methoden der Jugend-„Fürsorge“ Ein 74-jähriger Zeitzeuge wirft dem Staat vor, ihm seine Jugend gestohlen zu haben.

Ein 74-jähriger Zeitzeuge wirft dem Staat vor, ihm seine Jugend gestohlen zu haben. Dabei hätten zuständige Stellen der Republik die Distanz zu Methoden des früheren Naziregimes vermissen lassen. Und noch immer werde Verantwortung abgeschoben.

Funktionärinnen der nationalsozialistischen „Fürsorge“ hätten ihn seiner Mutter damals kurz nach der Geburt weggenommen, weil die Frau eine Gegnerin Hitlers war. Dann sei er im Jahrestakt von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht worden, kritisiert der heute betagte Salzburger und pensionierte Unternehmer. Dabei sei von den Behörden darauf geachtet worden, dass es sich um linientreue Nationalsozialisten handelte.


Zeitzeuge erinnert an Nazi-Methoden bei Jugendwohlfahrt
ORF
 
 
Der Zeitzeuge im ORF-Interview, geboren 1938, als Hitlers Truppen in Österreich beim „Anschluss“ einmarschierten und von Hunderttausenden begeistert begrüßt wurden, während Hunderttausende andere den Untergang der Heimat betrauerten
In der 1945 vom Hitlerregime befreiten Republik Österreich seien für entwurzelte Kinder und Jugendliche dann dieselben Beamten zuständig gewesen wie schon zur Zeit davor - ohne, dass in diesen Kreisen jemand zur Verantwortung gezogen worden sei. In seiner Jugend lebte der Salzburger in Tirol. Zeitzeugen berichten, dass es damals in ganz Österreich ähnlich zugegangen sei.


Auch sexueller Missbrauch

Nach 1945 sei es ihm um nichts besser ergangen, schildert der 74-Jährige. Pflegefamilien unter Bauern sei er dann als billige Arbeitskraft willkommen gewesen. Und ein Geistlicher in Fügen habe ihn mehrmals missbraucht, sagt der Mann. Deshalb wurde von der Klasnic-Kommission als Opfer anerkannt und auch entschädigt. Trotz dieses harten Starts ins Leben brachte er es zum erfolgreichen Unternehmer.


Zum Schlafen in Schweinetrog gezwungen

Bei Landwirten sei er als Kind aufgenommen worden, weil diese damals einen Knecht gesucht hätten. Es sei schwerste Arbeit gewesen: „Mit Steigeisen auf sehr steilen Bergwiesen, da musste ich das Heu auf dem Kopf tragen. Dazu habe ich als Kind jeden Tag zwei Kühe melken und den Stall ausmisten müssen.“
Als Gegenleistung habe man ihn dann im Schweinetrog übernachten lassen, so der Mann im Rückblick: „Ich habe immer ins Bett gemacht. Und im strohgefüllten Schweinetrog wurden damals auch die Schweine abgestochen. Ich war dann noch Bettnässer bis fast zu meinem 16. Lebensjahr.“


Bettnässer bis 16

Dann habe er in einem Altersheim als jugendlicher Hilfsarbeiter eine Schlafstelle bekommen: „Die Oberin dort war der erste Mensch, der sich um mich gekümmert und mich in die Arme genommen hat. Sie hat zu mir gesagt, das bringen wir weg, dass du ins Bett machst. Und seit dem Tag war das weg bei mir.“
Von der Kirche sei er entschädigt worden, aber auch der Staat habe ihm die Jugend gestohlen, betont der Mann: „Für die Heime war damals auch die Stadt Innsbruck zuständig. Hut ab vor der heutigen Innsbrucker Bürgermeisterin. Sie hat mir 10.000 Euro zugesprochen und gesagt, es sind so viele Kinder, die damals geschädigt wurden. Aber sie habe halt kein größeres Budget.“


Kritik an Politik

Die Bürgermeisterin habe sich für die Stadt entschuldigt, schildert der Zeitzeuge und beginnt bitterlich zu schluchzen: „Diese Entschuldigung war mir viel mehr wert als jedes Geld. Es hieß dann, das Land Tirol werde mich entschädigen für das, was ich alles mitgemacht habe. Nur: Das Land Tirol bekennt sich nicht dazu.“

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