Protokoll der Behörde
Fall Alessio: Kippte ein Mitarbeiter das Schutzkonzept im Alleingang?
Warum gab das Jugendamt im Fall Alessio den Dreijährigen in die
Obhut des Stiefvaters zurück? Laut einem Protokoll, das der BZ vorliegt,
war bei dem maßgeblichen Treffen mit der Mutter, dem Stiefvater und
einer Anwältin nur ein Mitarbeiter des Jugendamts anwesend. Die
Geschichte eines verhängnisvollen Fehlers.
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Am 14. Oktober 2014 hat nicht
nur Alessio einen rabenschwarzen Tag erwischt. Auch Herr X., so hat man
im Nachhinein den Eindruck, scheint zumindest mit dem falschen Fuß
aufgestanden zu sein. Sonst hätte er an diesem Morgen hoffentlich anders
reagiert. In seinem Büro, so ist dem Protokoll zu entnehmen, das das
Landratsamt dem Freiburger Regierungspräsidium überlassen hat, haben
sich an diesem Dienstag nicht nur ein kleiner dreijähriger Junge mit
einer schrecklichen Vorgeschichte und seine beiden Eltern versammelt.
Herr R. und Frau S., wie wir sie in der Folge nennen wollen, haben sich
diesmal Verstärkung mitgebracht – eine Anwältin. Eine ungemütliche
Situation für einen Sozialarbeiter, der begründen muss, warum die
Familie immer noch nicht zusammenleben darf.
Seine Großmutter habe einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, bedrängen
der Stiefvater und die Anwältin den Sachbearbeiter. Die aktuelle
Situation werde ihr zu viel. Denn dort ist der Kleine untergebracht.
Nachdem der Dreijährige aus Lenzkirch mit schweren Misshandlungen in die
Uniklinik eingeliefert worden war, war er mit seiner Mutter und
Schwester bei R.s Oma eingezogen – um vor dem Stiefvater in Sicherheit
zu sein, so die Vereinbarung mit dem Jugendamt.
Ohne bei der Großmutter den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte
nachzuprüfen, knickt Sachbearbeiter X. ein. "Vor diesem Hintergrund",
schreibt er in seinem Protokoll, "kann eine Rückführung von Frau S. und
ihren beiden Kindern in den Haushalt von Herrn R. schon heute...
erfolgen." "Die Umgangskontakte können ab sofort ohne weitere Aufsicht
gestaltet werden."
Das Schutzkonzept, so der fachmännische Ausdruck, das den kleinen
Alessio bis dato vor dem wahrscheinlich gewalttätigen Stiefvater retten
sollte, war damit über den Haufen geworfen. Und was nicht unwichtig ist:
X. fällt diese Entscheidung, so ist im Protokoll zu lesen, allein. Das
Amt rechtfertigte sich am Dienstag auf Anfrage, dem nötigen
Mehraugenprinzip sei durch Vor- und Nachbereitung des Treffens im Team
Genüge getan worden.
Wenn es um den Schutz eines bedrohten Kindes geht, lässt das
Sozialgesetzbuch wenig Spielraum. "Das Gefährdungsrisiko für ein Kind
kann immer nur im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte eingeschätzt
werden. Ebenso kann ein Schutzkonzept immer nur von mehreren
qualifizierten Fachkräften zusammen erstellt werden und es kann auch nur
von mehreren geändert werden", sagt Ludwig Salgo, Seniorprofessor mit
Schwerpunkt Familien- und Jugendrecht an der Universität Frankfurt sowie
Gutachter in Kinderschutzfragen, unter anderem für das
Bundesverfassungsgericht. Etwas so Gewichtiges wie die Frage, ob ein
Kind aus der Obhut seiner gewalttätigen, alkoholabhängigen,
vernachlässigenden Eltern genommen oder in sie zurückgegeben wird, darf
niemals eine Person im Jugendamt alleine entscheiden.
Für eine solche gemeinsame und zu protokollierende Entscheidung findet
sich allerdings kein Beleg in dem Bericht, mit dem das Landratsamt sein
Verhalten im Fall Alessio vor den Prüfern des Regierungspräsidiums (RP)
rechtfertigen musste – einen Verfahrensfehler entdeckte die Behörde
trotzdem nicht. Auch im Landratsamt bestreitet man den Alleingang des
eigenen Mitarbeiters. Schließlich habe man bereits zuvor im Team über
das weitere Vorgehen im Fall Alessio beraten – das von Herrn X. neu
entworfene Schutzkonzept wurde in dieser Form jedoch nie beschlossen,
geschweige denn protokolliert. Erst einen Tag später wurde die
Zusammenführung von Vater und Familie von einem Sozialarbeiter-Team
abgesegnet – zu spät, sagt Salgo. Nicht mehr als ein Formfehler, könnte
man sagen, aber die Geschichte des toten Alessio lehrt: Auch im
Kinderschutz sind es die vielen kleinen Fehler, die in die großen
Katastrophen münden.
Besonders irritierend wird der verhängnisvolle Beschluss vor dem
Hintergrund seines Zeitpunkts: Sechs Tage zuvor hatte die
Staatsanwaltschaft ihr Verfahren gegen Herrn R., Alessios Stiefvater,
eingestellt – mangels hinreichenden Tatverdachts. "Maßnahmen des
zuständigen Jugendamtes zum Schutz des Dreijährigen" erschienen den
Juristen in ihrem Schreiben aber, wie berichtet, dennoch "dringend
geboten". Und fünf Tage nach Erhalt des Briefes schickt der
Sachbearbeiter Herr X. das Kind wieder in die Obhut jenes mutmaßlichen
Täters zurück. Geschützt allein durch ein Maßnahmenpaket, das Alessio in
ähnlicher Version bereits ein Jahr zuvor nicht vor der brutalen Gewalt
hatte schützen können.
"Wir haben alles umgesetzt, was nach bestem Wissen und Gewissen machbar war." Dorothea Störr-Ritter, 19. Januar
Immerhin: Der Stiefvater schien sich laut dem Rechtfertigungsschreiben
des Landratsamts innerhalb von zwei Monaten zu einem völlig neuen
Menschen gemausert zu haben. Als jemand, "der keine geeignete
Problemeinsicht oder Bereitschaft zeigt, geeignete Hilfe in Anspruch zu
nehmen", hatte die Uniklinik in ihrem Arztbrief noch im August Herrn R.
beschrieben. Das Jugendamt kam Mitte Oktober zu einer ganz anderen
Einschätzung: "Reflektiert, ehrlich und bereit, sein Handeln mit
professioneller Hilfe zu ändern" – ein erstaunlicher Charakterwandel,
vor allem wenn man bedenkt, dass der angeblich so kooperative Klient
laut den internen Protokollen am 14. Oktober die Hälfte der
unterbreiteten Hilfsangebote ablehnt und gleichzeitig die weitere
Zusammenarbeit mit der Familienhelferin und den bisherigen Kinderärzten
verweigert.
Auch im Fall Kevin – der Zweijährige, der 2006 in Bremen tot und
misshandelt im Kühlschrank seines Stiefvaters aufgefunden wurde – hätten
die Eltern stets ihre Kooperationsbereitschaft demonstriert, darauf
weist Christine Köckeritz hin. "Trotzdem ging die Gewalt weiter", so die
frühere Jugendamtsleiterin, die heute an der Hochschule Esslingen für
Entwicklungspsychologie und Jugendhilfe zuständig ist. "Die zugrunde
liegenden Probleme werden nicht aus der Welt geschafft, indem die Eltern
sagen, wir kooperieren." Warum, fragt man sich, hat sich das eigentlich
nicht bis in den Kreis Breisgau-Hochschwarzwald herumgesprochen?
Einblutungen ins Gehirn wie nach Schlägen vor den Kopf, das Kinn ein
einziger Bluterguss, Oberkörper, Arme, Beine und Po übersät mit blauen
und gelben Flecken, auf den Schultern Hämatome in Form von Fingern, als
hätte jemand zu hart zugegriffen, der Hodensack ein kleiner gequetschter
dunkelblauer Bluterguss – trotz dieser ärztlichen Diagnosen bei Alessio
vier Monate zuvor entschied sich das Jugendamt Mitte Dezember, diesmal
allerdings im vorgesehenen Fachgremium, das Kind dem mutmaßlichen
Gewalttäter alleine anzuvertrauen, die Mutter war in eine Klinik
gebracht worden.
Ein Paket an Therapie- und Unterstützungsmaßnahmen sollte gleichzeitig
den Eltern Frust und Stress nehmen und ihre Bindung zu den Kindern
stärken. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie man heute weiß. Und
ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, wie nicht nur der Psychologe
Holger Reinisch meint: "Ein Mensch, der ein kleines dreijähriges Kind so
zusammenschlägt, hat ein massives Problem mit seiner Impulskontrolle.
Der hat sich nicht im Griff und hat nie gelernt, seinen Frust und seine
Gewaltimpulse zu zügeln", sagt der erfahrene Kinderschutzexperte und
Gerichtsgutachter. Diese Warnung hätten die Sachbearbeiter auch dem
Arztbrief der Uniklinik entnehmen können. "Solange man an dieser
Impulskontrolle nicht erfolgreich gearbeitet hat", so die Esslinger
Professorin Köckeritz, "muss man damit rechnen, dass es der Betreffende
trotz aller Beteuerungen nicht schafft." Die Zeitbombe in der Familie,
weiß man heute, tickte weiter. "Das Jugendamt hat nur versucht dafür zu
sorgen, dass sie zumindest keiner versehentlich auslöst", so Reinisch.
Natürlich sind die dunklen Ecken im Gehirn eines potenziellen
Gewalttäters nur bedingt auszuleuchten, sind die komplexen Strukturen
einer Familie nur schwer zu erfassen. Und genau wie jedem anderen
Menschen können auch Jugendamtsmitarbeitern Fehler passieren. Aber
erfahrene Kinderschutzexperten wissen auch: Man kann erfolgreich
versuchen, seine Fehlerquote zu senken. Und je mehr man über den Fall
erfährt, desto mehr festigt sich der Eindruck: Gerade an solchen
Versuchen hat es im Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald gemangelt.
So wird auch das beste Schutzkonzept schnell Makulatur, wenn man nicht
überprüft, ob es auch umgesetzt wird. Im Jugendamt wurde zwar bereits
Mitte August beschlossen, Alessios Eltern zu 14-tägigen Kontrollbesuchen
beim Arzt zu verpflichten. Aber anscheinend überwachte niemand, ob sie
dieser Auflage auch nachkamen. Als Mutter und Kind nach fast einem Monat
tatsächlich das erste Mal bei ihren Pädiatern in Bonndorf auftauchten,
hatte sich vonseiten des Amtes noch niemand bei diesen nach dem Stand
der Dinge erkundigt. "So etwas muss kontrolliert werden, sonst hat es
keinen Zweck", sagt Köckeritz. In der Zwischenzeit hätten "zwei externe
Termine bei anderen Fachstellen" stattgefunden, rechtfertigt sich das
Amt. In den Akten an das Regierungspräsidium findet sich dafür
allerdings kein Beleg.
Kinderärztin Monika Spitz-Valkoun, eine elegant gekleidete grauhaarige
Dame, die selbst in ihrer Aufregung noch gepflegt und analytisch wirkt,
und ihr Mann, der mit Wollpullover, Hemdkragen und dem grauen
Seitenscheitel auch nicht unbedingt das typische Bild eines
Obrigkeitsrebellen abgibt, nehmen kein Blatt vor den Mund: Man habe die
Sachbearbeiter des Jugendamtes vor der Lebensgefahr für den Jungen
gewarnt, habe Briefe geschrieben, den zuständigen Sozialarbeitern
hinterhertelefoniert, ohne Erfolg. "Unsere Bedenken wurden zur Kenntnis
genommen, hatten aber keinerlei Konsequenzen. Die haben sich eher
angegriffen gefühlt und wollten sich nicht reinreden lassen", erzählen
die Kinderärzte.
"Es war uns bekannt, dass der Vater das Kind damals geohrfeigt hat. Aber wenn wir alle Kinder, die jemals
geohrfeigt worden sind, wegen des Verdachts auf Kindeswohlgefährdung
gleich aus den Familien nehmen sollten, dann wäre der Auftrag der Kinder
und Jugendhilfe nicht erfüllt." Eva-Maria Münzer, Sozialdezernentin, 21. Januar
Dabei hätte man viel voneinander lernen können: Monika Spitz-Valkoun
hätte zum Beispiel die Möglichkeit gehabt, von ihrem Erlebnis mit
Stiefvater und Sohn zu berichten. Bei der Erinnerung scheint es sie
heute noch zu schaudern: "Jedes Kind hat Angst vor einer Spritze",
erläutert sie, Alessio aber hatte mehr Angst vor dem Stiefvater, der
gerade noch die Ärztin zusammengestaucht hatte. Das Brüllen reichte, um
den Stiefsohn zur Salzsäule erstarren zu lassen. "Es war unheimlich. Der
Junge hat während der Blutabnahme starr dagesessen, keine Miene
verzogen und keinen Piep gesagt." Im Jugendamt hat man das Verhältnis
zwischen Stiefvater und Stiefsohn ganz anders in Erinnerung: "Positiv,
innig, vertrauensvoll", zitieren die Sozialarbeiter gegenüber dem
Regierungspräsidium die Dorfhelferin, die auf dem Hof aushalf und welche
das Jugendamt mit ausgesucht hat. Die Frau, die so gute Noten für Herrn
R. vergab, war seine Cousine (!).
Regelmäßiger Austausch, Helferkonferenzen, enge Kooperation, darin sind
sich fast alle Fachleute einig, sind unverzichtbar in einem
Kinderschutzverfahren. Im Fall Alessio nimmt das Landratsamt stattdessen
nach der Entlassung des Jungen von der Station wochenlang keinen
Kontakt zu Uniklinik und Kinderärzten auf. Bei den Bonndorfer Ärzten, so
berichten sie selbst, rief Ende September dann ein
Jugendamtsmitarbeiter an, um sich über deren Einmischung zu beschweren.
Was man seitens des Landratsamts wiederum bestreitet.
Und selbst wenn es kein gemeinsames Auskommen gibt: "Wenn die
Einschätzungen der Fachleute so stark voneinander abweichen", sagt der
Jurist und einstige Vizepräsident des Deutschen Kinderschutzbundes,
Ludwig Salgo, "dann hätte man zumindest einen unabhängigen Gutachter
hinzurufen oder die Sachen beim Familiengericht klären lassen müssen."
Aber weder das eine noch das andere wurde getan.
Die ungenügende Zusammenarbeit ist kein Einzelfall: Im Vergleich der
südbadischen Jugendämter, darin sind sich das Freiburger
Kinderschutzzentrum und die Bonndorfer Kinderärzte einig, ist die
Zusammenarbeit mit dem des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald besonders
unerfreulich – nicht nur im Fall Alessio.
Für schlechte Kooperationskultur und antiquierte Vorgehensweisen gibt es
auch andere Indizien. Weil Kinder- und Jugendarbeit Kommunalsache ist,
gibt das Sozialgesetz zwar bundesweit die Richtung vor, die genauen
Schritte, die der Meldung einer akuten Kindeswohlgefahr zu folgen haben,
regeln die jeweiligen Städte und Landkreise aber mit eigenen
Verfahrensstandards.
In einer Untersuchung für den Kommunalverband Jugend und Soziales
Baden-Württemberg prüfte die Esslingerin Christine Köckeritz, wie gute
Standards auszusehen haben: Einschätzungshilfen in Form von Checklisten
müssten vorhanden sein, hält sie fest, Definitionen der wichtigsten
Gefährdungskonstellationen seien zu fordern, um Operationalisierungen –
Diagramme, die genau festlegen, wer wann was zu tun hat und zu welchem
Zeitpunkt Hilfe hinzugerufen werden muss – solle man sich bemühen. Im
Verfahrensstandard Breisgau-Hochschwarzwald sucht man all das
vergeblich.
Andere Jugendämter machen das Zusammensetzen mit anderen beteiligten
Fachleuten in Helferkonferenzen zur Pflicht – im Landratsamt hält man
schon die Kontaktaufnahme nur "gegebenenfalls" für nötig. Auch was
Arbeitskreise mit Kindergärten, Ärzten, Schulen, Therapeuten angeht,
lässt die Arbeit des Kreises Breisgau-Hochschwarzwald, so ist zu hören,
noch Wünsche offen, was aber auch für sehr viele andere Jugendämter
gilt.
Wir haben ein geordnetes, allgemein anerkanntes Verfahren zum
Kinderschutz, und wir haben es angewandt – versichert Landrätin Dorothea
Störr-Ritter. Über beides kann man streiten. Und selbst wenn es so war,
steht die Frage im Raum: Warum ist am Ende ein Kind tot, und wer trägt
dafür die Verantwortung?
Chronologie der Ereignisse
2011 als der Junge geboren wird, kümmert
sich bereits im Auftrag des Jugendamtes eine sozialpädagogische
Familienhilfe um die Familie.
Ende Juli 2013 wird der nun Zweijährige
erstmals im Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin an der Freiburger
Universitätsklinik behandelt. Die Ärzte sowie ein Rechtsmediziner haben
den Verdacht, dass er körperlich misshandelt worden ist, und melden dies
dem Kinderschutzzentrum als "groben Umgang". Das Jugendamt leitet
daraufhin ein Kinderschutzverfahren ein; zur Familienhilfe, die fünf
Stunden pro Woche vorbeischaut, stößt für acht Stunden am Tag eine
Dorfhelferin hinzu.
Ende Juli 2014: Wieder wird der nun
Dreijährige in die Freiburger Kinderklinik eingeliefert. Die Klinik
erstattet am 31. Juli Anzeige gegen unbekannt. An das Jugendamt des
Landkreises geht ein Schreiben hinaus, indem umstandslos erklärt wird:
Eine Rückkehr des Kindes in seine Familie sei nicht zu verantworten. Das
Landratsamt reagiert nach Standard: Ein erneutes Kinderschutzverfahren
kommt in Gang, und am runden Tisch erklären sich Mutter und Stiefvater
einverstanden, dass Mutter und Kinder (der Dreijährige und seine jüngere
Schwester) vom Stiefvater räumlich getrennt werden.
8. Oktober: An diesem Tag stellt die
Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Stiefvater ein – die
Beweislage reicht nicht aus, um ihn zu überführen, auch wenn bekannt
ist, dass er den Buben hin und wieder schlägt. Zumal ihn die Mutter –
sie habe ihn als "liebevollen Vater erlebt" – und zwei weitere Zeuginnen
entlasten: Mit seinen Erziehungsmethoden seien sie nicht immer
einverstanden, aber gewalttätig hätten sie ihn nicht erlebt.
Die Staatsanwaltschaft weist das Jugendamt ausdrücklich darauf hin, dass sie Handlungsbedarf sieht, um das Kind zu schützen.
Mitte Oktober stimmt das Jugendamt der Rückkehr von
Mutter mit den Kindern zum Stiefvater zu, macht aber Auflagen, die
Mutter und Stiefvater akzeptieren: Familientherapie, Mutter-Kind-Kur, zu
alle 14 Tage stattfindenden Kontrollen durch einen Kinderarzt.
29. Oktober 2014: Die Mutter tritt mit den Kindern eine Kur an.
10. Dezember: Die Mutter meldet sich aus der
Kur zurück; sie möchten die für die Familie vereinbarten Hilfen des
Jugendamtes fortführen. Die Familie lebt nun wieder unter einem Dach.
Mitte Dezember: Die Mutter muss stationär in einer
Klinik aufgenommen werden, ihr Lebensgefährte ist mit der leiblichen,
zehn Monate alten Tochter und dem Dreijährigen allein auf seinem
Bauernhof. Das Jugendamt ist informiert. Eine Dorfhelferin wird
eingesetzt, die für 25 Stunden in der Woche die Familie versorgt.
29. Dezember: Kontrollbesuch des Kinderarztes.
14. Januar: Die Familientherapie beginnt, der Stiefvater nimmt teil.
16. Januar: Der Stiefvater erscheint beim
Kinderarzt, das leblose Kind auf dem Arm. Es sei die Treppe
hinuntergefallen. Eine Stunde später wird der Dreijährige für tot
erklärt.
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