Die
Bewährungsstrafe für einen Ex-Haasenburg-Mitarbeiter wegen sexuellen
Missbrauchs geht in Ordnung. Die Urteilsbegründung nicht.
LÜBBEN taz | Der erste Prozess gegen einen
ehemaligen Erzieher der Haasenburg GmbH war lange erwartet worden. Über
ein Jahr ist es her, seit das Jugendministerium Brandenburg dem
Haasenburg-Betreiber die Betriebsgenehmigung entzogen hatte. Über
anderthalb Jahre waren vergangen, seitdem die Staatsanwaltschaft Cottbus
ihre Ermittlungen aufgenommen und seitdem 50 Beamte bei einer Razzia
alle drei Standorte des Heimbetreibers durchsucht hatten.
Doch gestern dauerte es nur wenige Minuten,
dann erklärte Richter Rainer Rörig im Amtsgericht Lübben, die
Verhandlung sei nun für die Öffentlichkeit geschlossen. Der Anwalt des
Angeklagten, Michael Amman, stellte zudem den Antrag, dass selbst bei
der Urteilsbegründung die Öffentlichkeit auszuschließen sei.
Der Angeklagte legt eben erst den Aktenhefter
nieder, mit dem er sich vor den Fernsehkameras geschützt hatte, da liest
Staatsanwältin Jessica Hansen im Stakkato ihre Anklageschrift vor, als
wollte sie diese Sache möglichst schnell hinter sich bringen. Sie liest
die einzelnen sexuellen Handlungen vom Blatt ab, geht mitunter ins
Detail.
Hansen liest vor, wie der damalige Erzieher
insgesamt sechs Mal an einer 15-jährigen Haasenburg-Insassin sexuelle
Handlungen ausgeübt hatte. Dabei sei es zum Geschlechtsverkehr gekommen,
auf einem Stuhl, auf dem Rücksitz eines Autos, das der Angeklagte im
Wald geparkt hatte, und im Dachgeschoss. In einem Fall habe er mit dem
Mädchen Sex gehabt, obwohl eine weitere Insassin im Zimmer war.
Öffentlichkeit wird ausgeschlossen
Nach
kaum einer Minute gibt Richter Rörig dem Antrag des Strafverteidigers
statt, die Öffentlichkeit auszuschließen. Als Grund nennt er die
sexuellen Details, die zur Fallerörterung nötig seien. Der Schutz der
Privatsphäre des Angeklagten würde hier das Interesse der Öffentlichkeit
überwiegen. Da waren freilich wegen der Anklageschrift bereits einige
Details im Raum. Insgesamt wurde die Öffentlichkeit in der einstündigen
Verhandlung zweimal ausgeschlossen.
Richter Rörig verhängte schließlich eine
Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren und folgte damit exakt dem Antrag
der Staatsanwaltschaft. Zudem muss der 29-jährige Täter 1.000 Euro an
eine Behinderteneinrichtung zahlen. Das Opfer, inzwischen 16 Jahre alt,
und seine Mutter waren nicht durch einen Nebenklage-Anwalt vertreten.
Das Geschehen wurde nur von Verteidiger, Richter und Staatsanwalt
bestimmt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Das Strafmaß scheint angemessen. Doch in
ihren Begründungen lassen sowohl Richter wie auch Staatsanwältin
durchblicken, dass sie die Gesamtsituation in den Haasenburg-Heimen
verkennen. Das Opfer befand sich rund anderthalb Jahre in der
Haasenburg-Niederlassung in Neuendorf am See. Der Bezugserzieher R., der
als Ergotherapeut angestellt war, begann mit dem Mädchen im November
2013 die Beziehung, die dazu führte, dass sich das Mädchen auch
Vergünstigungen im Form von Zigaretten verschaffte. „Einvernehmlich“
nennen Staatsanwältin und Richter eine solche Beziehung.
Die Vorwürfe:
Im Juni 2013 berichtete die taz als erste Zeitung umfassend über
Misshandlungsvorwürfe in Jugendheimen der Haasenburg-GmbH in
Brandenburg. Der freie Träger hatte in Brandenburg drei Heime mit 114
Plätzen, wo Kinder und Jugendliche aus mehreren Bundesländern
geschlossen untergebracht waren.
Die Schließung: Die damalige brandenburgische Jugendministerin Martina Münch (SPD) ordnete daraufhin eine Untersuchung an. Eine Kommission stellte im Oktober 2013 gravierende Mängel fest, sodass die Haasenburg-Heime im Dezember 2013 geschlossen wurden.
Die Ermittlungen: In rund 50 Verfahren wird gegen Erzieher und Betreiber der Haasenburg-Heime Vorwürfe wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung ermittelt.
Die Schließung: Die damalige brandenburgische Jugendministerin Martina Münch (SPD) ordnete daraufhin eine Untersuchung an. Eine Kommission stellte im Oktober 2013 gravierende Mängel fest, sodass die Haasenburg-Heime im Dezember 2013 geschlossen wurden.
Die Ermittlungen: In rund 50 Verfahren wird gegen Erzieher und Betreiber der Haasenburg-Heime Vorwürfe wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung ermittelt.
„Einvernehmlich“ im geschlossenen System?
Ist
dies in einem geschlossenen System wie der Haasenburg möglich gewesen?
Das Mädchen musste sich ihre Freiheiten nach dem dort herrschenden
Stufenmodell „erarbeiten“. Wie freiwillig kann eine Beziehung zu einem
Erzieher sein, dem die Insassen zu gehorchen hatten? Auf die Anhörung
des Opfers als Zeugin verzichtet das Gericht, was der Richter ebenfalls
mit den sexuellen Details begründete, die der heute 16-Jährigen
unangenehm seien. „Das Urteil ist in Ordnung“, kommentierte das Mädchen
den Richterspruch.
Zugunsten des Angeklagten führt der Richter
an, es handle sich hier „nicht um den klassischen Fall“ vom Missbrauch
Schutzbefohlener, wie ihn sich der Gesetzgeber vorgestellt hat.
Inzwischen übt der Angeklagte einen neuen Beruf aus – ohne Kontakte zu
Kindern.
Auch an dieser Stelle lässt der Richter
mangelndes Wissen aufscheinen: „Es gab kein Über- und
Unterordnungsverhältnis.“ Davon kann niemand ausgehen, der sich näher
mit der über zehnjährigen Skandalgeschichte der Haasenburg-GmbH
beschäftigt hat. Es habe eine emotionale Bindung bestanden, bekräftigt
der Richter dennoch, die „offenbar beidseitig war“.
"Sie war damals fünfzehn"
Auf
dem Gerichtsflur angesprochen, ob es ein Liebesverhältnis war, sagte
das Opfer, sie fände es richtig, dass R. verurteilt worden sei. „Sie war
damals fünfzehn“, ergänzt ihre Mutter. Noch vor Urteilsverkündung sagte
sie der taz, dass bei einer 15-Jährigen schwerlich von einer
einvernehmlichen „Liebesbeziehung“ gesprochen werden könne. Sie erzählt,
dass der Erzieher R. ihr eines Tages am Telefon eröffnet habe, dass er
eine Beziehung zu ihrer Tochter eingehen wolle. Da habe sie die Polizei
eingeschaltet. Mit anderen Erziehern der Haasenburg sei sie zufrieden,
räumt die Mutter ein.
Der Vorfall ereignete sich im November 2013.
Nur einen Monat später entzieht das Ministerium in Potsdam dem
Betreiber die Betriebsgenehmigung. Die Tat geschah also in einer Zeit,
in der die Firma längst in der öffentlichen Kritik stand. Hätte das
strafwürdige Verhältnis also durch entschiedeneres Verhalten der
Behörden verhindert werden können? Im Juni 2013 dokumentierte die taz
brisante Unterlagen des Betreiber. Nur zwei Tage später sah sich die
damalige Ministerin Martina Münch (SPD) genötigt, eine
Untersuchungskommission einzuberufen.
Dennoch agieren die Behörden bis heute
unglaublich zäh. Auch die Staatsanwaltschaft selbst, die mit der
Aufklärung befasst ist. So bestritt die Oberstaatsanwältin Petra Hertwig
zunächst gar die Grundlage für Ermittlungen. Noch Tage nach dem
taz-Bericht sagte sie, dass sie „keinen Ermittlungsansatz“ gegen die
Haasenburg-GmbH sehe.
Panikattacken bei LDS-Autokennzeichen
Dabei
leiden bis heute viele der ehemaligen Insassen von Heimen der
Haasenburg-GmbH, wie taz-Recherchen belegen. Eine junge Frau aus Sachsen
berichtete, was sie bis heute zu erdulden habe. Sie bekomme schon
Panik, wenn sie auf der Straße ein Auto mit Kennzeichen LDS für
„Landkreis Dahme-Spreewald“ sehe – wie sie die Fahrzeuge der Mitarbeiter
der Haasenburg-GmbH hatten.
Eine andere ehemalige Heim-Bewohnerin, die in
einer Stadt nahe der polnischen Grenze wohnt, berichtet, sie begegne
auf der Straße immer wieder einem Mann, in dem sie einen ehemaligen
Mitarbeiter des Heims wiederzuerkennen glaubt. Sie fühle sich verfolgt.
Sie habe nach ihrer Strafanzeige im August 2013 nichts mehr von der
Staatsanwaltschaft gehört.
Eine junge Frau, die von 2009 bis 2011 in
einem der Haasenburg-Heime lebte, berichtet, sie habe Strafanzeige wegen
ihrer dortigen Behandlung stellen wollen. Sie sei jedoch im November
2013 bei der Polizeiwache Potsdam-Mitte abgewiesen worden. Die Beamten
hätten ihr erklärt, Anzeige könne nicht jeder erstatten. Das Gericht
suche sich die Leute aus, mit dem es sprechen wolle. Auf Nachfrage
erklärte die Potsdamer Polizeidirektion, es seien keine ehemaligen
Bewohner der Haasenburg-Heime weggeschickt worden. Offenbar besteht nach
wie vor bei Teilen der Behörden Skepsis gegenüber Haasenburg-Opfern.
Lob von der Staatsanwältin
Die
Haasenburg-GmbH hingegen erhält Lob. Staatsanwältin Hansen zollte den
Betreibern Anerkennung, dass sie nach Bekanntwerden des Missbrauchs dem
späteren Angeklagten umgehend kündigten – als wäre es nicht eine
Selbstverständlichkeit, jenen Mitarbeitern zu kündigen, die sich einer
Misshandlung Schutzbefohlener schuldig gemacht haben. Auf Nachfrage der
taz wollte sich Hansen nach der Verhandlung nicht zu ihrer Einlassung
äußern.
Bisher sind drei Anklagen der
Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der Haasenburg-GmbH beim
Amtsgericht Lübben eingereicht worden. Beim zweiten Prozess, der für
Anfang März angesetzt ist, geht es um Körperverletzung. Laut
Oberstaatsanwältin Hertwig sollen noch fünfzig Ermittlungen geführt
werden. Auf das lange Schweigen der Staatsanwaltschaft angesprochen,
sagte Hertwig der taz, dass dies ein gutes Zeichen sei. Denn das deute
darauf hin, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien.
Die Ermittlungen gegen den Geschäftsführer
Mario Bavar und den Betreiber der Firma, Christian Dietz, seien noch
offen. Sie gestalteten sich schwierig.
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