Bremen - Von Thomas Kuzaj -
Erbrochenes
auflöffeln, den Fußboden mit der Zahnbürste schrubben. Schläge,
Demütigungen, sexuelle Gewalt. Stichworte zu Berichten aus den
Folterkellern eines Unrechtsregimes? Nein, Berichte aus dem Alltag in
Bremer Kinder- und Jugendheimen bis weit in die 70er Jahre hinein. Eine
Geschichte von Leid und Unrecht, die jetzt aufgearbeitet wird.
Robert Fuchs, Historiker.
Es
geschah „im Namen des Staates, im Namen der Kirche“, sagt Dr.
Heidemarie Rose, Abteilungsleiterin im Sozialressort. Sie stellte
gestern eine 140 Seiten umfassende „Dokumentation zur Geschichte der
Bremer Heimerziehung 1945 bis 1975“ vor. Die Arbeit des Historikers
Robert Fuchs basiert auf den Schilderungen von 70 früheren Bremer
Heimkindern. Den Anstoß dazu gab, wie in anderen Bundesländern auch,
eine Anregung des Bundestags-Petitionsausschusses.
Ein
Kind aus einer Familie herauszunehmen, ist immer ein „biographischer
Einschnitt“, sagt Autor Fuchs. Ein Einschnitt, der in den untersuchten
Jahrzehnten fast durchweg mit (weiteren) traumatisierenden Erfahrungen
verbunden war. Längst nicht alle Betroffenen – oder besser: Opfer – sind
heute in der Lage, darüber zu sprechen.
Die
Untersuchung wirft auch ein Licht auf ein gesellschaftliches Klima, in
dem Schläge als Mittel der Erziehung akzeptiert waren und alleinstehende
Mütter stigmatisiert wurden. So sehr, dass manche ihre Kinder lieber
weggaben. In anderen Familien waren nach einer erneuten Heirat die
„alten“ Kinder plötzlich unerwünscht, berichtet Autor Robert Fuchs.
Krisen, Gewalt und Vernachlässigung waren weitere Gründe für die
Heimeinweisung. Andere Kinder wurden Waisen.
„Der
Vernachlässigung in der Familie folgte das Leid im Heim“, sagt Fuchs.
„Demütigung und seelische Verletzung gab es in fast allen Heimen und in
Pflegefamilien. Erfahrungen der Diskontinuität und ein Gefühl der
Ohnmacht bestimmten häufig den Lebensweg. Es gab Kinder, die in drei
Jahren 15 Erzieherwechsel hatten.“ Und noch etwas hat der Historiker
herausgearbeitet: „Je geschlossener ein Heim war, desto gewalttätiger
waren die Erfahrungen.“ Die Dokumentation zu lesen, fällt nicht leicht.
Die Schilderungen sind schonungslos. In Alten Eichen etwa schlug der
Hausvater Kinder mit einer Reitpeitsche. „Du bist minderwertig“, wurde
zu Heimkindern gesagt. „Ich hatte das Gefühl, als Mensch wertlos zu
sein“, berichtet eine Frau. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Das
galt hier nicht.
Heute ist das
gesellschaftliche Klima anders. Behörden, Wohlfahrtsverbände und Kirchen
beteiligen sich an der Aufarbeitung. Es gibt finanzielle Hilfen. Bremen
zahlt 540 000 Euro in den „Fonds Heimerziehung“ ein. Die „Anlauf- und
Beratungsstelle“ an der Friedrich-Rauers-Straße ist zudem ein Ort des
Zuhörens. „Wir bieten den Betroffenen eine individuelle Aufarbeitung
an“, sagt Andreas Berg von der Anlaufstelle. Telefon: 0421/361-16 799.
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