Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 12.07.2013 – 2 UF 227/12 –
Vorinstanz: Amtsgericht Marl, 36 F 219/11Normen: §§ 1666, 1666a BGB
Leitsätze:
Im Rahmen der §§
1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf
„Idealeltern“ und optimale Förderung hat und sich die staatlichen
Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Für die Trennung der
Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ist es daher nicht
ausreichend, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur
Erziehung und Förderung besser geeignet sind. Vielmehr gehören die
Eltern und deren gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zum
Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.
Tenor:
Die Beschwerde des
Antragsgegners gegen den am 15.10.2012 erlassenen Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengerichts – Marl wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin lebte ursprünglich
mit ihren älteren Kindern V, V2 und B im Landkreis Karlsruhe. Der
Antragsgegner war in erster Ehe mit Frau G (im Folgenden: Kindesmutter)
verheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder, V2, geboren am ##.##.1997,
und P, geboren am ##.##.2000, hervorgegangen. Mit Beschluss des
Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 07.04.2003 – 26 F 124/02 –
wurde dem Antragsgegner gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche
Sorge für das Kind V2 entzogen und auf das Jugendamt der Stadt N
übertragen. In dem seinerzeit eingeholten Gutachten der Sachverständigen
Diplom-Psychologin Dr. U vom 25.11.2002 heißt es hinsichtlich des
Antragsgegners unter anderem, dass dieser eine dissoziale Störung des
Erlebens und Verhaltens im Sinne einer haltschwachen
Persönlichkeitsstörung habe und er in Auseinandersetzungen mit
bestehenden Problemlagen sich passiv-vermeidend verhalte, indem er seine
Verantwortung oder Mitverantwortung leugne oder bagatellisiere. Ein
Mangel an Einfühlungsvermögen und Gefühlsbeteiligung habe auch in seinen
Schilderungen der seinerseits eingeräumten Misshandlungen des
Stiefkindes O vorgelegen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete
Beschwerde des Antragsgegners wies das Oberlandesgericht Hamm mit
Beschluss vom 5.11.2003 – 8 UF 84/03 – zurück.
Als die Antragstellerin den
Antragsgegner kennenlernte, zog sie mit diesem und ihren drei älteren
Kindern aus erster Ehe, V, V2 und B, nach N. Am ##.##.2009 heirateten
die Antragstellerin und der Antragsgegner. Aus der Ehe entstammte das
minderjährige Kind K, geboren am ##.##.2013 (im Folgenden: das Kind).
Bis November 2010 lebten die Antragstellerin und der Antragsgegner mit
dem Kind und den drei Kindern der Antragstellerin aus erster Ehe
gemeinsam in der Wohnung I-Straße 14 in N.
Das Jugendamt der Stadt N berichtete
unter dem 3.8.2011, dass der Alltag der Familie bis zum Zeitpunkt des
Auszuges durch ständige Streitigkeiten des Antragsgegners mit der
Antragstellerin oder seinen Stiefkindern bestimmt gewesen sei; mehrfach
sei die Polizei gerufen worden. Besonders schlimm sei die Situation für
das Kind, da dieses bisher in dem Spannungsfeld der Antragstellerin und
des Antragsgegners gelebt habe und daher zu befürchten sei, dass es auch
weiterhin als Machtobjekt zwischen den Eltern stehe und dahingehend
missbraucht werde.
Im November 2010 trennten sich die
Antragstellerin und der Antragsgegner. Mit Beschluss vom 11.11.2010 – 36
F 386/10 – übertrug das Amtsgericht Marl der Antragstellerin im Wege
der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind
und wies ihr mit weiteren Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 385/10 – die
eheliche Wohnung zu. Der Antragsgegner zog am 15.2.2011 aus der
ehelichen Wohnung aus und nahm sich eine eigene Wohnung gegenüber der
vormals ehelichen Wohnung.
Unter dem 24.5.2011 stellte die
Antragstellerin vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl den Antrag,
das Umgangsrecht zwischen dem Antragsgegner und dem Kind zu regeln. Der
Antragsgegner und die Antragstellerin schlossen im Verfahren vor dem
Amtsgericht – Familiengericht – Marl – 36 F 164/11 – in der mündlichen
Verhandlung am 16.11.2011 eine Umgangsvereinbarung dahingehend, dass der
Antragsgegner berechtigt ist, das Kind alle zwei Monate am jeweils
ersten Wochenende eines Monats um 18:00 Uhr abzuholen und bis Sonntag
18:00 Uhr zurück zu bringen, beginnend mit dem 1.12.2011.
Seit dem 3.5.2011 wurde die
Antragstellerin von einer sozialpädagogischen Familienhilfe in N
unterstützt. Mitte 2011 zog die Antragstellerin mit ihren Kindern aus
erster Ehe und dem Kind nach X in den Kreis Karlsruhe, wo sie zunächst
bei einer Freundin lebte. Im Januar 2012 bezog sie eine 2-Zimmer
Sozialwohnung. Nachdem eine Meldung der Polizei über den unsauberen
Zustand der Wohnung sowie eine Mitteilung der Schule eines der älteren
Kinder über Verwahrlosungstendenzen eingegangen waren, erhielt die
Antragstellerin seit dem 17.2.2012 eine sozialpädagogische Familienhilfe
durch den Landkreis Karlsruhe. Nach dem Bericht des Jugendamtes des
Landkreises Karlsruhe von 23.2.2012 sei von einer Kindeswohlgefährdung
hinsichtlich des Kindes, welches inzwischen den Kindergarten besuche,
nicht auszugehen. Sowohl nach den Erfahrungen des Jugendamtes der Stadt N
als auch denen des Landkreises Karlsruhe verlaufe die Zusammenarbeit
mit der Antragstellerin gut.
Der Antragsgegner war ursprünglich
arbeitslos; sodann war er für einen Zeitraum von etwa vier Monaten als
Gebäudereiniger tätig. Diese Anstellung verlor der Antragsgegner, weil
seine Arbeitszeiten mit seinen Umgangszeiten kollidierten. Der
Antragsgegner hat eine neue Lebensgefährtin, Frau M2.
Die Antragstellerin hat behauptet, mit
dem Antragsgegner seien keinerlei Absprachen über die
Erziehungsangelegenheiten hinsichtlich des Kindes möglich. Es habe
ständig erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem
Antragsgegner gegeben; die Erziehungsstrategie, die der Antragsgegner
hinsichtlich ihrer drei älteren Kinder zu Tage habe treten lassen, sei
auch nunmehr im Hinblick auf die Umgangskontakte mit dem Kind erkennbar
geworden. Der Aufenthalt des Kindes bei ihr sei durch den Antragsgegner
nachhaltig in Frage gestellt, da er selbst erklärt habe, er bestehe
zukünftig darauf, dass das Kind bei ihm aufwachse. Überdies bezeichne er
ihre anderen Kinder als kriminell und zu laut, so dass das Kind nicht
in Ruhe und Sorgfalt aufwachsen könne. Der Antragsgegner habe in seiner
neuen Wohnung ein eigenes Kinderzimmer eingerichtet und beabsichtige,
das Kind in absehbarer Zeit ganz zu sich zu nehmen. Auch die
Umgangskontakte verliefen nicht problemlos, da der Antragsgegner immer
wieder den Kontakt zu ihr aufzunehmen versuche; deswegen sei dringend
geboten, dass die Sorgerechtsfrage insgesamt geklärt werde.
Dementsprechend sei ihr das alleinige Sorgerecht für das Kind zu
übertragen. Der Antragsgegner sei nicht in der Lage, seine eigenen
Bedürfnisse hinter denen des Kindes zurückzustellen, was sich auch auf
die Erziehung des Kindes auswirke.
Die Antragstellerin hat beantragt,
ihr das alleinige
elterliche Sorgerecht für das minderjährige Kind K, geboren am
12.02.2010, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen und
widerantragend ihm die elterliche Sorge für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zu übertragen.
Der Antragsgegner hat gemeint, dass das
Kind bei ihm wesentlich besser aufgehoben sei als bei der
Antragstellerin. Er hat behauptet, die Antragstellerin sei
erziehungsungeeignet, was sich daran zeige, dass sie nicht einmal mit
ihren Kindern aus früherer Ehe erziehungsmäßig einigermaßen klar
gekommen sei. Die Söhne V und V2 litten unter ADHS und gestörtem
Sozialverhalten. Auch verhielten sich die älteren Kinder rüde und
umgezogen, was sich nachteilig auf das Kind auswirke, Ursache für
ständige Auseinandersetzungen und überdies auch eine Ursache für das
Scheitern der Ehe gewesen sei. Einer der Söhne besuche die Sonderschule,
wo er völlig unbefriedigende Leistungen erziele; insbesondere sein
Sozialverhalten werde von der Schule als sehr negativ geschildert. Gegen
den Sohn sei ein Verfahren wegen Diebstahls eingeleitet worden und es
sei ihm seitens der Schule ein unbefriedigendes Sozialverhalten
attestiert worden. Überdies weise der Bericht des Jugendamtes des
Kreises Karlsruhe auf erhebliche Defizite der Antragstellerin bei der
Versorgung ihrer Kinder hin. Soweit er selber den Kontakt zur
Antragstellerin suche, geschehe dies allein, um sein Umgangsrecht mit
dem Kind wahrzunehmen. Im Übrigen sei es die Antragstellerin, die
Umgangskontakte nicht verlässlich durchführe. Aufgrund des Umstandes,
dass die Antragstellerin wieder nach X verzogen sei, sei das Kind den
Zwistigkeiten zwischen ihr, ihren Kindern aus erster Ehe und ihrem
Ex-Mann ausgesetzt. Soweit seine häusliche Situation betroffen sei, sei
seitens des Jugendamtes der Stadt N festgestellt worden, dass er über
ausreichend Raum verfüge, um für das Kind in seiner Wohnung zu sorgen;
überdies habe er einen Kindertagesstättenplatz für 45 Stunden in der
Woche zugesagt erhalten. Letztlich sei auch beachtlich, dass das Kind in
N noch Kontakte zur Großmutter, zu der es ein inniges Verhältnis gehabt
habe, haben könne; gleiches gelte auch für die übrigen Halbgeschwister
V2 und P....
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