22.01.15

Prozess gegen Psychotherapeut

Ferndiagnose via Ehefrau

Das Münchner Justizzentrum. Hier musste der Mediziner zu seiner rätselhaften Ferndiagnose über einen ihm unbekannten Mann Auskunft geben.

(Foto: Jakob Berr)
Unberechenbar, kalt, rücksichtslos? Ein Arzt attestiert einem Mann "krankhafte Verhaltensweisen" - ohne ihn gesehen zu haben. Alle Beschreibungen stammen von dessen Ehefrau. Eine Konstellation, die an den Fall Gustl Mollath erinnert.
Von Klaus Ott
 
 
Dieser Mann, so steht es im Attest, ist psychisch gestört. Er sei unberechenbar, kalt und rücksichtslos, neige zu Wutausbrüchen, leugne Tatsachen und verdränge die Konflikte, die durch seine "krankhaften Verhaltensweisen" entstünden. Seine Frau leide schwer darunter. Andererseits könne ihr Mann charmant, gewinnend und verständnisvoll sein, wenn er bei der Gattin etwas erreichen wolle.
Der Verfasser des Attests, ein schon etwas älterer Arzt und Psychotherapeut aus München, warnte eindringlich vor drohenden Exzessen. Solch eine Persönlichkeitsspaltung könnte "sehr gefährlich für die unmittelbare Umgebung sein". Kein Wunder, dass die Frau sich von ihrem Mann trennte und das Sorgerecht für die Kinder erhielt. Die Gattin hatte das Attest beim Bezirksgericht Meilen bei Zürich in der Schweiz eingereicht. Und das wiederum entschied, dass der Vater die Kinder lediglich drei Stunden pro Woche sehen dürfe. Und das auch nur in Gegenwart anderer Personen. Sicher ist sicher.

Wie bei Gustl Mollath: Ferndiagnose via Ehefrau

 

Jetzt hatte das alles ein juristisches Nachspiel in München. Denn der Arzt, der den alarmierenden Befund formulierte, hat den von ihm für schwer gestört erklärten Mann nie gesehen, geschweige denn untersucht. Das gab der Mediziner am Mittwoch in einem berufsgerichtlichen Verfahren vor dem Münchner Landgericht unumwunden zu. Das Attest habe einzig und allein auf den Angaben der Frau beruht, die den Mediziner aufgesucht und sich von ihm habe behandeln lassen, heißt es in einem Gerichtsbeschluss zu diesem Verfahren, das auf Antrag des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbandes München in Gang kam.

Nach dem Freispruch Wie es für Gustl Mollath weitergeht 

 

Seit gut einem Jahr ist Gustl Mollath frei, seit wenigen Stunden ist der 57-Jährige auch freigesprochen. Was er über das Urteil denkt? "Das kann man so nicht hinnehmen." Sein Kampf ist noch nicht vorbei. Analyse
Ferndiagnose via Ehefrau. Das erinnert stark an Gustl Mollath, der über sieben Jahre lang seiner Freiheit beraubt worden war, weil ihn mehrere psychiatrische Sachverständige nacheinander für krank und gefährlich erklärt hatten. Darunter war auch eine Fachärztin gewesen. Sie attestierte, es sei davon auszugehen, dass Mollath "mit großer Wahrscheinlichkeit an einer ernst zu nehmenden psychiatrischen Erkrankung" leide. Einzige Quelle der Medizinerin war Mollaths Ehefrau gewesen.
Weitere Gutachter kamen ebenfalls zu fragwürdigen Ergebnissen, mit der Folge, dass Mollath weggesperrt wurde. Ein eklatantes Versagen von Justiz und Psychiatrie. So schlimm sind die Folgen des Münchner Attests nicht, aber sie sind schlimm genug. Wer will schon von einem Arzt, den er nie gesehen habe, gleichsam für verrückt erklärt werden?

Wie manche Atteste zustande kommen

 

Der Ärzteverband gelangte zu dem Ergebnis, es liege ein Verstoß gegen die Berufsordnung vor. Ein Mediziner habe bei der Ausstellung von Gutachten nach bestem Wissen und "mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren". Atteste ohne Untersuchung, das ist Richter Joachim Eckert, der diese Causa bearbeitet, inzwischen gewohnt. Eckert ist ein Jurist für besondere Fälle. Er hat als Vorsitzender der sechsten Strafkammer am Landgericht München I über Schmierereien bei deutschen Rüstungsexporten nach Griechenland geurteilt; bei ihm läuft ein Verfahren wegen des Desasters der Bayerischen Landesbank; und er soll helfen, beim korruptionsanfälligen Fußball-Weltverband Fifa für saubere Verhältnisse zu sorgen.
Seit einigen Jahren leitet Eckert neben Strafprozessen auch berufsgerichtliche Verfahren für die Arztbranche, bei denen Standesverstöße geahndet werden, zum Beispiel mit Verweisen oder Geldbußen. Wie Atteste manchmal zustande kommen, darüber hat Eckert inzwischen viel gelernt.
Er hatte den Fall eines Arztes auf dem Tisch, der zufälligerweise kurz vor den Ferien besonders vielen Kindern bescheinigte, dass sie krank seien und nicht zur Schule gehen könnten. Die Kinder waren aber, wie sich hinterher herausstellte, völlig gesund. Die Eltern hatten schlicht und einfach schon vor Beginn der Ferien in Urlaub fahren wollen. Und sei es nur, weil die Flüge da noch recht günstig sind.

Verstoß gegen die Ärztepflicht

 

Das klingt harmlos, verstößt aber genauso gegen die Ärztepflicht wie bei anderen, sehr viel krasseren Vorkommnissen. Bei Eckert stand schon mal ein Arzt vor Gericht, der einer Patientin, die gar nicht bei ihm in der Praxis gewesen war, ein Attest ausgestellt hatte. Einfach so. Die Frau war in einen Kriminalfall aus dem Rotlichtmilieu verwickelt und sollte als Beschuldigte bei der Polizei aussagen. Stattdessen schickte sie das Attest, um das ihr Anwalt den Mediziner gebeten hatte. Der Polizei kam die plötzliche Unpässlichkeit verdächtig vor. Die Kriminaler fuhren bei der Frau vorbei, trafen sie aber nicht zu Hause an. Stattdessen weilte die angeblich Kranke auf einem Reiterhof, wo die Polizei ihrer fündig wurde. Hoch zu Ross.

Und jetzt das Verfahren mit dem laut Attest angeblich sehr aggressiven Ehemann. So gehe das nicht, belehrte Richter Eckert den Arzt eindringlich. Solch ein Attest sei ein "Köcher mit Giftpfeilen". Einer der beiden beisitzenden, ehrenamtlicher Richter, selbst ein Mediziner, redete seinem Berufskollegen eindringlich ins Gewissen. Der Arzt habe doch gar nicht wissen können, ob das überhaupt stimme, was seine Patientin erzähle. "Es hätte doch sein können, dass die Frau ihren Mann hinhängen will."
Der Arzt verteidigte sich mit dem Hinweis, er habe eine Bedrohung der kleinen Kinder des Ehepaares gespürt und sich verpflichtet gesehen, Unheil zu verhindern. Er sehe aber ein, dass dies der falsche Weg gewesen sei, und würde das gerne wieder rückgängig machen. "Ich freue mich, wenn das jetzt zu Ende ist".
Der Arzt kam, weil er seinen Fehler offen zugab, mit 5000 Euro Geldbuße davon. Die darf er sogar in Raten abstottern. Fünf Monate lang, jeweils 1000 Euro.

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