Oberlandesgericht Dresden, Az. 1 U 1306/10 vom 30.04.2013
wegen Amtshaftung
hat
der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht Riechert, Richterin am Oberlandesgericht
Fahrinkrug und Richterin am Oberlandesgericht Podhraski aufgrund der
mündlichen Verhandlung vom 10.04.2013 für Recht erkannt:
Beschluss:
1.3. Die bei
dem hier in Rede stehenden Handeln hoheitlich tätig gewordenen
Mitarbeiter des Jugendamtes der Beklagten haben im Zusammenhang mit der
Antragstellung objektiv die ihnen hierbei obliegenden Amtspflichten
verletzt.
Maßgeblich für
die Bestimmung des Pflichtenkreises ist in erster Linie der
Regelungsgehalt, wie er sich aus den §§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und 8a Abs. 1 und
3 SGB VIII ergibt, welche zugleich den sich aus Art. 6 Abs. 3 GG
ergebenden Schutzauftrag gegenüber Kind und Familie konkretisieren (vgl.
Hauck/Hains. Großkommentar zum SGB VIII, Stand Sept. 2012, Bd. 1, § 8a
Rz. 1)
Dieser
Regelungsgehalt beinhaltet insbesondere die sich auch bereits aus
allgemeinen Verwallungsrechtsgrundsätzen folgende Pflicht zur
gewissenhaften, also vollständigen und zutreffenden
Sachverhaltsermittlung (vgl. insoweit auch BVerfG vom 21.11.2012 -1 BvR
1711/09. LS 2, juris) und die Pflicht zur vollständigen und zutreffenden
Unterrichtung des nach § 8a Abs. Absatz 2 SGB VIII angerufenen
Familiengerichts.
Daneben hatten
die Jugendamtsmitarbeiter der Beklagten den allgemeinen, für alle Träger
öffentlicher Verwaltung geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten (vgl. insoweit auch BVerfG vom 17.06.2009 - 1 BvR 467/09 -,
juris Rn. 19).
Die Mitarbeiter
der Beklagten haben bei der Erarbeitung der Antragsgrundlagen sowie bei
der Antragstellung selbst unter allen drei zuvor geschilderten
Gesichtspunkten ihre jeweils auch dem Schutz der Kläger dienenden
Amtspflichten verletzt:
a) Die
Mitarbeiter des Jugendamtes der Beklagten haben zunächst unzureichend
und unvollständig den für einen Antrag auf Sorgerechtsentzug relevanten
Sachverhalt ermittelt.
Voraussetzung
der Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § BGB § 1666 BGB ist eine
Gefährdung des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden des
Kindes oder eine gegenwärtige in einem solchen Maße vorhandene Gefahr,
dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit
ziemlicher Sicherheil voraussehen lässt (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2010 -
1 BVR 374/09, NJW 2010, 2333).
Nach dem
streitgegenständlichen Vorfall am 29.01 2008 und dem sich anschließenden
Besuch durch eine Mitarbeiterin des Jugendamtes wäre das Jugendamt
zumindest gehalten gewesen, vertieft bei der Tagesmutter und späteren
Zeugin im Prozess, Frau Z., nachzufragen, ebenso wie bei dem betreuenden
Kinderarzt sowie bei den zuvor die Familie begleitenden Stellen der
Erziehungshilfe.
Das Jugendamt ist
bei seinem nach § 8a SGB VIII gegebenen Prüfauftrag unbedingt
verpflichtet, uneindeutige und zweifelhafte Informationen zu erhellen
und aufzuklären (ausführlich: Hauck/Hains, a. a. O., § 8a Rz. 3, 9 f.,
jew. m. w. N.). Diesem von der Rechtsprechung und dem Gesetzestext klar
definierten Aufklärungs- und Prüfauftrag ist das Jugendamt nicht
nachgekommen, obwohl die Gesamtsituation hierzu eindeutig Anlass gegeben
hätte.
b) Das
Jugendamt handelte pflichtwidrig bei der Abfassung und Einreichung des
Antrages beim Familiengericht, Nicht nur § 8a SGB VIII verpflichtet das
Jugendamt zur Zuarbeit gegenüber dem Gericht in einer Weise, die dem
Gericht eine sachgerechte Prüfung und Abwägung für eine richtige
Entscheidung ermöglicht (vgl. Hauck/Hains. a. a. O. § 8a Rz. 8; 13; 18).
Der Senat sieht
insoweit auch Parallelen zu der zu Haftbefehlsanträgen der
Staatsanwaltschaft ergangenen Rechtsprechung, der zufolge es sich bei
der vollständigen und zutreffenden Unterrichtung des Gerichtes um eine
zentrale Pflicht handelt (vgl. BGH vom 23.10.2003 - III ZR 9/03. juris
Rn. 16ff).
Der Sachverhalt
bei der Einreichung von Haftbefehlsanträgen ist insoweit mit der
Pflicht zur Zuarbeit nach § 8a SGB VIII vergleichbar, als in beiden
Fällen das Gericht durch den Erlass der beantragten Entscheidung unter
Umständen erheblich in grundgesetzlich geschützte Rechte der Betroffenen
eingreift.
Hieraus erklärt
sich, dass es sich bei der Pflicht zur gewissenhaften Zuarbeit um einen
zentralen Aspekt bei den dem Jugendamt obliegenden Amtspflichten
handelt, weil die Zuarbeit eine sachgerechte und vollständige Prüfung
durch das Gericht ermöglichen und gewährleisten muss.
Vor diesem
Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass der vom Jugendamt selbst
erstellte „Prüfbogen bei Vermutung von Kindeswohlgefährdung“ nebst
Beiblatt, der gerade zum Zwecke der Schaffung und Dokumentation einer
Entscheidungsgrundlage erstellt wird, nicht mit vorgelegt wurde - ebenso
wenig wie die dem Jugendamt bekannte Stellungnahme der zuvor
beteiligten Erziehungshilfestelle vom 15.01. 2008.
In diesem
Zusammenhang ist weiter anzuführen, dass die Antragstellung als solche
insoweit eine unzutreffende Darstellung enthielt, als darin ausgeführt
wurde, die Tagesmutter, Frau Z., habe „weiterhin die durch die anonyme
Anzeige angebrachten Vorwürfe ... bestätigt“ (S. 3 des Antrages, Anlage
K5), wobei tatsächlich - was der zuständigen Mitarbeiterin des
Jugendamtes der Beklagten auch bekannt war - es sich bei der „anonymen
Anzeige“ um einen Anruf der Frau Z. selbst gehandelt hatte.
Durch diese
klar verfälschende Darstellung wurde beim Amtsgericht der Eindruck
erweckt, mutmaßliche Gefährdungen der Klägerin zu 1) seien dem Jugendamt
von mehreren Seiten zugetragen worden.
In die gleiche
Richtung zielt die Formulierung auf Seite 2 des Antrages, wonach der ASD
„durch einen anonymen Anruf darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es in
der Familie seit Beendigung der SPFH erneut Schwierigkeiten gäbe, die
eine ernste Bedrohung für das Wohl A.'s darstellen“ (Unterstreichung
durch das Gericht).
Auch hierdurch
wird in tendenzieller Weise der Eindruck einer Mehrfachgefährdung
suggeriert, ohne dass sich aus den vorangehenden Unterlagen in
irgendeiner Weise eine bereits zuvor stattgehabte „ernste Bedrohung“ für
das Wohl der jetzigen Klägerin zu 1) ergeben hätten.
c) Weiter hat
die Behörde der Beklagten auch objektiv gegen ihre Pflicht verstoßen,
das ihr eingeräumte Ermessen bei der Antragstellung pflichtgemäß
auszuüben und hierbei - was jedem Sachbearbeiter ohne Weiteres bekannt
sein dürfte und müsste - den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
Der Entzug des
Sorgerechtes stellt die schärfste vorstellbare Maßnahme an erlaubten
Eingriffen in das grundgesetzlich geschützte elterliche Sorgerecht sowie
das Recht des Kindes auf den Verbleib bei seiner leiblichen Mutter und
im Rahmen seiner leiblichen Familie dar.
Vor diesem
Hintergrund versteht sich die strenge Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes zu den Voraussetzungen und den Kriterien für
den Sorgerechtsentzug von selbst (vgl. BVerfG vom 29.01.2010, a. a. O.;
sowie BVerfG v. 17.06.2009, a. a. O.)
Auch insoweit
ist nicht nachvollziehbar, weshalb - sei es unter dem Gesichtspunkt
gemutmaßter fortdauernder Gewalttätigkeit des Vaters oder den „Problemen
auf Paarebene“ die Behörde nicht zunächst zunächst eine nur
kurzfristige Inobhutnahme des Kindes, die Gewährung intensiver
psychologischer Hilfe oder aber auch den abermaligen Einzug der
Kindesmutter in eine „Mutter-Kind-WG“ oder schließlich den Verweis des
Kindsvaters aus der Wohnung in Betracht gezogen und initiiert halte.
Der Antrag auf
Sorgerechtsentzug war auch unter dem Gesichtspunkt grob
unverhältnismäßig, als das Jugendamt tatsächlich über den einmaligen,
zudem ausschließlich gegen Sachen gerichteten Gewaltausbruch des Vaters
keinerlei positive Feststellungen zu sonstigen, gar personengerichteten
Gewalttätigkeiten des Vaters getroffen hatte, ebenso wie es keinerlei
konkrete Feststellungen zu der Frage getroffen hatte, inwieweit sich
„Probleme auf Paarebene“ konkret, auf das Kindeswohl auswirken würden,
geschweige denn, dass diese Auswirkungen ein solches Ausmaß annehmen
würden, dass dies einen Sorgerechtsentzug rechtfertigen würde.
Die
Verhältnismäßigkeit der Beantragung des Sorgerechtsentzugs als
schärfster vorstellbarer Maßnahme ergibt sich auch nicht etwa aus
„fehlender Kooperationsbereitschafl“ der Eltern, wie die zum Termin
erschienene Leiterin des Jugendamtes der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung meinte.
Abgesehen
davon, dass dieser Vorwurf vor dem Hintergrund, dass die Eltern der
Klägerin zu 1) zuvor sehr wohl kooperiert hatten, indem sich die Mutter
nämlich auf Anraten des Jugendamtes zeitweilig in einer Mutter-Kind-WG
unterbringen ließ und indem die Eltern auch regelmäßige angekündigte wie
ungekündigte Besuche der Mitarbeiterin der Familienhilfe zuließen und
damit der Vorwurf fehlender Kooperationsbereitschaft schlicht aus der
Luft gegriffen erscheint, gibt es keine Pflicht zur Kooperation der
Eltern im Hinblick auf beabsichtigte pflichtwidrige Maßnahmen.
Von leiblichen
Eltern zu fordern, bei einem Sorgerechtsentzugsverfahren „zu
kooperieren“, würde den Sinn jeglicher Jugendfürsorge konterkarieren
Dass umgekehrt im Hinblick auf andere, weniger einschneidende Maßnahmen
die Eltern angeblich nicht kooperiert hätten, wird durch ihr früheres
Verhalten eindeutig widerlegt.
1.4. Die Mitarbeiter der Beklagten handelten im Zusammenhang mit der Antragstellung auch schuldhaft.
Zwar begründet
nicht jeder Fehler in der Rechtsanwendung bereits den Vorwurf des
Verschuldens. Dieses ist aber dann zu bejahen, wenn sich die
Rechtsanwendung des handelnden Amtsträgers nicht mehr als vertretbar
darstellt, mit anderen Wort entfällt der Schuldvorwurf erst dann, wenn
die Rechtsansicht des Amtsträgers aufgrund sorgfältiger rechtlicher und
tatsächlicher Prüfung gewonnen wurde und wenigstens als rechtlich
vertretbar angesehen werden kann (Staudinger/Wurm, Kommentar zum BGB,
Buch 2, Unerlaubte Handlungen 4, Stand 2007, § 839 Rz. 204 f., m. w. N.)
Von Letzterem
ist vorliegend allerdings nicht auszugehen, und zwar auch nicht unter
Berücksichtigung sämtlicher zugunsten der Mitarbeiter der Behörden
sprechenden subjektiven Umstände.
So verkennt der
Senat insbesondere nicht, dass der Malistab für die Beurteilung einer
schuldhaften Sorgfaltswidrigkeit nicht der „ideale Beamte“ ist. sondern
vielmehr ein Durchschnittsbeamter
Auch hieran
gemessen stellt sich die Vorgehensweise des Jugendamtes im konkreten
Fall als schlechterdings unvertretbar dar. Unabhängig davon, dass die
Mitarbeiter der Beklagten das ggf. bestehende und von ihnen angenommene
Gefährdungspotenzial unsorgfältig ermittelt haben, stellte sich auf der
Grundlage der von ihnen selbst gewonnenen Tatsachenbasis der gestellte
Antrag in der gestellten Form auf Entziehung des Sorgerechtes als von
vornherein nicht tragbar dar.
Wie das
Landgericht zutreffend in den Gründen des angefochtenen Urteils
ausgeführt hat (dort S. 14 Mitte bis S. 16 oben), war den Mitarbeitern
der Beklagten das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für den
Sorgerechtsentzug ausweislich ihrer eigenen Feststellungen in dem
Prüfbogen vom 31.01.2008 positiv bekannt.
Dort hat die
zuständige Mitarbeiterin Riedel selbst festgehalten, dass für eine
Gefährdung des Kindeswohls keine Anhaltspunkte festgestellt werden
konnten (geschweige denn Gefährdungen solchen Ausmaßes, welche einen
Sorgerechtsentzug gerechtfertigt hätten). Vielmehr wurde festgestellt,
dass eine Gefährdung nicht abschließend ausgeschlossen werden könne.
Der Senat kann
offenlassen, ob - wie das Landgericht meinte - deutliche Indizien für
ein bedingt vorsätzliches Verhallen der Mitarbeiter der Beklagten
vorliegen. Ein solches Indiz könnte insbesondere in dem Umstand der
Nichtvorlage des Prüfbogens liegen, welche gerade die Mutmaßungen einer
konkreten Gefährdungssituation widerlegten, wobei schlechterdings
unvorstellbar ist, die Mitarbeiterin der Beklagten habe entsprechend
deren Behauptungen im Prozess diese Erkenntnisse für „unerheblich“
gehalten.
Die Pflicht zur Abklärung des
Anfangsverdachts einer Kindeswohlgefährdung ist zentraler
Regelungsgehalt des § 8a SGB VIII und es erscheint ausgeschlossen, dass
einer Mitarbeiterin des Jugendamtes diese Pflicht unbekannt gewesen sein
sollte.
Ein weiteres Indiz
könnte sein, dass die Darstellungen im Antrag selbst tendenziös und
suggestiv in eine den Tatsachen nicht entsprechende Richtung wiesen, was
den Schluss nahelegt, dass die Mitarbeiter der Behörde selbst davon
ausgingen, dass bei zutreffender Beurteilung des vollständigen
Tatsachenstoffes der Antrag nicht zu rechtfertigen sein würde. Dass die
ebenfalls aus § 8a SGB VIII folgende Pflicht zur umfassenden und
zutreffenden Unterrichtung des Familiengerichtes den zuständigen
Mitarbeitern der Beklagten unbekannt sein könnte, ist nicht vorstellbar
und würde die Beklagte im Übrigen nicht entlasten
Letztlich kann
aber offenbleiben, ob die Mitarbeiter der Beklagten gezielt die einen
Sorgerechtsentzug gerade nicht rechtfertigenden, „entlastenden“ Umstände
dem Gericht vorenthalten haben oder ob - wofür die Äußerungen der
Jugendamtsleiterin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Senat spricht - diese Vorgehensweise auf einem profunden Miss
Verständnis über die eigenen Kompetenzen beruhte. Auch in letzterem Fall
hätte sich die Vorgehensweise der Mitarbeiter der Beklagten jedenfalls
als grob sorgfaltswidrig dargestellt.
1.5. Die schuldhaften Pflichtverletzungen waren auch kausal für die von der Klägerin zu 1) erlittenen seelischen Verletzungen:Dem
steht nicht entgegen, dass die Mitarbeiter der Beklagten „nur“ den
Antrag auf den Sorgerechtsentzug stellten, die Entscheidung aber das
Familiengericht traf. Dass die Antragstellung „kausal“ im Sinne der
Äquivalenztheorie war. steht außer Zweifel, denn ohne den Antrag wäre
das Amtsgericht vorliegend schlicht nicht tätig geworden. Der Antrag war
aber auch adäquat kausal für die Trennung der Klägerin zu 1) von den
Klägerin zu 2) und zu 3), denn die Anordnung des Sorgerechtsentzugs lag -
ungeachtet der Frage einer etwaigen eigenen Pflichtverletzung durch das
Amtsgericht - angesichts der Abfassung des Antrages im Rahmen des nach
allgemeiner Lebenserfahrung zu Erwartenden und Vorhersehbaren.
Auch unter
Zurechnungsgesichtspunkten entfällt die Kausalität nicht etwa deshalb,
weil einige Tage nach Ausspruch der Entscheidung dem Amtsgericht allein
aufgrund des Aufhebungsantrages nunmehr die vom Jugendamt nicht
mitgeteilten Informationen zumindest teilweise vorlagen. Denn das
Amtsgericht hat dann durch Anberaumung eines Termins zur mündlichen
Verhandlung das gesetzlich vorgesehene Überprüfungsverfahren in Gang
gesetzt.
Schließlich
entfällt die Kausalität auch nicht durch die im Nachgang erteilte
Zustimmung des für die Klägerin zu 1) damals bestellten
Verfahrenspflegers. Dieser war nur {neben die Klägerin zu 2. und zu 3.
tretender) gesetzlicher Interessen Vertreter der Klägerin zu 1), nicht
aber deren gesetzlicher Vertreter (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG. 15.
Aufl., § 50 Rn. 5ff; Jansen, FGG, 3. Aufl., §50 Rn. 61).
1.6.
Für die dem Grunde nach damit gegebene schuldhafte
Amtspflichtverletzung der Mitarbeiter der Beklagten steht der Klägerin
zu 1) Schadensersatz in Form von Schmerzensgeld zu. Die
zwangsweise Trennung der Klägerin von ihren leiblichen Eltern stellt
einen tiefgreifenden, mit seelischen Verletzungen verbundenen Eingriff
in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) dar. welches
namentlich durch Art. GG Artikel 6 Abs. GG Artikel 6 Absatz 3 GG noch
unter besonderen Schutz gestellt wird, welcher nur durch Zahlung einer
angemessenen Geldentschädigung kompensierbar ist.
Bei der
Bemessung der Höhe der Entschädigung ist dem Senat bewusst, dass es
schlechterdings nicht möglich ist, die konkreten psychischen Abläufe
nachzuvollziehen. welche sich im Bewusstsein der zum damaligen Zeitpunkt
etwas über einjährigen Klägerin zu 1) abgespielt haben, so dass dem
Senat im Rahmen der von ihm nach § 287 ZPO auszuübenden freien Würdigung
wenig Anhaltspunkte zur Verfügung stehen. Als gesichert geht der Senat
in diesem Rahmen aber davon aus. dass
die Trennung des Kleinkindes von seinen leiblichen Eltern zu den
schwerwiegendsten psychischen Einwirkungen auf ein Kleinkind gehört,
weil in diesem Alter die emotionale Bindung an die leiblichen Eltern,
namentlich die leibliche Mutter, zentral und lebensbestimmend ist. Das Kind kann naturgemäß in diesem Alter nicht auf eine Reihe weiterer emotionaler Bezugspunkte zurückgreifen.
Dies gilt
vorliegend umso mehr vor dem Hintergrund, dass ausweislich der
aktenkundigen Berichte der Jugendfürsorge die Mutter ein nahes und enges
Verhältnis zur Tochter hatte und ungeachtet der für die Zeit des
Schulbesuches der Mutter tätig werdenden Tagesmutter diese die nahe
Bindung auch pflegte. Es bleibt daher bei
der Feststellung, wie sie auch das Landgericht München in einem
klägerseits zitierten Urteil vom 07 01.2009 (Az: 9 O 20622706) getroffen
hat. dass das Herausreißen des Kindes aus der familiären Umgebung und
die nahezu vollständige Trennung des Kleinkindes von seinen Eltern
mutmaßlich zum Schlimmsten gehört, was dem Kind aus seiner subjektiven
Kleinkindsicht heraus widerfahren kann.
Dem Senat erscheint vor diesem Hintergrund und in Würdigung sämtlicher konkreter Fallumstände ein Schmerzensgeld von 7.000,00 € für
den gesamten Zeitraum angemessen (es ist davon auszugehen, dass in dem
vom Landgericht München entschiedenen Fall das dort betroffene Kind
wegen seines fortgeschritteneren Alters ein höheres Maß an Bewusstsein
entwickeln konnte, was ein höheres Schmerzensgeld rechtfertigte). Bei
der Bemessung hat der Senat auch berücksichtigt, dass das Jugendamt aus
nicht nachvollziehbaren Gründen vor dem Termin vor dem Familiengericht
die Situation weiter dadurch verschärfte, dass es das Umgangsrecht der
Eltern mit der Klägerin zu 1) noch zusätzlich reduzierte, wobei eine
Erklärung oder ein sinnvoller Grund hierfür weder vorgetragen noch sonst
auch nur ansatzweise ersichtlich ist. Insgesamt erscheint dem Senat
daher ein Schmerzensgeld von 7.000,00 € angemessen, wobei hier bereits
1.000,00 € im Vergleichswege vom Freistaat an die Klägerin zu 1)
ausgekehrt wurden, so dass weitere 6 000,00 € Schmerzensgeld zuzusprechen waren.
2 Weil die
Beklagtenseite sich der vor diesem Hintergrund Klägerseits erklärten
Erledigung nicht angeschlossen hat, war insoweit vor dem soeben
geschilderten Hintergrund die Feststellung der Erledigung zugunsten de
Klägerin zu 1) auszusprechen Die weitergehende Klage der Klägerin zu 1)
war abzuweisen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen