Informationen des Jugendamtes Bochum
Was hat sich in Bochum getan? Es gab 3 Anfragen der Politik an die Verwaltung zu den Maßnahmen des Bochumer Jugendamtes im Ausland. FDP/ UWG, STADTGESTALTER und Piraten hatten eine gemeinsame Anfrage gestellt, CDU und Grüne jeweils eine eigene (Tagesordnungspunkte 4.7 – 4.9). Die SPD und die anderen Fraktionen stellten keine schriftlichen Anfragen.
Die Sozialdezernentin und das Jugendamt beantworteten in einer Mitteilung und einer öffentlichen Informationsveranstaltung für die Ratsmitglieder die gestellten Fragen ausführlich. Die Handlungsweisen beim Jugendamt Bochum hinsichtlich der Jugendhilfe-Maßnahmen im Ausland scheinen - anders als in Gelsenkirchen oder Dorsten - korrekt, nachvollziehbar und fallbezogen erfolgt zu sein. Der Ablauf, der zu einer solchen Maßnahme führt und die Kontrolle erscheinen gut organisiert und wirksam zu sein. Das Jugendamt wird zu einigen Fragen noch schriftlich antworten, deren Beantwortung kurzfristig noch nicht möglich war.
Individualpädagogische Maßnahmen im Ausland sind für Jugendliche, im Ausnahmefall auch schon für Kinder, ein letzter Ausweg, um ihr Leben in den Griff zu bekommen. Sie sind im Gegensatz zu anderen Jugendhilfemaßnahmen sehr erfolgreich. Dies belegt eine Reihe von Studien.
Nicht entkräftet werden konnte der Verdacht, dass die Träger, darunter die Life Jungendhilfe GmbH des SPD-Ratsmitgliedes Gerhard Lichtenberger, den Jugendämtern entsprechende Maßnahmen zu beträchtlich überhöhten Preisen verkauft haben und die Jugendämter nicht in der Lage sind, die tatsächlichen Kosten der Träger abzuschätzen.
Gegenüber den Jugendämtern geben die Träger in ihren Leistungsbeschreibungen Tagessätze z.B. für Unterkunft, Verpflegung, Betreuung u.ä. an. Wie viel der Betreuer vor Ort von diesen Sätzen tatsächlich erhält und wie viel davon der private Träger vereinnahmt, geht aus diesen Sätzen jedoch nicht hervor.
Der Fall Paul
Betrachten wir dazu näher den „Fall Paul“: Der örtliche Betreuer hat erfolgreich eine Ausbildung zur Betreuung von ungarischen Heimkindern absolviert. Er ist im ersten Beruf, Handwerker und hat an einer 60-stündige Fortbildung, davon 15 Stunden im Selbststudium durch ein Schulungszentrum für Individualpädagogik teilgenommen. Es gab vor Ort nur diesen Betreuer. Diese Fakten sind unbestritten.
Laut einer Quelle, die ungenannt bleiben will, wurde diese Schulung von der inpäd- Schulungs-Centrum für Individualpädagogik GmbH, die ebenfalls Herrn Lichtenberger gehört, im Schulungszentrum Himmelreich, das wiederum der Life Jugendhilfe GmbH gehört, durchgeführt. Die Kosten der Schulung trug der Betreuer.
Der Betreuer von Paul hat laut Life bereits zwei Jugendhilfemaßnahmen erfolgreich durchgeführt, dies wurde durch eine weitere Quelle bestätigt.
Monitor, die Verwandten von Paul und die Life Jungendhilfe befinden sich im Streit darüber, ob die in der Reportage gezeigten Bilder alle den Hof abbilden, auf dem der Junge lebt oder auch zu einem benachbarten Areal gehören (lokalzeit 08.05.15). Auch erklärte Life, der Betreuer verfüge „über ausreichende Deutschkenntnisse, um sich nicht nur mit dem Jugendlichen“ und der „Life Jugendhilfe schriftlich und mündlich zu verständigen“. Dies bestreiten die Redakteure von Monitor, wie die Verwandten, die ebenfalls in Ungarn waren und mit dem Betreuer gesprochen haben.
Das Jugendamt Dorsten hat mittlerweile ein Foto veröffentlicht, das Zimmer und Bad von Paul zeigt (Raum von Paul).
Weiterhin ist unbestritten, dass Paul 4 Stunden in der Woche Webunterricht in einer Schule erhielt, die laut Gerhard Lichtenberger im benachbarten Dorf, etwa 45 Minuten Fußweg entfernt von dem Hof, lag, da dieser nicht über Internet verfügt. Die Beschulung erfolgte aufgrund des Therapieplans. Dafür wurde auf Vorschlag der Life Jugendhilfe bei der Web-Individualschule GmbH, Alleingesellschafter ebenfalls Gerhard Lichtenberger, Geschäftsführerin seine Tochter Sarah Lichtenberger, ein Schulungspaket gebucht, das eine Beschulung von 30 Stunden in der Woche vorsieht und 787 Euro pro Monat kostet.
Doch wie hoch sind die tatsächlichen Kosten der Betreuungsmaßnahme in Ungarn? Erzieher verdienen in Ungarn im Schnitt 400 Euro pro Monat, Ärzte 1.500 Euro. Die reine Verpflegung, Unterbringung und Betreuung vor Ort in Ungarn dürfte also tatsächlich mit maximal 2.000 bis 3.000 Euro Kosten verbunden sein.
Nach Angaben von Life wurde Paul durch die zuständige Koordinatorin der LIFE Jugendhilfe (Jennifer Krautscheid-Steffen, ebenfalls eine Tochter von Gerhard Lichtenberger) in Begleitung einer Psychologin oder einer Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) Datteln besucht.
Das Jugendamt Dorsten hat in den ersten 7 Monaten der Maßnahme die Projektstelle in Ungarn nicht besucht. Der Vormund von Paul war erstmals nach knapp 7 Monaten vor Ort. Die Mutter war nicht vor Ort.
Laut Life Jugendhilfe GmbH werden sämtliche Besuche von Personensorgeberechtigten sowie Angehörigen anlässlich von Hilfeplangesprächen und Elternbesuchen finanziert, wurden also die Kosten für den Tagesbesuch des Vormundes ebenfalls übernommen.
Weiter trägt die LIFE Jugendhilfe GmbH sämtliche eigenen Personal- und Verwaltungskosten, sowie die therapeutische und medizinische Begleitung der individualpädagogischen Maßnahmen im In- und Ausland.
Für die genannten Leistungen hat Life im konkreten Fall 7.000 Euro pro Monat in Rechnung gestellt. Dies ist ebenfalls unbestritten.
Damit erhärtet sich der Verdacht, dass dieser Preis beträchtlich überzogen ist und in keinem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten steht.
Der jetzt geschlossene Vergleich im „Fall Paul“ vor dem Familiengericht zeigt überdies, dass eine Betreuung in Deutschland in diesem Fall möglich gewesen wäre und im „Fall Paul“ auch nach Meinung des Familiengerichtes keine Indikation bestand, die zu einer Betreuung in einer deutschen Pflegefamilie im Widerspruch steht. Zum Vergleich, die Pflegefamilie in Deutschland erhält jetzt einen Pflegesatz von 858 Euro im Monat, ggf. noch ein erhöhtes Pflegegeld zur Abdeckung zusätzlicher Sachkosten und Kosten der Erziehung (Informationen zu den Pflegegeldsätzen).
Die in der Presse gezogenen Kostenvergleiche zur Unterbringung von Jugendlichen in geschlossenen Jugendeinrichtungen in Deutschland sind verfehlt, da in Ungarn von dem Betreuer eine vollständig andere Leistung erbracht wird als in den geschlossenen Einrichtungen in Deutschland. Die im „Fall Paul“ erfolgte Betreuung in Ungarn entspricht vielmehr einer Unterbringung in einer Pflegefamilie, entsprechend ist hierzu ein Kostenvergleich zu ziehen.
Zustimmung des Rates zu Verträgen der Stadt mit dem Ratsmitglied Lichtenberger
Ein weiterer Sachverhalt muss noch aufgeklärt werden. Gemäß § 15 Hauptsatzung der Stadt Bochum gilt: Verträge der Stadt mit einem Mitglied des Rates bedürfen der Zustimmung des Rates.
Mindestens in einem Fall besteht mit der Life Jugendhilfe GmbH ein Vertragsverhältnis mit der Stadt seit 2008. Gerhard Lichtenberger ist seit 2009 Ratsmitglied für die SPD. Die Maßnahme besteht noch heute, da sie immer wieder verlängert wurde. Also muss es entsprechende Vertragsverlängerungen gegeben haben, die einer Zustimmung des Rates bedurft hätten. Bis Ende 2012 war Gerhard Lichtenberger Alleingesellschafter der Life Jugendhilfe GmbH, erst danach übertrug er jeweils 20% der Anteile an seine beiden Töchter.
Als wirtschaftlicher Alleingesellschafter und Geschäftsführer wären Zustimmungen vom Rat einzuholen gewesen. Diese Zustimmungspflicht besteht auch dann, wenn sich Gerhard Lichtenberger bei den Verträgen einer von ihm beherrschten juristischen Person (Life Jugendhilfe GmbH) bedient.
Fazit
Aus den vorliegenden Informationen lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Die Kostenaufschlüsselungen von derartigen Maßnahmen müssen überarbeitet und geändert werden. Für die Jugendämter vor Ort muss aus den Leistungsbeschreibungen hervor gehen, wie viel Geld die Betreuer vor Ort für welche Leistungen erhalten.
Zum anderen muss sich insbesondere die SPD überlegen, was für Konsequenzen sie aus der Vorgehensweise von Gerhard Lichtenberger zieht. Die Verantwortlichen sehen sich in einem Dilemma (WAZ vom 04.05.15). Bleibt das Handeln folgenlos, dürfte dies als Signal zu werten sein, dass die Genossen es richtig finden, wenn ein Ratsmitglied die Jugendämter übervorteilt.
Volker Steude
Die STADTGESTALTER - politisch aber parteilos
BoWäH - Bochum und Wattenscheid ändern mit Herz
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Gut recherchiert Volker. Jetzt weiß die SPD in Zukunft was beim klüngeln alles zu beachten ist und wer darüber wacht.
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