23.02.14

Justiz: Grabenkampf um Gerichtsgutachter - BRISANTE ENTSCHEIDUNG


Gerichtsgutachter

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Bild: (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER) 
Gerichtsgutachter werden mitunter als „heimliche Richter“ bezeichnet. Im Strafverfahren sorgt ihre Bestellung regelmäßig für Aufruhr. Ein Symposium griff die Probleme auf.


 (Die Presse

Wien. Februar 2013: Die Anwälte im ersten großen Telekom-Prozess, dem Untreueverfahren über die mutmaßliche Manipulation des Kurses der Telekom-Aktie, lehnen den Gerichtsgutachter ab. Dieser habe schon während der Ermittlungen für den Staatsanwalt gearbeitet. Nun werde genau dieser Gutachter vom Gericht einfach übernommen. Sozusagen als „Zeuge der Anklage“. Dies sei im Sinne eines fairen Verfahrens bedenklich. Damals unter den Verteidigern: Wolfgang Brandstetter.
Jänner 2014: Brandstetter absolviert als Justizminister einen seiner ersten großen öffentlichen Auftritte: Er eröffnet am Dienstag ein Symposium zu eben diesem Thema: „Der Sachverständige im Strafverfahren“. Einen eigenen konkreten Vorschlag, wie die Gutachterbestellung künftig aussehen solle, macht er vorerst nicht.
Kurz die Grundproblematik: Seit der Staatsanwalt Leiter der Ermittlungen ist (eine Aufgabe, die früher in großen Fällen dem – mittlerweile abgeschafften – U-Richter zukam), bestellt folgerichtig auch der Staatsanwalt den Gutachter. Er ist es auch, der die Fragestellung ausarbeitet und somit den Gutachter führt. Nach Abschluss der Ermittlungen kommt es (wenn die Sache nicht eingestellt wird) zur Verhandlung. In aller Regel wird dann der Gutachter – also jene Person, die dem Staatsanwalt das Schreiben einer Anklage ermöglicht hat – vom Gericht zum offiziellen Gerichtsgutachter geadelt.
Und hier komme es laut Experten zur Kollision mit der im Verfassungsrang stehenden Menschenrechtskonvention. Dort ist nämlich das Recht auf ein faires Verfahren (fair trial) verankert. So müssen Entlastungszeugen, also Zeugen der Verteidigung, unter denselben Bedingungen wie Belastungszeugen (als solche könnte man die Gutachter sehen) geladen werden.
Der österreichische Gesetzgeber scheint sich aber in weiser Voraussicht gegen die Proteste der Verteidiger abgesichert zu haben. Im oft zitierten Paragraf 126 der Strafprozessordnung heißt es: „Im Hauptverfahren kann die Befangenheit eines Sachverständigen oder Dolmetschers nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist.“

Ablehnung als Ritual

Genau das wird aber ständig getan. Es wurde zuletzt geradezu zum Ritual. Kaum ein großes Verfahren – und das betrifft keineswegs nur Wirtschaftsstrafverfahren à la Telekom – kommt heutzutage ohne eine konzertierte Ablehnungsfront der Anwälte aus. Dabei wird der Gutachter als parteiisch bzw. befangen eingestuft. Der diesbezügliche Antrag auf Ablehnung wird vom Gericht aber genauso regelmäßig abgewiesen. Mit einem kühlen Verweis auf die Rechtslage.
Seit geraumer Zeit macht sich hier ein gewisses Unbehagen breit. Und das, obwohl sowohl Staatsanwälte als auch Gutachter ausdrücklich zur Objektivität verpflichtet sind (Erstere beteuern stets, es sei ihnen gleichgültig, in welche Richtung der Gutachter gehe). Verteidiger sind dies nicht. Sie sind „nur“ ihren Mandanten verpflichtet.
Genüsslich und mit der geballten Kraft eines halben Dutzends hochkarätiger Anwälte wurde erst kürzlich im Schillerplatz-Prozess (Verkauf der Wiener Immobilie Schillerplatz 4 durch die Telekom) ganz auf die Karte Privatgutachter gesetzt. Stoßrichtung: Wenn der Staatsanwalt „seinen“ Gutachter durchbringt, sollen die Anwälte auch ihre Privatgutachter in den Prozess holen dürfen. Dies konnte das Gericht aber nicht zulassen.
Derzeit dürfen die „Privaten“ in der Regel im Gerichtssaal sitzen und dort den Beschuldigten Fragen „einsagen“, die diese wiederum via Anwälte an den Gerichtsgutachter stellen können. Klingt kompliziert, ist es auch. So forderte auch Anwälte-Vizepräsident Josef Weixelbaum bei dem Symposium, „den Privatsachverständigen als volles Beweismittel zuzulassen“.
Dass eine gesetzliche Änderung kommt, steht praktisch fest. Eventuell wird den Beschuldigten mehr Mitsprache bei der Auswahl der justiziellen Gutachter eingeräumt werden. Ebenso das Recht, im Ermittlungsverfahren bei einer Abschlussbesprechung mit dem Gutachter Einwände vorzubringen. Beschlossen ist aber noch nichts.


BRISANTE ENTSCHEIDUNG

Der Oberste Gerichtshof macht derzeit mit einer brisanten Entscheidung (12 Os 90/13x-17) von sich reden: Wenn ein vom Staatsanwalt bestellter Gutachter keinen klaren Auftrag hat und daher erst nach Verdachtsmomenten suchen muss, wird er quasi zu einem Ermittlungsorgan. Diese Art der Vorbefassung ist sehr wohl ein Befangenheitsgrund. Das Gericht muss dann das entstandene Ungleichgewicht austarieren und für den Prozess einen neuen Sachverständigen bestellen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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