Kampf ums Kind Wie Familiengerichte versagen
Kinder haben ein Recht auf beide Eltern. Das
verlieren Paare nach einer Trennung oft aus den Augen, wenn sie sich vor
Gericht ums Kind streiten. Familienrichter sind mit solchen Kämpfen
häufig überfordert. Zumal es Menschen gibt, die ein Interesse daran
haben, dass die Prozesse lang und teuer werden.
Ein Einfamilienhaus ohne Familie; ein Kinderzimmer
ohne Kind. Hier sitzt Tanja Krüger oft auf einem kleinen Korbstuhl und
blättert in den Bilderbüchern ihres Sohnes Jonathan. Sie ist eine
Akademikerin Mitte 40; langes dunkles Haar; sie geht einer geregelten
Arbeit nach, nimmt keine Drogen und ist nicht psychisch krank. Dennoch:
Seit dem 8. März 2012 ist das Zimmer von Jonathan verwaist.
"Es gibt so bestimmte Rituale, ich dekorier auch ab und zu sein Zimmer anders. Ich zünde immer vor seinem Foto die Kerze an, einfach so, und ich les oft seine Kinderbücher, die seine Lieblingsbücher waren."
Tanja Krüger, sie hat ihren Sohn seit drei Jahren nicht mehr gesehen
Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die Tanja
Krüger erzählt. Um sie und ihren Sohn zu schützen, haben wir ihre Namen
verändert. Nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten war die Zeit mit
Jonathan eigentlich genau aufgeteilt: Bis zu jenem Tag im März vor fast
drei Jahren, an dem der Vater sich weigert, das Kind zur Mutter zurück
zu bringen. Es beginnt ein Kampf ums Kind, der mit teils fragwürdigen
Mitteln geführt wird.
Beim Jugendamt gehen anonyme Briefe aus der
Nachbarschaft ein, die die Mutter belasten. Der viereinhalbjährige Sohn
soll sich beim Rasenmähen am Fuß verletzt haben. Die Mutter soll lieblos
zu dem Kind gewesen sein, es angeschrieen haben. Beweise dafür gibt es
keine. Auch das Jugendamt kommt später zu dem Schluss, dass es keine
Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gibt. Aber da ist es schon
zu spät, denn die Vorwürfe hatten ihren Weg in den Sorgerechtsstreit vor
Gericht gefunden.
Falsche Ratgeber im Kampf ums Kind
Der Mutter werden zunächst Teile des Sorgerechts entzogen, schließlich verliert sie es ganz.
"Also, bis vor wenigen Tagen ist der mir jeden Tag im Kindergarten auf die Arme gesprungen wie kaum ein anderes Kind. Die Verhandlung ging ganz schnell. Das waren gerade einmal 40 Minuten, danach war mein Kind weg."
Tanja Krüger, Mutter
Grundlage für die Entscheidung des Familiengerichts
sind unter anderem die Einschätzungen einer Frau, die sich als
Diplompsychologin ausgegeben haben soll und Jonathan für
therapiebedürftig hält. Tatsächlich aber hat sie nur eine Ausbildung zur
Heilpraktikerin. Sie muss sich mittlerweile vor Gericht verantworten:
wegen Titelmissbrauchs.
Die Rolle der Familienrichter
Wieso prüfen die Gerichte nicht genauer? Eine
mögliche Erklärung: Familienrichter entscheiden mit über das Schicksal
von Kindern, aber sie werden darauf nicht ausreichend vorbereitet, sagt
der pensionierte Familienrichter Jürgen Rudolph dem Funkstreifzug. An
deutschen Familiengerichten herrsche "eine katastrophale
Desinformation". Jürgen Rudolph erzählt, auch er selbst sei bei seiner
Berufung zum Familienrichter komplett ohne Vorbereitung in die neue
Aufgabe „hineingeworfen worden“. Er fordert eine bessere Qualifikation
der Familienrichter.
"Die Juristen sind über die Grundlagen eines Familienkonfliktes, insbesondere über die Umstände, was dort mit den Kinder eigentlich passiert, überhaupt nicht informiert, weil das nicht Gegenstand der Ausbildung ist."
Jürgen Rudolph, pensionierter Familienrichter
Das Bundesjustizministerium hält die derzeitige
Regelung dagegen für ausreichend, schreibt auf Anfrage, dass der
Fortbildungserfolg gerade von der „freiwilligen Motivation der
Teilnehmer“ abhängt. Das bayerische Justizministerium erklärt,
Familienrichter in Bayern müssen immerhin „verpflichtende
Einführungstagungen“ absolvieren.
Das System der Streitbewirtschafter
Zurück zum Fall Jonathan: Der Kontakt zwischen
Mutter und Kind bricht ab. Auch Freunde, Großeltern und andere
Familienmitglieder werden ausgegrenzt und sogar angezeigt, wenn sie wie
Jonathans Halbbruder versuchen, Kontakt mit Jonathan aufzunehmen. Tanja
Krüger soll auf Antrag der Anwältin des Vaters 500 Meter Abstand zu
ihrem Sohn halten. Das Gericht lehnt das zwar wegen Unverhältnismßigkeit
ab, der Umgang zwischen Mutter und Kind scheitert trotzdem. Die Gründe
dafür sind vielfältig, haben aber auch mit einem System zu tun, das sich
um das Kindeswohl nicht viel schert.
Da sind einmal die Eltern. Ihre Beziehung wird in
einem der Gerichtsbeschlüsse als "hochkonflikthaft" bezeichnet. Dann
sind da Anwälte, die unter Umständen ein Interesse daran haben, dass die
Verfahren lang und teuer werden. Die Nürnberger Rechtsprofessorin
Hildegund Sünderhauf-Kravets hat Fälle von ausgegrenzten Eltern
untersucht.
"Das hat auch etwas mit der Streitbewirtschaftungsindustrie zu tun: Denn es gibt einfach sehr viele Männer und Frauen, die ihr Geld damit verdienen, dass Sorgerechtsstreitigkeiten möglichst lange, möglichst hoch eskalieren."
Hildegund Sünderhauf-Kravets, Rechtsprofessorin aus Nürnberg
Lügen, Halbwahrheiten, Winkelzüge - im Kampf ums
Kind wird offenbar häufig nochmal Öl ins Feuer gegossen. Auch die
Ergebnisse einer Studie der medizinischen Fakultät der Universität
Tübingen sind erschreckend. Befragt wurden fast 1500 Elternteile, die
weniger Kontakt zu ihrem Kind haben als sie sich das wünschen.
Zusätzlich hat Hans-Peter Dürr viele Akten ausgewertet. Er beziffert die
Rate der Falsch-Vorwürfe am Familiengericht auf geschätzte 30 bis 50
Prozent der Fälle. Das Ergebnis der Studie: systematische Probleme am
Familiengericht. Täuschung von Gerichten, Falschbeschuldigungen und
Beeinflussung von Verfahren und Verfahrensbeteiligten werden in fast
jedem zweiten Fall genannt.
Anleitung zum Ausgrenzen?
Dem Funkstreifzug wird ein Mitschnitt zugespielt:
ein Seminar für Mütter zum Thema Umgangs- und Sorgerecht – abgehalten
von der Rechtsanwältin, die auch Jonathans Vater vertritt. Eine Art
Anleitung, um ein Elternteil auszugrenzen?
"Wenn Sie sagen, ich kann mit dem gar nicht kommunizieren. Ist ein Totschlagargument, hab ich auch schon benutzt."
Mitschnitt aus einem Seminar zu Sorgerechtsstreitigkeiten
Die Anwältin des Vaters ist nicht zu einem Interview
bereit. Am Telefon teilt sie mit, sie fühle sie falsch verstanden, die
Zitate aus ihrem Vortrag seien aus dem Zusammenhang gerissen. Über Tanja
Krüger sagt sie: Sie habe kein Interesse am Kind, nur daran, sich als
Opfer zu stilisieren. Tanja Krüger bestreitet das. Sonst würde sie ja
nicht weiterhin vor Gericht gehen, sagt sie.
Vor einem Monat hat ein Oberlandesgericht
entschieden: Es muss ein Umgang mit der Mutter hergestellt werden. Ein
Sozialpädagoge wird hinzugezogen. Doch der sagt den ersten Termin ab,
schreibt er sei nicht zuständig. Tanja Krüger hat ihren Sohn bis zum
heutigen Tag nicht gesehen.
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