01.03.14

Freitagmittag war das Kind weg - Ein Mädchen wird von den Eltern getrennt, weil eine Psychologin Missbrauch unterstellt. Ein Albtraum für die Familie, den erst der Staatsanwalt beendet


Von 
BERLIN. Ihre durchwachten Nächte hat Peggy S. nicht gezählt. Nächte, in denen sie sich mit Selbstvorwürfen peinigte, weil sie glaubte, das Glück ihrer Familie aufs Spiel gesetzt zu haben. Weil sie immer alles so verdammt richtig machen wollte. Dabei hätte kein Mensch ahnen können, dass sich ausgerechnet das Richtige, das Vernünftige am Ende als Verhängnis erweisen würde. Eltern und Kolleginnen hatten ihr abgeraten, mit der Tochter Katharina gleich zum Psychologen zu rennen, nur weil die Fünfjährige zu aggressivem Spiel neigte, andere Kinder an den Haaren zog und gelegentlich einfach grob war. Peggy S. aber, selbst Erzieherin, beobachtete ihr überaus lebhaftes Kind besonders genau; sie wollte nicht, dass es sich isolierte. Deshalb suchte sie ab Dezember 2004 eine Psychologin auf, deren Sitzungen sie selbst zahlte. Ein halbes Jahr später übernahm das Jugendamt die Kosten. Schon bald zeichnete sich eine deutliche Besserung in Katharinas Verhalten ab, sie integriere sich jetzt gut in die Gruppe, bestätigten ihre Erzieherinnen. Alles entwickelte sich wunschgemäß bis zu diesem 20. Januar 2006. An dem Tag waren Peggy S. (34) und ihr Mann Steffen (39) vom Jugendamt eingeladen, um gemeinsam mit der Psychologin den Fortgang der Hilfe zu erörtern. Wegen dieses Termins sollten die Großeltern Katharina aus dem Kindergarten abholen. Aber das Kind war weg. Abgeholt von Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Treptow-Köpenick. Ihre Tochter sei in Obhut genommen worden, wurde den Eltern eröffnet. Aus dem Bericht der behandelnden Psychologin gehe hervor, dass das Kind missbraucht worden sei. Die Eltern hielten ein Schreiben in den Händen, in dem die Psychologin das Jugendamt darüber informierte, dass viele Symptome auf jahrelangen Missbrauch schließen ließen und sie deshalb um Intervention bitte. Als Täter kämen der Vater und die Großväter in Frage. Peggy und Steffen S. zitterten. Dass sie die Vorwürfe verzweifelt zurückwiesen, interessierte niemanden. 

Die Jugendamts-Mitarbeiter gaben den Eltern einen Zettel mit Adressen von Beratungseinrichtungen und schickten sie ins Wochenende, ohne Kind. Es war Freitagnachmittag. Peggy S. ist eine besonnene, in sich ruhende Frau. Selbst in dieser extremen Situation wahrte sie noch irgendwie Fassung. Sie dachte, dieser Irrtum ließe sich umgehend aufklären. Sie sollte sich irren. Ihr Mann war außer sich, er sah sich plötzlich in die Rolle des verachtungswürdigen Täters gedrängt. Als Mann, der sich an seiner eigenen Tochter vergriffen haben soll. Aber Moment, wir sind gerade einen Schritt zu weit gegangen. Dieser Artikel berichtet bislang allein aus der Sicht der Familie S. und deren Überzeugung, ihr sei gröbstes Unrecht widerfahren. Das Jugendamt in seiner Wächterfunktion dagegen kennt die Familie zum Zeitpunkt der Inobhutnahme des Kindes noch gar nicht. Ihm liegt einzig das Schreiben einer Psychologin vor. Schwarz auf weiß steht da, der Schutz des Kindes sei gefährdet. In jüngster Zeit sind Jugendämter immer wieder in Verruf geraten, weil sie gerade nicht gehandelt haben. Weil unter zu laxer Aufsicht Kinder verdursteten und verhungerten, weggesperrt und zu Tode geprügelt wurden. Weil Ämter ersten Signalen nicht energisch nachgingen. Im Fall von Katharina dagegen entschloss sich das Jugendamt, das Gegenteil zu beweisen und zu handeln - sofort, unmissverständlich, Freitagnachmittag. Als die Eltern der Inobhutnahme widersprachen, wurde ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind gerichtlich entzogen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Von Jugendämtern und Richtern muss man erwarten, dass sie ernsten Hinweisen konsequent nachgehen und gegebenenfalls den Schutz des Kindes über den der Familie stellen. Bei einer "dringenden Gefahr für das Wohl des Kindes" schreibt das Sozialgesetzbuch die Inobhutnahme vor. Hier aber beginnt auch die besondere Verantwortung staatlicher Stellen - hier dürfen besonnene Entscheidungen kompetenter, geschulter Mitarbeiter erwartet werden. Sie müssen abwägen. Reicht die Auskunft einer einzelnen Psychologin für einen derart schwerwiegenden Eingriff in eine augenscheinlich intakte Familie? Widerspricht es nicht dem Vertuschungszwang einer "Täter"-Familie, das Kind auf eigenen Antrieb, langfristig und auf eigene Rechnung einer Psychologin anzuvertrauen? Dass solche Fragen auf dem Jugendamt diskutiert wurden, muss bezweifelt werden. Katharina war bereits volle zwei Wochen von ihren Eltern getrennt, da hatte das Amt noch immer nichts unternommen, um die Behauptung der Psychologin zu überprüfen. 

Im Gegenteil, als die Eltern vor Gericht eine Begutachtung ihres Kindes verlangten - das Schreiben der Psychologin ist lediglich eine "Feststellung" -, ließ sich die Kollegin vom Jugendamt zu der Bemerkung hinreißen: "Was wollen Sie Ihrem Kind denn noch alles zumuten?" Wohlgemerkt, einem Kind, das aus der Familie gerissen den ganzen Tag von Fremden betreut wurde und nicht einmal mehr in den Kindergarten gehen durfte. Dessen Wohl das Jugendamt im Munde führte, ohne eine Vorstellung zu entwickeln, wie sich der einsame Missbrauchs-Vorwurf überhaupt aufklären lassen soll. Auf die Frage dieser Zeitung, warum dem Kind nicht nur die Eltern, sondern auch der Kindergarten vorenthalten wurde, rief der Jugendstadtrat Joachim Stahr: "Sie haben ja keine Ahnung! Was sind denn zwei Wochen Inobhutnahme gegen jahrelangen Missbrauch des Kindes? Dagegen geht es ihm jetzt gut!" Die Unschuldsvermutung, die für jeden Schwerverbrecher vor Gericht gilt, scheint hier nicht zu gelten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich zuständige Amtspersonen die Frage stellten, ob der Vorwurf der Psychologin auch unwahr sein könnte. Im Gegenteil. Peggy S. berichtet, dass das Jugendamt von der Familie mehrfach ein Schuldeingeständnis verlangte: "Wir erkennen immer noch nicht, dass Sie bereit sind, Ihrer Tochter zu glauben." Die Ungeheuerlichkeit dieser Forderung erschließt sich, wenn man bedenkt, dass es von der Tochter keinerlei Aussagen gibt. Das Kind - es ist körperlich unstrittig unversehrt - hat natürlich nie behauptet, dass es am Penis seines Vaters oder Großvaters habe lecken müssen. Es ist fünf. Da braucht es deutlich subtilere Methoden, einen Missbrauch aufzudecken. Die Psychologin gab dem Kind eines Tages Puppen zum Spielen, denen auffällige Penisse und Schamhaare angehäkelt waren. Aus deren aggressiver Verwendung leitet sie die schweren Vorwürfe ab. Katharina habe alles in den Mund genommen, an allem geleckt, den Penis der Vater-Puppe massiert. Außerdem habe sie erzählt, dass sie beim Essen von Aal würgen müsse. Für die Psychologin ist das ein klarer Missbrauchshinweis. Die Erklärung der Familie, Katharina habe während einer Familienfeier beim Aalessen eine Gräte geschluckt und würgen müssen, ignorierte das Jugendamt. 

Die Psychologin bezeichnet das als "nachgereichte Erklärung". Fragt man sie, ob sie denn wisse, dass anatomische Puppen wegen ihrer zweifelhaften Beweiskraft von Gerichten abgelehnt werden, antwortet sie: "Deswegen arbeite ich mit anderen Puppen." Später sagte die Frau, deren Schreiben der einzige Anhaltspunkt für die Trennung der Familie war: "Ich bin froh, dass ich nicht das Gutachten erstellen muss." Unterdessen traf das Jugendamt keine weitere Entscheidung, die dazu geeignet gewesen wäre, den Fall aufzuklären. Der Ehemann hatte nach zwei Wochen vorgeschlagen, aus der Wohnung auszuziehen, wenn dafür seine Tochter wieder nach Hause dürfe. Er bezog ein Provisorium, die Tochter durfte wieder zu ihrer Mutter. Vom Jugendamt kam danach noch der Vorschlag, Katharina weiter von der Psychologin behandeln zu lassen. Wie wollten sich die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes eigentlich ein Bild von der Familie machen? Einen Besuch bei ihr zu Hause gab es nicht, ein Gespräch mit dem vermeintlichen Täter, dem Vater, auch nicht. Die frühere Lebensgefährtin von Steffen H. etwa wollte dem Amt vortragen, dass der Vater ihrer heute 14-jährigen Tochter aus ihrer Sicht niemals für eine solche Tat in Frage käme. Es kostete sie Mühe und zahllose Anrufe, im Jugendamt jemanden zu erreichen, der ihr zuzuhören bereit war. Dass bei dem schweren Verdacht nicht sofort eine Prüfung der Familienverhältnisse in Gang gesetzt wurde, ist bemerkenswert. Der Kommentar zum Kinder- und Jugendhilfegesetz schreibt bei so harten Eingriffen vor der Anrufung des Familiengerichtes eine nochmalige sorgfältige Prüfung des Verdachts durch das Jugendamt vor. Dieses Amt dagegen schien bis zum Schluss an der Aufklärung des Falles desinteressiert. Familie S. hat sich beim Jugendamtsleiter über die Verschleppung des Falles beschwert. Eine Antwort bekam sie nicht. Am vergangenen Dienstag erhielt Peggy S. Post von der Staatsanwaltschaft. Sie hatte Anzeige erstattet gegen unbekannt, weil ihr Kind angeblich missbraucht worden war und niemand den Täter kannte. Misstrauisch schlich sie um den Brief herum. Ihr Kind war zwei Wochen in staatlicher Obhut, seit sieben Wochen darf ihr Mann nicht mehr nach Hause. Der Umgang mit sämtlichen Großvätern war untersagt. Katharinas Erzieherinnen üben sich seit den Missbrauchsvorwürfen in beredtem Schweigen. Nach den Erfahrungen im Jugendamt, die Peggy S. beschreibt, glaubte sie nicht mehr an gute Nachrichten. Anders als das Jugendamt hat sich die Staatsanwaltschaft jedoch mit dem Fall beschäftigt. Sie hat die "Beweis"-Videos von Katharinas Puppenspiel ihrer eigenen Psychologin zur Stellungnahme gegeben und kam zu einem klaren Schluss: "Ein sexueller Missbrauch hat nicht stattgefunden. Das Ermittlungsverfahren ist unverzüglich einzustellen." 

Die Staatsanwaltschaft hält selbst eine Begutachtung des Kindes nicht für vertretbar, weil nicht einmal ein Anfangsverdacht vorliege. Sie begründet detailliert, warum die "kritikwürdige suggestive Befragung" des Kindes durch die "offenbar unerfahrene" Therapeutin zu Falschaussagen und fatalen Konsequenzen führen könne. Peggy S. tanzte durch die Wohnung, sie meinte, der Albtraum sei vorbei. Zu früh. Hat sie etwa erwartet, ein Mitarbeiter des Jugendamtes stünde am nächsten Tag mit Blumen und einer Entschuldigung vor der Tür, wegen der falschen Anschuldigung, des zerstörerischen familiären Eingriffs? Nein. Aber hat das Jugendamt zumindest - wie bei der Inobhutnahme - augenblicklich das Familiengericht angerufen, um die Fehlentscheidung korrigieren zu lassen? Nein. Das Jugendamt fand den Brief der Staatsanwaltschaft, der am Dienstag bei Peggy S. eintraf, erst am Freitag. Der Sprecher des Bezirksamtes verstand die Aufregung nicht - auch die Staatsanwaltschaft könne irren. Die zuständige Sachbearbeiterin im Jugendamt, Frau Samland, machte gegenüber der Familie deutlich, dass sie keinen sofortigen Handlungsbedarf sehe, das Kind sei doch verhaltensauffällig. Nach einem Eilantrag der Familie kündigte die Richterin gestern an, ihr Urteil aufzuheben. Vorher wolle sie noch Rücksprache mit dem Jugendamt nehmen. Steffen S. hofft, dass er am heutigen Dienstag wieder bei seiner Familie einziehen kann. ------------------------------ "Ein Anfangsverdacht für sexuellen Missbrauch ist bei Katharina nicht zu begründen." Der Staatsanwalt über den Fall ------------------------------ Foto: Peggy und Steffen S. mit ihrer Tochter Katharina. Das Jugendamt hatte das Mädchen direkt aus dem Kindergarten abholen lassen.






Wichtige Informationen zu Gutachten im Familienrecht - Prävention GutachterUnwesenhttp://jugendamtwatch.blogspot.de/2013/10/wichtige-informationen-zu-gutachten-im.html 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen