Warum ohne seine Tochter?
Das Bundesverfassungsgericht klopft psychologischen
Gutachtern auf die Finger. Damit stärkt es Eltern den Rücken, denen das
Jugendamt ohne Not ein Kind wegnehmen will. Ein Fall statuiert ein
Exempel.
© dpa
Es geht um Fälle, in denen der Staat ungerechtfertigt in private Lebensverhältnisse eingreift.
Was
für ein Satz, der jetzt vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts
in Karlsruhe zu lesen ist, ein Satz der Bodenständigkeit, Gelassenheit
und Vernunft: „Die Eltern und deren sozio-ökonomische Verhältnisse
gehören grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.“ Da
möchte man eigentlich nur wissen: Wer wollte diese höchstrichterliche
Anthropologie bestreiten? Wer wollte bestreiten, dass man sich seine
Herkunft nicht aussuchen kann, im Guten wie im Schlechten? Dass man
allenfalls versuchen kann, für sich persönlich das Beste aus ihr zu
machen?
Zäsur für das gerichtliche Gutachterwesen
Mehr als ein halbes Dutzend Mal haben die Karlsruher Richter in diesem Jahr Jugendämter und Gerichte gerügt, weil sie Eltern ohne tragfähige Begründung das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen haben. Dabei geht es selbstverständlich nicht um jene vergleichsweise wenigen, aber stark beachteten Fälle von schlimmer Verwahrlosung, bei denen das Jugendamt zu Recht und mitunter bedauerlicherweise auch zu spät einschreitet. Nein, stattdessen geht es um die vielen Fälle alltäglicher Denormalisierung, in denen der Staat unbotmäßig in private Lebensverhältnisse eingreift.
Jetzt hat, so sieht es aus, das Bundesverfassungsgericht in einem besonders fahrlässig gehandhabten Fall ein Exempel statuiert. Der Beschluss ist ein Dokument des Augenmaßes (Az. 1 BvR 1178/14) und dürfte eine Zäsur für das gerichtliche Gutachterwesen sein. Im Detail werden hier die Ansichten einer Sachverständigen dekonstruiert, welche maßgeblich dafür verantwortlich war, dass einem um Asyl ersuchenden Afrikaner zu Unrecht das Sorgerecht für seine Tochter aberkannt wurde. Zumal die beiden Fachgerichte werden gerügt, die ohne Wenn und Aber das fragliche Gutachten zur Grundlage ihrer nun aufgehobenen Entscheidung gemacht haben.
Mit geradezu spöttischem Unterton
Das Gutachten sei, so Karlsruhe, erkennbar nicht geeignet, die behauptete Kindeswohlgefahr aufzuklären: „Das hätten die Gerichte bei der Verwertung der Feststellungen des Sachverständigengutachtens berücksichtigen und die Feststellungen eigenständig auf ihre rechtliche Relevanz hin auswerten müssen. Dies ist nicht in der gebotenen Weise geschehen.“ Die Fachgerichte werden also ausdrücklich in die Pflicht genommen, sich nicht etwa blind auf ihre Gutachter zu verlassen, sondern deren Ergebnisse auf ihre Triftigkeit hin einer eigenständigen Prüfung zu unterziehen. Wie das geht, wird in dem Karlsruher Beschluss vorgemacht - mit vernichtenden Schlussfolgerungen für die Gutachter-Expertise.
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